Donnerstag, 02. Januar 2025
Ein Halunke betritt den kleinen Ort. Wir befinden uns irgendwann im Mittelalter, die Menschen sind gutgläubig, glauben noch an Zauberei und die Magie von Weihnachten. Ein guter Mensch ist er nicht, der Reisende und bei erster Gelegenheit wird ein Mann, der um ein paar Groschen bettelt, zurechtgewiesen und bedroht. Der Halunke will nichts hergeben, er will etwas einsacken und hat sich dazu einen Trick einfallen lassen. Doch dazu braucht er zwei Gesellen, die ihm helfen. In einer Kneipe findet er zwei Helfershelfer, doch die sind bereits ziemlich betrunken …
Es gibt ein paar klassische Comic-Zeichner, die gehören einfach in die Riege der Top-Künstler ihres Fachs. Einer davon ist JEAN MARIETTE alias MITTÉÏ. Für das Magazin TINTIN schuf er in den 1960er Jahren herzerwärmende Geschichten und Illustrationen sowie Comics zum Thema WEIHNACHTEN. Dazu entführte er gerne in mittelalterliche Vergangenheiten oder auch in literarische Umgebungen im Sinne der berühmten WEIHNACHTSGESCHICHTE von CHARLES DICKENS, der Weihnachtsmär schlechthin. Wenn sich MITTÉÏ jedoch im Umfeld seiner eigenen Epoche bewegt, weiß er aus meiner Sicht noch mehr zu gefallen und die geweckten Emotionen werden deutlich stärker angeschubst.
WEIHNACHTEN À LA DICKENS ist mein Favorit im hier gezeigten Potpourri von MITTÉÏs Einfällen. Es ist zugleich eine Geschichte, die am besten in unsere Zeit passt, da Armut, im Speziellen Kinderarmut, eines der großen Themen unserer Gesellschaft ist. Ein Lastkraftwagen mit einer großen Ladung voller Sachen, die Weihnachten schöner machen können, kommt in einer Winterlandschaft von der Straße ab und fällt einem kleinen Jungen sozusagen vor die Füße. Anstatt die Ware wieder einzusammeln, überlässt der Besitzer der Waren dem Jungen die komplette Ladung.
MITTÉÏs Arbeiten reichen, wie kurz angedeutet, weit über den normalen Comic hinaus. In großformatigen Illustrationen, aquarelliert, teils getuscht, teils ungetuscht, zeigt er die wunderbare Bandbreite seines Könnens, denn selbst hier variiert er, wandelt den Stil seiner Figuren oder Kulissen. Der WEIHNACHTSMANN ist natürlich ein beliebtes Motiv. Fliegt dieser gerade nicht über den nächtlichen Weihnachtshimmel, liefert er sich sogar auf verschneiter Piste ein Wettrennen mit einem Rallyerennwagen. Und ganz gleich welches weihnachtliche Thema MITTÉÏ sich vornimmt, stets gelingt es ihm, eine schöne, friedvolle Atmosphäre aufzubauen, herzlich, aber oft auch mit viel Humor. Ein Bild mit Weihnachtszwergen in einem (das gehört eben dazu) verschneiten Wald ist ein schönes Beispiel für diese Behauptung.
Darüber hinaus zeigt MITTÉÏ sein Wimmelbildtalent. Eingangs findet sich eine Illustration aus den 1990ern, im Innenteil greift er diese Technik einmal mehr auf. Welche Figur macht hier was, wohin sind sie unterwegs? Findet sich vielleicht jemand, der oder die aus bestimmten Publikationen her bekannt ist? (Ja, gibt es. Gut hinschauen!) Neben märchenhaft (wie in den Geschichten WEIHNACHTEN MIT DUDELSACK, HOLZSCHUHE FÜR CRYSTAL oder DIE DREI STILLEN MESSEN, um nur ein paar zu nennen), literarisch und modern wird es nie vollends gefühlsduselig oder übertrieben feierlich. Im Gegenteil: In DIE DREI STILLEN MESSEN wird ein sündiger Pfarrer dazu verdonnert, noch 300 Christmetten zu lesen, andernfalls ist der Himmel für ihn passé. MITTÉÏ setzt mehr auf das menschliche Element, genauer Mitmenschlichkeit, so zum Beispiel in WEIHNACHTEN UNTER DER BRÜCKE, wenn Obdachlose, die sowieso sehr unter dem Winter zu leiden haben, dennoch ein (halbwegs) schönes Fest erfahren.
Besonders interessant (auch ein wenig kurios) ist die Geschichte DER ROTE WEIHNACHTSBAUM. Ein Junge mit einer gewissen Form der Farbblindheit hat noch nie einen GRÜNEN Weihnachtsbaum gesehen. Das ist so lustig wie weihnachtlich und könnte glatt eine Episode (von vielen) aus dem Leben von JACKY sein. Das ist in seiner erzählerischen Einfachheit und gleichzeitigen emotionalen Effektivität ziemlich bewundernswert.
Nicht alle vom Meister MITTÉÏ selbst geschrieben (aber die meisten), doch komplett illustriert, in einer feinen, und beschaut man sich die Comic-Landschaft, immer noch zündenden Stilistik mit Vorbildcharakter. MITTÉÏ zeigt hier verschiedene Techniken und kann mit jeder überzeugen. Kurzgeschichten, größere und kleinere Grafiken bieten etwas für das Auge und, natürlich passend zur beschriebenen Jahreszeit, für das Gefühl. Für Sammler und ganz besonders für Comic-Freunde! Sehr schön!!! 🙂
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Samstag, 03. Oktober 2020
Die goldenen Tage des Hollywood-Gruselfilms. Frankensteins Monster erwacht auf der Leinwand. Ein Vampir namens Dracula verschreckt die Kinozuschauer in schönstem Schwarzweiß. Zwei Darsteller des Genres haben sich in Hollywood einen Namen gemacht und sind bekannt für ihre Rivalität. BASIL ORLOFF und VLAD BURLANDI liefern im Film professionelle Arbeit vor der Kamera. Dahinter lässt einer am anderen kein gutes Haar. Beide arbeiten an SOL WURTZELS neuestem Film, DIE RACHE DES RABEN. Leider gerät das Werk noch während der Dreharbeiten in die Schlagzeilen, als der Schriftsteller CHARLES ANDERSON, ebenfalls am Film beteiligt, ermordet wird.
Eher zufällig wird der Detektiv HIPPOLYTE FYNN in die Aufklärung des Verbrechens hineingezogen. Der private Ermittler ist in Los Angeles längst kein Unbekannter mehr. Und besonders INSPEKTOR WHILLER von der Kriminalpolizei hat HIPPOLYTE FYNN sprichwörtlich gefressen, denn überall, wo der Detektiv auftaucht, liegen plötzlich auch Leichen auf der Szene.
Vor rund zwanzig Jahren erschien eine Reihe, deren Fokus auf dem Comic-Künstler PHILIPPE BERTHET lag. Den Auftakt machte DER DETEKTIV VON HOLLYWOOD. Besagter HIPPOLYTE FYNN durfte in mehr als nur einem Fall ermitteln. Er kehrte wieder im Band AMERIKA und in DAS GEHEIMNIS VON WRIGHTSVILLE, beide in der BERTHET-Reihe erschienen. In den nachfolgenden Geschichten bleibt er weiterhin mit HOLLYWOOD verstrickt. Insgesamt schreiben wir in den Krimis das Jahr 1939. Die Amerikaner drehen sich um sich selbst. Der Krieg ist anfangs weit weg. HIPPOLYTE FYNN gleitet durch diese Welt der Eitelkeiten mit großer Selbstverständlichkeit. Nicht immer behält er die Oberhand, manchmal ist auch der Spielball.
An HIPPOLYTE FYNNs Seite ist seine getreue Sekretärin CONNIE, die ihm fast schon mütterlich menschliche Fehler durchgehen lässt, obwohl sie im gleichen Alter wie der Privatdetektiv ist. Ihr wird von den Autoren PATRICK RIVIÈRE und BOCQUET immer mehr Raum gegeben. In Band 3, DAS GEHEIMNIS VON WRIGHTSVILLE, ist sie einmal mehr ermittelnd tätig, aber ohne Rückendeckung und gerät in höchste Lebensgefahr.
Wer klassische Krimis der schwarzen Serie Hollywoods mag, vielleicht immer noch einem SAM SPADE oder PHILIP MARLOWE nachtrauert, landet mit HIPPOLYTE FYNN genau an der richtigen Adresse. Dunkler als der Auftaktkrimi gerät AMERIKA. Plötzlich zieht eine Bedrohung auf, die niemand vorher so recht bemerkt hat oder bemerken wollte. Das ist von PATRICK RIVIÈRE und BOCQUET sehr elegant geschildert und für PHILIPPE BERTHET eine perfekte Vorlage. Seine klaren Linien und präzisen Charakterzeichnungen übertragen diese unterschwellige Stimmung perfekt. Das Titelbild von AMERIKA übersetzt das Gefühl hervorragend. HIPPOLYTE FYNN steht auf einem Friedhof an einem regnerischen Tag. Soeben wurde eine wichtige Person in Hollywood beerdigt.
BERTHETS Bilder fangen eine zeitweise mehr, mal weniger dekadente Gesellschaft ein. Man könnte so manchen der gezeigten Persönlichkeiten überkandidelt nennen. Da sind die schön eingefangenen, berühmten Horrordarsteller, die natürlich stellvertretend sind für ihre echten Pendants BORIS KARLOFF und BELA LUGOSI. Es gibt den Blick hinter die Kulissen, in Hollywood wörtlich zu nehmen. Reiche Orte stehen dunklen Schauplätzen gegenüber. Das ist fehlerfrei gestaltet, erschließt sich dem Auge schnell. Experimente unternimmt PHILIPPE BERTHET keine. PATRICK RIVIÈRE und BOCQUET verlassen sich oft über längere Bilderstrecken auf BERTHETs Gestaltung und lassen der Handlung ohne Worte ihren Lauf. Und es funktioniert.
Auch schon als Klassiker zu betrachten. Dank seines historischen Settings, seiner leichten Illustrierung und der konsequent strikten Erzählweise immer noch sehr zu empfehlen. Für Comic-Krimi-Liebhaber sowieso. 🙂
Nur noch antiquarisch erhältlich. Sich danach umzuschauen, lohnt sich.
Donnerstag, 18. Oktober 2018
Im kleinen Dorf der unbesiegbaren gallischen Krieger geht alles seinen gewohnten Gang. Obwohl vollkommen von vier römischen Lagern umzingelt, geht man auf die Jagd, schlägt Hinkelsteine, verkauft längst überfälligen Fisch und begeht andere Alltäglichkeiten. Mittendrin ASTERIX DER GALLIER, eine Zierde seines Volkes, unbeugsam, etwas klein geraten, seinem OBELIX ein guter Freund, seinem Stamm ein verlässlicher Krieger. Innerhalb des Stammes ist es kein Geheimnis, dass der Zaubertrankt des Duriden MIRACULIX den Menschen ihrer übermenschliche Stärke verleiht. Außerhalb davon machen sie die Römer ihre eigenen Gedanken und beschließen, einen Spion in die Reihen der Gallier zu schicken. Und tatsächlich: Die Mission gelingt. Nun wissen sie, wer und was hinter der Unbesiegbarkeit steckt. Und klar: Das wollen die Römer haben. Zuallererst entführen sie MIRACULIX. Doch der stellt sich als äußerst immun gegen ihre Überredungsversuche heraus. Versprechungen oder Folter (gekitzelt mit einer Feder): Nichts will fruchten. Also holen sich die Römer ihr nächstes Opfer: ASTERIX, den Gallier. Das ist ihr größer Fehler …
50 Jahre ASTERIX. Manche Comic-Figuren reifen über ein Menschenleben hinweg an, überleben sogar ihre Autorenschöpfer (wie hier RENÉ GOSCINNY, der leider 1977 schon verstarb) oder erleben es, dass ihr Schöpfer den Staffelstab an Nachfolger übergibt; so wie es ALBERT UDERZO tat, als Mit- und Nachfolgeautor (von GOSCINNY) sowie natürlich Zeichner der legendären gallischen Figur. Heutzutage sind JEAN-YVES FERRI und DIDIER CONRAD das neue Duo (seit inzwischen drei Alben) hinter den ASTERIX-Abenteuern.
In der ersten Geschichte, die hierzulande veröffentlicht wurde, fehlen noch ein paar Bestandteile, die später einen regelrechten Sucheffekt auslösten. Andererseits sind viele Bestandteile, die zum nachfolgenden und dauerhaften Erfolg der Serie beigetragen haben, bereits vorhanden: Der Mann mit seinen zwei Ochsen, den ASTERIX überredet Wagenhändler statt Ochsenhändler zu werden (eine Vorausschau auf spätere Staus auf Galliens Straßen). Der römische Spion sozusagen als Vorhut künftiger Bösewichte, die hinter das Geheimnis des Zaubertranks kommen bzw. den Galliern römische Lebensart beibringen wollen. Die Römer versuchen sich gegenseitig auszubooten, denn jeder mit einem höheren Rang möchte gerne den Posten von CAESAR einstreichen. Unbesiegbarkeit durch übermenschliche Stärke scheint da ein gutes Mittel zu sein.
Sucheffekt? Ja. (Obwohl ASTERIX mittlerweile auch einen Suchteffekt in sich birgt. Ansonsten würde der nächste Band wohl kaum so sehnsüchtig von den Fans erwartet.) Der Sucheffekt bezieht sich auf jene Prominente, die, von ALBERT UDERZO gezeichnet, in den Geschichten auftauchten: Wie etwa KIRK DOUGLAS, BERNARD BLIER, die BEATLES, DICK und DOOF oder RENÉ GOSCINNY selbst (und viele mehr).
OBELIX hat hier noch äußerst wenig zu melden. Er ist auch optisch noch nicht da angekommen, wo er dank ALBERT UDERZO in ersten Schritten hingelangt. Er ist füllig, groß, aber niemand würde ihn ärgern wollen und dick nennen. Hier gibt es noch ein paar Ecken und Kanten, nicht nur bei OBELIX, andere Charaktere wie zum Beispiel MIRACULIX, eine maßgebliche Figur für dieses Abenteuer, besitzen ebenfalls noch nicht die spätere Knuffigkeit, die einfach im Gedächtnis bleibt. In der vorliegenden Jubiläumsausgabe wird nicht nur auf die Entstehung von ASTERIX und die ursprüngliche Arbeitsweise des Künstler-Duos GOSCINNY/UDERZO eingegangen, vielmehr finden sich auch ein paar Entwicklungsskizzen, die zeigen, dass RENÉ GOSCINNY offensichtlich Althergebrachtes über Bord warf, als er den kleinen Gallier erdachte und UDERZO seine Ideen mitteilte.
Eine kurze Geschichte der ASTERIX-Alben hier in Deutschland, vom Start 1968, rundet den redaktionellen Teil der Ausgabe ab. Bereits 1988, zum 20. Jubiläum, wurde mit einer Sonderausgabe gefeiert. Selbst 20 Jahre sind für eine Comic-Serie eine stolze Zahl. 50 Jahre sind für jedwede fortdauernde Publikation, ganz gleich in welchem Genre und Medium, herausragend. RENÉ GOSCINNY und ALBERT UDERZO haben einen Reigen von Figuren geschaffen, die über die Jahrzehnte hinweg immer wieder im gallischen Mikrokosmos anpassbar waren (und sind). Es ist in vielerlei Hinsicht grandios, wie es den beiden stets aufs Neue gelang, aktuelle, auch zeitlose Themen des Miteinanders in dieser vielschichtigen Komödienreihe zu transportieren.
ASTERIX DER GALLIER (Jubiläumsausgabe, erhältlich ab 4. Oktober 2018): Bei Amazon bestellen.
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ASTERIX®- OBELIX®- IDEFIX® / © 2018 LES EDITIONS ALBERT RENE / GOSCINNY – UDERZO
Samstag, 07. Oktober 2017
JUGURTHA hat das Thema Rom endgültig beendet. Die Welt ist groß, die Feinde zahlreich und demzufolge ist der Friede, persönlich und für seine Schutzbefohlenen, oft nur eine Hoffnung. VANIA! Das Schicksal einer Frau führt den ehemaligen Fürsten auf eine weite Reise, durch das ehemalige persische Reich, weiter in die Mongolei, bis er ein gigantisches Bauwerk erreicht, eine gewaltige Mauer, die kein Ende zu nehmen scheint. Willkommen ist er nirgends, beinahe jeder glaubt in dem Fremden, der so ganz anders aussieht als die Völker Asiens, einen Gegner zu sehen oder jemanden, der sich für die eigenen Zwecke nutzen lässt …
Frei von der originalen Historie, in der JUGURTHA zwar existierte, aber im Kampf gegen das jahrhunderte lang allmächtige Rom unterging und starb, hat Autor JEAN-LUC VERNAL seinen JUGURTHA vor dem Tod gerettet, anschließend mit ein wenig Hoffnung, eine kurzen Andeutung von Frieden belohnt und schickt ihn nun in der zweiten Gesamtausgabe auf eine wahre Odyssee, nämlich auf einen tausende von Kilometern langen Weg. Die asiatische Welt jener Zeitperiode steht in Sachen Krieg und Gewalt der römischen in nichts nach.
JUGURTHA ist hier, dank seiner äußeren Erscheinung ein offensichtlicher Eindringling und Außenseiter in dieser Ecke der Welt. Das wird dem Leser beinahe auf jeder Seite vermittelt. Aber JUGURTHA ist kein Charakter, der auch die andere Wange hinhält. Er ist niemand, der auf das Austeilen verzichtet oder gar übertriebene Nachsicht übt. Für Gnade, würde er sie gewähren wollen, bleibt häufig gar keine Zeit. Bei der Verfolgung und all den Rettungsversuchen Vanias ist meist Hetzte angesagt. Das glatt rasierte Gesicht verliert sich oft in einem Vollbart. JUGURTHA ähnelt in seiner ganzen Aufmachung oft einem Wilden, einem Barbaren aus einer noch ferneren Epoche.
FRANZ, die künstlerische Kurzform von FRANZ DRAPPIER, festigt seinen Zeichenstil in diesen Abenteuern und grenzt sich zunächst komplett von seinem Vorgänger HERMANN, genauer gesagt, dem Frühwerk von HERMANN HUPPEN ab. In späteren Arbeiten HERMANNS nähern sich beide optisch und technisch sehr einander an. FRANZ‘ Arbeiten bestechen durch eine sehr ausgefeilte Schwarzweißtechnik, genauer gesagt penible Tuschearbeiten. Auffallend sind deshalb gerade Nachtszenen oder auch Visionen innerhalb der Handlung, wenn die Zeichnungen mit sehr wenigen Farbtönen auskommen und FRANZ hier und dort sogar auf Farbe verzichtet.
Die Handlung wird meisterhaft in Szene gesetzt. FRANZ ist auf jeder Seite um Authentizität bemüht. Kostüme, Ausstattung fallen besonders im Wechsel vom Mittelmeerraum hin zum asiatischen Umfeld auf. Kampf- und Massenszenen werden mit der gleichen Akribie zu Papier gebracht, wie es später mit Bauwerken wie der Chinesischen Mauer geschieht. In der Konstellation zwischen JUGURTHA und VANIA schleicht sich ein ähnliches Verhältnis ein, wie es auch zwischen STORM und ROTHAAR (von DON LAWRENCE) besteht. JEAN-LUC VERNAL muss spätestens durch diverse Zusammenspiele JUGURTHAS entdeckt haben, dass der Held am besten als Duofigur funktioniert.
VANIA, rothaarig, gewinnt von Abenteuer zu Abenteuer mehr Gewicht an der Seite des Helden oder in entsprechend erzählten Einzelgeschehnissen. Beide Figuren wachsen durch den Umstand, dass sie ein Paar auf Augenhöhe sind. Passend zur Entstehungszeit, einem Jahrzehnt des Umbruchs in den Traditionen, von der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bis zum Beginn der 1980er, hält hier ein moderneres Paar- und Frauenbild Einzug. Das sind nicht mehr TARZAN und JANE, hier sind beide gleich schlau und streitfähig, im Duo geradezu unschlagbar.
Absolut stark, um einen der Charakterzüge des Heldenduos aufzugreifen. Eine klassische Abenteuerinszenierung, die Geburtsstunde eines Liebespaares in einer Welt voller Lebensgefahren. Die zweite Gesamtausgabe von JUGURTHA macht den einstigen Heerführer zu einem Weltreisenden. Packend von FRANZ illustriert. Ein echter Klassiker! 🙂
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Dienstag, 27. Juni 2017
Numidien im 2. Jahrhundert vor Christus. Das römische Reich ist übermächtig und hat sich Herrn des Mittelmeeres aufgeschwungen. Überall, wo es nicht herrscht, hat es sich zum Aufpasser ernannt und kleinere Länder zu Vasallen degradiert. König Micipsa steht zu seinen römischen Freunden. Während seine Söhne Adherbal und der jüngere Hiempsal dem Müßiggang frönen, ist der Neffe des Königs, Jugurtha, in Spanien und kämpft an der Seite der römischen Truppen gegen die Feinde der römischen Republik. Die Erfolge Jugurthas und die damit einhergehende Bewunderung der Römer wecken ersten Neid unter den wahren Thronfolgern …
Die Vergangenheit, besonders die Antike, ist reich an Dramen rund um Könige und Fürsten. JEAN-LUC VERNAL hat sich einer historischen Figur angenommen, die durch ihren Machtanspruch und Geltungsdrang eigentlich alles andere als ein Sympathieträger war und ist. Denn in jenen Tagen gingen Machtwechsel oft mit Intrigen und Mord und Totschlag einher. JEAN-LUC VERNAL arbeitet in seiner Comic-Aufbereitung Gründe für JUGURTHAS Streben heraus, zeigt, dass der junge Numidier, der den Thron für sich selbst wünscht, nichts anderes macht, als Gleiches mit Gleichem zu vergelten. JUGURTHA ist ein Sohn seiner Zeit und derartiges Vorgehen ist so gewöhnlich wie das Atmen.
Es kommt also, wie es kommen muss, der König stirbt und gleich drei Anwärter auf den Thron stehen Schlange. Darüber hinaus verfolgt Rom seine eigenen Interessen in Numidien. Im ersten Zyklus über JUGURTHA beschreibt JEAN-LUC VERNAL die stetig wachsenden Auseinandersetzungen JUGURTHAS mit seinen Vettern. Die Einmischungen Roms kippen nur zusätzlich Öl ins Feuer und erbringen kaum den gewünschten Frieden. Das Leben des jungen Numidiers ist Kampf, gekrönt von kurzen Erfolgen, schweren Niederlagen und Enttäuschungen. JEAN-LUC VERNAL ließ das Ende des ersten Lebensabschnitts seines Helden offen. Drama lautet das Ergebnis. Das Ende sieht kaum nach einer Wende zum Besseren aus.
Der bekannte Comic-Künstler HERMANN (Huppen) hat sich selbst mit COMANCHE und natürlich ANDY MORGAN sehr früh ein eigenes Comic-Denkmal gesetzt. Unzählige weitere Veröffentlichungen untermauerten seinen Erfolgsweg, der bereits in der 1960er Jahren seinen Anfang nahm. Die Arbeit an JUGURTHA entstammt jenem Karrierestart. HERMANN zeigt seine Vielseitigkeit, indem er hier in diesem antiken Historienepos alle Register seines frühen Könnens zieht, denn er entwickelte sich weiter. Hier finden sich noch seine ursprünglichen Gesichtsformen, später hielt eine weitaus größere Variabilität in die Züge der unterschiedlichen Charaktere Einzug.
An der szenischen Gestaltung ist, natürlich auch immer ein Kind der jeweiligen Zeit, in der sie entstanden ist, ein gutes Einfühlungsvermögen für die jeweilige Atmosphäre abzulesen. Wo HERMANN stets brilliert, sei es hier in JUGURTHA oder auch in anderen Szenarien, ist die komplexe dramatische Sequenz. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Action handelt oder eine intrigante Zuspitzung von shakespeareschen Ausmaßen. Getümmel, aufgebrachte Menschen, flehende Blicke und mehr werden ausgewogen auf die Bilder verteilt, teils in Collagen zerkleinert. Das ergibt fast eine Miniaturgeschichte und ein Erzählmerkmal, das selbstverständlich der damals häufigen Erscheinungsform in Comicmagazinen geschuldet ist.
FRANZ (Drappier) war HERMANNS Nachfolger am Zeichenstift. Als Leser merkt man nichts von der Schwere des Erbes, das FRANZ bei der Übernahme des Szenarios gefühlt haben soll. Dem ehemaligen Jockey gelingen großartige Charakterköpfe, die weitaus unterschiedlicher ausfallen als bei seinem Vorgänger HERMANN. Die Wirkung seiner Bilder ist etwas kräftiger. Die illustratorische Verwandtschaft ist zu Kollegen wie JEAN GIRAUD oder GREGORZ ROSINSKI weitaus größer als zu HERMANN.
Nachdem mit den Episoden DER LÖWE DER WÜSTE und DIE MASKE DES KRIEGES der rein historische Teil abgeschlossen ist, lässt JEAN-LUC VERNAL die Vorlage fallen. Die wahrscheinliche Hinrichtung JUGURTHAS durch die römische Republik umgeht JEAN-LUC VERNAL geschickt und schickt den einstigen Thronfolger mit DIE NACHT DER SCORPIONE und DIE VERGESSENE INSEL auf eine Reise ins Ungewisse. Und je weiter die Reise geht, zusammen mit vielen anderen, die abseits des römischen Einflusses ein neues Leben beginnen wollen, umso fantastischer wird es. Hier bieten sich schleichende Vergleiche zur Serie THORGAL an.
Zuerst ein historischer Klassiker, dann zunehmend ein fantastisches Abenteuer. Fast scheint es, als habe JEAN-LUC VERNAL nur darauf gewartet, die historische Fessel abzuwerfen, um seiner Fantasie völlig freien Lauf zu lassen. Gerade durch die sehr ausgefeilte Illustration von FRANZ (Drappier), seinem Hang zu penibler Kleinarbeit (perfekte Pferdeansichten, Kostümentwürfe) ist die zweite Hälfte der ersten Gesamtausgabe hervorragend. 🙂
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Samstag, 24. September 2016
In Seebühl am Bühlsee verbringen kleine Mädchen ihre Sommerferien. Die jugendlichen Gäste kommen von überall her. Luise hat sich gut eingelebt, neue Freundinnen gefunden. Eines Tages kommen mit dem Bus neue Urlaubsgäste und die Mädchen staunen nicht schlecht, als Lotte aussteigt und mit Aussehen, den blonden Haaren, Statur und Alter wie eine Kopie von Luise aussieht. Luise ist erschüttert und rennt erst einmal weg. Auch in nächster Zeit mag sie der Neuen nicht begegnen.
Der ewige Klassiker von ERICH KÄSTNER. DAS DOPPELTE LOTTCHEN ist bei weitem nicht seine einzige sehr bekannte Veröffentlichung, doch sicherlich jene, die sich am meisten ins Gedächtnis einer generationenübergreifenden Leserschaft eingeprägt hat. Die Comicumsetzung von ISABEL KREITZ greift die Originalerzählung auf und versetzt den Leser zurück in die Jahrzehntenwende der 40er hin zu den 50er Jahren, im 20. Jahrhundert. Vieles ist anders, einfacher vielleicht sogar. Vieles ist aber auch ähnlich, aus heutiger Sicht sogar modern, ja fast schon normal zu nennen.
ERICH KÄSTNER beginnt seine Geschichte mit einem Ferienerlebnis und einem gelüfteten Geheimnis. Der Titel deutet es an, das Titelbild sowieso und es ist nach so vielen Jahrzehnten und diversen Verfilmungen wohl kein Geheimnis, dass es sich bei den beiden LOTTCHENS um Zwillinge handelt. Für die Zeit damals war das Geheimnis hinter der Trennung der Zwillinge für eine Kindererzählung mutig und frisch zu nennen. Die Eltern, geschieden, haben die beiden Töchter heimlich unter sich aufgeteilt. Eines Tages landen beide zufällig in derselben Ferienfreizeit und entdecken nicht nur ihre Ähnlichkeit, sondern forschen auch nach, ob mehr hinter diesem unglaublichen Zufall steckt.
ISABELL KREITZ hat sich in den letzten Jahren nicht nur mit Kästner-Adaptionen ins Herz der deutschen Comic-Begeisterten gezeichnet, sie erregte ebenfalls mit Geschichten für ein erwachsenes Publikum, DIE SACHE MIT SORGE und DIE ENTDECKUNG DER CURRYWURST Aufsehen. Kurzum, sie gehört zu den Comiczeichnern in Deutschland, die das Medium auch in Kritikeraugen salonfähig gemacht haben. DAS DOPPELTE LOTTCHEN in ihrer Version erweckt die Vergangenheit zu neuem Leben, wie es zum Beispiel ein Schwarzweißfilm aus jener Zeit nicht könnte. Denn in den Bildern lässt sich ein anderes Fühlen, grundlegenderes Denken jener Tage sehen. Die Menschen sind enger beieinander, so scheint es. Natürlich ist das gleichfalls romantisierend, Hinweise darauf fehlen nicht, aber der Gesamteindruck ist heimeliger, als es ein vergleichsweise modernes Setting vermögen würde.
Hier wird, anders gesagt, der Charme eines grafischen Stils eingefangen, den ein Walter Trier damals in der Originalzeit kultiviert hat. Triers bekannteste, bei weitem nicht die einzige, Arbeit ist wohl das Titelbild zum Buchklassiker EMIL UND DIE DETEKTIVE, dem auch eine Briefmarke gewidmet wurde. Rundliche, etwas pausbäckige Gesichter, Knopfaugen, mit leichtem Strich erfasst, auf den Punkt gebracht sozusagen, ziehen sich als Erscheinungsbild quer durch alle Charaktere der Geschichte.
Es ist ein liebevoll gezeichneter Blick in vergangene Lebensrealitäten, in Wohnungen, Küchen, in den Straßenverkehr und auf die Alltagskleidung in München und Wien. Das Freizeitverhalten und so mancher Wunsch von Erwachsenen und Kindern wirkt aus heutiger Sicht nostalgisch verklärt, vielleicht sogar ein bisschen naiv. Die beiden Mädchen haben, auch hier erzählt man kaum ein Geheimnis, ähnlich wie der Prinz und der Bettelknabe, die Plätze getauscht und lernen so ihre bis dahin jeweils unbekannten Elternteile kennen. Da weder Mutter noch Vater mit diesem Tausch rechnen, bleibt der Plan von Luise und Lotte vorläufig unentdeckt.
In sachten, weichen Farben, einer Postkartenrührseligkeit der 50er Jahre gut nachempfunden, entspinnt sich die von Kästner geschriebene und von Kreitz fein inszenierte Kindergeschichte hin zu einem, natürlich, guten Ende. Die Erwachsenen tun schließlich, inspiriert vom Leid der Kinder, die einfach nach Gutdünken von ihren Eltern getrennt wurden, das Richtige.
Ein schöner Ausflug in die Vergangenheit, ein Ausblick, wie Kindheit einmal war, sicherlich auch etwas märchenhaft, etwas nostalgisch überzogen, aber das erhöht die Eindringlichkeit der Geschichte, die dafür geeignet ist von Kindern und Eltern zusammen gelesen zu werden. Klasse. 🙂
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Freitag, 09. Oktober 2015
La Escondida. Diese Insel gehört dem Mönch. Das Gesicht des Verbrechers ist unbekannt, seine wahre Identität geheim. Manchen behaupten, er sei unsterblich. Seine Methoden ist grausam, aber effizient. Ist einmal eine Entscheidung gefallen, gibt es kein Zurück mehr. Eine Einstellung, die auch seine Gefolgsleute verinnerlicht haben. Als Japaner auf der Insel landen, einzig nur um ihre Vorräte etwas aufzufrischen, werden sie Zeuge eines Hilferufes. Damit ist ihr Leben, sogar das der ganzen Mannschaft verwirkt. Ein Maschinengewehr wird enttarnt, desgleichen richtet sich ein kapitales Geschütz auf das japanische Schiff in der Bucht aus. Das Überraschungsmoment lässt den Seeleuten keine Chance.
Das Meer ist in dieser Geschichte wie außerirdischer Grund und Boden. Weit und glatt lässt es einen weiten ungeschützten Blick in die Ferne zu. Die Planken eines Schiffes bedeuten hier den Unterschied zwischen Leben und Tod. Und genau hier steigt Hugo Pratt in die Geschichte ein, indem er es zwei Schiffbrüchigen gestattet, in dieser Einöde das Glück zu haben, von Piraten gerettet zu werden. So beginnt die Südseeballade und der Geburtsprozess von einer der berühmtesten Figuren des europäischen Comics, nämlich CORTO MALTESE.
Es ist der Trick der Unbestimmtheit, der dieses Südseeabenteuer so zeitlos werden lässt. Die Figuren enthüllen sich langsam durch ihre Taten, weniger durch ihre Vergangenheit. CORTO MALTESE selbst betritt die Bühne dieser Geschichte treibend auf See, auf ein Floss gekreuzigt, immerhin nicht sofort getötet. Auch jene, die ihn finden, allen voran der ebenso undurchsichtige wie brutale Rasputin, hätten nichts dagegen, wenn der ausgesetzte Pirat das Zeitliche segnen würde. Doch da gibt es noch eine geheimnisvolle Gestalt im Hintergrund, die im aufziehenden Weltkrieg, der seine Schatten selbst im Pazifik voraus wirft, ihre eigenen Fäden spinnt.
Bei der Lektüre überträgt sich eine gewisse Stille der pazifischen Welt, in der die Inseln selten sind, das Meer oft ruhig ist, aber wenn es erwacht, gnadenlos zuschlägt. Entweder sind es die Wellen, die nach dem Leben der Menschen greifen oder es sind seine Inselbewohner, die Ureinwohner oder die Eroberer. Da scheinen zwei Jugendliche, die Schiffbrüchigen Pandora und Cain, ganz von selbst wegen ihrer puren Naivität dem Untergang geweiht. Gäbe es nicht CORTO MALTESE, dem Piraten mit dem blendenden Aussehen und einer Moral, die ihn vor Übergriffen auf Hilflose zurückschrecken lässt.
In einer Skizzentechnik, mit der auch Tagebuch geführt werden könnte, reiht Hugo Pratt mit schnellen, treffsicheren Strichen Bild an Bild. Er benötigt nur wenig Ausdruck zur Charakterisierung seiner Figuren. Hier tritt ein weiterer Trick zutage, nämlich dem Auge des Lesers die Vervollständigung der äußerlichen Erscheinung zu überlassen. So mag jeder darin seine zeitgemäße Vorstellung von Menschen sehen. War es in der seiner ersten Auflage ein Marcello Mastroianni als perfekte Verkörperung von CORTO MALTESE, passt heute ein Michael Fassbender. Aber das sind nur Beispiele. Pratts Figuren ähneln Leinwänden, die er dem Leser zur Verfügung stellt.
Dampfschiffe sind klobige Schattenrisse vor dem Horizont. Sie wirken wie Fremdkörper in dieser Welt, in der sich die Ureinwohner angepasst haben, eine eigene Zivilisation, eigene Lebensweisen, eigene Boote und Bauweisen ihrer Siedlungen entwickelt haben. Selten sind Eindringlinge in Comics so auffällig dargestellt worden. Europäer und der Asiaten sind mit ihren Streitigkeiten enorme Fremdkörper, was ihren Zwist stets unwirklich erscheinen lässt. Diese Unwirklichkeit wird durch eine Figur wie den Mönch, der auch der Fantasie eines Edgar Wallace entsprungen sein könnte, noch verstärkt. Der Mönch ist eine geheimnisvolle Figur, die selbst in dem Moment, als sie sich öffnet und Teile ihrer Vergangenheit preisgibt, noch weiter verschließt. Aber da gibt es noch Corto Maltese, der … das wird nicht verraten.
Ein romantischer Blick auf die Südsee, ein ganzer Kerl, gute Freunde und eine stolze Menge von Halunken. Hugo Pratt hat eine der geradlinigsten Abenteuergeschichten der Literatur abgeliefert, die sich in die großen Seeklassiker wie Die Schatzinsel, Captain Blood oder Lord Jim einreiht. Ein Mikrokosmos in der Weite einer trügerischen See ist die Heimat eines Helden, der sich immer aufs Neue aus einer misslichen Lage zu befreien weiß. Ein optisches Piratentagebuch mit einem jener Helden, denen jugendliche Leser nacheifern möchten. Mit leisen philosophischen Komponenten erzählt, unaufdringlich eingebaut, überzeugt CORTO MALTESE zusätzlich mit Tiefe und bleibt deshalb lange im Gedächtnis. Toll! 🙂
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Freitag, 14. August 2015
Andere Länder, andere Sitten. In Afrika liegen die Löwen mitunter auf den Schienen und blockieren den Verkehr. Da ist es dann auch die Aufgabe des Lokführers die Großkatzen mit aufgespanntem Regenschirm zu verscheuchen, damit die Fahrt fortgesetzt werden kann. Pips, das Eichhörnchen, beweist Mut, indem es einen wilden Elefanten zu Fall bringt, artistisch und flink. Auch danach ist es allzu schnell bereit, für seine beiden menschlichen Freunde in die Bresche zu springen. Doch Elefanten sind das Eine, menschliche Feinde das Andere, besonders, wenn diese in der Überzahl sind. Und so kann Pips erst wieder mit seinen Talenten punkten, als es an die Befreiung von Spirou und Fantasio geht.
Aktion Nashorn. So lautet der Titel des ersten Abenteuers der beiden Helden in dieser dritten Folge der Gesamtausgabe. Interessant ist es zu sehen, wie zunächst nichts darauf hindeutet, die Geschichte könnte jemals etwas mit einem Nashorn zu tun haben. Erst mit dem Eintreffen auf dem afrikanischen Kontinent steigt die Wahrscheinlichkeit für ein Zusammentreffen mit diesem urwüchsigen Tier. Das Geheimnis der Erzählweise, dass alles möglich ist und alles zu jeder Zeit und immer passieren kann, wird auch hier fortgesetzt. Ein einmal angelegter Handlungsort kann flugs wechseln.
In Afrika bedient sich Franquin einiger Klischees, aber darüber sollte im Sinne einer zeitlichen Einordnung innerhalb der Comic-Geschichte getrost hinweg geschaut werden. Die Handlung ist durchweg humorvoll, niemals gehässig und darin liegt auch ein weiteres Geheimnis des Erfolgs von Spirou + Fantasio verborgen. Warum Aktion Nashorn? Das soll nicht verraten werden. Nur eines: Es hat mit einem der ungewöhnlichsten Verstecke zu tun, die jemals in einer Geschichte aufgetaucht sind. Ganz gleich in welcher.
Champignons für den Diktator. Hat es irgendwann einen Comic-Titel gegeben, der mehr Neugier auf seinen Inhalt gemacht hat? Aber mehr noch: Fantasio drängt sich mehr und mehr in den Vordergrund. Spirou ist zwar der hauptsächlich namensgebende, doch scheint der Kollege durch sein humoristisches Potential mehr zum Spielen einzuladen, als es der ewige Page macht. Fantasio, sozusagen der Pierre Richard des Comics darf in Aktion Nashorn ersten Frauenkontakt haben, denn mit Steffani hält auch Frauenpower in die Serie Einzug. In Champignons für den Diktator ist Fantasios Vetter Zantafio wieder mit von der Partie und, ohne etwas zuviel zu verraten nach so langer Zeit, in der das Album auf dem Markt ist, in Der doppelte Fantasio ebenfalls.
Es lässt sich ohne Zweifel behaupten, dass Fantasio unter Andre Franquin ein wichtiger Motor der Abenteuer dieser Reihe wurde. Optisch haben die beiden Helden und ihr Umfeld das Erwachsenenalter erreicht. Sämtliche Rückstände aus frühen Comic-Tagen sind eliminiert. Obwohl es später noch deutliche Veränderungen in der Stilistik gab, existiert hier bereits eine zeitlose Form, die sich ebenfalls über die Jahrzehnte hätte retten können. Gummihafte Langmännchenfiguren, in diesen Bänden auf ein proportional schönes Maß reduziert, wandelten sich im Lauf der Zeit zu noch ausgeprägterem Gestaltendesign, das in der Bewegung mehr hippiehaft schlotternd wirkte.
Frankreich und das Radrennen: In Der doppelte Fantasio kommt auch Franquin nicht um dieses Thema herum. Natürlich nicht, ohne sich ausgiebig lustig darüber zu machen. Fantasios Anmerkung, nicht verstehen zu können, wieso ein blödes Rennen in den Bergen veranstaltet wird, ist nachvollziehbar. Gleich darauf gerät mit dem Erreichen des Gipfels alles aus dem Ruder. Am Ende ist Fantasio rückwärts fahrend sogar schneller als der Rest des Feldes im dritten hier vorliegenden Abenteuer Der doppelte Fantasio.
Automobilliebendes Land: Mit einem kurzen Abriss automobiler Geschichte kündigte der Verlag die Ausgabe von Aktion Nashorn an. Betritt hier nicht nur mit Steffani eine Frau die Bühne öfter wiederkehrend die Serie, ein Fahrzeug mit eigenwilligem Design, der Turbot, modern selbst nach heutigen Gesichtspunkten, darf den autobegeisterten Leser zu genauerem Hinsehen verführen. Der Turbot besitzt einen Hauch Futurismus, möglichst wenige äußere Elemente, besticht durch eine glatt wirkende, raketenähnlich Oberflächenstruktur. Der kreisrunde Kühlergrill ist ein Kernelement und selten, in der Realität versteht sich, wurde er so gut ins Fahrzeugdesign eingepasst wie hier. Kurzum: Hier wurde fast nebenbei ein Fahrzeugklassiker geschaffen, der nie auf der Straße fuhr, dafür aber umso denkwürdiger ist.
Abwechslungsreich: Reich an Ideen und Schwung. Unvorhersehbar und die Spannung stets haltend. Wenn eine Geschichte stets aufs Neue lesbar ist, selbst nach der x-ten Lektüre noch mitreißt, spätestens dann ist ein echter Klassiker entstanden. Franquin ist dieses Kunststück gelungen, mit charmanten Figuren und zeitlosen Plots. Toll! 🙂
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Donnerstag, 06. August 2015
ALAMO. Ein amerikanischer Albtraum. Eine kleine Bastion, bemannt mit Teaxanern, die den unbedingten Willen zur Unabhängigkeit besitzen, stellt sich der anrückenden mexikanischen Übermacht unter dem Befehl des Generals Santa Anna. Ein kleiner Junge erlebt die Schrecken dieser langen Schlacht. Die Eltern kommen im Kampf ums Leben. Das Kind versucht sie zusammen mit einem schwarzen Sklaven aus den Flammen zu befreien. Der Junge verbrennt sich fürchterlich, als er die glühenden Holzstücke mit bloßen Händen beiseite räumen will. Die Mexikaner rufen ihn nach der Schlacht Manos Quemadas, verbrannte Hände. Seinen richtigen Vornamen erwähnt der Junge niemals wieder.
Antonio Hernandez Palacios dürfte bei Lesern, die sich noch an Comic-Zeiten erinnern, in denen PRIMO eine Rolle spielte, nostalgische Gefühle auslösen. EL CID und der hier vorliegende MANOS KELLY waren Serienhöhepunkte dieses Magazins. Nun endlich liegt eine Gesamtausgabe des Westerns vor, der viele Facetten jener Region beleuchtet, die durch den Krieg der Vereinigten Staaten mit Mexiko in den Besitz der Amerikaner überging. Es beginnt mit einer Kurzgeschichte, die auf sehr aufschlussreiche Weise das Leben im Niemandsland beleuchtet. Nahe eines Brunnens, der seit jeher jedem, der an ihm vorüber zieht, zur Verfügung steht, hat sich ein Siedlerehepaar niedergelassen. Dieses Verhalten ist ein Affront gegen jeden anderen aus der Gegend. So lassen Widerstände nicht lange auf sich warten.
Ein meisterliches kleines Szenario erschließt den Charakter von MANOS KELLY. Gleichzeitig wird dem Leser ein sehr intensiver Blick auf die Lebensumstände in den Grenzländern des Westens geboten, in denen die blanke Natur zum Feind werden kann. Bisons und Indianer, authentisch dargestellt, lassen die Geschichte größer erscheinen, als sie eigentlich ist. Antonio Hernandez Palacio zeigt hier sein enormes Können als Schwarzweiß-Comic-Künstler. Feinste Striche meißeln die Landschaften und die Gesichter, geben den Figuren Konturen. Palacios spielt mit Licht und Schatten und erzeugt besonders mit den Auftritten der Indianer emotionale Momente.
Ein Spanier im Wilden Westen ist ein albenlanges Abenteuer und der eigentliche Auftakt des Western-Charakters MANOS KELLY. Wie in anderen Serien jener Tage erfolgte eine effektreiche, aber zuweilen psychedelisch wirkende Kolorierung, in der die wunderbare Tuschetechnik von Palacio leider verloren wirkt. Auch ist die Farbgebung zu diesem Zeitpunkt bei Palacio noch nicht derart technisch versiert, wie sie es ab dem dritten Abenteuer Das goldene Grab einmal sein wird. In der Gesamtausgabe lässt sich die Veränderung in der Arbeitsweise des Künstlers, der nicht nur zeichnet und malt, sondern seine Szenarien außerdem schreibt, sehr gut ablesen.
In Ein Spanier im Wilden Westen agieren Tusche und Farbe noch gegeneinander, Farbe überlagert sogar den sorgsamen Tuschestrich. Im zweiten Abenteuer, Der Goldberg, wiegen sie einander bereits auf, bevor sie im dritten Teil wirklich Hand in Hand aufgetragen werden und Palacio die bildhaften Bestandteile zu einem Ganzen verarbeitet. Durch die Strichtechnik, wie auch den Farbauftrag beginnt seine Technik der eines Paolo Serpieri zu ähneln. Im Realismus Comic-Künstlern wie Rafael Mendez (Hombre) nahestehend, werden sich bestimmt auch Fans dieses Zeichners für Palacio begeistern.
Obwohl für das zweite Abenteuer einige Farbfilme nicht vorlagen und nur der Schwarzweißstrich erhalten blieb, bietet gerade diese Geschichte eine der waghalsigsten Fluchten, die es in einem Western jemals zu bestaunen gab. Wie verberge ich meine Spur vor einer mich verfolgenden Horde indianischer Krieger? Die Antwort, die hier geboten wird, kann vor den mordernsten Erzählungen bestehen und würde, gäbe es eine entsprechende Renaissance des Westerns, auf der Kinoleinwand nachhaltig in Erinnerung bleiben. So kann man nur den Western-Freunden empfehlen, jene Sequenz zu lesen, die eine Flucht mit einem halsbrecherischem Höhepunkt beschreibt.
Der Cayuse-Krieg ist eine Arbeit von Antonio Hernandez Palacios, die die schöpferische Tätigkeit des Künstler auf einem Höchststand abbildet. Man fühlt sich optisch in eine Mischung aus Italo-Western und Jack-London-Erzählung hineinversetzt. Der Strich von Palacios ist einmal mehr gewachsen, beinhaltet nach heutigen Gesichtspunkten auch Anmutungen eines Ausdrucks von Namen Richard Corben und Enki Bilal. Die Hitze des Westens weicht einer lebensfeindlichen Winterlandschaft. Die zweite Hälfte ist ein über die Maßen spannend erzählter Akt, ein echter Pageturner.
Ein beeindruckendes Western-Epos, mit einer greifbaren Hauptfigur, ungewöhnlich dicht aufgebaut, grafisch insgesamt opulent gezeigt von einem Meister seines Fachs. Für Westernfreunde diesen spannenden Klassiker neu oder wieder zu erleben. 🙂
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Montag, 29. Juni 2015
Neue Besen kehren gut. Neue Vorgesetzte nicht immer. Weil neue Ideen auch über das Ziel hinausschießen können, falls Arroganz und mangelnder Durchblick sich die Hand geben. So macht Generalinspekteur Nichtsalsverdrus einen riesigen Fehler, als er beschließt, sich mit den unbesiegbaren Galliern anzulegen. Der obligatorische Angriff auf das Dorf, von dem ihm nur zaghaft abgeraten wird, gipfelt anfangs noch in einer Welle von Krankmeldungen, die von dem Bürokraten aus Rom, dem es nur um seine Karriere geht, schnell durchschaut wird. Die Attacke wird ausgeführt, doch selbst die bezogene Prügel führt nicht zur Besinnung. Im Gegenteil …
Eine Liebeserklärung an Frankreich mit all seinen menschlichen Eigenarten und einer reichhaltigen Küche und einer Vielzahl von Delikatessen. Gleichzeitig schufen Rene Goscinny und Albert Uderzo mit dem sechsten Band der ASTERIX-Reihe eine der schönsten Figurenpräsentationen der Comic-Geschichte. Die Römer hatten, nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal, eine ungeheuerliche Idee, nämlich die Gallier in ihrem Dorf einzusperren, damit der Unsinn mit der Unbesiegbarkeit langsam aber sicher der Vergessenheit anheim fällt. Nur lassen sich unbesiegbare Gallier nicht so einfach einsperren. So entsteht eine folgeschwere Wette.
Ein Jubiläum: Seit 1965 ist Idefix dabei. Obwohl Idefix im Schlussbild triumphierend einen Knochen davonträgt, sieht es zunächst nicht danach aus, als wäre hier ein dauerhafter Begleiter von Asterix und Obelix auf die Welt gekommen. Denn der kleine weiße Hund, der so ausdauernd neben den Lokalen und Geschäften, die von den beiden Galliern besucht werden, zu warten versteht, wird anfangs ziemlich von Asterix und Obelix ignoriert. Erst wieder im Dorf der unbesiegbaren Gallier angekommen, macht er mit einem Wuff-Wuff auf sich aufmerksam und erhält eine wohl verdiente Belohnung für die ganzen Mühen, die er bei der Tour de France ebenfalls auf sich genommen hat.
Der hier noch namenlose Idefix zeigt das Verhalten mancher herrenloser Hunde, die insbesondere in südlichen Touristengebieten den Menschen auf der Suche nach Nahrung hinterherlaufen. Hinter der Ausdauer des kleinen Hundes verbirgt sich, wie der Leser nach einer Vielzahl weiterer Abenteuer weiß, noch mehr. Ganz offensichtlich hatte Idefix in Obelix etwas mehr als nur einen Nahrungslieferanten erschnüffelt. Der Leser wusste es zuvor schon, schließlich war der kleine Hund für ihn bereits seit Asterix und Kleopatra hierzulande bekannt. Anzeichen von Charakter, später viel deutlicher und gerne in Sequenzen auch herausgestellt, zeigt Idefix früh. Gegen die Römer thront er nach dem Kampf auf dem Berg der Besiegten, bleibt stets an der Seite seines zukünftigen Herrchens.
Erste Annäherung im Hintergrund. Vorne hagelt es eine Backpfeife, im Bildhintergrund gibt es eine Streicheleinheit. Die Sanftheit, die Obelix hier an den Tag legt, stellt den Beginn einer wunderbaren Freundschaft dar. Idefix schaffte es schnell mit den Helden zusammen aufs Titelbild und rückte sogar stärker ins Zentrum des Interesses, etwa wenn er dem spanischen Häuptlingssohn (Asterix in Spanien) als tröstender Kamerad zur Seite steht und hilft, dessen Bockigkeit zu mildern (was nur zeitweilig gelingt, wie der Leser weiß). Vergleicht man den frühen Idefix mit seiner heutigen Variante, nach einem evolutionären Vorgang, den viele Comic-Figuren durchmachen, hat er zusammen mit Asterix und Obelix einen guten Teil seiner ursprünglichen Knuffeligkeit und Knubbeligkeit verloren. Mit mehr Kontur und mehr Gesicht kann der heutige Idefix viel besser schauspielernd ins Geschehen eingreifen.
Eines der Geheimrezepte von ASTERIX ist der Vergleich mit der Gegenwart, die für den Leser zum Zeitpunkt, als die Tour de France entstand, schon wieder Vergangenheit ist. Nichtsdestotrotz haben einige Gesetzmäßigkeiten und Lebensarten überdauert. Im redaktionellen Anhang wird auf die französischen Wirtschaftswunderjahre eingegangen, in denen sich diese Phänomene entwickelten (und die sich bis heute gehalten haben). Und die Tour de France selbst wurde zum Rezept. Reisen innerhalb und außerhalb des Landes haben sich schnell durchgesetzt, das Kennenlernen spezifischer Weggefährten ist mittlerweile fester Bestandteil. Einige der Figuren sind unvergesslich.
Uderzos Originalzeichnungen und Obelix als Marke. Nicht nur die gepriesene Umsetzung von Goscinnys Vorgaben ist bemerkenswert, sondern auch die überaus präzise Tuschearbeit Uderzos, dem es gelingt, auf einer einzigen Seite das Lebensgefühl Lutetias auf Papier zu bannen. Es wimmelt, es ärgert sich, es lebt regelrecht im gezeigten Straßenverkehr, der die Verhältnisse eines modernen Paris auf die Vergangenheit überträgt, als Pferdefuhrwerke und Ochsenkarren einander das Wegerecht in den Straßen und Gassen der antiken Großstadt streitig machen. Obelix wird darüber hinaus von vorn, hinten und seitlich präsentiert und somit als Marke amtlich vorgestellt. Für den Leser vergnüglicher ist der Stammbaum des properen Galliers, dem noch einige charakterstarke Nachfahren folgten.
Auch in der Menge der bislang erschienen Abenteuer immer noch einer der Höhepunkte der Serie, die gleichzeitig den ungeheuren Erfolg erklärt. Der feine satirische Blick auf die Menschen, Marotten und Zustände eines Landes ist stets pieksend wie liebevoll, nie streng, immer humorig und augenzwinkernd und die Einführung eine der feinsten Nebenfiguren der Comic-Geschichte dürfte zu den sinnigsten und schönsten gehören, die das Medium zu bieten hat. Ganz, ganz toll. 🙂
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