Dienstag, 12. November 2024
Da wagt es doch tatsächlich jemand, RAUL auf der Arbeit in der Werkstatt anzurufen. Ärgerlich, wenn für ein Telefonat die Tätigkeit unterbrochen werden muss und der andere auch noch um einen Gefallen bittet. Nichtsdestotrotz ist ein HALBBRUDER auch Familie. Also erklärt sich RAUL bereit, einen Koffer abzuholen. Ohne zu wissen, welchen Inhalt er transportieren soll. ROBERT SAX, sein Chef, der ein gutes Auge hat, auch durch eigene Erfahrungen der letzten Zeit, wird bald misstrauisch. Denn es scheint noch mehr Leute zu geben, die ein Interesse an dem Reiseutensil haben.
Viele Länder haben ihre ganz eigene koloniale Vergangenheit, und keine davon ist rühmlich. Sogar das aus verschiedener Sicht kleine Belgien macht da keine Ausnahme. Die 4. Episode von ROBERT SAX nimmt sich mit dem Untertitel BLUTDIAMANTEN dieses Themas an. Man darf den Auslöser der Geschichte nicht als Tragödie bezeichnen, da eine solche eher ohne menschliche Einmischung daher kommt. RODOLPHE startet mit einem von Menschen gemachten Drama. Es ist menschenverachtend, brutal, traurig und RODOLPHE gibt dem Auslöser einen Namen und ein Gesicht, eben einen Schuldigen. Daraus entwickelt sich die weitere Handlung. Denn, auch das hat die Vergangenheit gezeigt, wenn Menschen einander Schlimmes antun, können Entwicklungen in Gang gesetzt werden, an deren Ende sich jemand verantworten muss.
Nun ist ROBERT SAX in seiner 4. Folge weit davon entfernt, politisch sein zu wollen. Aber er nutzt ähnliches Verhalten, nicht unbedingt ein wirkliches Vorkommnis in der Vergangenheit, als Grundlage, um seinen THRILLER zu gestalten. Darüber hinaus greift RODOLPHE eine weitere Thematik auf, die in der Realität ebenfalls nicht unbekannt ist, nämlich die der Verwandtschaft mit einem, der (oder die) sich an Gräueltaten schuldig gemacht hat. Im Ausgangspunkt der Handlung, dem KONGO, kommt es zu einem Verbrechen, das mit einer solchen Menschenverachtung und Leidenschaftslosigkeit ausgeführt wird, das es einem allein in einer GRAPHIC NOVEL schon kalt den Rücken hinunterläuft. Und wie bei so manchen Geschichten mit TÄTERN und OPFERN gibt es am Ende auch noch Beute: BLUTDIAMANTEN.
Und hier kommt ROBERT SAX ins Spiel. Die Geschichte beginnt mit einem Gefallen. In bisherigen THRILLERN war er nicht der beste Arbeitgeber. Kein Ausbeuter, mehr jemand, der die Qualitäten seiner Angestellten nicht richtig erkennt oder wertschätzt. Das betraf ganz besonders seinen Chefmechaniker RAUL. Dieser möchte seinen Bruder besuchen und ROBERT SAX beschließt, dem guten Mann einen Gefallen zu tun und diesen zum Anwesen seiner Bruders zu fahren. Und da er schon dabei ist, kann auch gleich die Sekretärin mit auf die kleine Reise gehen. Aber bald schon fällt ROBERT SAX auf, dass ihre Spazierfahrt keine Tour ins Blaue mehr ist. Sondern eine Verfolgungsjagd!
RODOLPHE baut seine Geschichte mit Rückblicken auf. Auf diese Weise erhalten die VERFOLGER einen moralischen Antrieb, wenngleich ihre Vorgehensweise verbrecherisch ist und sich auf Augenhöhe mit jenen begibt, die sie eigentlich verachten und bestrafen wollen. Aber auch das ist ein Merkmal nicht nur postkolonialer Gräuel. RODOLPHE erzählt eine Geschichte, die, aus der Sicht von ROBERT SAX, vom Kleinen ins Große eskaliert. Keine der drei Figuren, die sich da ins Auto setzen, kann vorausahnen, was sich letztlich anbahnt und in eine Abrechnung mündet. Das erinnert an Krimis aus den 1960ern, ohne aber ins Klischee oder Alberne zu kippen.
Zeichner LOUIS ALLOING darf einmal mehr einige Kulissen verarbeiten und (immer ein Hingucker) feine Automobile in Szene setzen. Der Wechsel zwischen KONGO und belgischem Landesflair ist reizvoll. Eine glasklare Trennung der Atmosphären, gegenwärtiges Belgien (1950er Jahre) und Afrika, wird durch eine Vergangenheitsfärbung im Stile alter Fotografien erreicht. Die Geschehnisse im KONGO werden so ein wenig entschärft, sind jedoch nicht weniger spannend als der offenkundige THRILLER, den ROBERT SAX erlebt. (Und eine von LOUIS ALLOING gestaltete Kellerkulisse kam mir irgendwie bekannt vor.)
LOUIS ALLOING zeichnet seine Bilder mit leichten Linien, kaum getuschten Schatten, und überlässt dem KOLORISTEN DRAC die Erzeugung farblicher Stimmung. Es ist schön zu sehen, wie es ihm trotz dieser selbst auferlegten Einschränkung (er geht eben nicht so ins Detail) gelingt, seinen Figuren sehr viel Charakter einzuhauchen und lebendig zu gestalten. Das gilt besonders für jene Figuren, die hier neu auftreten und sich dem Leser schnell vorstellen müssen, um glaubwürdig zu agieren.
Feine THRILLER-KOST mit sehr ernstem Hintergrund. ROBERT SAX wird unversehens in eine Familiengeschichte wie auch ein internationales Drama hineingezogen. Der Leser weiß etwas mehr als die Hauptfigur, dennoch ist Mitfiebern angesagt, denn es lässt sich nicht vorhersagen, wie das hauptsächliche Trio, SAX, PEGGY und RAUL, aus der Geschichte hervorgehen wird. Das ist so geschickt wie routiniert von RODOLPHE erzählt, wie es von LOUIS ALLOING (und DRAC) grafisch präsentiert wird. ROBERT SAX hat sich als tolle Thriller-/Krimiserie ganz klar etabliert! 🙂
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Samstag, 26. Oktober 2024
Einmal ein PARKER GIRL, immer ein PARKER GIRL. Die Frau, die in diesen Kreis eintritt, wird eine lebenslange Familie haben. PIPER MAY ist tot. Ihr Auftrag war es, den Milliardär ZACKARY MAY zu überwachen. Nun wurde ihre Leiche am Strand von Malibu angeschwemmt. Offziell heißt es, PIPER MAY habe zu viel Alkohol getrunken und sei von der Yacht ihres Mannes ins Meer gestürzt. Mitten in der Nacht. Ohne Augenzeugen. Offiziell wird von einem Unfall ausgegangen. TAMBI BAKER, die Chefin der PARKER GIRLS, will dies nicht so einfach hinnehmen und einige Nachforschungen anstellen lassen. Und ihre PARKER GIRLS machen sich an die Arbeit. Denn wie gesagt: Einmal ein PARKER GIRL, immer ein PARKER GIRL …
TERRY MOORE hat sich sein eigenes TERRYVERSE geschaffen. Irgendwie ist so manches miteinander verwoben. Wer zum Beispiel STRANGERS IN PARADISE kennt, wird hier einen kleinen Aha-Effekt erleben. Aber wer noch nichts mit den Geschichten von TERRY MOORE zu tun hatte, wird mit dem Einstieg kein Problem haben, denn er baut seine Handlungen stets so auf, dass Neuleser und alte Hasen gleichermaßen hineinfinden.
Ein klassischer Fall. Eine Frau ist tot. Was ist geschehen? Stimmen die offiziellen Angaben? Oder nicht? Wenn nicht, wer steckt dahinter? Und wie wird das Rätsel am besten aufgelöst? Die hier auftretenden PARKER GIRLS sind nicht die typischen Action-Heldinnen, aber sie sind Spezialistinnen auf ihrem Gebiet, abgerüht, erfahren und weit davon entfernt, ENGEL zu sein. Im Mittelpunkt von TERRY MOORES Geschichten stehen Frauen, tough und häufig in Situationen, die lange Männern in der Unterhaltung vorbehalten waren. Seit längerem hat sich das geändert, womöglich spätestens seit der Mitte der 1990er Jahre. TERRY MOORE hat diesen Faden konsequent aufgenommen und weitergestrickt. Beharrlich wird ein einmal gesetztes Ziel verfolgt, und Zufriedenheit stellt sich erst ein, wenn es erreicht ist. In diesem Fall bedeutet es, den oder die Schuldigen gefunden zu haben.
Die Wahl der Mittel der PARKER GIRLS ist hier ein echtes Überraschungselement für die Leserschaft. Weil sie neben allen anderen Vorzügen, die sie vorzuweisen haben, auch nicht zimperlich sind. Das kann das Eis brechen oder auch einen verstockten Zeugen. Das ist, man gewöhnt sich daran, ihn als Vergleich anzuführen, mit Krimi- und Thriller-Szenarien von QUENTIN TARANTINO vergleichbar. Nicht nur Coolness ist oberstes Gebot, vielmehr existiert ein Mangel an Empathie solchen Menschen gegenüber, die nicht zum erlauchten Kreis der PARKER GIRLS gehören.
TERRY MOORE spannt den Bogen vom Kleinen ins Große. Ganz schlichte familiäre Verbindungen treffen auf die BIG DEALS, die Hochfinanz. Handgemachte Ermittlungen kommen Hightech in die Quere. Und ganz ordinärer Ehezwist zeitigt furchtbare Folgen. Langsam, von Seite zu Seite, nimmt die Handlung immer weitere Züge ein. Hier wurde sorgsam der Rahmen und die immer kleineren Segmente der Geschichte aufgebaut. Zwischendurch explodiert die Handlung in Form von handfester ACTION. Man mag als Leserschaft gedacht haben, dass es jeweils so weit kommen musste. Aber dass es dann geschieht und wie es abläuft, ist kaum vorhersagbar. Die Leserschaft darf sich also auf einige Überraschungen freuen.
Grafisch hat TERRY MOORE seinen Stil schon lange gefunden und diesen beibehalten. Da bekommt die Fan-Gemeinschaft eine gewohnt gute Kost, versiert dargeboten. Eine schöne Technik ist es, die Heldinnen (oder auch andere) direkt in die Kamera sehen zu lassen, die Betrachter mit einzubeziehen. Immer wieder klasse sind Szenen ohne Worte, die einen Charakter verstärken. Eben noch war jemand skrupellos, im nächsten Augenblick verzaubert ein Lächeln das jeweilige Gesicht oder ein Bild aus der Vergangenheit sorgt für Klarheit.
Für alle, die es noch nicht wissen, TERRY MOORE noch nie gelesen haben: Der Künstler arbeitet in Schwarzweiß, farblos. Sind seine Figuren auch nicht mangaesk, kommt der allgemeine Stil dem schon nahe (die Leserichtung ist natürlich westlich geprägt). Das fokussiert sehr auf die Geschichte, das ist grafisch schnörkellos, will eine Geschichte erzählen und bringt die jeweilige übermittelte Information auf den Punkt. TERRY MOORE bedeutet knackige TV-Serie, nicht Cinemascope-Kino. Aber letztlich liegt er damit voll im Trend.
TERRY MOORE zeichnet keine Übermenschen. Es sind die Leute, die Frauen und Männer von nebenan, die einem auf der Straße begegnen können. Sein Frauenbild ist attraktiv, aber nicht übertrieben. Und es ist ein Fest, wenn diese Frauen plötzlich und unerwartet hoch gehen wie eine Bombe und jedes schnuckelige Frauenbild über Bord geht (passendes Wortspiel zur Story). Frauen sind hier mitunter eiskalte Killerinnen (die sich keinen Moment hinter ihren Pendants von der Kinoleinwand versteck müssen; ist schon fast ein Kuriosum, dass TERRY MOORES Geschöpfe ihren Weg dorthin noch nicht gefunden haben).
Du liest den neuen Band von TERRY MOORE und wenn du ihn bisher gemocht hast, wirst du nicht enttäuscht. Und wenn du einen guten Einstieg in seine Comic-Welt suchst, liegst du hier ebenso richtig. Das ist mit viel Herz für die Charaktere erzählt (solche, die die Leserschaft mögen soll, versteht sich) und mit ebenso viel Herz illustriert. Was nicht heißen soll, dass TERRY MOORE seine Figuren schont. Nein, hier muss die Leserschaft auf alles gefasst sein. Und auf eine ordentliche Portion Spannung in jedem Fall! Klare Empfehlung für Thriller-Fans! 🙂
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Tolle Einblicke in seine Arbeit und Zeichentechniken, Storytelling, Emotionsdarstellungen und und und.
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Mittwoch, 23. Oktober 2024
Ein unbekannter Film, alt, noch auf eine Filmrolle gebannt, weckt die Neugier von LUDO. Der Film, dessen Vorbesitzer ganz vernarrt in Verschwörungstheorien war, starb ziemlich banal, als er inmitten seines großen Filmarchivs von der Leiter fiel und sich den Schädel aufschlug. Nun hat LUDO den Raum abgedunkelt, die Filmrolle in den Projektor gefädelt und ist gespannt. Doch der Film ist schrecklich, und je länger LUDO ihn sich anschaut, umso mehr packt es ihn, bis plötzlich, die Welt um ihn herum schwarz wird und er mit Schrecken feststellt, dass er blind ist. In seiner Not greift er zum Mobiltelefon und ruft die erste Nummer an, die auf dem Bildschirm aufploppt. Diese gehört zu LUCIE HENEBELLES, ihres Zeichens Polizeileutnant von Lille. Zu diesem Zeitpunkt ahnt die junge Frau nicht, dass dies der Auftakt zu einem grausamsten Fälle ihres Lebens ist.
Bereits 2012 erschien in Deutschland der Roman ÖFFNE DIE AUGEN von FRANCK THILLIEZ, dessen Comic-Adation von SYLVAIN RUNBERG (Autor) und LUC BRAHY (Zeichner) nun unter dem Originaltitel DAS SYNDROM [E] hierzulande erschienen ist. Der Thriller ist, um es vorweg zu nehmen, für Freunde von Spannungsliteratur, die sich mit Verschwörungsmythen befasst, deren Hintergründe in die Jahrzehnte zurückreichen und es dennoch finstere Gestalten gibt, die ein großes Interesse daran haben, jene furchtbaren Geheimnisse weiterhin zu hüten. Hier wird ein ebensolch weiter Bogen gefasst, nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch zwischen Europa, Nordamerika und Afrika. Denn neben der Ermittlerin LUCIE HENEBELLES wird noch ein weiterer Polizist ins Rennen geschickt, der ebenfalls von FRANCK THILLIEZ ersonnene FRANCK SHARKO.
Zwei sehr unterschiedliche Ermittler mit zunächst unterschiedlichen Zielen sind hier an der Arbeit. Neben den für den Leser verschieden skizzierten Charakteren, gibt FRANCK THILLIEZ den beiden auch ihre jeweils eigenen Päckchen zu tragen. Ist das von LUCIE HENEBELLES noch recht normal zu nennen, ist sie doch Mutter zweier Töchter, hat FRANCK SHARKO ein ganz anderes Problem. Allein damit ließe sich schon ein Roman bzw. ein Comic füllen, würde den beiden nicht ein Fall vor die Füße fallen, wie recht gut zu diesem Monat passt, schließlich steht Halloween kurz vor der Tür.
Stark ist, wie weit verzweigt die Geschichte angelegt wurde, nicht bloß in der Zeit, sondern auch geografisch. Das garantiert dem Auge, dank Zeichner LUC BRAHY, immer neue Ansatzpunkte, allerdings ohne Glanz und Glamour. Das Szenario bewegt sich von der Normalität der Bevölkerung bis hin zum Bodensatz, in schmutzige Gefilde oder in Gegenden, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und deshalb Halunken die Möglichkeit finden, ungestört ihre Verbrechen zu verüben.
Das sorgt für Action, Auseinandersetzung auf Leben und Tod. Wenn eine Drohung im Raum steht, folgen dieser auch Taten. Danach sieht es anfangs nicht aus. Zwar schwebt da diese Brutalität mehr oder weniger sichtbar, aber dass es den ErmittlerInnen an den Kragen gehen könnte, mögen die LeserInnen kaum ahnen. Denn ganz ehrlich: Polizei genießen (trotz vieler gegenteiliger Beispiele in Unterhaltung und Realität) einen gewissen Schutz. Nach dem Motto: Die biegen das hin, müssen aber nicht selbst drunter leiden.
SYLVAIN RUNBERG, adaptierender Autor, baut viele spannungssteigernde Momente aus dem Roman in die Comic-Umsetzung ein, und es wirkt so, als könne tatsächlich jederzeit ein Polizist sich verabschieden. Über die gesamte Länge der Handlung hinweg, ist die Atmosphäre dergestalt, dass sich keiner sicher fühlen kann. Für die Leserschaft ist die Aufrechterhaltung des mulmigen Gefühls natürlich großartig (für solche, die sich gerne gruseln, versteht sich).
LUC BRAHY ist als Autor wie als Zeichner gleichermaßen im Medium unterwegs. Hierzulande kennt der Comic-Fan ihn als Texter der Serie UKAS. Bei DAS SYNDROM [E] ist er als Illustrator dabei. Er vermag sehr schön Gefühle ohne weiteren Text zu transportieren. Besorgnis, Erschöpfung, Verzweiflung, Todesangst, Verärgerung, Lust, Erheiterung und und und. Die gezeigte Gefühlspalette ist sehr weit gefasst und nicht so oft bei Kollegen von LUC BRAHY so zu finden. Der Realismus seiner Bilder fängt den jeweiligen Ort fein ein, was natürlich erst richtig reizvoll wird, wenn die Kulissen wechseln und sich starke Kontraste ergeben. Da herrschen zum Beispiel zwischen französischen und algerischen Schauplätzen starke Kontraste. Insgesamt transportiert sich der vorliegende Thriller für die Leserschaft in einem stimmigen Gesamtbild.
Düster, düster, düster. Ein sehr dunkles Geheimnis, das angesichts des Irrsinns so manch aufgedeckten Skandals und Experimente, die tatsächlich und dokumentiert stattgefunden haben, ebenfalls so passiert sein könnte. Wahrscheinlich hat FRANCK THILLIEZ, der Autor der Romanvorlage, daraus auch seine Inspiration gezogen. SYLVAIN RUNBERG (adaptierender Autor) und LUC BRAHY (Zeichner) sind beides Comic-Veteranen und formen aus der Vorlage einen runden, sehr dicht erzählten Thriller, in dem neben den einzelnen Steinchen, die das Mosaik vervollständigen, die beiden polizeilichen Helden noch ihre ganz eigenen Baustellen haben (ganz besonders FRANCK SHARKO). Spannung von der ersten bis zur letzten Seite, gelungen und versiert illustriert. Daumen hoch! 🙂
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PARIS. September 1959. MARGOT arbeitet als Volontärin bei der Zeitschrift AUTO REVUE. Eine Sondernummer ist in Planung. Ausführlich soll über den CITROËN TRACTION AVANT berichtet werden, die Baureihe mit Frontantrieb. Die Aufgaben der Ausgabe werden in der Redaktion aufgeteilt. Mit MARGOT wollen sich die Herren der Schöpfung einen Spaß erlauben und diese über den CITROËN 22 CV schreiben lassen. Das Fahrzeug ist eine Legende. Es soll auf der Automobilmesse 1934 vorgestellt worden sein, ging jedoch nie in Produktion. MARGOT weiß von all dem nichts und macht sich frohgemut an die Arbeit. Es wird der Auftakt zu einem Abenteuer, das sich MARGOT niemals hätte träumen lassen. Und der erste Schritt ist, das GEDÄCHTNIS VON CITROËN zu finden…
AUTOS und FRAUEN, in einer Zeit, in die Damen der Schöpfung sich zu emanzipieren beginnen und das Auto sich als solches einen immer größeren Stellenwert in der Gesellschaft verschafft, schicken OLIVER MARIN (Autor, Zeichner) und ÉMILIO VAN DER ZUIDEN (Storyboard, Zeichner) ihre Heldin MARGOT auf eine höchst amüsante und spannende Tour de Force.
Der Auftaktband lebt nicht nur von seiner charmanten Hauptfigur. Ebenfalls sehr stark ist das Zeitkolorit von MARGOTS REPORTAGEN, wie die Serie übertitelt ist. Gerade Frankreich hat in seiner Geschichte, seinen Erzählungen, seinen Filmen gerne mit dem Lebensstil seiner Menschen, seiner Kultur kokettiert. Und das vollkommen zurecht. Das Bild jener Tage setzt sich gut von seinen europäischen Nachbarn ab und man will dieses Savoir-vivre gerne glauben. MARGOTS REPORTAGEN fängt dieses Gefühl ein, eine gewissen Gelassenheit, eine Aufbruchstimmung jener Epoche und tatsächlich stehen die 1960er Jahre vor der Tür.
MARGOT, jung, adrett, mit frecher Kurzhaarfrisur, neugierig, mit den modernen Ansichten ihrer Zeit ausgestattet und kleidungstechnisch sehr modisch unterwegs, befreit sich hier wunderbar aus der Rolle einer Frau, die nicht ernst genommen wird, hin zu einer Reporterin, die man(n) ernst nehmen muss. OLIVER MARIN zeigt einen Charakter, der im Laufe des Geschehens immer tougher wird (auch von den Umständen dagezwungen) und sich mit dieser neuen Rolle ziemlich gerne anfreundet.
OLIVER MARIN und ÉMILIO VAN DER ZUIDEN spielen außerdem mit Legenden. Der titelgebende 22 CV vorneweg, gleich dahinter die GÖTTIN, der CITROËN DS, die sich anschickt das Szepter zu übernehmen. Nebenbei wagt es eine ALFA ROMEO GIULETTA SPRINT sich in den französischen Straßenverkehr einzumischen. Da spielen die beiden Comic-Macher mit modernen Fahrzeugmythen (wer eine bestimmte Szene sieht, wird wissen, was ich meine; es soll halt nicht gespoilert werden) und stellen das Automobil natürlich auf ein Podest. Denn lange Zeit war der Besitz eines Autos auch gleichbedeutend mit zusätzlich gewonnener Freiheit.
Grafisch beschreiten OLIVER MARIN und ÉMILIO VAN DER ZUIDEN den Weg einer klaren, deutlichen, sauberen Linie. Das sitzt und passt, das gibt jeder Figur markante Merkmale, unverwechselbar für das Auge. Das genügt. Schurken und Helden sind nicht direkt erkennbar, das sorgt für Überraschungen. Die strengen Linien sorgen außerdem für penibelst dargestellte Fahrzeuge. Man(n) will schöne Autos zu Papier bringen (und sehen)!
Ein sehr schöner nostalgischer Serienauftakt (5 Bände gibt es inzwischen). Wer in die 1950er Jahre eintauchen möchte, einem mit Spannung und Augenzwinkern erzählten sowie fein und klassisch illustrierten Comic-Band, der liegt hier goldrichtig! 🙂
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Donnerstag, 26. September 2024
FREDERIC HAMILTON hat einen Traum. Keinen schönen Traum. Er sitzt auf einem Stuhl vor einer Bühne, auf dem ein Tribunal Aufstellung genommen hat. Alle Köpfe sind unter Kapuzen verhüllt. Davor an einem Tisch, stehend, ein Richter, ebenso vermummt, der den reichen Unternehmer anklagt, sich an den Menschen versündigt und diese ausgebeutet zu haben. FREDERIC HAMILTON weiß nicht, wie ihm geschieht. Es bleibt nicht bei diesem einen Traum. Und der nächste ist bedrohlicher als der zuvor. FREDERIC HAMILTON wendet sich an die Polizei. Doch Träume sind nicht die Sache der Kriminalbeamten. Gäbe es nicht GOODFIELD, der die Angelegenheit doch ernst nimmt und ihn an einen Privatdetektiven verweist, dem seltsame Fälle gerade recht kommen: HARRY DICKSON.
JEAN RAYs amerikanische Version von SHERLOCK HOLMES ist erneut unterwegs. Die einst so beworbene Figur HARRY DICKSON, ihres Zeichens Privatdetektiv, ansässig in England, ist wieder mit einem unheimlichen Fall befasst, der den Anschein vermittelt, es könnten übersinnliche Mächte am Werk sein. Doch wer steckt tatsächlich dahinter?
DOUG HEADLINE und LUANA VERGARI haben sich an die Adaption eines Werkes von JEAN RAY gemacht, und die Geschichte braucht sich nicht hinter den Werken von JEAN RAYs Kollegen ARTHUR CONAN DOYLE zu verstecken. Denn gleich zu Beginn setzen Zeichner ONOFRIO CATACCHIO und Kolorist HIROYUKI OOSHIMA eine Szene um, die dem guten alten viktorianischen Krimi- und Schauerroman alle Ehre macht. HARRY DICKSON ist ein Genie auf seinem Gebiet und darüber hinaus sehr hartnäckig, was die Aufdeckung von Geheimnissen und Verbrechen anbelangt. Natürlich ist HARRY DICKSON nicht gezwungen, allein ans Werk zu gehen. Sein Gehilfe TOM WILLS und der Kriminalbeamte GOODFIELD halten dem Detektiven bei Bedarf den Rücken frei. Auch ein Genie kann nicht überall zugleich sein.
Erst recht nicht, wenn ihm ein kriminelles Genie zu schaffen macht. Die beiden Auoren der Adaption lassen sich Zeit, die Spannung aufzubauen und das Netz um das Opfer zusammenzuziehen. Aber sie begnügen sich (nach JEAN RAYs Vorlage) nicht einfach damit. Jedes Kapitel macht das Rätsel knackiger, es steigert die Gefahr und hier können Menschen sterben. HARRY DICKSON klärt keine Fälle auf, in denen alten Damen die Handtaschen gestohlen werden. DAS HORROR-TRIBUNAL bedeutet tödlichen Ernst. Da ist aber nicht nur der Einfallsreichtum auf krimineller Ebene zu bestaunen, gleichfalls darf man die Findigkeit des Detektiven bewundern, der sich wirklich eine recht besondere Aktion einfallen lässt, um unbemerkt zu ermitteln.
Kapitelweise steigert sich die Spannung, fast wie auf einer Treppe, wo die Luft oben für die Charaktere immer dünner wird und ein endgültiges Finale zwingend. In dieser Spirale arbeitet ONOFRIO CATACCHIO als Zeichner mit sehr klaren Linien, stilsicher und man fühlt sich unweigerlich an Zeiten erinnert, als Schauspieler wie BASIL RATHBONE oder MARGARET RUTHERFORD auf den Leinwänden zu sehen waren, in schwarzweiß selbstverständlich. Auf letzteres wird hier natürlich verzichtet. HARRY DICKSON tritt auf mit einem markanten Profil, einem kantigen Kinn, einem meist stechend konzentriertem Blick und einer widerspenstigen Haartolle. Allerletzte Markenzeichen sind seine Pfeife, seine gepflegte Erscheinung und, bei Außeneinsätzen, ein recht amerikanischer Trenchcoat.
Den Gegensatz zur normalen Detektivtätigkeit aus Ermittlung, Recherche, Laufarbeit und geduldigem Abwarten, ob und wie sich eine gestellte Falle schließt, gibt es in bewusst gruseligen Momenten, die sich auch grafisch vom Rest der Geschichte absetzen. Da ist DAS HORROR-TRIBUNAL natürlich gleich vorneweg mit dabei, denn für den armen FREDERIC HAMILTON verdichtet sich die Bedrohung immer mehr, bis keine Fehlinterpretation seiner Lage mehr möglich ist. Darüber hinaus wartet ONOFRIO CATACCHIO mit Anspielungen und kleinen Rückblicken in eine furchtbare Vergangenheit auf, bevor sich HARRY DICKSON einem der kuriosesten Angriffe der Detektivgeschichte stellen muss. Diese sich steigernden Überraschungen dürften die LeserInnen bestimmt zum Umblättern zwingen. (Mir ging es so!)
Wenn die Romanbibliographie stimmt, existieren an die 178 Vorlagen, viel Stoff also für weitere Comic-Abenteuer von HARRY DICKSON. Angesichts der ersten beiden Adaptionen kann ich nur sagen: Mehr davon! Die grafische Umsetzung hält das Auge fest, leitet es sanft zur nächsten Szene, der Vorlage eines Kriminalstoffs aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemäß. Neben der Spannung vollbringen die nach dem Original arbeitenden AutorInnen DOUG HEADLINE und LUANA VERGARI auch das Kunststück, den Leser (mich) zu fesseln. Das sollte aber auch bei anderen LeserInnen verfangen. Dank des Zeichners ONOFRIO CATACCHIO auch ein optisch packendes Detektivabenteuer! Top! 🙂
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Freitag, 07. Juni 2024
ROBERT SAX ist in heller Aufregung. Eine alte Bekannte, MAJOR CAROL BARLOW, Angehörige des amerikanischen Geheimdienstes CIA hat sich angemeldet und möchte das Wochenende mit ihm am Meer verbringen. Selbstverständlich freut sich der Besitzer einer Autowerkstatt sehr auf den Besuch. Nachdem er mal wieder die Arbeit seinen Angestellten überlassen hat, macht er sich auf den Weg an die belgische Nordseeküste. Bald jedoch stellt sich Ernüchterung ein. CAROL BARLOW hat die Reise über den Atlantik nicht der Liebe wegen angetreten, sondern weil sie einen Auftrag zu erfüllen hat. Und ROBERT SAX als der auserkorene Alibipartner soll nicht nur Ehemann spielen. Gleichzeitig soll er einen Fotografen markieren. Das Ziel ist der bekannte Autor WILHELM BORG …
ROBERT SAX geht in die dritte Runde. Unter der Federführung von RODOLPHE (Autor, Szenario) und LOUIS ALLOING (Zeichner) sowie DRAC (FARBEN) entsteht mit der Folge DIE VILLA BORG ein dunkel gruseliges Thrillerabenteuer an einer kalten, windigen und wolkenverhangenen Küste. Im Regen sind nur wenige Menschen auf der Strandpromenade unterwegs. Da wirkt die VILLA BORG gerade einladend, mit ihrem warmen Licht, der hölzernen, geschmackvollen Inneneinrichtung, gäbe es da nicht ein Geheimnis, das ROBERT SAX und CAROL BARLOW ziemlich herausfordert. An dieser Stelle kann ich jetzt schon sagen, dass mir die dritte Episode der Reihe bisher am besten gefällt!
RODOLPHE setzt sehr stark auf Amtosphäre und schafft es, zwei völlig gegensätzliche Spielorte in Einklang zu bringen. Neben der belgischen Nordseeküste entführt er den Leser in eine noch verlassenere Gegend, nämlich an den Südpol, zur BASIS KÖNIG BAUDOIN, der Station der belgischen Polarexpedition. Zwar gibt es an der belgischen Küste mehr Menschen als am Südpol, dennoch ist hier die Einsamkeit und eine unterschwellige Bedrohung toll eingefangen. Das Titelbild spricht hierzu Bände. Ein düsterer Küstenstreifen, eine nass glänzende Promenade, ein einsames Herrenhaus, ein abfahrbereites Automobil und ein Pärchen (ROBERT SAX und CAROL BARLOW) in warmen Mänteln. Und obwohl er seine Arme schützend um sie gelegt hat, ist sie es, die eine Pistole in der Hand hält. Das wirkt nicht so, als habe die Geheimagentin Schutz nötig.
Oben auf entsteht eine Spannung wie in einem klassischen britischen Kriminalroman. Menschen begegnen sich durchaus freundlich, dennoch ist die Stimmung für die beiden Helden der Geschichte beklemmend zu nennen. Ein paar Handlungszutaten werfen dem Leser Fäden hin, die den versierten Kriminal- und Thrillerfan an die Hand nehmen und teils (absichtlich) in die Irre führen. In jedem Fall, das ist offensichtlich, kennt RODOLPHE seine Vorgänger und hat bestimmt für den einen oder anderen eine gewisse Sympathie entwickelt.
Wandel sind in der Geschichte nicht selten, aber gerade die hier gezeigten Veränderungen sind ein guter Spielraum. Die Moderne ist erkennbar, im Hintergrund bringen sich Großmächte in Stellung, um sich die besten Claims zu sichern und gehen dafür über Leichen. Der Witz an der Sache ist, das die entscheidenden Begegnungen an Orten stattfinden, die der Normalbürger als kaum gefährlich einstufen würde. Aber nur ein Schritt in diese Richtung belehrt ihn eines Besseren. Genauso geht RODOLPHE mit seinen beiden Helden vor. Es gibt insbesondere für ROBERT SAX diesen Moment in DIE VILLA BORG.
Die Stimmung benötigt natürlich Bilder. LOUIS ALLOING zeichnet mit einfachen leichten Linien, verwendet so gut wie keine Tuscheschattierungen und schafft es trotzdem, Figuren zu kreieren, die dem Aussehen nach in Filmen oder auf Fotografien der 1950er Jahre auftauchen könnten. Die Figur des ROBERT SAX, schmal, schwarze Haare, der Mode entsprechend, gepflegt, kantiger Gesichtstyp, aber nicht ganz so hübsch kalt wie ein ALAIN DELON. Eine Erscheinung, von der ich sagen würde, sie ist eher FRANZOSE als BELGIER. Gleichzeitig erschafft LOUIS ALLOING auf einfache Weise Wiedererkennungszeichen. Das Spiel mit Haarschnitten, Bekleidung, Haltungen, Gesichtszügen, mal offen, mal verkniffen.
Klare Bildaufbauten (nicht die berühmten klaren Linien) fangen den Blick ein. Hier ist eine Technik am Werk, die den Leser festhält, um die andere Hälfte der Geschichte, abseits des Textes zu präsentieren. Hier sollen die Augen nicht über die Seite fliegen, sondern Schritt für Schritt, fein und in Ruhe alles erfassen. Das dient, ganz nebenbei, dazu, die Spannung peu à peu zu steigern. Jederzeit kann die Harmlosigkeit einer Szene verfliegen. Das ist trickreich und vorbildlich.
Eine feine dritte Folge, die es auf hervorragende Weise schafft, die Welt der 1950er Jahre in Belgien zum Leben zu erwecken und vor dieser Kulisse einen Thriller zu erzählen, der einen von Anfang bis Ende mitnimmt. Spannend, mit ein paar humorvollen Seitenhieben, gruseligen Rätseln und fiesen Halunken. So lasse ich mir ein Thrillerszenario gefallen! 🙂
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Sonntag, 04. Februar 2024
Wo die Liebe hinfällt. Wo sie hinfällt, kann sie Menschen verändern. Verbessern. Auf neue Wege führen. So ist es auch mit Edwyn. Edwyn war online unterwegs und hat sich in Virginia verliebt, sie im echten Leben kennengelernt und jetzt sind sie auf der Straße unterwegs nach nirgendwo. Aber EDWYN, der ein Serienkiller war, ist friedlich geworden und tötet niemanden mehr. Ja, er ist sogar überaus freundlich zu jedermann und jederfrau. Bis zu dem Tag, als es jemand an einer Tankstelle wagt, VIRGINIA dumm und obszön von der Seite anzuquatschen. Da zeigt es sich, dass Edwyns Geduldsfaden verdammt kurz ist. Er rastet aus …
DOUG WAGNER, Autor von PLASTIK, hat sich mehrmals ein paar merkwürdige Charaktere vorgeknöpft (vorsichtig formuliert). EDWYN ist ein SERIENMÖRDER, der die Köpfe seiner Opfer gerne in Klarsichttüten packt. Das ist sein Tick. Darüber hinaus tötet er einfach und bedient sich der Gegenstände dazu, die gerade in Reichweite sind oder deren Benutzung ihm Spaß bereitet. Wenn die Wut die Oberhand gewinnt, endet die Angelegenheit meist blutig. Neu ist der Umstand, dass er nun selbst auf die Abschussliste gerät und die mit dem Blut eben nicht nur die anderen sind.
Tödlicher FREAK will FREUNDIN befreien. So könnte der Plot in einem Satz lauten. Darauf ruht sich DOUG WAGNER aber nicht aus. Denn der Killer trifft hier auf andere Killer. Bisher hatte EDWYN eher mit Leuten zu tun, die ihren Alltag nicht als Gangster bestritten und im Umgang mit Waffen nicht so versiert waren. Diese Erfahrung lässt DOUG WAGNER seinem ungewöhnlichen Helden zuteil werden, indem er den Schwierigkeitsgrad, VIRGINIA zu befreien, deutlich erhöht. Man könnte also den ersten Plotsatz um einen zweiten erweitern: Es wird ein SCHLACHTFEST.
Es gab im Kino mal die Ära des SPASS-SPLATTERS (zum Teil wiederauferstanden). Im COMIC wurde sie bereits mehrfach wiederbelebt (zum Beispiel in HACK/SLASH). PLASTIK ist eine Variante solcher SPASS-SPLATTER-GESCHICHTEN, die aber durch einen KILLER besticht (Wortspiel), der eben nicht durch und durch irre ist, sondern tatsächlich auch (mindestens) eine gute Seite hat und sogar so etwas wie Mitleid oder Freundschaft empfinden kann. Dabei darf, bei aller seitens EDWYN offenbarten Empathie, nie vergessen werden, dass dieser KILLER jemand ist, der mit Leichen spricht (die natürlich nicht antworten, außer in seinem Kopf).
Desweiteren sind noch drei Comic-Künstler am Start. In erster Linie muss selbstverständlich DANIEL HILLYARD genannt werden, der das ARTWORK der einzelnen Seiten abliefert und darüber hinaus diverse VARIANTCOVER der hier gesammelt vorliegenden Einzelausgaben der Miniserie PLASTIK. Da gibt es Morde zu sehen, Gewaltexzesse, auch Leichen, aber häufiger mal hält die KAMERA Abstand, schaut rechtzeitig woanders hin. Aber, liebe SPLATTER-FANS, es bleibt noch genug übrig. DANIEL HILLYARD kann, wenn er darf, wie seine VARIANTCOVER zeigen (starker Tobak!) sowie der eine oder andere Look auf das Geschehen. Das sind allerdings die Spitzen der Fights und Morde. Mehr muss DANIEL HILLYARD Stimmungen aufbauen, Spannung anheizen und die richtigen Blickwinkel, die richtigen Gesichtsausdrücke und Haltungen abbilden. Und EDWYN ist wahrlich kein Charakter, der mit Emotionen geizt. DANIEL HILLYARD inszeniert ihn als offenes Buch. Hier ist alles abzulesen.
LAURA MARTIN koloriert die von DANIEL HILLYARD sehr systematisch und leicht überzeichneten Grafiken (bei den Männern vor allem hart an der Grenze zur Karikatur). Stets wird eine farbliche Grundstimmung gesucht, die je nach Handlungsort relativ nüchtern ist (wie ein Büro bei Tag) oder eher gruselig angelegt wird (wie das Innere eines Autos mitten in der Nacht). Das ist insbesondere im weiteren Verlauf von LAURA MARTIN gut gelöst, wenn die Handlung im Halbdunkel stattfindet, es plötzlich blutig wird und anschließend jemand das Licht einschaltet.
Noch ein Wort zu ANDREW ROBINSON, der das ARTWORK der ORIGINALCOVER gestaltete. Alle Cover sind im Anhang des Bandes ansehbar. Eines ist auch das Titelbild der vorliegenden Gesamtausgabe. Im Gegensatz zu DANIEL HILLYARDS Covern setzt ANDREW ROBINSON auf Atmosphäre. Jedes seiner Bilder könnte auch das Poster zu einem HORRORFILM sein, ohne jeweils zu viel zu verraten und als Coverillustration einen Fokus auf einen bestimmten Aspekt des jeweiligen Akts richten.
KILLER-THRILLER, mit einer Prise HORROR. DOUG WAGNER, DANIEL HILLYARD, LAURA MARTIN und ANDREW ROBINSON kennen ihr GENRE. Ein psychopathischer Serienmörder, abgedrehte Gangster und korrupte Cops (und ein paar Zwischenstufen, die Übergänge sind fließend). Man kann EDWYN, den KILLER, nicht zur Gänze nicht mögen. Er kann ein paar Sympathiepunkte sammeln. Immerhin ist er verliebt. Obwohl auf der Rückseite des Sammelbandes steht, wer VIRGINIA, EDWYNS FREUNDIN in Wirklichkeit ist, soll das hier nicht verraten werden. Das ist irgendwie ein netter Clou. Starke Nummer von einem Künstler-Dreamteam! 🙂
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Donnerstag, 18. Januar 2024
Ein kleiner Junge hat einen großen Traum. Spät in der Nacht bastelt er an seiner Rakete, die ihm nicht einmal bis zur Brust reicht. Aber sie soll hoch hinauf, so weit wie irgend möglich. Er hat die Maße, das Gewicht, den Treibstoff berechnet und nun scheint der richtige Zeitpunkt gekommen, der Point Of No Return. In seinem Zimmer finden sich viele Hinweise auf seine Interessen und Träume. Modelle aus der Fliegerei, doch viel mehr zeigen die Raumfahrzeuge der NASA. Solche, die es bis zum MOND geschafft haben oder solche, die einen regelmäßigen Flugbetrieb in den Orbit gestatteten, das SPACE SHUTTLE. Der Junge schleicht sich aus dem Haus, immer noch mitten in der Nacht, denn seine Ambitionen (das sind sie für ihn, nicht bloß ein Hobby) werden nicht gern gesehen. Auf einem Hügel angelangt, wird die kleine Rakete in Stellung gebracht, ein Streichholz entzündet die Lunte und dann…
LARGO WINCH bedeutete von Anfang an, als Comic-Leser einen Thriller in den Händen zu halten, der mit internationalem Flair spielt. LARGO-WINCH-Erfinder, der Autor JEAN VAN HAMME legte die Figur zunächst als Romanhelden an, bevor ein Comic-Charakter aus ihm wurde. Inzwischen hat JEAN VAN HAMME den Stift, sprichwörtlich, an seinen Autorennachfolger ÉRIC GIACOMETTI übergeben, der das gesamte LARGO-WINCH-Universum hervorragend verstanden hat und die Mischung aus Agenten- und Actionszenarien, Hochfinanzdramen, Familiengeschichten und amorösen Abenteuern perfekt fortführt. So auch im 24. Band, DAS GOLDENE ZENTIL.
Die Zeiten von Begriffen wie DIE OBEREN ZEHNTAUSEND haben sich längst überlebt. Geld ballt sich noch viel mächtiger, wie es der Leser von den besonders extravaganten Milliardären in den Nachrichten oder den Boulevardmagazinen verfolgen kann. In diesem Bereich ist DAS GOLDENE ZENTIL angesiedelt. JAROD MANSKIND ist im vorliegenden Thriller einer jener Milliardäre, die das Abenteuer der Menschheit ins All vorantreiben wollen, sozusagen die letzte halbwegs unberührte Spielwiese für reiche Menschen. Und ganz so, wie sich in den (echten) Nachrichten für den Leser anhören mag, wenn von Siedlungen auf dem MARS fabuliert wird, so ist die Wirkung auch hier: Könnte, ja. Braucht man’s? Hm. Na, der Mann ist reich, lasst ihn reden und wir klatschen.
Bisher – und dieses Rezept wird hier fortgeführt – hat sich LARGO WINCH immer vor der Kulisse der realen Welt bewegt, Szenarien oder Ideen weiter erzählt. Mancher Leser fragt sich vielleicht, ob einem brisant reichem Menschen etwas Ähnliches widerfahren kann wie zu Beginn von DAS GOLDENE ZENTIL (der Fortsetzung zu Band 23, HINTER DER KARMAN-LINIE). Wer aber einen Blick auf die Schicksale solcher (echter) Charaktere wirft, stellt fest, wie leicht selbst jene in fremdbestimmte oder selbst gewählte Schwierigkeiten kommen, deren Verlauf oft thrillertauglich ist. So viel zum starken INTRO dieses ABENTEUERS, ohne die SPOILER auszupacken. 🙂 Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass ÉRIC GIACOMETTI die verschachtelte Erzählweise eines JEAN VAN HAMME mit unterschiedlichen Handlungssträngen so versiert wie respektvoll aufgreift und umsetzt.
Mit PHILIPPE FRANCQ ist der langjährige LARGO-WINCH-Zeichner am Start, der dafür bekannt ist, feinlinige, äußerst fragil wirkende Bilder zu gestalten, in denen es vor Details manchmal geradezu wimmelt. Manche Zeichner würden eine Gebirgskette, einen Fluss, einen Wald oder auch eine Skyline mit wenigen Strichen hinwerfen, erst recht, wenn sie wirklich nur Kulisse sind und der Fokus der Szene ganz woanders liegt. Bei PHILIPPE FRANCQ verhält es sich nicht so. Hier werden Felsspalten und – absätze herausgearbeitet. Bei Veranstaltungen muss noch der Gast in der hintersten Reihe als Mensch erkennbar sein (und das ist superwinzig). In langjährigen Computerzeiten ist eine Arbeit in solchen Dimensionen natürlich kein Problem mehr. Dass sich jemand die Mühe macht, diese Einzelheiten so herauszuholen, aber schon.
PHILIPPE FRANCQ geht entsprechend in die Technik hinein. Obwohl die Geschichte mit dem Weltraum zu tun hat, sind die grafischen Knaller hier nicht zu finden. Die finden teils mehr in der Luft statt (vor allem im finalen Run gibt es eine starke Sequenz, die ich sonst so noch nirgendwo gesehen habe und verdammt dramatisch ist). Hubschrauber heißt das Zauberwort. Hier kann PHILIPPE FRANCQ vom Leder ziehen, während er ansonsten immer auf der Suche nach der perfekten Kameraeinstellung für eine Szene ist (und diese auch stets findet).
Ein LARGO-WINCH-Abenteuer ist ein verlässlicher Thrillerkracher. ÉRIC GIACOMETTI (anstelle von LARGO-WINCH-Erfinder JEAN VAN HAMME) begleitet als nicht mehr ganz neuer Szenarist Band 24, DAS GOLDENE ZENTIL, und führt LARGO WINCH alles andere als sprichwörtlich in ungeahnte Höhen. Die Charaktere besitzen (wie sich für die Reihe gehört) Tiefe, sind greifbar, gerade so, damit Sympathie oder Antipathie für den Leser funktionieren. PHILIPPE FRANCQ ist als Comic-Illustrator nach jahrzehntelanger Tätigkeit so versiert, dass man als Comic- Thriller-Fan nur noch genießen muss. Empfehlenswert! 🙂
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Mittwoch, 29. November 2023
Ein MÖRDER geht auf den Straßen von BRÜSSEL um. Der Winter hat seine weiße Schneepracht über der Stadt ausgebreitet. Nachts bleiben die Menschen lieber daheim. Nur wenige Auots sind unterwegs und hinterlassen Spuren im frisch fallenden Schnee. SUZY BELAIR, eine Barsängerin, wurde soeben von ihrem Chef darauf hingewiesen, dass ihr Auftritt leblos, kraftlos sei. Der Abend ist gelaufen, die Laune im Keller. SUZY macht sich auf den Heimweg, ärgerlich über den Schnee. An manchen Tagen geht eben alles schief. Sie soll sich diesbezüglich nicht täuschen.
ROBERT SAX ist zurück! In der 2. Episode, VERLORENES PARADIES, erwartet den Leser ein geheimnisvolleres BRÜSSEL als zuletzt. RODOLPHE nicht so ganz zufällig in diesen Thriller stolpern. Eine Nachricht trifft ROBERT SAX ins Herz. Sofort ist der Held auf den Beinen und versucht von dieser Nachricht eine Verbindung zu seiner eigenen Vergangenheit herzustellen. Der Leser erfährt mehr über den Mann, der doch mehr als eine Art Hallodri daherkam und nun plötzlich mit einer todernsten Traurigkeit umgehen muss. Dieses Kippen des Charakters gibt der ganzen Handlung ein starkes Gewicht und der Figur des ROBERT SAX zusätzliche Ecken und Kanten, die nicht nur ihn interessanter machen. Auch das BRÜSSEL der 1950er Jahre ist mit seinem altstädtischen Charme, seinen verschneiten Gassen die perfekte Krimikulisse.
Dabei belassen es RODOLPHE und LOUIS ALLOING (sowie Kolorist DRAC) es nicht. Neben falschen Fährten, die hier ausgelegt werden, lassen die Comic-Künstler es sich nicht nehmen, einen absoluten Automobilklassiker in Szene zu setzen: einen PLYMOUTH FURY, Baujahr 1958, knallrot, mit weißen Seitenstreifen. Natürlich hätten sich die Comic-Künstler für jedes Automobil zu diesem Zweck entscheiden können. Automobile Klassiker aus jenen Tagen gibt es reichlich, auch sportliche. Und das Ergebnis? Ganz einfach: die Szenen mit dem PLYMOUTH FURY, als fahrbares Utensil ebenso wie als kurzfristige Werkstattkulisse sind schlicht eine Augenweide. 🙂
RODOLPHE gelingt eine ausgewogene Mischung aus persönlicher Tragödie, aus detektivischer Arbeit, Action und dem Aufbau von Beziehungen und dem Vertiefen von Freundschaften. ROBERT SAX als Serienheld kommt dem Leser näher. Neben der Spannungssteigerung gelingt es RODOLPHE, Mitleid für ROBERT SAX zu wecken. Plötzlich wird aus dem Tunichtgut und Schürzenjäger ein Mann, der mit seiner Vergangenheit (völlig zu Recht) hadert und bei anderen Menschen nur langsam auftaut.
LOUIS ALLOING kann sich für Szenen generell Zeit lassen. Der Aufbau, oft über mehrere Seiten hinweg, ist ruhig (für den Leser, nicht grundsätzlich für ROBERT SAX oder seine Mitstreiter). Bilder (und Text) leiten den Leser ungeheuer versiert, streuen Atmosphöre und Information punktgenau ein. Ein gutes Beispiel ist ein Gespräch zwischen dem Chefmechaniker von ROBERT SAX und der Sekretärin. Aktuelles Geschehen und Rückblick werden geschickt, für das Auge flüssig, ineinander verwoben.
Sehr viel ernsthafter als die erste Folge kommt Band 2 der Serie ROBERT SAX daher. Gab es im ersten Thriller noch Anflüge einer humoristischen oder auch satirischen Note, geht es hier (wie bei einem Krimi mit einem Serienmörder nicht anders zu erwarten) todernst zur Sache. ROBERT SAX selbst muss sich seiner Vergangenheit stellen. Die damit erreichte dramatische Tiefe richtet sich alsbald nach außen, denn eine alte Wunde scheint nur durch die Lösung eines Kriminalfalls zu schließen sein. VERLORENES PARADIES nennt RODOLPHE diese Wunde. Gleichzeitig ist VERLORENES PARADIES auch ein Schwelgen in einer leicht romantisierten BRÜSSELER VERGANGENHEIT (in der nicht alles besser war, aber vielleicht eine Spur konzentrierter). LOUIS ALLOING, der Zeichner, hat seine Figuren und sein dramatisches Umfeld im Griff, vertrautes Ambiente, vertraute Charaktere, die zudem an der Geschichte wachsen dürfen. Ein Wohlfühlkrimi! 🙂
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Freitag, 17. November 2023
SONNY ist ein ganz normaler Mann, durchschnittlich, passt auf seine alte Mutter auf und schlittert da in eine Sache rein. Eine ganz besondere Sache. Eine besonders widerliche Sache. Furchtbar. Eigentlich wollte er nur helfen. Leben retten. Doch plötzlich sind da zwei Tote. Nackt. Gefoltert. SONNY kam zu spät. Aber er hat noch eine Chance. Er muss sich beeilen. Und er muss auf alles gefasst sein. Auf alles. Aber in erster Linie muss er sich verdammt beeilen! Bevor er schon wieder zu spät kommt.
RICK REMENDER hat sich nicht nur als Comic-Autor etabliert, sondern auch als Garant für starke Geschichten, die ungewöhnliche Wege gehen. A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist eine dieser Geschichten. Mischungen aus FANTASY und SCIENCE FICTION, KILLER (wie in DEADLY CLASS) oder knallharte und satirische SPACE OPERA (wie in FEAR AGENT) waren seine bisherigen Themen.
RICK REMENDER setzt sich selbst keine Grenzen, nimmt Bekanntes und setzt Neues hinzu oder stellt direkt ein Genre auf den Kopf. Hier in A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist er sehr ernst, sehr nah an der Realität (na, ungefähr, denn wer die Nachrichten verfolgt, wird einige Parallelen finden), mitreißend, aufwühlend, mit einer Story, die den Leser (mir) zuweilen ein paar Atemaussetzer beschert hat. Ähnlich, wie es ein Film oder eine Serie manchmal vermag, schafft es A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE, einen die Umgebung vergessen zu lassen und ganz in die Handlung einzutauchen.
Es gibt nur wenige Brüche, die zum Aufatmen einladen, allenfalls dann, wenn die Handlung einen Sprung hinlegt, zum Beispiel ein halbes Jahr verstreicht. Zuvor, wenn der Leser die vergehenden Stunden ausführlich mitverfolgen kann, bleibt keine Zeit für eine Pause. Außerdem erzählt RICK REMENDER seinen THRILLER unter eine Prämisse: TRAUE NIEMANDEM. Unter dieser Voraussetzung hält RICK REMENDER die Spannung non-stop hoch, denn man weiß NIE (!), wo der nächste Wendepunkt wartet, welches Schicksal im nächsten Moment um die Ecke kommt.
So eine Geschichte, spannend und brutal, braucht einen Comic-Künstler, der die Geschichte möglichst realistisch inszenieren kann, ansonsten funktioniert es nur halb so gut. ANDRÉ LIMA ARAÚJO (und CHRIS O’HALLORAN) ist so ein Zeichner, der aus einem anfangs unbekannten Charakter eine lebende und leidende Figur macht, die dem Leser ans Herz wächst: SONNY. Stilistisch bedient sich ANDRÉ LIMA ARAÚJO beim MANGA und bei modernen AMERIKANISCHEN STILEN. Dünne Outlines, feinste Linien innen arbeiten die nötigsten Details heraus. Hautfalten, Faltenwurf der Kleidung, Schweißtropfen, Bartstoppeln. Dünn angelegte Streifenmuster symbolisieren rasante Geschwindigkeit. Daneben finden sich teils fein ausgearbeitete Hintergründe, wie es der MANGA- bzw. ANIME-FAN kennen mag. Hier kann es aber von beruflichen Hintegrund ANDRÉ LIMA ARAÚJOS herrühren, denn der Portugiese ist ebenfalls Architekt.
In Sachen Bildeinstellung und Zooms auf Gesichtsausdrücke werden MANGA-FANS ebenfalls einige der bekannten Techniken wiedererkennen. Aber COMIC-FANS mehr der amerikanischen Machart oder der europäischen müssen sich keine Sorgen machen und nicht abgeschreckt sein. A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE nimmt sich gleichfalls ein Beispiel an filmischen Vorbildern. Lange Sequenzen, zueinandergehörende Bildfolgen erinnern an die Arbeiten von SERGIO LEONE oder QUENTIN TARANTINO, die Rasanz mancher Szenen könnte auch in einem Film von JOHN WOO vorkommen. Kurzum, die Bilder von ANDRÉ LIMA ARAÚJO (nach entsprechenden Vorgaben von RICK REMENDER) finden ihre Parallelen in der Popkultur, beziehen von dort ihre Modernität. Kennen muss man diese Idole und ihre Arbeiten aber nicht.
Helden wider Willen, Killer und finstere Machenschaften sind eine Seite der Medaille und erfinden das Rad nicht neu. Wo RICK REMENDER und ANDRÉ LIMA ARAÚJO enorm punkten können, sind Atmosphäre und Charakterentwicklung beziehungsweise die Charakterzeichnung. Plötzlich steht eine Aufgabe oder ein Problem im Raum. Wie wird das gelöst werden? Wird derjenige, den es betrifft, überhaupt darauf eingehen? Wird er sich zurückziehen oder den nächsten Schritt wagen? Darüber hinaus entwickelt RICK REMENDER keine Dialoglandschaft. Charaktere reagieren mitunter wortlos oder wortreduziert. Dem entgegen setzt ANDRÉ LIMA ARAÚJO Nuancen in Mimik und Gestik und erhöht so die Konzentration des Lesers auf die Details, die das Fundament der Geschichte auf der ganzen Strecke bilden.
Selten kommen Comics daher, die das Potential eines Vorbildcharakters für ein Genre haben: A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist so eine Geschichte. Erzählweise, Aufbau, grafische Gestaltung, die Ausgewogenheit zwischen Ruhe und Spannung machen aus A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE einen echten Pageturner. Das funktioniert als Comic und darüber hinaus generell als vorbildlicher Thriller. RICK REMENDER (Autor) und ANDRÉ LIMA ARAÚJO (Zeichner) präsentieren sich als Comic-Dreamteam. Starke Empfehlung! 🙂
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