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Comic Blog


Sonntag, 04. Februar 2024

PLASTIK

Filed under: Thriller — Michael um 19:00

PLASTIKWo die Liebe hinfällt. Wo sie hinfällt, kann sie Menschen verändern. Verbessern. Auf neue Wege führen. So ist es auch mit Edwyn. Edwyn war online unterwegs und hat sich in Virginia verliebt, sie im echten Leben kennengelernt und jetzt sind sie auf der Straße unterwegs nach nirgendwo. Aber EDWYN, der ein Serienkiller war, ist friedlich geworden und tötet niemanden mehr. Ja, er ist sogar überaus freundlich zu jedermann und jederfrau. Bis zu dem Tag, als es jemand an einer Tankstelle wagt, VIRGINIA dumm und obszön von der Seite anzuquatschen. Da zeigt es sich, dass Edwyns Geduldsfaden verdammt kurz ist. Er rastet aus …

DOUG WAGNER, Autor von PLASTIK, hat sich mehrmals ein paar merkwürdige Charaktere vorgeknöpft (vorsichtig formuliert). EDWYN ist ein SERIENMÖRDER, der die Köpfe seiner Opfer gerne in Klarsichttüten packt. Das ist sein Tick. Darüber hinaus tötet er einfach und bedient sich der Gegenstände dazu, die gerade in Reichweite sind oder deren Benutzung ihm Spaß bereitet. Wenn die Wut die Oberhand gewinnt, endet die Angelegenheit meist blutig. Neu ist der Umstand, dass er nun selbst auf die Abschussliste gerät und die mit dem Blut eben nicht nur die anderen sind.

Tödlicher FREAK will FREUNDIN befreien. So könnte der Plot in einem Satz lauten. Darauf ruht sich DOUG WAGNER aber nicht aus. Denn der Killer trifft hier auf andere Killer. Bisher hatte EDWYN eher mit Leuten zu tun, die ihren Alltag nicht als Gangster bestritten und im Umgang mit Waffen nicht so versiert waren. Diese Erfahrung lässt DOUG WAGNER seinem ungewöhnlichen Helden zuteil werden, indem er den Schwierigkeitsgrad, VIRGINIA zu befreien, deutlich erhöht. Man könnte also den ersten Plotsatz um einen zweiten erweitern: Es wird ein SCHLACHTFEST.

Es gab im Kino mal die Ära des SPASS-SPLATTERS (zum Teil wiederauferstanden). Im COMIC wurde sie bereits mehrfach wiederbelebt (zum Beispiel in HACK/SLASH). PLASTIK ist eine Variante solcher SPASS-SPLATTER-GESCHICHTEN, die aber durch einen KILLER besticht (Wortspiel), der eben nicht durch und durch irre ist, sondern tatsächlich auch (mindestens) eine gute Seite hat und sogar so etwas wie Mitleid oder Freundschaft empfinden kann. Dabei darf, bei aller seitens EDWYN offenbarten Empathie, nie vergessen werden, dass dieser KILLER jemand ist, der mit Leichen spricht (die natürlich nicht antworten, außer in seinem Kopf).

Desweiteren sind noch drei Comic-Künstler am Start. In erster Linie muss selbstverständlich DANIEL HILLYARD genannt werden, der das ARTWORK der einzelnen Seiten abliefert und darüber hinaus diverse VARIANTCOVER der hier gesammelt vorliegenden Einzelausgaben der Miniserie PLASTIK. Da gibt es Morde zu sehen, Gewaltexzesse, auch Leichen, aber häufiger mal hält die KAMERA Abstand, schaut rechtzeitig woanders hin. Aber, liebe SPLATTER-FANS, es bleibt noch genug übrig. DANIEL HILLYARD kann, wenn er darf, wie seine VARIANTCOVER zeigen (starker Tobak!) sowie der eine oder andere Look auf das Geschehen. Das sind allerdings die Spitzen der Fights und Morde. Mehr muss DANIEL HILLYARD Stimmungen aufbauen, Spannung anheizen und die richtigen Blickwinkel, die richtigen Gesichtsausdrücke und Haltungen abbilden. Und EDWYN ist wahrlich kein Charakter, der mit Emotionen geizt. DANIEL HILLYARD inszeniert ihn als offenes Buch. Hier ist alles abzulesen.

LAURA MARTIN koloriert die von DANIEL HILLYARD sehr systematisch und leicht überzeichneten Grafiken (bei den Männern vor allem hart an der Grenze zur Karikatur). Stets wird eine farbliche Grundstimmung gesucht, die je nach Handlungsort relativ nüchtern ist (wie ein Büro bei Tag) oder eher gruselig angelegt wird (wie das Innere eines Autos mitten in der Nacht). Das ist insbesondere im weiteren Verlauf von LAURA MARTIN gut gelöst, wenn die Handlung im Halbdunkel stattfindet, es plötzlich blutig wird und anschließend jemand das Licht einschaltet.

Noch ein Wort zu ANDREW ROBINSON, der das ARTWORK der ORIGINALCOVER gestaltete. Alle Cover sind im Anhang des Bandes ansehbar. Eines ist auch das Titelbild der vorliegenden Gesamtausgabe. Im Gegensatz zu DANIEL HILLYARDS Covern setzt ANDREW ROBINSON auf Atmosphäre. Jedes seiner Bilder könnte auch das Poster zu einem HORRORFILM sein, ohne jeweils zu viel zu verraten und als Coverillustration einen Fokus auf einen bestimmten Aspekt des jeweiligen Akts richten.

KILLER-THRILLER, mit einer Prise HORROR. DOUG WAGNER, DANIEL HILLYARD, LAURA MARTIN und ANDREW ROBINSON kennen ihr GENRE. Ein psychopathischer Serienmörder, abgedrehte Gangster und korrupte Cops (und ein paar Zwischenstufen, die Übergänge sind fließend). Man kann EDWYN, den KILLER, nicht zur Gänze nicht mögen. Er kann ein paar Sympathiepunkte sammeln. Immerhin ist er verliebt. Obwohl auf der Rückseite des Sammelbandes steht, wer VIRGINIA, EDWYNS FREUNDIN in Wirklichkeit ist, soll das hier nicht verraten werden. Das ist irgendwie ein netter Clou. Starke Nummer von einem Künstler-Dreamteam! 🙂

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Donnerstag, 18. Januar 2024

LARGO WINCH 24 – DAS GOLDENE ZENTIL

Filed under: Thriller — Michael um 19:51

LARGO WINCH 24 – DAS GOLDENE ZENTILEin kleiner Junge hat einen großen Traum. Spät in der Nacht bastelt er an seiner Rakete, die ihm nicht einmal bis zur Brust reicht. Aber sie soll hoch hinauf, so weit wie irgend möglich. Er hat die Maße, das Gewicht, den Treibstoff berechnet und nun scheint der richtige Zeitpunkt gekommen, der Point Of No Return. In seinem Zimmer finden sich viele Hinweise auf seine Interessen und Träume. Modelle aus der Fliegerei, doch viel mehr zeigen die Raumfahrzeuge der NASA. Solche, die es bis zum MOND geschafft haben oder solche, die einen regelmäßigen Flugbetrieb in den Orbit gestatteten, das SPACE SHUTTLE. Der Junge schleicht sich aus dem Haus, immer noch mitten in der Nacht, denn seine Ambitionen (das sind sie für ihn, nicht bloß ein Hobby) werden nicht gern gesehen. Auf einem Hügel angelangt, wird die kleine Rakete in Stellung gebracht, ein Streichholz entzündet die Lunte und dann…

LARGO WINCH bedeutete von Anfang an, als Comic-Leser einen Thriller in den Händen zu halten, der mit internationalem Flair spielt. LARGO-WINCH-Erfinder, der Autor JEAN VAN HAMME legte die Figur zunächst als Romanhelden an, bevor ein Comic-Charakter aus ihm wurde. Inzwischen hat JEAN VAN HAMME den Stift, sprichwörtlich, an seinen Autorennachfolger ÉRIC GIACOMETTI übergeben, der das gesamte LARGO-WINCH-Universum hervorragend verstanden hat und die Mischung aus Agenten- und Actionszenarien, Hochfinanzdramen, Familiengeschichten und amorösen Abenteuern perfekt fortführt. So auch im 24. Band, DAS GOLDENE ZENTIL.

Die Zeiten von Begriffen wie DIE OBEREN ZEHNTAUSEND haben sich längst überlebt. Geld ballt sich noch viel mächtiger, wie es der Leser von den besonders extravaganten Milliardären in den Nachrichten oder den Boulevardmagazinen verfolgen kann. In diesem Bereich ist DAS GOLDENE ZENTIL angesiedelt. JAROD MANSKIND ist im vorliegenden Thriller einer jener Milliardäre, die das Abenteuer der Menschheit ins All vorantreiben wollen, sozusagen die letzte halbwegs unberührte Spielwiese für reiche Menschen. Und ganz so, wie sich in den (echten) Nachrichten für den Leser anhören mag, wenn von Siedlungen auf dem MARS fabuliert wird, so ist die Wirkung auch hier: Könnte, ja. Braucht man’s? Hm. Na, der Mann ist reich, lasst ihn reden und wir klatschen.

Bisher – und dieses Rezept wird hier fortgeführt – hat sich LARGO WINCH immer vor der Kulisse der realen Welt bewegt, Szenarien oder Ideen weiter erzählt. Mancher Leser fragt sich vielleicht, ob einem brisant reichem Menschen etwas Ähnliches widerfahren kann wie zu Beginn von DAS GOLDENE ZENTIL (der Fortsetzung zu Band 23, HINTER DER KARMAN-LINIE). Wer aber einen Blick auf die Schicksale solcher (echter) Charaktere wirft, stellt fest, wie leicht selbst jene in fremdbestimmte oder selbst gewählte Schwierigkeiten kommen, deren Verlauf oft thrillertauglich ist. So viel zum starken INTRO dieses ABENTEUERS, ohne die SPOILER auszupacken. 🙂 Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass ÉRIC GIACOMETTI die verschachtelte Erzählweise eines JEAN VAN HAMME mit unterschiedlichen Handlungssträngen so versiert wie respektvoll aufgreift und umsetzt.

Mit PHILIPPE FRANCQ ist der langjährige LARGO-WINCH-Zeichner am Start, der dafür bekannt ist, feinlinige, äußerst fragil wirkende Bilder zu gestalten, in denen es vor Details manchmal geradezu wimmelt. Manche Zeichner würden eine Gebirgskette, einen Fluss, einen Wald oder auch eine Skyline mit wenigen Strichen hinwerfen, erst recht, wenn sie wirklich nur Kulisse sind und der Fokus der Szene ganz woanders liegt. Bei PHILIPPE FRANCQ verhält es sich nicht so. Hier werden Felsspalten und – absätze herausgearbeitet. Bei Veranstaltungen muss noch der Gast in der hintersten Reihe als Mensch erkennbar sein (und das ist superwinzig). In langjährigen Computerzeiten ist eine Arbeit in solchen Dimensionen natürlich kein Problem mehr. Dass sich jemand die Mühe macht, diese Einzelheiten so herauszuholen, aber schon.

PHILIPPE FRANCQ geht entsprechend in die Technik hinein. Obwohl die Geschichte mit dem Weltraum zu tun hat, sind die grafischen Knaller hier nicht zu finden. Die finden teils mehr in der Luft statt (vor allem im finalen Run gibt es eine starke Sequenz, die ich sonst so noch nirgendwo gesehen habe und verdammt dramatisch ist). Hubschrauber heißt das Zauberwort. Hier kann PHILIPPE FRANCQ vom Leder ziehen, während er ansonsten immer auf der Suche nach der perfekten Kameraeinstellung für eine Szene ist (und diese auch stets findet).

Ein LARGO-WINCH-Abenteuer ist ein verlässlicher Thrillerkracher. ÉRIC GIACOMETTI (anstelle von LARGO-WINCH-Erfinder JEAN VAN HAMME) begleitet als nicht mehr ganz neuer Szenarist Band 24, DAS GOLDENE ZENTIL, und führt LARGO WINCH alles andere als sprichwörtlich in ungeahnte Höhen. Die Charaktere besitzen (wie sich für die Reihe gehört) Tiefe, sind greifbar, gerade so, damit Sympathie oder Antipathie für den Leser funktionieren. PHILIPPE FRANCQ ist als Comic-Illustrator nach jahrzehntelanger Tätigkeit so versiert, dass man als Comic- Thriller-Fan nur noch genießen muss. Empfehlenswert! 🙂

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Mittwoch, 29. November 2023

ROBERT SAX 2 – VERLORENES PARADIES

Filed under: Thriller — Michael um 11:33

ROBERT SAX 2 – VERLORENES PARADIESEin MÖRDER geht auf den Straßen von BRÜSSEL um. Der Winter hat seine weiße Schneepracht über der Stadt ausgebreitet. Nachts bleiben die Menschen lieber daheim. Nur wenige Auots sind unterwegs und hinterlassen Spuren im frisch fallenden Schnee. SUZY BELAIR, eine Barsängerin, wurde soeben von ihrem Chef darauf hingewiesen, dass ihr Auftritt leblos, kraftlos sei. Der Abend ist gelaufen, die Laune im Keller. SUZY macht sich auf den Heimweg, ärgerlich über den Schnee. An manchen Tagen geht eben alles schief. Sie soll sich diesbezüglich nicht täuschen.

ROBERT SAX ist zurück! In der 2. Episode, VERLORENES PARADIES, erwartet den Leser ein geheimnisvolleres BRÜSSEL als zuletzt. RODOLPHE nicht so ganz zufällig in diesen Thriller stolpern. Eine Nachricht trifft ROBERT SAX ins Herz. Sofort ist der Held auf den Beinen und versucht von dieser Nachricht eine Verbindung zu seiner eigenen Vergangenheit herzustellen. Der Leser erfährt mehr über den Mann, der doch mehr als eine Art Hallodri daherkam und nun plötzlich mit einer todernsten Traurigkeit umgehen muss. Dieses Kippen des Charakters gibt der ganzen Handlung ein starkes Gewicht und der Figur des ROBERT SAX zusätzliche Ecken und Kanten, die nicht nur ihn interessanter machen. Auch das BRÜSSEL der 1950er Jahre ist mit seinem altstädtischen Charme, seinen verschneiten Gassen die perfekte Krimikulisse.

Dabei belassen es RODOLPHE und LOUIS ALLOING (sowie Kolorist DRAC) es nicht. Neben falschen Fährten, die hier ausgelegt werden, lassen die Comic-Künstler es sich nicht nehmen, einen absoluten Automobilklassiker in Szene zu setzen: einen PLYMOUTH FURY, Baujahr 1958, knallrot, mit weißen Seitenstreifen. Natürlich hätten sich die Comic-Künstler für jedes Automobil zu diesem Zweck entscheiden können. Automobile Klassiker aus jenen Tagen gibt es reichlich, auch sportliche. Und das Ergebnis? Ganz einfach: die Szenen mit dem PLYMOUTH FURY, als fahrbares Utensil ebenso wie als kurzfristige Werkstattkulisse sind schlicht eine Augenweide. 🙂

RODOLPHE gelingt eine ausgewogene Mischung aus persönlicher Tragödie, aus detektivischer Arbeit, Action und dem Aufbau von Beziehungen und dem Vertiefen von Freundschaften. ROBERT SAX als Serienheld kommt dem Leser näher. Neben der Spannungssteigerung gelingt es RODOLPHE, Mitleid für ROBERT SAX zu wecken. Plötzlich wird aus dem Tunichtgut und Schürzenjäger ein Mann, der mit seiner Vergangenheit (völlig zu Recht) hadert und bei anderen Menschen nur langsam auftaut.

LOUIS ALLOING kann sich für Szenen generell Zeit lassen. Der Aufbau, oft über mehrere Seiten hinweg, ist ruhig (für den Leser, nicht grundsätzlich für ROBERT SAX oder seine Mitstreiter). Bilder (und Text) leiten den Leser ungeheuer versiert, streuen Atmosphöre und Information punktgenau ein. Ein gutes Beispiel ist ein Gespräch zwischen dem Chefmechaniker von ROBERT SAX und der Sekretärin. Aktuelles Geschehen und Rückblick werden geschickt, für das Auge flüssig, ineinander verwoben.

Sehr viel ernsthafter als die erste Folge kommt Band 2 der Serie ROBERT SAX daher. Gab es im ersten Thriller noch Anflüge einer humoristischen oder auch satirischen Note, geht es hier (wie bei einem Krimi mit einem Serienmörder nicht anders zu erwarten) todernst zur Sache. ROBERT SAX selbst muss sich seiner Vergangenheit stellen. Die damit erreichte dramatische Tiefe richtet sich alsbald nach außen, denn eine alte Wunde scheint nur durch die Lösung eines Kriminalfalls zu schließen sein. VERLORENES PARADIES nennt RODOLPHE diese Wunde. Gleichzeitig ist VERLORENES PARADIES auch ein Schwelgen in einer leicht romantisierten BRÜSSELER VERGANGENHEIT (in der nicht alles besser war, aber vielleicht eine Spur konzentrierter). LOUIS ALLOING, der Zeichner, hat seine Figuren und sein dramatisches Umfeld im Griff, vertrautes Ambiente, vertraute Charaktere, die zudem an der Geschichte wachsen dürfen. Ein Wohlfühlkrimi! 🙂

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Freitag, 17. November 2023

A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE

Filed under: Thriller — Michael um 12:45

A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCESONNY ist ein ganz normaler Mann, durchschnittlich, passt auf seine alte Mutter auf und schlittert da in eine Sache rein. Eine ganz besondere Sache. Eine besonders widerliche Sache. Furchtbar. Eigentlich wollte er nur helfen. Leben retten. Doch plötzlich sind da zwei Tote. Nackt. Gefoltert. SONNY kam zu spät. Aber er hat noch eine Chance. Er muss sich beeilen. Und er muss auf alles gefasst sein. Auf alles. Aber in erster Linie muss er sich verdammt beeilen! Bevor er schon wieder zu spät kommt.

RICK REMENDER hat sich nicht nur als Comic-Autor etabliert, sondern auch als Garant für starke Geschichten, die ungewöhnliche Wege gehen. A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist eine dieser Geschichten. Mischungen aus FANTASY und SCIENCE FICTION, KILLER (wie in DEADLY CLASS) oder knallharte und satirische SPACE OPERA (wie in FEAR AGENT) waren seine bisherigen Themen.

RICK REMENDER setzt sich selbst keine Grenzen, nimmt Bekanntes und setzt Neues hinzu oder stellt direkt ein Genre auf den Kopf. Hier in A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist er sehr ernst, sehr nah an der Realität (na, ungefähr, denn wer die Nachrichten verfolgt, wird einige Parallelen finden), mitreißend, aufwühlend, mit einer Story, die den Leser (mir) zuweilen ein paar Atemaussetzer beschert hat. Ähnlich, wie es ein Film oder eine Serie manchmal vermag, schafft es A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE, einen die Umgebung vergessen zu lassen und ganz in die Handlung einzutauchen.

Es gibt nur wenige Brüche, die zum Aufatmen einladen, allenfalls dann, wenn die Handlung einen Sprung hinlegt, zum Beispiel ein halbes Jahr verstreicht. Zuvor, wenn der Leser die vergehenden Stunden ausführlich mitverfolgen kann, bleibt keine Zeit für eine Pause. Außerdem erzählt RICK REMENDER seinen THRILLER unter eine Prämisse: TRAUE NIEMANDEM. Unter dieser Voraussetzung hält RICK REMENDER die Spannung non-stop hoch, denn man weiß NIE (!), wo der nächste Wendepunkt wartet, welches Schicksal im nächsten Moment um die Ecke kommt.

So eine Geschichte, spannend und brutal, braucht einen Comic-Künstler, der die Geschichte möglichst realistisch inszenieren kann, ansonsten funktioniert es nur halb so gut. ANDRÉ LIMA ARAÚJO (und CHRIS O’HALLORAN) ist so ein Zeichner, der aus einem anfangs unbekannten Charakter eine lebende und leidende Figur macht, die dem Leser ans Herz wächst: SONNY. Stilistisch bedient sich ANDRÉ LIMA ARAÚJO beim MANGA und bei modernen AMERIKANISCHEN STILEN. Dünne Outlines, feinste Linien innen arbeiten die nötigsten Details heraus. Hautfalten, Faltenwurf der Kleidung, Schweißtropfen, Bartstoppeln. Dünn angelegte Streifenmuster symbolisieren rasante Geschwindigkeit. Daneben finden sich teils fein ausgearbeitete Hintergründe, wie es der MANGA- bzw. ANIME-FAN kennen mag. Hier kann es aber von beruflichen Hintegrund ANDRÉ LIMA ARAÚJOS herrühren, denn der Portugiese ist ebenfalls Architekt.

In Sachen Bildeinstellung und Zooms auf Gesichtsausdrücke werden MANGA-FANS ebenfalls einige der bekannten Techniken wiedererkennen. Aber COMIC-FANS mehr der amerikanischen Machart oder der europäischen müssen sich keine Sorgen machen und nicht abgeschreckt sein. A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE nimmt sich gleichfalls ein Beispiel an filmischen Vorbildern. Lange Sequenzen, zueinandergehörende Bildfolgen erinnern an die Arbeiten von SERGIO LEONE oder QUENTIN TARANTINO, die Rasanz mancher Szenen könnte auch in einem Film von JOHN WOO vorkommen. Kurzum, die Bilder von ANDRÉ LIMA ARAÚJO (nach entsprechenden Vorgaben von RICK REMENDER) finden ihre Parallelen in der Popkultur, beziehen von dort ihre Modernität. Kennen muss man diese Idole und ihre Arbeiten aber nicht.

Helden wider Willen, Killer und finstere Machenschaften sind eine Seite der Medaille und erfinden das Rad nicht neu. Wo RICK REMENDER und ANDRÉ LIMA ARAÚJO enorm punkten können, sind Atmosphäre und Charakterentwicklung beziehungsweise die Charakterzeichnung. Plötzlich steht eine Aufgabe oder ein Problem im Raum. Wie wird das gelöst werden? Wird derjenige, den es betrifft, überhaupt darauf eingehen? Wird er sich zurückziehen oder den nächsten Schritt wagen? Darüber hinaus entwickelt RICK REMENDER keine Dialoglandschaft. Charaktere reagieren mitunter wortlos oder wortreduziert. Dem entgegen setzt ANDRÉ LIMA ARAÚJO Nuancen in Mimik und Gestik und erhöht so die Konzentration des Lesers auf die Details, die das Fundament der Geschichte auf der ganzen Strecke bilden.

Selten kommen Comics daher, die das Potential eines Vorbildcharakters für ein Genre haben: A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist so eine Geschichte. Erzählweise, Aufbau, grafische Gestaltung, die Ausgewogenheit zwischen Ruhe und Spannung machen aus A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE einen echten Pageturner. Das funktioniert als Comic und darüber hinaus generell als vorbildlicher Thriller. RICK REMENDER (Autor) und ANDRÉ LIMA ARAÚJO (Zeichner) präsentieren sich als Comic-Dreamteam. Starke Empfehlung! 🙂

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Sonntag, 05. November 2023

DAS SCHICKSAL DER WINCZLAV 3 – DANITZA 1965

Filed under: Thriller — Michael um 15:22

DAS SCHICKSAL DER WINCZLAV 3 – DANITZA 1965JOVAN und ALIANA werden Eltern. Die kleine DANITZA wird in eine Zeit hineingeboren, in der MARSCHALL TITO mit harter Hand über JUGOSLAWIEN herrscht. JOVAN hat als Dorflehrer keinen leichten Stand. Gerüchte machen die Runde. Es heißt, sein Vater habe im 2. WELTKRIEG mit den Deutschen kollaboriert. Es dauert nicht lange und die feigen Anschuldigungen und Lügen aus dem Hinterhalt fallen bei den geheimdienstlichen Behörden auf fruchtbaren Boden. JOVAN wird verhaftet. Zur gleichen Zeit, jenseits des Atlantiks, in den Vereinigten Staaten von Amerika, hat NERIO WINCH ganz andere Probleme. Er ist Geschäftsmann, außerdem nur 155 Zentimeter groß, ein Umstand, über den sich so mancher seiner Gegner auf dem finanziellen Parkett lustig macht. Allerdings lachen sie nicht lange, denn wenn es um Geld geht, ist NERIO WINCH gnadenlos und von geradezu teuflischer Schläue …

JEAN VAN HAMME schuf mit der Serie um LARGO WINCH eine der erfolgreichsten Comic-Serien (neben mehreren anderen). Die Thrillerreihe (demnächst erscheint bereits Band 24) hat eine frische Hauptfigur. Durch den Tod des Adoptivvaters gerät der junge Mann an die Spitze der GRUPPE W, eines weltweit und unternehmerisch sehr diffenrenziert agierenden Konzerns. Von jetzt auf gleich liegt ihm ein milliardenschweres Imperium zu Füßen. Was zuerst als Segen für einen Habenichts wirken mag, entpuppt sich schnell (fast) als Fluch. Geld und Macht wecken Neid. Daraus resultieren Intrigen und im schlimmsten Fall Mord.

Aber wie konnte LARGOS Adoptivvater NERIO WINCH ein derartiges Vermögen aufbauen? Das erzählt die Familiensaga DAS SCHICKSAL DER WINCZLAV, beginnend in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im dritten und letzten Band der Trilogie, DANITZA 1965, spielt die Moderne eine immer größere Rolle und der Wiedererkennungswert mit unserer Gegenwart steigt drastisch an. Zumindest auf einer Seite des Atlantiks. JEAN VAN HAMME erzählt uns zwei verschiedene Familienstränge (die er später gekonnt verbindet). Und so unterschiedlich diese Erzählungen sind, so anders sind die Charaktere (und Schicksale), die der Leser hier kennenlernt. In grundverschiedenen gesellschaftlichen Schichten (obwohl es Überschneidungen gibt), nähern sich der amerikanische und der jugoslawische Familienzweig einander an.

JEAN VAN HAMME kann nicht ins kleinste Detail hinein erzählen. Der Platz steht zwangsläufig in diesem Format nicht zur Verfügung. Also muss er auf ausgewählte und wichtige Ereignisse setzen (selbst davon gibt es noch reichlich!). Hierbei sind die Gegensätze der Lebenswelten toll gelungen. Sie grenzen sich ungeheuer streng gegeneinander ab. Auf der einen Seite das mondäne Amerika der Upper Class, auf der anderen Seite die Niederungen eines real existierenden Kommunismus mit all seinen dunklen Seiten. Wie die Annäherung dieser beiden Seiten klappt, ist lesenswert und ein echtes Kabinettstückchen. Wichtig ist allerdings, den bisherigen Anlauf zu diesem Finale zu kennen.

Mit PHILIPPE BERTHET steht für diesen Dreiteiler ein Comic-Künstler an JEAN VAN HAMMES Seite, der extra für dieses Special in das LARGO-WINCH-Universum eingestiegen ist. Er pflegt einen völlig anderen Zeichenstil als der LARGO-WINCH-Veteran PHILIPPE FRANCQ. Die Welt um die Figuren herum ist mit präzisem Strich realistisch abgebildet, allerdings etwas idealisiert. Bei PHILIPPE BERTHET ist alles ein wenig schöner als in Wirklichkeit. In der Klarheit seiner Bilder findet sich kein Schmutz, selbst abgelegene Gegenden und Morde sind ziemlich reinlich. Allerdings bietet die Geschichte in dieser Idylle reichlich Abgründe. Und Kuriositäten gibt es auch. Ich glaube, in Comics wurde nie zuvor ein Trabbi als Fluchtfahrzeug verwendet.

PHILIPPE BERTHET gelingt es, die traurigen Momente der Handlung einzufangen, die wiederum manchem halbseidenem Erfolg gegenüberstehen. Die Geschichte der WINCZLAV ist in vielen Fällen furchtbar, voller Verzweiflung (vor allem auf der jugoslawischen Seite des Erdballs), die Inszenierung richtig (schön) theatralisch, eindrücklich. Nach JEAN VAN HAMMES Vorgaben bleiben einem die Charaktere nicht fremd, noch lässt ihr Schicksal einen kalt.

Ein starker Abschluss, traurig und tröstlich zugleich. Natürlich endet die Geschichte der Familie WINCZLAV hier nicht. JEAN VAN HAMME hat sich eine wahre Achterbahnfahrt für die Familie ausgedacht. Wer sich manche prominente Familien in den USA anschaut, kann kaum verneinen, dass es sich tatsächlich so zutragen könnte. Also Hut ab, vor diesem teils bitteren, finsteren Realismus. Weiterhin fein inszeniert von PHILIPPE BERTHET, inzwischen ein Comic-Veteran, aber ein ebensolcher Garant für ein tolles Comic-Vergnügen. Zwei Daumen hoch! 🙂

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Samstag, 26. August 2023

ROBERT SAX 1 – NUCLEON 58

Filed under: Thriller — Michael um 18:55

ROBERT SAX 1 - NUCLEON 58ROBERT SAX führt die geerbte Autowerkstatt, aber irgendwie ist er fehl am Platz. Seine Sekretärin hat das Büro besser im Griff als er. Außerdem ist der Chefmechaniker Raul um einige Grade der bessere Reparateur als ROBERT SAX. Da trifft es sich, wenn das Telefon klingelt und etwas scheinbar Wichtiges zu erledigen ist. Am besten solche Kleinigkeiten, die außerhalb der Werkstatt erledigt werden müssen. Eines Tages ruft ROBERTS Freund BOON an. BOON betreibt einen Buchladen und berichtet über ein seltsames Erlebnis. Was zuerst nur als eine Kuriosität im Brüsseler Alltag daherkommt, binnen kurzer Zeit zu einem Fall, bei dem sich Spione und Killer die Klinke in die Hand geben.

Comic kann vieles. Ganz besonders toll ist es, wenn der Leser hierdurch in andere Welten oder in die Vergangenheit eintauchen kann. Mit ROBERT SAX gelingt genau letzteres Kunststück. Der Comic-Veteran RODOLPHE (Szenarist) und Zeichner LOUIS ALLOING mit in die aufblühenden 1950er Jahre, ins beschauliche Brüssel. Die Stadt schwankt zwischen altertümlichen Bauten und der nahenden Moderne, repräsentiert durch die EXPO 1958, in der das ATOMIUM, ein futuristischer Bau in Form eines gigantischen Verbunds aus neun ATOMEN, es schafft, das MANNEKEN PIS als weltweites Wahrzeichen der Stadt zu verdrängen. Aber es ist auch eine Hochzeit des KALTEN KRIEGES, in der Fortschritt gleichzeitig einen Vorsprung vor feindlichen Mächten bedeutet. Und als Ausdruck dieser Fortschrittshörigkeit kommt NUCLEON 58 ins Spiel.

ROBERT SAX schlittert in seinen ersten Fall wie die berühmte Jungfrau zum Kinde. Er demonstriert, dass er eben kein JAMES BOND oder ein anderer Geheimagent ist. An der Bar sitzen, kann er ganz gut, mit Frauen flirten auch, wenn allerdings Schusswaffen ins Spiel kommen oder gar körperliche Gewalt, dann hat sich das in entsprechenden Romanen wahrscheinlich leichter gelesen, als es in Wahrheit ist. ROBERT SAX muss diese Erfahrung jedenfalls ziemlich handfest machen. Auf der anderen Seite sind seine Fähigkeiten als Detektiv nicht übel. Noch nicht ausgereift, weil er das Handwerk nicht gelernt, aber immerhin verfügt er über ein paar polizeiliche Kontakte.

RODOLPHE hat seine Erfahrungen mit kriminalistischen Szenarien gesammelt. Hier wagt er zusammen mit LOUIS ALLOING einen geradezu nostalgischen Comic-Schritt. In vielerlei Hinsicht ist es auch eine Liebeserklärung an die Stadt Brüssel. Betrachtet man die Innenstadt, deren gebäude nicht unter dem Krieg gelitten haben und stellt ihn die neue moderne Sachlichkeit entgegen, der Verwaltungsgebäude, der glatten, glanzlosen Fassaden oder sogar ROBERT SAX‘ Wohnhaus, das sich heutzutage noch betonfrisch ins Stadtbild einfügen würde, merkt man allein an diesen Äußerlichkeiten, dass etwas im Wandel ist.

ROBERT SAX ist noch nicht ganz in dieser sich verändernden Welt angekommen. Sein Frauenbild ist etwas von gestern, während die jungen Frauen, denen er begegnet, schon einen Schritt weiter sind. Da mag eine flappsige Bemerkung seine Gesprächspartnerin vor den Kopf stoßen, und er ist ein Mannsbild, dessen Sensibilität diese Reaktion nicht einmal bemerkt. RODOLPHE hat viele kleine Charakterzüge eingearbeitet, kleine Szenen, die Leser dem zeigen, wo ROBERT SAX steht und wie er tatsächlich einen Lernprozess durchmacht.

AGENTEN IN DER DUNKLEN STADT: Ja, es ist todernst. Wer sich in dieses Geschäft begibt, kann sterben. Aber es mischt sich auch ein wenig Comedy unter, denn das Erreichen der Ziele erfordert manchmal Improvisation. Die wiederum fällt infolge einer gewissen Grundnervosität etwas unprofessionell aus. Keine Sorge, die Thrillerelemente überwiegen. RODOLPHE und LOUIS ALLOING lassen durchaus die Klassiker des Genres hochleben (DER UNSICHTBARE DRITTE, DER DRITTE MANN etc.). Das fällt besonders auf, wenn es ans Schleichen und Horchen geht und Verstecken die bessere Alternative ist.

LOUIS ALLOING arbeitet nicht mit der berühmten Ligne claire, die gerade in den Figuren den Realismus etwas vergessen lässt. LOUIS ALLOING ist immer noch sehr exakt, aber es darf auch mal etwas kantiger, etwas ruppiger sein, da darf sich eine Verdickung in eine Linie einschleichen. Sehr sauber insgesamt, doch nicht aus dem Ei gepellt. Feststellen lässt sich, wie sehr er sich in das alte Brüssel eingearbeitet hat. Automobile, Mode und Architektur bezeichnen die Veränderungen des Lebens jene 1950er Jahre. Formen brechen aus (wie bei den Fahrzeugen), eine Frau im roten Kleid fällt auf (und sei das Kleid nach heutigen Gesichtspunkten noch so bieder). Details bringen ein Lebensgefühl auf den Punkt, die grafische Fülle unterfüttert die starke Atmosphäre.

Wer die 1950er mag, wer Thriller vor dieser Kulisse mag und eben in einer besonderen europäischen Stadt wie Brüssel (nicht nur wie so oft in den USA), einen Helden wider Willen (der noch an sich arbeitet und mit seiner Aufgabe sichtlich wächst), ein tolles Gespür für den richtigen Moment und spannungssteigernde Elemente sowie den Umbruch jener Tage, der liegt mit dem Auftaktband von ROBERT SAX goldrichtig. Alle anderen dürfen ebenfalls einen Blick in diese fein erzählte und illustrierte Agentengeschichte riskieren! 🙂

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Sonntag, 30. April 2023

DER KILLER – SECRET AGENDA 4 – MENSCHENBRÜDER

Filed under: Thriller — Michael um 18:54

DER KILLER – SECRET AGENDA 4 - MENSCHENBRÜDEREs nicht so, als hätte sich der Killer noch nie versteckt gehalten. Und Einsamkeit war noch nie sein Problem. Er agiert gern allein, auf sein Ziel konzentriert. Das schätzen seine Auftraggeber an ihm, ist es doch eine Art Erfolgsgarantie. Aber so weit vom Schuss von allem, in einer winterlichen Landschaft, in einem Haus, dessen nächste Nachbarn irgendwo verborgen zwischen den schneebedeckten Höhen und Tiefen zu finden sind (und nicht gefunden werden möchten), war der DER KILLER lange nicht. DER KILLER findet diese Menschen in seiner Umgebung, er registriert sei, hält sich jedoch fern, obwohl alles nach einer unbarmherzigen Tragödie aussieht und andere sich vielleicht einmischen würden.

Manche Versuche, sich vom Leben fern zu halten, sind zum Scheitern verurteilt, wenn das Leben, genauer andere Menschen, nach Auswegen suchen und diese zwangsläufig den eigenen Weg kreuzen. In diesem Fall, den Weg des KILLERS. Hier sind es zwei Kinder, die in sein Haus einbrechen. Ihren Häschern entronnen, suchen sie nach einem Versteck. DER KILLER ist vorläufig bereit, ihnen in ihrer Verzweiflung das Versteck zuzugestehen. Denn, was wäre die Alternative?

Diese Überlegung überlässt MATZ, der SZENARIST, dem Leser. Nach allem, was der Stammleser vom KILLER weiß (und der Gelegenheitsleser sich bereits an diesem Punkt denken kann), bleiben nicht viele Möglichkeiten. Zumal DER KILLER durch seine Auftraggeber ein gewisses Handicap hat, weil er im Sinne einer überordneten Gerechtigkeit arbeitet. Will man es so umschreiben. Andere würden sagen: Er killt im Regierungsauftrag, weil er ansonsten selbst von der Bildfläche verschwindet. Auf die eine oder andere Art. Seine Auftraggeber sind nicht zimperlich und wissen (und besonders) eine öffentlichkeitswirksame Auftragserfüllung zu schätzen.

Das ist die eine Seite des KILLERS, die MATZ dem Leser zeigt. Letztlich ist es die Seite, die DER KILLER auch seinem Umfeld offenbart. Die andere Seite ist der sezierende Blick. Diesen legte er schon oft an den Tag, seine Sicht auf die Welt. Hier erreicht er einen Höhepunkt, einen Mix aus Philosophie, Psychologie und beruflichem Scharfsinn. Und nach und nach zieht er den Leser (wieder einmal, nicht immer und nicht grundsätzlich) auf seine Seite. Plötzlich erscheinen die Ziele seiner Aufträge gerechtfertigt, scheint es einen moralischen Anstoß zu geben, der alles, auch Mord als Rache und Prävention, an Vergeltung tolerieren lässt.

LUC JACAMON ist und bleibt der Comic-Zeichner von DER KILLER. Es gibt viele Comic-Helden (oder nennen wir sie Hauptfiguren). Viele sind mit einem markanten Äußeren gekennzeichnet, besitzen eine auffällige Versehrtheit, einen Tick oder ähnliches. Es macht sie unverwechselbar und lässt sie aus der Masse herausragen. Ganz anders DER KILLER. JUC JACAMON hat eine Figur geschaffen, die untertaucht, verwischt, unscheinbar ist. Deren Markenzeichen eine Brille ist. Wahrscheinlich würde so jemand gänzlich in der Menge verschwinden, sobald die Sehhilfe abgesetzt wird. Ansätze hiervon sieht der Leser, wenn DER KILLER seine Aufträge vorbereitet und sich so verhält wie manch anderer, als Tourist, Passant. Fast ein robotisches Aussehen, deren Mimik selten Emotion verrät.

Das macht den KILLER auch zur Leinwand, zur Projektionsfläche (wie es neudeutsch heißt). Die Erzählweise, Off-Text und Bildwahl, machen kein Geheimnis daraus, dass dieser Effekt gewünscht ist. Dem KILLER nicht nur über die Schulter schauen, sondern sich mit ihm identifizieren. Aber nicht mit der Barachialgewalt des Action-Kinos, sondern leise, behutsam, Schritt für Schritt, bis die Grenze überschritten ist und das Vorgehen des KILLERS sogar gutgeheißen wird. MATZ ist als Erzähler ein schlauer Fuchs!

LUC JACAMON lässt darüber hinaus die Bilder sprechen. Was sehen wir, was sieht DER KILLER? Da gibt es, wie in den Texten, auch etwas zwischen den Zeilen zu lesen. Wenn etwas normal wirkt und dennoch eine Bedrohung spürbar ist, ohne dass diese sich direkt einordnen oder benennen lässt. Das unterstreicht die Unvorhersehbarkeit der Handlung, auf die sich DER KILLER auch stets aufs Neue einzustellen hat.

Starker vierter Band, fast ein Neustart innerhalb der SECRET AGENDA. Eine sehr düstere Episode, obwohl sie anfänglich nicht so erscheinen mag. Der Leser wird hier ausdrücklich gefordert, das Kopfkino springt an. Ein fieser Trick von MATZ, wieder aufs Feinste von LUC JACAMON illustriert. Ein perfekter Comic-Thriller! 🙂

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Sonntag, 11. Dezember 2022

MONSIEUR VADIM 1 – ARTHROSE, MORD & KRUSTENTIERE

Filed under: Thriller — Michael um 17:00

MONSIEUR VADIM 1 – ARTHROSE, MORD & KRUSTENTIEREMONSIEUR VADIM (oder auch Vadim Koczinsky) ist Rentner und hat ein Problem. Sein Vormund, Monieur Canesta, hat ihn übers Ohr gehauen und ist mit all dem übertragenen Geld verschwunden. MONSIEUR VADIM fliegt aus dem Altersheim, in dem er untergebracht war, heraus. Familie, die ihm unter die Arme greifen könnte, ist nicht vorhanden. Sein Enkel, sein ganzer Stolz, ist noch viel zu jung. Seinen ehemaligen Schwiegersohn, der mit seiner inzwischen verstorbenen Tochter verheiratet war, verachtet er zutiefst. Der frühere Soldat der FREMDENLEGION leidet unter seinem Alter, unter den Zipperlein, unter der Machtlosigkeit infolge seines Systems, das seine Alten eher respektlos versorgt und lieber vergisst. Aber eines kann er MONSIEUR VADIM noch: sich wehren. Als er Zeuge eines Raubüberfalls in einem Schnellimbiss wird, kommt es zum Kampf zwischen ihm und gleich drei bewaffneten Ganoven …

GIHEF stellt eine Figur in den Mittelpunkt der Geschichte, die zutiefst um Mitleid heischt. MONSIEUR VADIM ist kein Chorknabe, wie es so schön heißt, aber er ist auch kein gealterter militärischer Apparatschik. Soldat zu sein, war ein Beruf und keine menschliche oder ideologische Überzeugung. Dahinter wollte er eigentlich nur das, was viele vom Leben wollen. Er liebt seinen Enkel und will diesen von seinem verbrecherischen Schwiegersohn fortholen. Eine Daily Soap im Fernsehen ist zusätzlich zu einer Art Ersatzfamilienleben geworden. Die kurze Zeit am Tag, in der er das fiktive Leben anderer Menschen verfolgt, ist ihm wichtig geworden, weil es ihn an noch etwas Wichtigeres erinnert.

Aber, in diesem Zusammenhang greifen die Thrillerelemente, MONSIEUR VADIM wird durch äußere Umstände dazu gezwungen, sich an alte Verhaltensweisen zu erinnern. Aus der Not geboren nimmt er ein Angebot an und gerät mitten hinein in einen Bandenkrieg an der Côte d’Azur. GIHEF treibt seine Hauptfigur richtiggehend in die Enge, bevor sich diese zu einem folgenschweren Schritt entschließt. Das ist alles nachvollziehbar. Und man will es dem alten, grantigen Kerl mit all seinem Unglück nicht übel nehmen, schließlich hat man als Leser inzwischen auch die Gegenspieler kennengelernt und weiß um deren Gefährlichkeit und Brutalität.

Hat man ein verschiedenen Stellen geglaubt, wie es nun weitergehen könnte, entstehen doch Wendungen, die so nicht vorhersehbar waren. Gerade je näher es auf das Finale der ersten Episode zumarschiert, desto knackiger sucht sich die Geschichte ihre eigenen Wege. GIHEF erzählt einen traditionellen Thriller, sehr filmisch, der mit einem JEAN PAUL BELMONDO, einem CHARLES BRONSON, aber auch einem siebzig Jahre alten KEANU REEVES funktionieren würde. Denn, weil der Charakter so gut funktioniert und mitreißend ist, funktioniert auch der Thriller.

Als Comic-Künstler treffen sich hier MORGANN TANCO (Zeichner) und CERISE (KOLORIST). Stilistisch findet sich ein expressiver Ausdruck, der seinen Figuren einiges an Charakter in die Gesichter (oder im Fall von Ganoven auch in die Visagen) legt. So ist MONSIEUR VADIM auf den ersten Blick bärbeißig, unleidlich, ein durch Alter geplagte Person, die langsam mehr Gefühle zeigt und sich öffnet. Und es gibt die eine oder andere Situation, in denen einem Mann mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung als Soldat die Gesichtszüge entgleisen.

Der Hintergrund ist einmal nicht irgendeine französische Vorstadt oder ein Stadtteil einer Meotropole, den die Politik gerne vergessen möchte, sondern eine der Urlaubsregionen Frankreichs schlechthin, die Côte d’Azur. Vor dieser Kulisse entfaltet die Geschichte, die Gewalt, die Action noch einmal eine ganz andere Wirkung und das wird, das Titelbild zeigt es schon, sehr oft gerne genutzt.

Ein feiner Thriller mit einer knurrigen Hauptfigur, deren Panzer im Laufe der Geschichte immer weiter aufbricht. Sehr strikt erzählt, teils düster vor einem Mittelmeersonnenschein. Vor allem aber, weil der Hauptcharakter, MONSIEUR VADIM, so viel Profil besitzt, über die gesamte Sttrecke fesselnd. Klasse! 🙂

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Samstag, 06. August 2022

PARKER – MARTINI EDITION 2

Filed under: Thriller — Michael um 16:15

PARKER – MARTINI EDITION 2KILLTOWN. 1964. Lohngelder. Eine Kleinstadt. Ein Weg hinein, auf demselben Weg wieder heraus. Über den State Highway 22. Polizei. Bewaffnete Wachen. Eine Telefonzentrale. Ein kurzes Zeitfenster, um den Job zu erledigen. Ein begrenzte Anzahl von Leuten kann es schaffen. Wenn alle den Anweisungen und dem Plan folgen. PARKER kann den Ärger riechen. Je mehr Leute mitmachen, desto mehr Fehler können passieren. PARKER überlegt. Es sind alles Profis. Wenn nur GROFIELD nicht dabei wäre. Der ist zwar auch ein Profi. Aber auch ein Frauenheld. Und ganz im Gegensatz zu PARKER weiß er nicht, wann es besser ist, die Finger von Frauen zu lassen …

PARKER ist der Prototyp eines Gangsters. Wortkarg. Misstraurisch. Fokussiert. Professionell. Effizient. PARKER tötet, wenn er muss. Wenn er befürchtet, ansonsten ans Messer geliefert zu werden. PARKER arbeitet deshalb nicht mit Zivilisten. Das sind die, die keine Gangster sind und nicht zur Polizei gehören. Als Profi will er andere Profis um sich herum. Davon gibt es eine ganze Reihe. Gelingt ein Coup und war die Zusammearbeit zufriedenstellend, kann sich ein Team schon mal für weitere Gelegenheiten zusammenfinden. Während der Planung und Ausführung eines Coups gibt es eine Regel: Keine Frauen. Die lenken nur ab. Anschließend jedoch sind sie höchst willkommen.

KILLTOWN lautet der Titel der ersten Geschichte. Zuerst wird dem Leser erklärt, wie der Raubüberfall richtig ablaufen soll. Die Planung ist penibel, die Leute sorgfältig ausgewählt und die meisten machen wirklich einen professionellen Eindruck. DARWYN COOKE arbeitete grafisch mit einem minimalistischen Stil, der verlangte, dass ein Charakter mit wenigen Strichen und Formen einzufangen war. So gelingt der Sprung in die 1960er Jahre hervorragend. Wer also bereits den ersten Band gelesen hat, wird hier wieder perfekt abgeholt.

Ja, es gibt Dialoge, die der Informationsvermittlung dienen. Aber hier erfüllen sie auch den Effekt des Stimmungsaufbaus. Wo gibt es Spannungen? Wer tanzt aus der Reihe? Wo passen Charaktere überhaupt nicht zueinander? Wo – na, lieber Leser – geht der Coup zuerst den Bach runter? Die Dialoge sind außerdem entkernt, auf das Nötige reduziert, ebenso wie es die Bilder, die Charakterköpfe sind. Und hier zeigt sich eine weitere Stärke der Geschichte – neben der straffen Erzählung. Manches funktioniert ohne Worte und ist trotzdem eingängig, spannend. Selbst Gesichter bieten Lesestoff. DARWYN COOKE wusste, wie Mienen auf einen Blick erfassbar werden.

ICH BIN DIE DRITTE LEICHE LINKS. Die zweite Geschichte ist farblich nicht nur anders unterlegt als KILLTOWN (ein helles Blaugrau anstelle eines kühlen Oranges), sie bietet außerdem ein völlig anderes Szenario. Im Gegensatz zum ersten Abenteuer ist hier der Coup bereits gelaufen und PARKER befindet sich auf der Flucht. Auf eben jener sucht er Zuflucht in einem Vergnügungspark, außerhalb der Öffnungszeiten. Wir befinden uns in BUFFALO, NEW YORK im Jahre 1969, Ort der Handlung: FUN ISLAND.

Allein gegen alle. So könnte ein Untertitel heißen. Ein besonderer Unterschied zum ersten Thriller: Hat der Leser PARKER zuvor noch als umgänglichen Charakter kennengelernt, wenigstens im Rahmen seines Gangsterumfeldes, agiert PARKER nun als derjenige, der er im Kern seines Wesens ist. Ein eiskalter Killer. Eine zahlenmäßige Übermacht lässt ihn nicht verzagen. Das Gelände wird genutzt, um den Feind zu bekämpfen. Zu Beginn nutzt er jeden Vorteil, er ist derjenige, der jagt. Im weiteren Verlauf wird er zur Beute, die sich erbittert wehrt.

Nein, PARKER ist nicht nett. Dennoch, und das ist der Kniff an der Sache, einerseits von DARWYN COOKE (Adaption), andererseits von RICHARD STARK (Autor der Vorlage). PARKER ist ein Mörder. Aber der Leser wird zum Mitfiebern gezwungen. Ganz anders als bei späteren Helden, die zwar auch Leute umlegten und immerhin Cops waren.

Die kantigen Züge PARKERS passen toll zu dieser Figur, zu DARWYN COOKE seine ganz eigenen Entwürfe angestellt hat. Gemäß der Ära, in der die PARKER-Geschichten handeln, hat sich DARWYN COOKE an altgedienten HOLLYWOOD-Schauspielern bedient. STEVE MCQUEEN taucht lediglich einmal als MUSTERSKIZZE auf und könnte eine prima Vorlage sein, hätte DARWYN COOKE mit einem BURT LANCASTER in seinen besten Jahren nicht die absolut perfekte Blaupause gefunden. Dessen Züge bricht DARWYN COOKE letztlich in seinen unverwechselbaren Zeichentrickstil herunter.

Eine Auswahl von Zeichnungen, die für Ausgaben von illustrierten Romanen genutzt werden sollten, zeigen deutlich, dass DARWYN COOKE es auch ausgefeilter angehen lassen konnte und wie penibel komponiert manches Bild war. Tolle Einblicke in den Schaffensprozess eines Ausnahmekünstlers. ED BRUBAKER, BRUCE TIMM und SCOTT DUNBIER erinnern sich außerdem in einem Gespräch an ihre Erfahrungen mit DARWYN COOKE.

Eine Kurzgeschichte, MORGEN, UND MORGEN, UND DANN WIEDER MORGEN (eine GROFIELD-STORY) kurz vor dem redaktionellen Teil rundet den Prachtband ab, der gleichzeitig die Werke von DARWYN COOKE um PARKER abschließt. Hier kommt wieder der erwähnte ED BRUBAKER ins Spiel. Gemeinsam mit SEAN PHILLIPS gestaltet er die Kurzgeschichte um eine der Nebenfiguren aus KILLTOWN. Das Künstler-Duo ist hierzulande bekannt durch SLEEPER und CRIMINAL, also erfahren in Sachen Thriller. Sie liefern ihre Arbeit als eine Art Verbeugung vor der Arbeit DARWYN COOKES ab. Gelungen, ja, detailfreudiger auf jeden Fall, aber bei weitem nicht so prägnant.

Eine großartige Zusammenstellung. Wie es schon im ersten Band der MARTINI EDITION der Fall war, präsentiert auch die zweite Ausgabe die abschließenden Werke DARWYN COOKES über den KILLER und BERUFSGANGSTER namens PARKER (geschaffen von RICHARD STARK). Ich behaupte, ein Leser kann merken, ob ein Comic-Künstler von einem Thema begeistert war. Hierin dürfte DARWYN COOKE aufgegangen sein. Das Ergebnis ist erste Klasse! Wer toughe Gangster-Geschichten mag, findet hier ein echtes Urgestein des Themas, im besten Sinne in einer Reihe mit Krimis aus der Schwarzen Serie Hollywoods. Empfehlenswert! 🙂

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Dienstag, 12. April 2022

DER KILLER – SECRET AGENDA 3 – PRÄZISIONSARBEIT

Filed under: Thriller — Michael um 17:00

DER KILLER - SECRET AGENDA 3 - PRÄZISIONSARBEITEin ganz normaler Tag. Die Menschen flanieren über die Straßen. Plötzlich ändert sich alles. Zwei Männer halten mit ihrem Wagen und steigen, ihre Kalaschnikows im Anschlag, aus. DER KILLER weiß, was als nächstes geschehen wird. Er kennt das System, er seziert es im Geiste. Er ist ein Problemlöser. Lange Zeit im Auftrag, später für die eigenen Interessen und inzwischen für ein geheimes Aufräumkommando. DER KILLER hatte lange agiert, als könne er nicht erwischt werden, dabei hatten offizielle französische Stellen ihn längst im Visier. Aber dort wusste man seine Talente zu schätzen. Man stellte ihn vor die Wahl: Einfahren oder ausführen. DER KILLER entschied sich für Letzteres.

Bislang verlief seine Arbeit in der französischen Hafenstadt auf Befehl. Das Verbrechen beherrscht die Stadt. Dealer, Mörder, Korruption. Von oberster Stelle gedeckt. Von noch höherer Stelle aus ist man nicht mehr bereit, bloß noch zuzusehen. Durch eine falsche Identität geschützt, beobachtet DER KILLER und tüftelt im kleinen Team an Lösungen, die nicht erkennen lassen, ob es sich um Bandenkriege handelt oder ein ordentliches Ausputzen der Straßen …

MATZ (Autor) und LUC JACAMON (Zeichner) haben ihren KILLER in ein Szenario geschickt, das dem (französischen) Leser in manchen Belangen bekannt vorkommen muss. Politik in Frankreich gibt ein leicht unterschiedliches Bild von dem in Deutschland ab. Von außen betrachtet ist es lauter, etwas greller, teils pikanter, glorioser. Die politische Parteienlandschaft ist eine andere. Das ist der Historie geschuldet. Revolution und kopflose Könige sind noch in guter Erinnerung. Wer den dritten Band von SECRET AGENDA, PRÄZISIONSARBEIT, liest, wird dem zustimmen.

Und der Titel des zugleich dritten Zyklus ist Programm. Grundsätzlich faszinierend an der kompletten Serie ist die Ruhe und Beherrschung der Hauptfigur. Gönnte sich DER KILLER zu Beginn noch Ausrutscher wie das Gründen einer Familie, ist er nun auf dem Höhepunkt von Coolness und philosophisch sezierender Finesse. Das macht selbst seinen (ihm zugewiesenen) Partner während der einzelnen Aufträge zumindest unruhig. Töten ist Geschäft, lautet die klare Ansage. Töten ist nicht Spaß. Töten kann höchstens noch Selbstschutz sein, wenn die Gefahr besteht, wiedererkannt zu werden. Das lässt einzelne Situationen nach einem Kinderspiel aussehen. In Wahrheit behält DER KILLER selbst unter Druck noch den Überblick. Während um ihn herum andere sogenannte Profis, sei es von der Polizei oder aus der Gangsterriege, die Nerven verlieren und, kurz gesagt, sterben.

Wenn es ein Spiel in dieser Geschichte gibt, dann ist es jenes Leben, das DER KILLER zur Tarnung aufrecht erhält. Es sind diese kleinen Momente, die ihm ein Lächeln entlocken. Und es ist nicht leicht zu verstehen, ob es tatsächlich jene Momente sind oder die Bekundungen von Kollegen, die ihm unterstellen, ein Glückspilz zu sein. Es ist erstaunlich, wie bereitwillig (obwohl gegen seinen Willen) und wie hervorragend DER KILLER diese Alltagsrolle spielt. Seine Anpassungsfähigkeit sowie seine Intelligenz sind stark ausgeprägt. Es wird in SECRET AGENDA bereits deutlich. Kennt man seine bisherige Vorgeschichte, werden diese Eindrücke noch besser untermauert.

Seine Weisheiten aus dem Off, Erkenntnisse aus einem Leben voller Gewalt rund um den Globus, belegen einerseits, wie weit er sich bereits aus dem normalen Leben verabschiedet hat. Andererseits legt ihm Autor MATZ Gedanken in den Mund, die auch jenen Lesern kommen können, die lediglich einen Tag lang durch sämtliche Nachrichtenkanäle springen, um einen Gesamteindruck der Menschheit zu erstellen. Es würde in der Öffentlichkeit nur einen leicht pychotischen Eindruck hinterlassen, ähnliche Schlüsse zum Besten zu geben. Oder man ist Kabarettist. Doch davon ist DER KILLER weit entfernt.

LUC JACAMON trägt mit seinen auf Realismus ausgelegten Zeichnungen die Serie. Verabschieden müssen sich die Leser von exotischen, internationalen Kulissen. Dafür taucht der Leser in das Alltägliche ein, was den Realismus noch wichtiger werden lässt. Denn hier lauert hinter dem Alltag das Verbrechen und ungezügelte Brutalität. MATZ hat seinen Kollegen LUC JACAMON hier zwei Polizisten gestalten lassen, die als das postive Gegenelement des KILLERS gewertet werden können. Die aber gleichzeitig erkennen, dass eine Zeitenwende durch die Ereignisse in diesem Band stattfindet. Die beiden Buddys sind (als Nebendarsteller) fein illustriert und in der Geschichte aufgebaut (fast könnte man an die Vorbereitung eines Spin-offs glauben). LUC JACAMONS Illustrationen sind darüber hinaus gewohnt souverän. Stellenweise tragen sie die Atmosphäre hervorragend. Besonders die Tristesse von des KILLERS vorgestäuschtem Leben wird schnell fassbar.

DER KILLER ist ein Garant für einen Top-Thriller, gerade im dritten Zyklus, der dem europäischen Leser deutlich näher ist als die vorangegangenen Geschichten. Top illustriert von LUC JACAMON, top erzählt MATZ, der den Leser (könnte man sagen) zum Mitwisser macht. Die Kenntnis um die Ereignisse in den vorherigen beiden Bänden von SECRET AGENDA ist allerdings Pflicht. 🙂

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