Sonntag, 11. Dezember 2011
Quasigrodo sieht nicht so aus, aber er ist ein ganz schlauer Kerl. Er versteckt sich mit Eleganz und Wonne hinter seiner äußeren Erscheinung und gibt seinem Pfarrer den Quasigrodo, den dieser in der verirrten Seele sehen möchte. In Wahrheit aber nutzt Quasigrodo seine Situation gehörig aus und überrascht damit den kleinen Spirou, der ansonsten nie um eine Antwort verlegen ist und hier nun sprachlos auf das Ergebnis von Quaisgrodos Schläue blicken kann. Andere würden es vielleicht Durchtriebenheit nennen oder notwendiges Durchsetzungsvermögen. Gerade von letzterem herrscht in Spirous Familie allgemein kein Mangel. Der kleine Spirou selbst ist findig und seine Oma … nun, der kommt man besser nicht in die Quere, sollte man anderer Meinung als sie sein. Bei ihr gehen Tatkraft und Schlagkraft Hand in Hand.
Mit Zeichnern macht man keine Späße: Besonders dann nicht, wenn man als gezeichnete Figur in einer gewissen Abhängigkeit zu diesem Berufsstand steht. Für diese Kindereien, wie es im Vorfeld tatsächlich heißt, ist außer Janry (Autor) und Tome (Zeichner) noch Dan mitverantwortlich. Es macht schon einen großen Unterschied, auf welchem Papier eine Figur gezeichnet wird, wie sicher die Striche sitzen, wie gut getuscht und koloriert wird. Wenn die Figuren sich allerdings beschweren, wird ihnen kurzerhand das Wort entzogen. Doch der 15. Band der Reihe Der kleine Spirou bewegt sich mit seinen Geschichten meistens in der wirklichen Welt und weitaus weniger abstrakt.
Der kleine Spirou hält Charaktere bereit humorvoll sind, auch cholerisch wie Turnlehrer Jahn, skurril wie Quasigrodo, senil, aber vor allem in vielerlei Hinsicht auch herrlich normal. Zuletzt genannte Figur, Quasigrodo, leitet mit der Beschreibung seines Lebenslaufes den Band ein. Von der Schule bis zu seiner letzten Anstellung als Gehilfe in einer Kirchengemeinde begegnet der Leser der an die dramatische Figur des Quaismodo angelehnten Quasigrodo als Spross eines überaus kapitalistischen Systems, der schließlich zu Fall gebracht wird. Janry flechtet frech aktuelle Probleme der Weltwirtschaft ein, vermischt es mit Klamauk, während Tome es mit einem doppelten Augenzwinkern serviert.
Bereits der kleine Spirou hat Probleme oder auch Leidenschaften, die sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzen. Frauen sind bereits ein Thema. Ehrgeiz und Leistungsdruck, auch das Mogeln werden auf besondere Weise thematisiert und sei es nur, wenn das Geschäft auf dem Töpfchen zu ganz besonderen Höhenflügen reizt. Hier kommen der formulierte Witz von Janry wie auch die von Tome gezeichneten Ausdrücke zu einer hinreißenden Mixtur zusammen. All dies bewegt sich auch innerhalb der Pagenfamilie, so dass der Leser einen zusätzlichen Einblick in den Stammbaum des kleinen Spirou erlangt. Sofern er neben Lachen und Schmunzeln dazu kommt.
Tome gelingt in scheinbar gestauchten, verzerrten Figuren Ausdruck und Haltung zu vereinen, so dass bereits hier viel an Humor herauszulesen ist, ohne auch nur ein Wort aufgenommen zu haben. Gerade bei den Kinderfiguren zeigt sich Tomes Talent mit kleinen, präzisen wie intuitiven Strichen seinen Sketchaufbau Papier zu bringen. In manchen Sequenzen beweist er so auch den sehr menschlichen, sprachübergreifenden Humor, wenn Janry auf Dialoge oder Erklärungen verzichtet.
Als Antipathieträger sticht einmal mehr Turnlehrer Jahn hervor, eine Lehrerfigur, die sicherlich jeder einst (oder noch) in einer verwandten Form vorweisen kann. Großmäulig, der geborene Besserwisser, mehr Forderer als Förderer und neben seiner Tätigkeit als Lehrer kulinarischen Genüssen nicht abgeneigt. Das äußerst sich jedoch meistens in übermäßigem Trinken und Essen und wirkt alles andere als genießerisch. Janry verwendet Jahn gerne in slapstickhaften Situationen, so auch hier im Zoo, als übereifrigen Helfer (Thema: Besserwisser) oder als hilflosen Autofahrer vor einem Garagentor (Thema: Choleriker).
Ein Feuerwerk der Späße, ein besonders schönes diesmal, mit neuen Ideen, mit großer Spielfreude der Darsteller vorgeführt (was natürlich Tome zu verdanken ist, der hier zur Hochform aufläuft). Wer an trüben Wintertagen lachen will, liegt hier richtig. 🙂
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Dienstag, 22. November 2011
Dyssery will nicht heiraten. Sie möchte Schauspielerin sein. Allerdings sind Frauen keine ernsthaften Schauspielerinnen. Frauenrollen werden auf der Bühne von Männern gespielt. Und die Frauen, die sich Schauspielerinnen nennen, sind für gewöhnlich auf nur eine einzige Rolle fixiert und überhaupt nicht gesellschaftsfähig. Dyssery sieht nur einen Ausweg aus dieser misslichen Lage, in der sie mit einem ungeliebten Ehemann vermählt werden soll: Den Freitod. Leider bewahrheitet sich hier für Dyssery das geflügelte Wort, das schon häufig bemüht wurde: Das Ende ist nur der Anfang.
Christophe Arleston und Audrey Alwett erzählen, nein, sie entführen den Leser in bisher unbekannte Gefilde, nämlich die Hölle, genauer noch das Schattenreich von Troy, wo alle religiösen Vorstellungen Troys Realität werden. Da dieses Universum eines ist, das mit ziemlichem Humor erzählt wird und fortwährend wächst und neue lustige Ideen präsentiert, ist es keine Frage, dass das Schattenreich auch kein Hort von Traurigkeit ist. Virginie Augustin, die schon den Mehrteiler gestaltete und dabei eine Mixtur aus Manga und Zeichntrickflair verwendete, hat hier ihre Technik etwas verändert.
Ihre sehr feinen, fast zerbrechlichen Figuren sind immer noch erkennbar, doch es eine Strichführung hinzugekommen, wie sie auch ein Guy Davis (B.U,A.P.) verwendet. Die Tuschestriche wirken exakt und intuitiv gezogen gleichermaßen. Das oft herangezogene organisch für dergleichen Stilistik trifft es auch. Augustin arbeitet gerne mit Ausdrücken und Haltungen. Nur Nuancen sind nötig, um einen Eindruck zu erzielen, der sofort erkannt und verstanden wird.
Im Schattenreich selbst kann sich Virginie Augustin so richtig austoben. Nicht nur, dass die Autoren Arleston und Alwett mit ähnlich anarchischen Humor zu Werke gehen wie Alain Ayroles (Garulfo), sie legen sich auch keine Grenzen auf. Mumien, Untote, Werwölfe, Vampire, alle Arten von Dämonen und Legenden scheinen in diesem Schattenreich lebendig zu werden. Selbst Einflüsse von Disneys Werken sind mit dem augenscheinlich winzigen Zebl zu finden, der aber entgegen einer familienfreundlichen Abendunterhaltung auch ein leicht frivoler fliegender Zwerg ist. Er und Dyssery bilden allein optisch ein sehr ungewöhnliches Duo, manchmal eine fast freundlich lästerliche Hommage an Luke und Yoda.
Zeichenstil: Ungezwungen. So ließe sich die Technik von Augustin auch bezeichnen. Da ist sicherlich alles geplant und organisiert (wie Entwurfszeichnungen belegen), dennoch entsteht der Eindruck einer Erzählung, die während des Schaffens entsteht und die erst dann ihr Ende findet, wenn sich das Ende auch gut anfühlt. Die verschiedenen Abschnitte der Handlung, Dysserys Art, sich im Tal der Schatten zurecht zu finden und der Weg ihres Witwers, vom Willen getrieben, seine Braut von den Toten zurück zu holen, wimmeln nur so von skurrilen Einfällen. Wann war der Wächter zur Unterwelt jemals ein riesenhafter Igel? Wann gab es in der Hölle Theateraufführungen? Oder wann war ein skelettiertes Wollnashorn ein Reittier?
Troy hat sich bereits mit vielen fantastischen Erzählrichtungen angefreundet. Auf Troy ist alles möglich, so verschiebt sich die Ansicht dieser Handlung (und dieser Landstriche) ins Asiatische hinein und imitiert auch die fragilen Zeichnungen jener großen Region. Der berühmte Pinselstrich findet sich hier zwar nicht, eher eine Cartoon-Version der Unterwelt wie sie Eric Liberge mit Monsieur Mardi-Gras zeigte.
Eine in sich abgeschlossene Geschichte aus dem Troy-Universum, ohne Vorkenntnisse verständlich, mit schönem Witz erzählt, hinreißend comic-artig gezeichnet und einer feinen Fantasy-Note versehen. Perfekte Comic-Unterhaltung. 🙂
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Samstag, 19. November 2011
Die vermummten Halunken suchen Ritter Hugo. Mit dem Wirt des Gasthofes haben sie leichtes Spiel. Mit dem jungen Kämpen, der kurz nach ihnen eintrifft, werden sie nicht so schnell fertig. Ein Komplott wurde geschmiedet. Doch wer sind die Drahtzieher hinter den Kulissen? Johanns Rat an Hugo, sich vor allem und jedem in Acht zu nehmen, ist weitaus ernster zu nehmen, als der Ritter zunächst glauben mag.
Die Welt der Ritter: Johann, der Page des Königs, begeistert sich für das ritterliche Leben, stellt aber sehr bald fest, dass nicht jeder Mitstreiter der gut besuchten Ritterspiele ehrenvoll in den Zweikampf hinein geht. Bevor Peyo mit den Schlümpfen ein großes und sehr bekanntes Kapitel der Comic-Geschichte aufschlug, sorgte bereits Johann für Aufmerksamkeit. Der Page musste sich allerdings noch ein wenig gedulden, bis einen guten Freund zur Seite gestellt bekam, denn Pfiffikus war nicht von Beginn an dabei.
Ein seitenstarker redaktioneller Teil berichtet über Peyos Weg hin zum Comic-Zeichner. Grafiken aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts zeigen die stilistische Ausrichtung jener Zeit: Figuren, die sich verbiegen können, als seien ihnen elastische Drähte in die Gliedmaßen implantiert. Es ist eine Optik, wie sie heute noch in klassischen Zeichentrickfilmen jener Tage bestaunt werden kann. Das erste Abenteuer von Johann, Bösenbergs Racheschwur mit Namen, erschien erstaunlicherweise erst 1998 erstmalig in deutscher Sprache. Peyo führt hier einen jungen Burschen vor, ungestüm und besonnen gleichermaßen, mit eisenherzschem Wagemut und der Pfiffigkeit eines Huckleberry Finn. Kurzum, Johann brachte gleich von Beginn alles mit, was eine abenteuerbegeisterte Kinderseele erfreuen konnte.
Mehr noch: Neben feinen Kämpfen, wie sie natürlich zu einem Ritterabenteuer gehören, spielt der Humor eine große Rolle. Da ist es natürlich auch kein Wunder, wenn sich beides vermischt und eine Schlacht einen gewissen Slapstick-Charme erhält. In der zweiten Ausgabe Der Herr von Burg Eckstein stellt sich dem aufrechten Helden wieder ein klassischer Finsterling entgegen, wieder wird er seiner gerechten Strafe zugeführt, doch so richtig in Fahrt kommt Johann erst, als auch Pfiffikus in Der Kobold aus dem Felsenwald seinen Auftritt hat.
Pfiffikus ist klein, mutig, schlau, reitet auf seiner Ziege Ricki, die immerhin mutig und schlagkräftig, auch stoßfertig ist. Er ist der Kleine, der sich durchbeißt und den Aberglauben des Mittelalters für sich zu nutzen weiß, indem die Legende des Pfiffikus entsteht. Allerorten scheint der merkwürdige Ausruf Pfiffikus zu hören sein, doch niemand bekommt ihn zu Gesicht. Peyo lässt die beiden sich zusammenraufen und Freundschaft schließen, bevor er sie in ein gemeinsames Abenteuer schickt und die beiden ein unschlagbares Duo werden.
Das ist von Peyo mit Liebe erzählt, aber etwas anderes fällt noch auf: Sehr schnell steigt Pfiffikus zur gleichberechtigten Figur neben Johann auf. Sie ist nicht weniger findig, vielleicht sogar einfallsreicher. Ganz gewiss aber kann der Gnom aber sehr schnell die Sympathien des Leser auf sich ziehen. Ist Johann vor allem wacker, ist Pfiffikus insbesondere komisch und um keine Lösung verlegen. Rein optisch ist mit seiner Kopfform und den bommelig aufragenden Haaren schon ein kleiner Vorläufer der Schlümpfe.
Ein Klassiker der europäischen Comic-Kultur schlechthin: Johann und Pfiffikus präsentieren sich in einer redaktionell schön bearbeiteten ersten Sammelausgabe mit drei Abenteuern. Das ist zeitlose Unterhaltung für Kleine und Junggebliebene sowie ein Blick auf die Grundlagen des Comics, die immer noch ihre Gültigkeit haben. Prima. 🙂
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Montag, 31. Oktober 2011
Pluto würde sie sehr gerne haben: Diese wunderbare Hundehütte in der Auslage des Geschäftes ist wie für ihn gemacht. Und tatsächlich stehen die Chancen, sie auch zu bekommen, gar nicht so schlecht. Immerhin steht Weihnachten vor der Tür. Also gibt sich Pluto die allergrößte Mühe ein sehr verträglicher und umgänglicher Hund zu sein. Auch wenn das bedeutet, besonders lieb, nett und geduldig mit der Nachbarskatze zu sein, einem Kater, der nicht umsonst den Namen Luzifer trägt.
Das Titelbild des vorliegenden Bandes zu Disneys Weihnachtsklassikern greift zu kurz: Es sind noch einige Bekannte mehr in diesem Album vertreten. Am beliebten Thema Weihnachten kommen gerade die Einwohner aus Entenhausen nicht vorbei. Den Anfang macht ein Zeichner und Autor, der sich um die Ducks verdient gemacht hat: Carl Barks nimmt den Leser 1952 mit nach Weihnachten in Kummersdorf. Donald Duck ist allenfalls ein zeitweiliger Glückspilz, der häufig ins Fettnäpfchen tritt oder nicht ein noch aus weiß. In Kummersdorf hingegen ist jeder Tag grau und jeder andere aus Entenhausen, sogar Donald, hat es besser als die Einwohner dort. So ist diese Episode geprägt vom Füreinander und den Anstrengungen gerade jenen einen schönes Weihnachten zu bereiten, die es sich ansonsten nicht leisten können. Barks macht vor, was die anderen Autoren befolgen: Mit Herz und Verstand eine heitere Geschichte erzählen.
Einer meiner Lieblingszeichner neben Carl Barks, nämlich Al Taliaferro, kommt mit einer kleinen Episode, Kuss-Schluss, von 1940 leider etwas kurz. Ihm wie auch Jack Hannah liegen die schmalen Duck-Gesichter mit einem lang gezogenen Schnabel und sehr betonten Augen. Rund zehn Jahre bevor Barks die Eintrittsgeschichte dieses Bandes zeichnete, sind die Szenen von Hannah und Taliaferro deutlich mehr von der Slapstick der 40er Jahre geprägt und noch lange nicht so gefühlvoll weihnachtlich wie Weihnachten in Kummersdorf.
Mit 13 Geschichten wird ein schöner Querschnitt der Entenhausener Bürger gezeigt. Es kommen nicht nur Donald und seine Verwandtschaft vor (Oma Duck und Franz dürfen auch nicht fehlen), sondern auch Micky, Minnie, Mack, Muck, Pluto und Goofy sind mit von der Partie. Kater Karlo und die Panzerknacker sorgen für eine ordentliche Portion Tumult. Gustav Gans darf einerseits den netten Helfer spielen, andererseits in der Episode Wertvolle Weihnachtspakete zum energischen und dreisten Widersacher von Donald mutieren. Und das nur wegen eines Lebensmittelpaketes. Diese wie auch ein paar weitere Episoden liegen hier in der deutschen Erstveröffentlichung vor. Mau Heymans, der niederländische Zeichner, kann stilistisch seine Nähe zu den klassischen Vorlagen eines Carl Barks nicht leugnen.
Weihnachtsgeldtransport: Als sehr kurioses Szenario empfand ich immer wieder die Idee, Micky und Goofy als Lokführer im Wilden Westen einzusetzen. So spielt die Handlung hier zwar vor weihnachtlichem Hintergrund (von Paul Murry gezeichnet), aber entwickelt sich dennoch zu einer kleinen Detektivgeschichte, eine Rolle, die Micky nicht nur in diesem Abenteuer mit Bravour meistert. Von der sehr natürlich knuffigen, auch goldenen Vergangenheit geht es schließlich von Geschichte zu Geschichte mehr in die Gegenwart hinein.
Mit Tannenbaumtumult und Don Rosa kommen die Weihnachtsklassiker in den 80er Jahren an. Dort wird allerdings nur kurz verweilt. In den 90ern, selbst zu Beginn des neuen Jahrtausends entsteht das Gefühl einer stilistischen Rückorientierung, sehr kräftig gezeichnet, mit weitaus mehr gebogenen Körpern, die sich sogleich in einem Cartoon in Bewegung setzen könnten. So kann Das größte Geschenk mit Micky von 1998 einfach nur begeistern. Vielleicht auch aus dem Grund, da sogar ein Kater Karlo vom Geist der Weihnacht erfasst wird und einen bösen Streich wieder gut macht.
Eine sehr schöne Sammlung, mit sehr unterschiedlich ausgerichteten Handlungen. Von heiter-besinnlich über kurios-komisch bis humorvoll-spannend ist alles dabei. Für Disney-Fans eine gute Einstimmung auf die Weihnachtszeit (für alle anderen eigentlich auch, denn die Geschichten sind, ganz gleich wann entstanden, schlichtweg zeitlos). 🙂
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Samstag, 29. Oktober 2011
Bei Freddo trifft sich alles. Wo sonst? Auch Canardo lässt sich dort blicken, allerdings ist er kein gern gesehener Gast. Als der Fremde in den kleinen Ort zurückkehrt, sieht er zuallererst einen Canardo, der bäuchlings im Dreck vor der Tür landet. Nach einigen aufbrausenden Worten macht sich Canardo auf den Weg und kehrt der Szenerie den Rücken. Fernando, der Fremde, kehrt zunächst unerkannt in der Kneipe ein. Mittels eines kleinen Tricks, den nur er vermag, gibt Fernando seine Identität preis. Für Gisela ist er bereit, sich Ärger aufzuhalsen. Leider ist Gisela längst tot.
Der aufrechte Hund ist jemand, der vom Regen in die Traufe kommt. All die Geheimnisse, die er aufdeckt, werden von Seite zu Seite furchtbarer. SOKAL, Autor und Zeichner von CANARDO lässt seine titelgebende Hauptfigur eher am Rande auftreten, wie einen Humphrey Bogart, der sich nicht aus der Deckung traut. Deutlich zentraler ist sein Auftritt in Das Zeichen des Rasputin:
Jener Rasputin, ein brutaler, trinkender, sadistischer Bandenchef hat sich mit seinen Kumpanen in den hintersten Winkel von Sibirien verkrochen. Nur eine Sache bedauert er in seinem Leben: Keine Kinder zu haben. Die Nachricht, eines seiner Kinder könne möglicherweise überlebt haben, bringt ihn immerhin dazu, einen seiner Leute auf die Suche zu schicken. Canardo findet das verlorene Kind zuvor eher zufällig und springt helfend in die Bresche, so wie immer gerne bereit ist, einer Frau zu helfen, die ihn anzieht. SOKAL entwirft seinen Helden als Zyniker mit Vergangenheit, die von Zeit zu Zeit ein Stückchen ans Licht geholt wird. Schon nach dem ersten Abenteuer in diesem Band wurde deutlich, dass Canardo kein Händchen für Frauen hat. Die zweite Geschichte zementiert diesen Umstand noch.
Wie der Titel der dritten Geschichte Ein schöner Tod außerdem deutlich macht: Sokal liebt das Düstere und er parodiert es, indem er es gehörig auf die Spitze treibt. Canardo, der typische Detektiv im Trenchcoat ist alles andere als ein guter Charakter. Da verlässt eine Kugel schnell den Lauf. Canardo hat seine Momente des Erschreckens, doch meistens lassen ihn die Ereignisse um ihn herum kalt. Es scheint bereits in diesem frühen Stadium der Reihe nichts und niemanden mehr zu geben, das oder der ihn aus der Reserve locken kann. Die eigene Feststellung, er sei ein Held quittiert er mit einem trockenen Lachen.
Sokal parodiert die Schwarze Serie Hollywoods, die Tierfiguren, allen voran die Ente Canardo sind hier keine Parodien, mehr grobschlächtige, gemeine Typen oder, optisch frei übersetzt, völlig arme Schweine. Sokal zeichnet seinen Charakteren Eigenschaften auf den Leib. Der Wahnsinn (oder bestenfalls Ansätze hiervon) blitzt aus den Augen der Figuren. Häufig entstehen Situationen, die eine derartige Angst schüren, so dass für andere Emotionen kein Platz mehr bleibt. Interessanterweise greift nur ein einziges Mal ein Mensch in die Handlung ein, eine Art Dr. Moreau, unheimlicher und furchtbarer als sein filmisches Original.
Will man den Zeichenstil dieser ersten drei Abenteuer unbedingt vergleichen, so ist Sokal hier in der Nähe von Robert Crumb (Fritz the Cat) zu suchen. Stilistisch ist bei ihm eine gewisse Anarchie zu finden. Der Tuschestrich variiert fett bis ultrafein. Auffallend ist im zweiten und dritten Abenteuer die Inszenierung, die hier wörtlich genommen werden kann. Die Figuren werden in Szene gesetzt, sehr theatralisch, bühnenartig mit Ansichten, Lichtspielen und Blickwinkeln, die schon in frühen Stummfilmen funktionierten. Atmosphäre wird hier nur über das Bild transportiert. Text ist Beiwerk. Das beste Beispiel hierfür ist die Figur des Bronx in Ein schöner Tod. Der riesige Bär spricht so gut wie kein einziges Wort. (Und sogar diese sind mehr Laute der Wut als Worte.)
Bitterböse, gemein, zynisch: Canardo tastet sich an die Figur heran, die sie heutzutage zivilisierter ist. Ein Tierleben ist hier gar nichts wert, Liebe verschwindet schneller, als sie kommt. Canardo kann nichts mehr überraschen. Mit rabiatem Einfallsreichtum schickt Sokal seinen abgehalfterten Ermittler mit dem müden Gesichtsausdruck in die Abgründe seiner eigens von ihm kreierten, mitunter schaurigen Gesellschaft. 🙂
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Mittwoch, 12. Oktober 2011
Spoon ist klein und gemein. Sein Hang zu Feuerwaffen ist bei ihm ebenso stark ausgeprägt wie bei seinem Idol Dirty Harry. White, sein weitaus größerer Kollege, ist nicht weniger ungern bewaffnet, liebt insgesamt aber eleganter. Gott sei Dank, beide sind Cops. Ihr neuer Auftrag fällt zwar in die Arbeitszeit, allerdings ist der Auftrag trotzdem von einer gewissen Brisanz. Ein neues Schlankheitsmittel verspricht die Lösung für alle Übergewichtigen zu sein. Entsprechend groß ist der Andrang vor dem Kaufhaus. Die Chancen für Spoon & White, sich gegen diese Menschenmassen überhaupt durchzusetzen, sind überaus gering. Genauer gesagt: Ein Schneeball hätte bessere Chancen durch die Hölle zu kommen.
Spoon & White sind keine Aufgeber. Allen Widrigkeiten zum Trotz, stehen die Chancen auch schlecht (und sie stehen stellenweise verdammt schlecht), hängen die beiden Polizisten sich voll rein. Das mag auch an ihrem Vorgesetzten liegen, der eine eindeutige Warnung ausgesprochen hat. Man könnte es auch eine Drohung nennen. Selbst stark übergewichtig hat er sie vor die Wahl gestellt: Entweder sie schaffen die Schlankheitspillen heran oder es gibt eine Strafversetzung nach Alaska.
Jean Leturgie und Yann, Experten in Sachen Komödie im Comic, schicken die beiden recht unterschiedlichen Polizisten (außer im Bezug auf das Thema Frauen) in ein Abenteuer, das auf der Jagd nach Schlankheitspillen beginnt und im Indianerterritorium endet. Die Handlung für sich genommen ist ein typischer Funny, der dadurch noch gewinnt, wenn man als Leser in Sachen Comic und Popkultur noch ein wenig bewandert ist, insbesondere die Kenntnis einiger Filme und Schauspieler wäre sinnvoll.
Der kleine Spoon (engl.: Löffel) mit seinem Hang zur Schauspielerlegende Clint Eastwood wurde bereits erwähnt. Der Gastauftritt des mürrischen Westernhelden ist schnell entdeckt. Auch Obelix sollte Comic-Freunden zügig auffallen. Mit Jeff Bridges und John Goodman ist es schon etwas schwieriger. Spoon muss sich ausgerechnet mit der von Goodman gespielten Figur des Walter Sobchak anlegen, einem Vietnam-Veteranen, der ein noch größeres Waffenarsenal mit sich herumschleppt als der kleine Polizist.
Spoon & White bedeutet: Geschwindigkeit. Pausen sind nur zum Verschnaufen da und lockern diese noch durch Schmunzler auf. Insider-Gags lösen sich mit purer Slapstick ab. Man fühlt sich sogar an einen alten Witz erinnert, den Adriano Celentano in Gib dem Affen Zucker erzählte: Was macht ein drei Kilogramm schwerer Spatz auf einem Ast? Aber es reicht schon für ein Augenzwinkern, wenn sich Spoon mit einem übergewichtigen Mann in einem gelben Trainingsanzug anlegt, auf dessen Brust die Worte Kill Boule eingestickt sind.
Man merkt: White ist zwar auch ein Humorträger, deutlich beliebter bei den Autoren ist allerdings Spoon, der mit einer stets in die Luft gehenden Mentalität im Sinne eines Louis de Funes in Szene gesetzt wird. Simon Leturgie, der Zeichner, tobt sich mit schnellem, karikierendem Strich aus und scheint es geliebt zu haben, all die kleinen und großen Anspielungen unterzubringen. Wenn erst einmal die finale Verfolgungsjagd eingeläutet wird, bleibt kein Auge trocken.
Hier passt der Humor von Anfang bis Ende: Modern bis traditionell, von feinen humoristischen Einfällen bis hin zu äußerst rabiaten Krachern. Political Correctness sucht man hier außerdem vergeblich. Aber am Ende bekommt jeder sein Fett weg, auch Spoon & White. 🙂
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Mittwoch, 14. September 2011
Charlemagne Detrecy ist nicht einfach nur ein Raufbold. Hinter seiner lächelnden Fassade quälen ihn die Monster, die hinter den Menschen lauern. Manchmal kann er sie erkennen und dann muss er sie verprügeln. Ansonsten hat niemand etwas von ihm zu befürchten. Im Gegenteil Detrecy kann sehr charmant sein, liebevoll und vermag diese Qualitäten auch vollendet einzusetzen. Wären da nicht diese Visionen, die natürlich genau dann auftauchen, wenn sie am wenigsten von Nutzen sind. Und da wäre noch der Eskimo und das ist nicht etwa eine andere Geschichte, nein, weit gefehlt.
Anarchie: Hans-Michael Kirstein und Hermann (Comanche) erzählen eine Comic-Geschichte, in der nicht das Ziel zählt, sondern der Weg. So ließe es sich im philosophisch übertragenen Sinne sagen. Sofern man überhaupt interpretieren, philosophieren sollte, über das, was die beiden Comic-Macher hier zu Papier gebracht haben. Anders gesagt: Hätte die legendäre Truppe Monty Python jemals die Idee gehabt, einen Comic zu schreiben und zu zeichnen, hätte etwas wie Das ausschweifende Leben des Nylomanns dabei entstehen können.
Anemone, eine junge Frau, deren Mutter gestorben ist, muss ihren Vater finden, ansonsten gibt es kein Erbe. So weit, so einfach? Nein, nicht einfach, da die Welt um Anemone herum komplett durchgeknallt ist (gut, das wussten wir schon vorher) und der Vater ein Forscher mit sehr merkwürdigen Methoden ist. Gleich das erste Bild des Comics offenbart, wie seltsam diese beschriebene Welt ist. Hier wird die Normalität kurzerhand gesprengt, das Kuriose zur Normalität erhoben und entsprechend mokiert sich hier niemand über diese Merkwürdigkeiten.
Aus einem Rohr schiebt sich eine Hand mit einer Bratpfanne. Ein Omelett wird gewendet. Ein Mann in Jacke und Unterhose und einem Orden auf der Weste marschiert griesgrämig die Straße entlang. Auf der anderen Straßenseite fährt der Tod höchstselbst mit einem Leichwagen vorüber. Auf dem Bürgersteig geht ein Mann mit einem Schwein unter dem Arm spazieren. Abfalleimer hängen auf der Höhe von Straßenlaternen und wollen wie bei einem Basketballspiel zielgenau gefüttert werden.
Das ist noch gar nichts. Der gemeine Comic-Leser, also jener, der mit Kuriositäten so gar nichts anzufangen weiß, sollte bereits einen genauen Blick auf das Titelbild werfen, auf dem aus einem mit Füßen bewehrten Kürbis ein Kameraobjektiv schaut. Anemone kann in dieser verrückten Welt ihren Vater nicht alleine finden. Also engagiert sie einen Detektiven. Immerhin schafft er es Anemone auf die richtige Spur zu bringen. Leider greifen irgendwann die Biobauern mit ihren Gurken an und ein liebeskranker und von Visionen geplagter Muskelprotz kommt auch noch dazwischen.
Schmunzeln Sie jetzt! Nicht dagegen wehren! Man wird es nämlich nicht schaffen. Nach Wo bin ich hier gelandet?, über Ich verstehe das nicht!, landet man schließlich bei Okay, lass laufen!. So mag es auch von Kirstein und Hermann gedacht sein. Spätestens, wenn der im Eis fischende Eskimo dazwischen funkt, ist einem alles egal und man genießt den Wahnwitz des Comics einfach nur noch, denn mehr bleibt einem nicht zu tun.
Hermanns Bilder kommen sehr leicht ausgeführt daher, nicht mit der Perfektion, die aus Comanche, Andy Morgan oder Jeremiah her bekannt ist. Hermann kreiert zwar die Hingucker, doch die Handlung braucht auch die Geschwindigkeit. So gesehen imitiert der Nylonmann absurdes Kino. Hier wird von einem Staunen, von einer Verwunderung zur nächsten gehüpft. Im Anhang wird auf Hermanns klassische Comic-Technik Bezug genommen, wie die Abfolge der Entstehung ist, von der Skizze bis zum fertigen Bild. In ausgewählten Grafiken wird der Leser noch einmal bei der Hand genommen und gezeigt, wie wichtig es ist, für den Spaß auch auf Details zu achten. (Da gibt es viel zu tun!)
Leicht gezeichnet, leicht erzählt: Absurd wie Monty Python, mit einem speziellen Humor, der sich nicht jedermanns Sache ist. Selbst für Hermann-Fans sollte gelten, zuvor einen Blick hinein zu werfen. Mich hat es amüsiert. 🙂
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Mittwoch, 15. Juni 2011
Es soll Menschen geben (und Minimenschen sind nicht davon ausgenommen), die müssen immer und immer wieder ihre Kräfte messen. Es mag sogar so weit gehen, dass ein längst vergessen geglaubtes Kräftemessen nach Jahrzehnten wieder aufflammt. Als eines Tages eine englische Spitfire und eine deutsche Messerschmidt, beides Jagdflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg, am Himmel auftauchen, im Miniformat, aber in waghalsigen Flugmanövern dahin rasend, macht sich Renaud, einer der führenden Bewohner von Eslapion 2, der Heimstatt der Minimenschen, auf den Weg, um das Rätsel um diese Flugzeuge zu lösen. Leider bleibt es nicht nur bei Jagdflugzeugen. Riesenhafte Insekten sorgen für zusätzliche Verwirrung und sind weitaus bedrohlicher als die unbekannten Fliegerasse.
Viel mehr Hilfe braucht ein kleines Kind, das seine Eltern verloren hat. Ein Baby in Eslapion? In normaler Größe? Neben einem Minimenschen wirkt ein solcher Säugling wie ein Schulbus und verbreitet auch nicht weniger Aufregung als seine Insassen. Das ist Aufregung, die für die Kleinen nur schwer zu verkraften und noch schwieriger zu meistern ist. Sehr bald eskaliert die Situation. Madeleine, die sehr gut mit dem Riesenbaby umzugehen versteht, will das Kind nicht mehr gehen lassen.
Der 11. Band der gesammelten Werke um die Minimenschen von Pierre Seron zeigt eine abenteuerliche Brandbreite, die von Erde schließlich in den Weltraum führt. Sind es zunächst alte Fliegerasse, die für Wirbel sorgen, sorgt Seron für einen gehörigen Kontrast im nächsten Abenteuer, als er mit Baby Tango eben dieses in den Mittelpunkt der Handlung stellte. Doch zuvor kann Seron noch einmal seine Leidenschaft für alte Fluggeräte unter Beweis stellen. Die kleinen Fugzeuge, die hier zu Beginn für ferngesteuerte Modelle gehalten werden, absolvieren Kapriolen an den unmöglichsten Orten. Einfallsreichtum, Serons großes Talent, sorgt so für eine Achterbahnfahrt. Die Grenze ist hier nicht der Himmel, allenfalls der nächste Strommast, der den beiden Luftrowdies nur als Hindernis bei ihren Luftrennen dient.
Eigentlich hätte er mit diesem Thema bereits das gesamt Album bestreiten können, aber Seron mischt noch eine phantastische Komponente unter. Ist die Jagd der beiden Fliegerasse fast eine ernste Angelegenheit (in ihrer Art und Verbissenheit an Tollkühne Flieger erinnernd), wird die Bekämpfung der müde dahin schlurfenden Gottesanbeterinnen im japanischen Monsterformat eine völlig komödiantische Sache und eine Hommage an den japanischen Monsterhorrorkintopp. Hingegen könnte die heimliche Überschrift des zweiten Abenteuers lauten: Viele kleine Männer und ein Baby.
Anspielungen müssen im dritten Abenteuer mit dem vielsagenden Titel Tchakakahn mit der Lupe gesucht werden. Hier schöpft Seron aus dem Füllhorn seiner Fantasie. Es wird keine Absurdität gescheut, kein Klamauk abgelehnt. Erlaubt ist, was Spaß macht und es macht einen Höllenspaß. Sobald Seron den Weltraum mit seinen Minimenschen anstrebt, scheinen jegliche Regeln über Bord zu gehen. Die Figuren, die er den Minimenschen gegenüber stellt, verweigern sich in ihrer extremen Buntheit und Knuddeligkeit jedem Vergleich. Die Gegner der Minimenschen sind eine derart merkwürdige Zusammenstellung, die einem sicherlich im Traum begegnen würde, aber man aber niemals in einer Geschichte erwarten würde (nicht einmal in einem japanischen Monsterhorrorabenteuer). Herrlicher Humor!
Eine vollkommen gelungene Zusammenstellung von komödiantischen Abenteuern Serons. Wer hier nicht lacht oder wenigstens schmunzelt, dann stimmt etwas nicht. Die Minimenschen in Topform! 🙂
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Samstag, 14. Mai 2011
Probleme mit Handwerkern? Das gab es schon vor Jahrzehnten. Auch Herr Müller ist leidgeprüft. Aber er lässt sich nichts gefallen und so wird gegeneinander aufgerechnet. Überhaupt ist Herr Müller ein Mann, der die Angelegenheiten anpackt, der sich nicht zurücklehnt. Vater, Ehemann, Erwerbstätiger. Schwierigkeiten findet er in allen drei Bereichen. Er trägt es mit Humor, bewahrt die Fassung und verliert sie zeitweise auch. Er ist hartnäckig und nachgiebig, nett und energisch, kurzum, er ist jemand, mit dem der Leser so richtig mitfühlen kann. Aus Erfahrung vielleicht, entweder, weil man selbst in der Situation war oder weil man als Kollege, Ehefrau oder Sprößling dergleichen einmal (oder mehrfach) beobachtet hat.
Pierre Seron, der Erfinder der Minimenschen verstand sich nicht nur auf die phantastische Seite seiner Geschichten, er war auch außerordentlich begabt im Setzen von Pointen und Erfinden von Gags. Die Müllers waren sein Ausflug in ein realistisches Komödienfach, denn bei aller cartoon-artigen Zeichnung sind Serons Figuren doch in gewisser Weise echt. Ansonsten würde der Humor nicht funktionieren.
Herr Müller: Ovales Gesicht, leicht abstehende Ohren, Kurzhaarfrisur, Brillenträger, Knubbelnase, häufig mit kleinem Schmollmund gesichtet. Lieblingspullover: rot, gestrickt. Schmal gebaut, dünne Beine, große Füße. Bei genauer Betrachtung könnte Herr Müller ein Bruder von Gaston sein, mit dem Unterschied, dass der Redaktionsgehilfe eine dümmliche Ruhe bewahrt, während Herrn Müller schon mal der Hut hochgeht und er sich nicht scheut, über den Hausaufgaben seines Sohnes zu verzweifeln.
Seron inszeniert seine kleinen Geschichten um die Familie Müller in unterschiedlichen Längen. Mal genügt ein kurzer Anlauf, um zur Pointe zu kommen, mal will der Schluss sorgfältig vorbereitet sein. In Zwei Wochen Güte will Herr Müller einfach nur ein gutes Werk tun, wie es so schön heißt und gerät gehörig aufs Glatteis. Man ahnt bereits vor der Auflösung, wohin das führen wird, aber nicht immer steht der Lacher am Schluss. Manchmal will Seron auch nur schmunzelndes Mitleid erreichen. Meistens aber sorgt Seron bereits am Ende der Seite für eine Auflösung. Diese fällt mal laut (auch im wahrsten Sinne des Wortes) oder leise aus. Lachen oder lächeln kann man immer.
Nach langer Zeit der Abschluss. Nachdem die Ausgabe des ersten Bandes schon länger zurückliegt, folgt nun endlich auch der abschließende zweite Band auf dem deutschen Markt. Zwar sind hier die Müllers titelgebend, im Mittelpunkt steht aber ein Mann, zuweilen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Das ist, da Seron sich thematisch innerhalb der Familienereignisse nicht festlegt, immer mit Überraschungen verbunden. Sehr subjektiv am schönsten sind jene Geschichten, in denen sich Herr Müller als vorbildlicher Vater beweisen will.
Ein frisch bleibender französischer (bzw. belgischer) Humor in Comicform, dessen Themen auch auf keiner Seite veraltet sind. Abseits von SciFi-Humor und Abenteuern finden Fans einen auf das Alltagsleben konzentrierten Seron vor, der auch hier zeigt, wie gut Spaß in den lauten und leisen Tönen funktioniert. 🙂
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(Wer den Band beim Verlag unter www.finixcomics.de bestellt, hat noch die Gelegenheit Band 1 kostenlos dazu zu erhalten, da dieser in diesem Jahr kostenfrei zum Gratis-Comic-Tag 2011 publiziert wurde.)
Donnerstag, 05. Mai 2011
Die Versuchstiere sind weg, ausgebüxt. Doch die experimentelle Droge zeigt Wirkung. Sie machen sich nicht einfach davon, sondern tun, was jedes auf diesem Weg intelligent gewordene Wesen tun würde: Sie schreiben sich an der Universität ein. Aber Intelligenz kann auch übermütig machen. Ralph, ein Nagetier mit einem allzu großen Selbstbewusstsein, glaubt tatsächlich, er könne mit einem falschen Ausweis Alkohol kaufen. Dumm nur, dass der Ausweis auf eine alte schwarze Dame mit dem Namen Cindy lautet. Ralph lernt nun sehr schnell die handfesten Kehrseiten des Studentenlebens kennen.
Lustig ist das Studentenleben. Witze über den studentischen Alltag gibt es nicht nur in Deutschland, natürlich auch in den USA. Bevor Frank Cho mit Spider-Man und den Rächern bekannt wurde, er mit Jungle Girl Erfolge feierte, wurde deutlich, dass er für das Superhelden-Genre drei herausragende Eigenschaften mitbringt: Humor, zeichnerisches Talent und Talent für Pin-Ups. Alles zusammen ist in University Freaks deutlich erkennbar. In kurzen und klassischen Strips, auch im Fortsetzungsmodus, wird aus dem Privatleben fünfer, recht ungewöhnlicher Studenten erzählt.
Ungewöhnlich weil: Frank ist eine Ente. Dean ist ein Schwein (auch in Bezug auf seine Manieren). Ralph ist ein (etwas undefinierbares) Nagetier. Leslie ist eine Limabohne und Sheldon, der Nachzügler der Truppe, ist eine Schildkröte. Was haben sie gemeinsam? Sie trinken (wie Ted Kennedy, so wird es jedenfalls behauptet, der Mann wird in Übersee einen entsprechenden Ruf haben).
Obwohl sie Tiere sind, können sie von den Frauen nicht lassen. Frank ist recht monogam veranlagt und hoffnungslos in Brandy verliebt. Dean baggert jede an, die bei seinem Anblick nicht sofort flüchtet. Sein Problem ist, dass er sich meistens eine schlagkräftige Abfuhr holt (und trotzdem nie aufgibt). Gerade auf Dean trifft der Begriff der Visage vollkommen zu. Das, gepaart mit zotigen Sprüchen (die allerdings auch recht selbstbewusst daherkommen), ergibt eine unschlagbare Mischung für eine Menge Spaß.
Das Studium spielt schlichtweg keine Rolle, in den Bildern, in denen zwar Qualität zu erkennen ist, aber beileibe noch nicht das, was Frank Cho später zu Papier bringen wird. Wer sich Brandy betrachtet, ein ziemliches American Girl, kann verstehen (wenn es denn stimmt), dass Frank Cho von Fans (vielleicht auch von Uni-Kollegen) Nachfragen erhalten hat, die wissen wollten, ob es eine reale Vorlage gibt. Brandy ist das typische Mädchen, das in amerikanischen Komödien den Jungs den Kopf verdreht: Sie sieht gut aus, ist etwas naiv, aber nicht dumm und sehnt sich nach einem Haufen mit Testosteron abgefüllter Irrer nach einem lieben und netten Kerl.
Für Frank, den kleinen gelben Erpel, auf den sie sich einlässt, bedeutet das zeitweise die Hölle. Hier gibt es Spaß auch durch Mitleid, während Ralph und Leslie sich durch gutes Zusammenspiel auszeichnen (man erinnere sich: Nagetier und Limabohne). Eine Limabohne als Charakter in einem Comic auszuwählen, dürfte zu einer der charmantesten Ideen gehören, die es jemals in einer Funny-Serie gegeben hat. Die ursprünglich rein schwarzweißen Zeichnungen wurden für diesen Sammelband koloriert und mit einem ausführlichen Anhang versehen, der einen Einblick in Chos Arbeit gibt.
Lachen in Serie im Zeitungsstripformat. Herrlich albern, sehr treffsicher, mit einfachen Witzen, Running Gags und skurrilen Charakteren. Vom Schmunzler bis Brüller ist alles dabei. 🙂
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