Freitag, 14. August 2015
Andere Länder, andere Sitten. In Afrika liegen die Löwen mitunter auf den Schienen und blockieren den Verkehr. Da ist es dann auch die Aufgabe des Lokführers die Großkatzen mit aufgespanntem Regenschirm zu verscheuchen, damit die Fahrt fortgesetzt werden kann. Pips, das Eichhörnchen, beweist Mut, indem es einen wilden Elefanten zu Fall bringt, artistisch und flink. Auch danach ist es allzu schnell bereit, für seine beiden menschlichen Freunde in die Bresche zu springen. Doch Elefanten sind das Eine, menschliche Feinde das Andere, besonders, wenn diese in der Überzahl sind. Und so kann Pips erst wieder mit seinen Talenten punkten, als es an die Befreiung von Spirou und Fantasio geht.
Aktion Nashorn. So lautet der Titel des ersten Abenteuers der beiden Helden in dieser dritten Folge der Gesamtausgabe. Interessant ist es zu sehen, wie zunächst nichts darauf hindeutet, die Geschichte könnte jemals etwas mit einem Nashorn zu tun haben. Erst mit dem Eintreffen auf dem afrikanischen Kontinent steigt die Wahrscheinlichkeit für ein Zusammentreffen mit diesem urwüchsigen Tier. Das Geheimnis der Erzählweise, dass alles möglich ist und alles zu jeder Zeit und immer passieren kann, wird auch hier fortgesetzt. Ein einmal angelegter Handlungsort kann flugs wechseln.
In Afrika bedient sich Franquin einiger Klischees, aber darüber sollte im Sinne einer zeitlichen Einordnung innerhalb der Comic-Geschichte getrost hinweg geschaut werden. Die Handlung ist durchweg humorvoll, niemals gehässig und darin liegt auch ein weiteres Geheimnis des Erfolgs von Spirou + Fantasio verborgen. Warum Aktion Nashorn? Das soll nicht verraten werden. Nur eines: Es hat mit einem der ungewöhnlichsten Verstecke zu tun, die jemals in einer Geschichte aufgetaucht sind. Ganz gleich in welcher.
Champignons für den Diktator. Hat es irgendwann einen Comic-Titel gegeben, der mehr Neugier auf seinen Inhalt gemacht hat? Aber mehr noch: Fantasio drängt sich mehr und mehr in den Vordergrund. Spirou ist zwar der hauptsächlich namensgebende, doch scheint der Kollege durch sein humoristisches Potential mehr zum Spielen einzuladen, als es der ewige Page macht. Fantasio, sozusagen der Pierre Richard des Comics darf in Aktion Nashorn ersten Frauenkontakt haben, denn mit Steffani hält auch Frauenpower in die Serie Einzug. In Champignons für den Diktator ist Fantasios Vetter Zantafio wieder mit von der Partie und, ohne etwas zuviel zu verraten nach so langer Zeit, in der das Album auf dem Markt ist, in Der doppelte Fantasio ebenfalls.
Es lässt sich ohne Zweifel behaupten, dass Fantasio unter Andre Franquin ein wichtiger Motor der Abenteuer dieser Reihe wurde. Optisch haben die beiden Helden und ihr Umfeld das Erwachsenenalter erreicht. Sämtliche Rückstände aus frühen Comic-Tagen sind eliminiert. Obwohl es später noch deutliche Veränderungen in der Stilistik gab, existiert hier bereits eine zeitlose Form, die sich ebenfalls über die Jahrzehnte hätte retten können. Gummihafte Langmännchenfiguren, in diesen Bänden auf ein proportional schönes Maß reduziert, wandelten sich im Lauf der Zeit zu noch ausgeprägterem Gestaltendesign, das in der Bewegung mehr hippiehaft schlotternd wirkte.
Frankreich und das Radrennen: In Der doppelte Fantasio kommt auch Franquin nicht um dieses Thema herum. Natürlich nicht, ohne sich ausgiebig lustig darüber zu machen. Fantasios Anmerkung, nicht verstehen zu können, wieso ein blödes Rennen in den Bergen veranstaltet wird, ist nachvollziehbar. Gleich darauf gerät mit dem Erreichen des Gipfels alles aus dem Ruder. Am Ende ist Fantasio rückwärts fahrend sogar schneller als der Rest des Feldes im dritten hier vorliegenden Abenteuer Der doppelte Fantasio.
Automobilliebendes Land: Mit einem kurzen Abriss automobiler Geschichte kündigte der Verlag die Ausgabe von Aktion Nashorn an. Betritt hier nicht nur mit Steffani eine Frau die Bühne öfter wiederkehrend die Serie, ein Fahrzeug mit eigenwilligem Design, der Turbot, modern selbst nach heutigen Gesichtspunkten, darf den autobegeisterten Leser zu genauerem Hinsehen verführen. Der Turbot besitzt einen Hauch Futurismus, möglichst wenige äußere Elemente, besticht durch eine glatt wirkende, raketenähnlich Oberflächenstruktur. Der kreisrunde Kühlergrill ist ein Kernelement und selten, in der Realität versteht sich, wurde er so gut ins Fahrzeugdesign eingepasst wie hier. Kurzum: Hier wurde fast nebenbei ein Fahrzeugklassiker geschaffen, der nie auf der Straße fuhr, dafür aber umso denkwürdiger ist.
Abwechslungsreich: Reich an Ideen und Schwung. Unvorhersehbar und die Spannung stets haltend. Wenn eine Geschichte stets aufs Neue lesbar ist, selbst nach der x-ten Lektüre noch mitreißt, spätestens dann ist ein echter Klassiker entstanden. Franquin ist dieses Kunststück gelungen, mit charmanten Figuren und zeitlosen Plots. Toll! 🙂
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Dienstag, 11. August 2015
Aufräumen. Waschen. Essen. Alles ganz brav und in der richtigen Reihenfolge. Für ein zappeliges Kind wie Nävis, dem Stillsitzen, lange Zuhören ein Gräuel ist, kann es kaum etwas Schlimmeres geben. Aber was unternimmt man nicht alles, wenn der ansonsten geliebte Lehrer, väterliche Freund und Aufpasser, der Roboter Nisob auf ein gewisses Maß an Disziplin drängt und man doch lieber das neue Computerspiel ausprobieren möchte? Gedacht, getan und bald wird die Nacht zum Tag und vor den Augen der kleinen Nävis entsteht ein völlig neues Leben, großartig bevölkert und soooo spannend … Wer kann da schon mit dem Spielen aufhören?
Computerspielsucht! In einer Welt, die nicht nur voller Gefahren steckt, in der Spielzeug Mangelware ist und neue Spielkameraden nur höchst selten den Weg von Nävis kreuzen, kann das Angebot einer komplett neuen Welt, in der man als Regent verehrt wird, höchst verlockend erscheinen. Nävis stellt sich einer neuen Aufgabe. In einer Welt, in der es bisher keine Veränderungen gab, soll sie regieren. Da stellen sich Fragen, die niemand aus ihrem Umfeld beantworten zufriedenstellend kann. Die Erzähler Jean David Morvan, Jose Luis Munuera und Philippe Buchet spielen sehr humorvoll mit einem modernen wie auch ernsten Thema. Nävis versinkt immer mehr in einer künstlichen Welt, während die echte Welt sich große Sorgen macht und sich schließlich fragt, wo Nävis überhaupt abgeblieben ist.
Jose Luis Munuera hat viel zu tun, denn eine Welt ist nicht genug. Um die kleine Nävis im Spiel nicht zu überfordern, werden sämtliche Spielfiguren als anthropomorphe Tiere dargestellt. Die auf zwei Beinen einher laufenden tierischen Untertanen sind ein knuffeliger Haufen, der wie im Mittelalter ein beschauliches Leben lebt (damals war es freilich nicht ganz so beschaulich). Immerhin ist es elendig genug, um Nävis dazu zu veranlassen, eine Veränderung der Lebensart herbeizuführen.
Chaos vorprogrammiert. Nävis, wie immer in ihrer Kindervariante genial von Munuera zu Papier gebracht, gibt gleich zu Beginn einen Vorgeschmack auf ihre spielerischen Eigenschaften. Regeln werden gemacht, damit sie gewinnen kann. Möglichst kompliziert, damit der einzige Mitspieler, die kleine sprechende Raubkatze Houyo, sie nicht vollends merken kann, weil, ist die Erklärung der Regeln einmal vorbei, ist auch schon das Spiel gelaufen und Houyo hat verloren. Wird jemand wie Nävis mit solchen Vorstellungen vom Spielen auf eine virtuelle Welt losgelassen, darf sich der Leser auf ein rundum gelungenes Spektakel freuen.
Denn neben der eigentlichen Welt gibt es in der virtuellen Welt Veränderungen, die andeuten, wie breit das Spektrum von Jose Luis Munuera ist. Mit der Darstellung seiner Figuren lässt er Parallelen zur Stilistik von Harald Siepermann (Alfred J. Kwak) erkennen. Eine verspielte Strichführung, in der der Striche einer ausgerundeten Linie folgen, schaukeln, und harte Schnitte verpönt sind. Munuera kann hier bereits seine mittelalterlichen Ambitionen zeigen, die er mit der Serie Zauber auslebt. Fans von Garulfo werden auch die wilde Aktion vor Burgenkulisse in der zweiten Hälfte des Abenteuers mögen.
Eine leicht erzähltes Abenteuer mit der wie immer quirligen Nävis. Eine kleine Lektion gibt es gleich dazu, ob gewollt oder ungewollt. Versiert und mit dem richtigen Dreh toll gezeichnet von Jose Luis Munuera. Macht Spaß! 🙂
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Donnerstag, 06. August 2015
ALAMO. Ein amerikanischer Albtraum. Eine kleine Bastion, bemannt mit Teaxanern, die den unbedingten Willen zur Unabhängigkeit besitzen, stellt sich der anrückenden mexikanischen Übermacht unter dem Befehl des Generals Santa Anna. Ein kleiner Junge erlebt die Schrecken dieser langen Schlacht. Die Eltern kommen im Kampf ums Leben. Das Kind versucht sie zusammen mit einem schwarzen Sklaven aus den Flammen zu befreien. Der Junge verbrennt sich fürchterlich, als er die glühenden Holzstücke mit bloßen Händen beiseite räumen will. Die Mexikaner rufen ihn nach der Schlacht Manos Quemadas, verbrannte Hände. Seinen richtigen Vornamen erwähnt der Junge niemals wieder.
Antonio Hernandez Palacios dürfte bei Lesern, die sich noch an Comic-Zeiten erinnern, in denen PRIMO eine Rolle spielte, nostalgische Gefühle auslösen. EL CID und der hier vorliegende MANOS KELLY waren Serienhöhepunkte dieses Magazins. Nun endlich liegt eine Gesamtausgabe des Westerns vor, der viele Facetten jener Region beleuchtet, die durch den Krieg der Vereinigten Staaten mit Mexiko in den Besitz der Amerikaner überging. Es beginnt mit einer Kurzgeschichte, die auf sehr aufschlussreiche Weise das Leben im Niemandsland beleuchtet. Nahe eines Brunnens, der seit jeher jedem, der an ihm vorüber zieht, zur Verfügung steht, hat sich ein Siedlerehepaar niedergelassen. Dieses Verhalten ist ein Affront gegen jeden anderen aus der Gegend. So lassen Widerstände nicht lange auf sich warten.
Ein meisterliches kleines Szenario erschließt den Charakter von MANOS KELLY. Gleichzeitig wird dem Leser ein sehr intensiver Blick auf die Lebensumstände in den Grenzländern des Westens geboten, in denen die blanke Natur zum Feind werden kann. Bisons und Indianer, authentisch dargestellt, lassen die Geschichte größer erscheinen, als sie eigentlich ist. Antonio Hernandez Palacio zeigt hier sein enormes Können als Schwarzweiß-Comic-Künstler. Feinste Striche meißeln die Landschaften und die Gesichter, geben den Figuren Konturen. Palacios spielt mit Licht und Schatten und erzeugt besonders mit den Auftritten der Indianer emotionale Momente.
Ein Spanier im Wilden Westen ist ein albenlanges Abenteuer und der eigentliche Auftakt des Western-Charakters MANOS KELLY. Wie in anderen Serien jener Tage erfolgte eine effektreiche, aber zuweilen psychedelisch wirkende Kolorierung, in der die wunderbare Tuschetechnik von Palacio leider verloren wirkt. Auch ist die Farbgebung zu diesem Zeitpunkt bei Palacio noch nicht derart technisch versiert, wie sie es ab dem dritten Abenteuer Das goldene Grab einmal sein wird. In der Gesamtausgabe lässt sich die Veränderung in der Arbeitsweise des Künstlers, der nicht nur zeichnet und malt, sondern seine Szenarien außerdem schreibt, sehr gut ablesen.
In Ein Spanier im Wilden Westen agieren Tusche und Farbe noch gegeneinander, Farbe überlagert sogar den sorgsamen Tuschestrich. Im zweiten Abenteuer, Der Goldberg, wiegen sie einander bereits auf, bevor sie im dritten Teil wirklich Hand in Hand aufgetragen werden und Palacio die bildhaften Bestandteile zu einem Ganzen verarbeitet. Durch die Strichtechnik, wie auch den Farbauftrag beginnt seine Technik der eines Paolo Serpieri zu ähneln. Im Realismus Comic-Künstlern wie Rafael Mendez (Hombre) nahestehend, werden sich bestimmt auch Fans dieses Zeichners für Palacio begeistern.
Obwohl für das zweite Abenteuer einige Farbfilme nicht vorlagen und nur der Schwarzweißstrich erhalten blieb, bietet gerade diese Geschichte eine der waghalsigsten Fluchten, die es in einem Western jemals zu bestaunen gab. Wie verberge ich meine Spur vor einer mich verfolgenden Horde indianischer Krieger? Die Antwort, die hier geboten wird, kann vor den mordernsten Erzählungen bestehen und würde, gäbe es eine entsprechende Renaissance des Westerns, auf der Kinoleinwand nachhaltig in Erinnerung bleiben. So kann man nur den Western-Freunden empfehlen, jene Sequenz zu lesen, die eine Flucht mit einem halsbrecherischem Höhepunkt beschreibt.
Der Cayuse-Krieg ist eine Arbeit von Antonio Hernandez Palacios, die die schöpferische Tätigkeit des Künstler auf einem Höchststand abbildet. Man fühlt sich optisch in eine Mischung aus Italo-Western und Jack-London-Erzählung hineinversetzt. Der Strich von Palacios ist einmal mehr gewachsen, beinhaltet nach heutigen Gesichtspunkten auch Anmutungen eines Ausdrucks von Namen Richard Corben und Enki Bilal. Die Hitze des Westens weicht einer lebensfeindlichen Winterlandschaft. Die zweite Hälfte ist ein über die Maßen spannend erzählter Akt, ein echter Pageturner.
Ein beeindruckendes Western-Epos, mit einer greifbaren Hauptfigur, ungewöhnlich dicht aufgebaut, grafisch insgesamt opulent gezeigt von einem Meister seines Fachs. Für Westernfreunde diesen spannenden Klassiker neu oder wieder zu erleben. 🙂
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Sonntag, 02. August 2015
Wo die Liebe hinfällt, erwachsen andere Prioritäten. Als Superheld zu agieren, wird zweitrangig. Auch die Befreiung einer alten Freundin kann da schon mal hintenan gestellt werden. Dabei ist es nicht einmal böse Absicht. Wo das Herz spricht, versagt der Verstand und die Vernunft. Dave Lizewski ist ein Superheld. Der Name seines Alter Egos lautet KICK-ASS. Inzwischen hat er eine unbestrittene Bekanntheit erlangt und ist der kriminellen Unterwelt mehr als nur ein Dorn im Auge. Nach einer kleinen Ruhephase, in der beide Seiten, Helden und Gangster, ihre Wunden geleckt und neue Kräfte gesammelt haben, übernimmt nun ein neuer Halunke die Führung der organisierten Kriminalität. Plötzlich haben KICK-ASS und seine Kollegen einen Gegner, dessen Brutalität selbst bei seinen eigenen Leuten berüchtigt ist.
Der finale Tritt in den Arsch. KICK-ASS macht das Triple voll. Und das Ende hat es in sich. Jugendliche Superhelden in einer Welt, die von Superhelden träumt. Wo die Industrie rund um das Thema mit Comics, Filmen und Merchandising boomt, aber wahre Helden Mangelware sind. In diese Welt ist KICK-ASS eingeschlagen wie eine Bombe und hat schnell Vorbildcharakter bekommen. Vorbild? An der Seite von HIT-GIRL lernt jemand wie KICK-ASS nur eines. Es werden keine Gefangenen gemacht.
Autor Mark Millar und Star-Zeichner John Romita Jr. verabschieden sich von KICK-ASS mit einem würdigen Finale, das die einzelnen Charaktere in den Comic-Ruhestand entlässt. Die besonders wichtigen jedenfalls. Für einige kommt es knüppeldick. Gewalt hat in der Welt der Superhelden von Anfang an ein Zuhause. Die sehr deutliche Darstellung, über einen gewissen Codex hinaus, wurde vor vielen Jahren zu den Akten gelegt. Dennoch schien diese Gewalt, die sogar Tote im engeren Kreis der Helden zur Folge hatte, nie ganz so ernst zu nehmen zu sein. Bei den verkleideten Helden wie KICK-ASS verhielt es sich komplett anders. Hier waren es eben Jugendliche, Normalbürger, die es mit ernsthaft fiesen Verbrechern zu tun bekommen.
Superhelden in Ausbildung. Nicht nur KICK-ASS lernte, wie in dieser Ausgabe, noch dazu. In Rückblicken erfährt der Leser mehr aus den Zeiten von Hit-Girls Ausbildung durch ihren Vater. John Romita Jr., der den perfekten Zeichenstil zwischen Comic und Realismus gefunden hat, gelingt die Verniedlichung seiner Figuren einerseits, um andererseits im nächsten Augenblick mit Schrecken von Mord und Totschlag im Mafiamilieu aufzuwarten. Selten war Zynismus im Comic besser getroffen als hier. Auf der Basis von Mark Millars Textvorlage und mit einem guten Tuscher (Tom Palmer) sowie einem Koloristenduo (Dean White, Michael Kelleher) können die Bilder ihre Wirkung zu einhundert Prozent entfalten.
Eines der großen Merkmale von John Romita Jrs. Bildern neben seinen szenischen Qualitäten ist die Vermittlung von Emotionen. Vielleicht liegt hier sein Geheimnis, das ihn auch verlagsübergreifend tätig werden lässt und ihn aber auch lange an diverse Einzelhelden gefesselt hat. In seinen Grafiken liegt eine intuitive Wucht. Er ist nicht der exakteste Grafiker im Business, aber sicher einer derjenigen, in dessen Bildern echte Leidenschaft übertragen wird. Das erklärt zum einem überwiegenden Teil den Erfolg von KICK-ASS. Mark Millar ist ein bewiesenermaßen talentierter und großartiger Erzähler (WANTED, SECRET SERVICE), aber ohne die Mitarbeit von John Romita Jr. hätte KICK-ASS niemals so gut funktioniert.
Es leben die Psychopathen: HIT-GIRL und Walter White, Verzeihung, Dr. Alex White. HIT-GIRL wird im Gefängnis einer psychiatrischen Untersuchung unterzogen. Ihr neuer Arzt, Dr. Alex White, ist optisch eine eindeutige Anlehnung an Mr. White aus Breaking Bad und szenisch gleichzeitig eine Verbeugung an gegenüber dem Patienten-Arzt-Verhältnis von Sarah Connor und Dr. Silberman in Terminator 2. HIT-GIRL ist nicht nur ein gandenloser Rächer, zufällig auf der richtigen Seite des Gesetzes, sonst wäre sie einfach nur ein Killer, sie ist auch ungewöhnlich intelligent und emotional abgebrüht. So besitzt das Duell zwischen ihr und Dr. White einen außergewöhnlichen Charme und ist einer der Höhepunkte des Finales.
Erste Hälfte: Der Leser hat Zeit, um sich zu verabschieden und die Helden auch von anderen Seiten kennen zu lernen. Zweite Hälfte: Millar und Romita Jr. lassen es wieder krachen. Eine Superheldengeschichte, die das Genre ähnlich aufgeräumt hat wie Watchmen von Alan Moore. Sehr gut. Nur leider schon vorbei … aber HIT-GIRL ist ja noch da. 🙂
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Donnerstag, 30. Juli 2015
Das Leben könnte für den jungen Mann in diesem Moment nicht schöner sein. Immerhin hat die junge Frau, die mit ihm zur Schule geht, ihm ein ganz besonderes Geschenk versprochen. Leider scheitert die Situation an einem Leibwächter namens Igor. Der Sohn von Andrej Khodorov, auf einem Internat in der Schweiz weit weg von den Ereignissen in Moskau, hat den Ernst der Lage, in der sich sein Vater befindet noch nicht so recht begriffen. Das ändert sich, als seine gesamte Familie, seinen Vater eingeschlossen, ums Leben kommt. Der Weltöffentlichkeit wird ein großes Unglück präsentiert. Für den Jungen und seinen Leibwächter hingegen gibt es keinerlei Zweifel daran, dass die Familie umgebracht wurde. Der Beweis lässt nicht lange auf sich warten.
Geld kann zuweilen nicht gegen jede andere Macht bestehen. Manchmal ist die Macht eines Diktators stärker. Manchmal siegt einfach nackte Gewalt. Autor Sam Timel orientiert sich mit seinem Thriller-Auftakt von MILAN K. an der wirklichen Welt. Russland hat in diesem Szenario ebenfalls das Joch des Kommunismus abgeschüttelt, nur um eine versteckte Diktatur aufzubauen, die Widerstand verdeckt oder klar erkennbar im Keim erstickt. Wladimir Palin heißt der Herrscher über das neue Russland bestimmt nicht zufällig. Äußerlich von Comic-Künstler Corentin als Mixtur aus Peter Cushing und Ross Perot angelegt, verbirgt sich hinter diesem Machtmenschen noch ein anderer, eine Art graue Eminenz.
Wer in den vergangenen Jahren die Nachrichten nur halbherzig verfolgt hat, wird dennoch das eine oder andere von Machtkämpfen zwischen Kreml und Oligarchien gehört haben. So ist man als Leser geneigt, dieser Fiktion schnell zu folgen, bewegt sich der Thriller doch auf vertrautem Grund. MILAN K. ist noch sehr jung, als das Schicksal zuschlägt. Gegen seine Stiefmutter hat er eine tiefe Abneigung, das beruht allerdings auf Gegenseitigkeit. Mit seinen Halbgeschwistern verbindet ihn mehr, doch der Altersunterschied ist letztlich zu groß. Und so ist es eine Laune der pubertären Jugend, als er es ablehnt, den gleichen Flug nach Moskau wie seine Familie zu nehmen.
Modern, glasklar erzählt. Der Leser ist schnell an der Seite des jungen Helden. Dank der Figur des Aufpassers, eines väterlichen Freundes namens Igor, findet sich eine Identifikationsfigur auch für die älteren Leser. Igor ist nicht der klassische Leibwächter. Denn wäre dem so, würde er seine Haut ab einem bestimmten Zeitpunkt, wenn sich die Schlinge immer enger zusammenzieht, das Weite suchen. Aber er lässt seinen Schützling nicht im Stich. Corentin, der neben den Zeichnungen auch die Kolorierung übernommen hat, gestaltet Igor als bulligen Mann, gewachsen wie ein Ex-Boxer, der nach einem Ortswechseln eine Wandlung durchmacht und sich den Gegebenheiten anpasst.
Ob Veränderungen dieser Art, den erwähnten Ortswechsel, Touristenattraktionen, es herrscht eine optisch realistische internationale Thrilleratmosphäre vor. Corentin schafft sehr individuelle Figuren, angefangen beim Hauptcharakter, mit dem ihm noch ein Kunststück gelingt, nämlich diesen altern zu lassen, über Nuancen, wie es nun einmal mit einem jungen Menschen geschieht. Igor indes altert mit dem Standeswechsel auch körperlich, indem er vom Leibwächter eines reichen Kindes zum taxifahrenden Vater eines amerikanischen Jungen wird.
… denn sie wissen nicht, was sie tun. Cineasten dürfen sich über einen ganz besonderen Austragungsort einer rasanten Sequenz freuen. Das Observatorium wurde als Schauplatz in einem Film mit James Dean unsterblich und reizte seither wegen seiner tollen Architektur und seiner Umgebung viele Kunstschaffende zu weiterer Kulisse. So auch hier. Doch so weit, wie es die beiden Comic-Künstler Sam Timel und Corentin treiben, hat es noch niemand gewagt. Das schafft nur das Medium Comic. Oder mit ein entsprechend budgetierter Blockbusterkinofilm. Mehr sei nicht verraten.
Blick voraus. Wer sind die Damen auf dem Titelbild? Die Geschichte verrät es noch nicht. Auch ist MILAN K. noch nicht im gezeigten Alter angelangt, obwohl er innerhalb der Handlung einen großen Schritt in diese Richtung tätigt. Der in sich sehr geschlossene Auftakt, der sich auch einen Seitenhieb auf das amerikanische Gesundheitssystem (eigentlich nicht nur auf dieses) erlaubt, bildet nicht nur angesichts der Jugend des Helden eine gute Grundlage für weitere Abenteuer. Die Konzeption des Thrillers dürfte Sam Timel es erlaubt haben, aus der jüngeren Geschichte noch weitere Inspiration für den Fortgang der Folgen zu ziehen.
Internationales Flair, klar umrissene Charaktere, das Leben der Helden stets auf des Messers Schneide: Sam Timel weiß, wie ein guter Thriller funktioniert. Und Zeichner Corentin liefert klasse, realistische Bilder dazu. So darf es weitergehen. 🙂
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Freitag, 24. Juli 2015
Während sich auf dem europäischen Festland die französische Armee gegen eine Koalition verschiedener Staaten zu behaupten mag, ist die französische Kriegsmarine ihren Feinden in der Karibik auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Rick, der Sohn des ROTEN KORSAREN, hat es nicht nur aufgrund seiner Herkunft schwer, an Aufträge für sein Schiff zu gelangen. Die Kriegslage erschwert es allen, die einen französischen Hintergrund haben, gegen englische, niederländische oder spanische Schiffe in den karibischen Gewässern zu bestehen. Als endlich ein Auftrag in Sicht ist, sind Rick und seine Freunde Baba und Dreifuß von Erleichterung weit entfernt. Denn es fehlt an einer tüchtigen Mannschaft. Und wer würde sich freiwillig zu einem Himmelfahrtskommando bereit erklären?
Der Leser trifft den Sohn des ROTEN KORSAREN in einer äußerst verfahrenen Situation wieder. Eine Übermacht beherrscht die Karibik und ein einzelnes Schiff kann dagegen nur bestehen, wenn es List anwendet. Wie die beiden Ausnahmecomickünstler Jean-Michel Charlier (Autor) und Victor Hubinon (Zeichner) bereits mehrfach gezeigt haben, ist Rick, besagter Piratensohn, mindestens ebenso schlau wie sein Ziehvater, wenn es darum geht, einer schier aussichtslosen Lage zu entkommen.
Die Abenteuer der fünften Gesamtausgabe, In geheimer Mission, Der Pakt mit dem Teufel und Der Pirat ohne Gesicht stellen jenen Mann in den Mittelgrund, der für seinen Vater, den ROTEN KORSAREN, durch dick und dünn gehen würde, der Piraterie aber den Rücken gekehrt hat. Zu seinem großen Unglück scheren sich die Feinde des Adoptivvaters wenig um derlei Versprechen und machen gnadenlos Jagd auf den jungen Mann und seine Freunde. Sei es, um seiner persönlich habhaft zu werden, weil er ihrer Meinung nach eine Gefahr darstellt. Sei es, um ihn als Druckmittel gegen den ROTEN KORSAREN zu benutzen, den sie schon lange am Galgen sehen wollen. Vor diesem Hintergrund nun findet sich der Leser in den Ausläufern eines Krieges wieder, der bereits damals in der Hochzeit der Segelschiffe die Welt umrundete.
Victor Hubinon hatte es nie nötig zu experimentieren. Er besaß einen klaren Stil. Seine gezeichneten Gesichter repräsentierten einen Ausdruck der 40er und 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, klar umrissen, meist (da selten Frauen in den Geschichten zu Gast waren) sehr männlich, hart, Gesichter, die bereits Geschichten erzählten. In Der Pakt mit dem Teufel findet sich ein schönes Gleichgewicht zwischen Szenen auf See, zu Lande, feinen Dialogen und Aktionssequenzen. Wunderbar zu betrachten sind die Schiffe, in aufgewühlter See, die dadurch vermittelte Atmosphäre, die ein Piratenabenteuer einfach braucht.
Erwähnenswert ist der Umstand, dass Charlier seinen Co-Künstler in diesem Abenteuer in Passagen schickte, die zum Beispiel an Szenen aus Robin Hood erinnern. Die Befreiung von Dreifuß, seine Errettung vor dem Galgen kommt einigen Wagemutsbeweisen des englischen Volkshelden sehr nahe. Grafisch gibt es aber noch mehr zu entdecken und deshalb sollte der Leser nicht gleich zu Beginn zuvorderst bei den jeweiligen Hinweisen zu den einzelnen hier beinhalteten Alben nachschauen.
In Der Pirat ohne Gesicht darf der Leser versuchen herauszufinden, ob er die von zwei anderen sehr bekannten Comic-Künstlern gezeichneten Seiten entdeckt. Hier zeigt sich einmal mehr, wie sehr ein Zeichner seinem Werk seinen Stempel aufzudrücken vermag, obwohl sich seine Ersatzleute bemühen die Originalstilistik beizubehalten. Beide Grafiker sind sehr gut in anderen Serien und sie leisten auch hier gute Arbeit, aber DER ROTE KORSAR war so sehr von Victor Hubinon perfektioniert worden, dass es schwer war, diese Lücke zu füllen. Die Kurzgeschichte Das Gold von San Christobal, zum guten Schluss in dieser Gesamtausgabe, abgedruckt einst in Super Pocket Pilote, beweist in Schwarzweiß die haargenaue Illustrationstechnik Hubinons.
Ein Piratenfest für jeden Genre-Fan. Rick, der Sohn des ROTEN KORSAREN, wird von Jean-Michel Charlier in viele, scheinbar auswegslose Situationen gebracht. Als geschickter Erzähler versteht sich Charlier auf das Anlegen von Spannungsschrauben, zumal DER ROTE KORSAR diesmal Hilfe gebrauchen kann. 🙂
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Montag, 20. Juli 2015
Bulldozer war nicht immer so schmächtig. Da wundert sich das Ding zu recht. Der neue Bulldozer, kein Mitglied der Wrecking Crew mehr, sondern ein Teamangehöriger der Frightful Four, kann ziemlichen Schutt aus seiner Umgebung machen. Die FANTASTIC FOUR haben darüber hinaus Thunderball, Wrecker und Wizard zum Gegner. Alles in allem etwas durcheinander und nicht vollzählig, kann Verstärkung nicht schaden. Diese findet sich ausgerechnet in einem Team, was einmal als Ersatz gedacht war, aber nicht zum Einsatz kam. Und so können Ant-Man, She-Hulk und Ms. Thing doch noch zeigen, was sie können.
Die Schmerzen liegen in der Vergangenheit begründet. Neue Schmerzen entstehen in der Gegenwart. Die FANTASTIC FOUR, die Fantastischen Vier, haben viel erlebt und haben viele Narben davongetragen, ganz besonders solche seelischer Natur. Sue, die Unsichtbare, muss sich damit abfinden, dass ihre Tochter im Augenblick lieber bei Dr. Doom ist. Der alte Erzfeind der FANTASTIC FOUR kümmert sich vorbildlich um das Mädchen und mehr noch: Valeria scheint einen guten Einfluss auf den mächtigen Schurken zu haben und animiert ihn zu gutem Verhalten. Für die First Family hingegen läuft es alles andere als gut.
Der lange Abschied laut der Titel der Geschichte, die sich James Robinson zu den FANTASTIC FOUR ausgedacht hat. Es ist eine Achterbahnfahrt, die immer mehr von den einstigen Helden demontiert, vor der Öffentlichkeit, anderen Helden, vor sich selbst. James Robinson geht sogar noch einen Schritt weiter. Er schickt die FANTASTIC FOUR vor Gericht. Das Team hat in ihrer Superheldenkarriere nicht nur so manches Leben gerettet. Sie haben bei ihren Aktionen auch gehörigen Schaden angerichtet. Hin und wieder wurde dergleichen thematisiert, wie jene Arbeiter, die hinter den Fantastischen Vier aufräumen. Aber durch die Comic-Geschichte hinweg sind die entstandenen Schäden ungleich größer, so dass kaum ein Bauarbeitertrupp zu Lebzeiten all das Zerstörte abtransportieren könnte.
Im Prozess gegen die FANTASTIC FOUR kann so auch nur ein kurzer Abriss all der Demolierungen erfolgen, an denen die First Family beteiligt war. Selbstverständlich, das sei ihnen zugute gehalten, waren sie selten der Auslöser. James Robinson greift sich die bekannteren Gegner der F4 heraus, den Hulk, Namor, Dr. Doom, Galactus oder die Inhumans. Um die Unterschiede, auch den langen Zeitraum zu verdeutlichen, der hier angesprochen wird, greifen neben dem Hauptzeichner Leonard Kirk noch Gastkünstler zum Zeichenstift. Sind die Bilder von Leonard Kirk betont realistisch gehalten, wird es bei den Rückblicken ebenso gewollt Retro.
Manchen gelingt der Retro-Look ausgezeichnet, bei anderen ist der Strich bereits wieder von Modernität geprägt, sozusagen ein Schritt zurück nach vorn. Diese Einschübe sind unterschiedlich lang, auch ist ihr Aufbau je nach Thematik ein anderer. Interessant ist die Zusammenfassung von längst vergangenen Ereignissen, die noch in das goldene Zeitalter der Comics zurückreichen, jene Epoche, als die Marvels hier noch auf billigstem Papier gedruckt, über den großen Teich schwappten. Diese Collagen zeigen auch Veränderungen in der Gegnerschaft der FANTASTIC FOUR auf. Bezeichnendes Beispiel ist Dr. Doom, der sich zeitweilig auf Magie anstelle von Technik verließ.
Nicht erst mit dem jüngsten Wandel von Thor ist der Feminismus im Marvel-Universum angekommen. Sue Storm hat schon seit langem vorgemacht, wie Frau sich in einer Männerwelt voller männlicher Helden und Schurken behauptet. Nicht immer einfach und dann auch noch mit zwei Kindern. Ihr Kampfeswillen, mit dem sie sich hier einigen der mächtigsten Menschen der Erde stellt und die Tricks, die sie dabei aufwendet, verblüffen selbst nach einer jahrzehntelangen Comic-Lektüre. Da macht nicht nur Thor große Augen.
Der Auftakt zum langen Abschied: Die FANTASTIC FOUR erhalten eine Bewährungsprobe ihrer Charaktere und Fähigkeiten, die sie vor völlig neue Probleme stellt. Und die FANTASTIC FOUR haben viele Probleme im Laufe der Jahre kennen gelernt. James Robinson kennt die vier Helden darüber hinaus sehr gut. Das macht den Auftakt zum Dreiteiler zu einem Fest für F4-Fans. Sehr gut. 🙂
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Freitag, 17. Juli 2015
Macht muss nicht gleich erkennbar sein. Manchmal versteckt sie sich. Oder wird verkleinert. Geschliffen. Manchmal wird aus einem bereits gefährlich aussehenden Schwert ein Buttermesser. Manchmal ist ein kleines Mädchen keines, sondern ein sehr alter Geist. Und manchmal kann so ein Mädchen mit einem Buttermesser furchtbare Sachen anstellen. Ihr Selbstbewusstsein ist durch ihre brutalen Übergriffe enorm gewachsen, dennoch wird auch sie nicht nur durch einen Schneesturm überrascht, vielmehr tragen noch zwei junge Frauen dazu bei, die ebenfalls nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.
Historie war gestern. Ich bin heute. Das ist Serienkillerlogik. Wen kümmern heute noch aus düsterer Sicht die mörderischen Großtaten eines Jack the Ripper? Zoe Mann, das für das ungeübte Auge kleine Mädchen, hat sich mit ihrer Liste von Toten längst über ihren Urgroßvater erhoben. Ihre Eigenart, sich allem zu verweigern, das ihr gegen den Strich geht, beschwört Konfrontationen herauf, die für den Leser nicht vorhersehbar waren. Wenn ein kleines Mädchen mit einem teuflischen Buttermesser sich mit Kreaturen anlegt, die viel mächtiger als sie sind, kann alles passieren.
Und genau das geschieht auch. Terry Moore, Autor und Zeichner in Personalunion, geht hier mit seiner Serie RACHEL RISING in die vierte Runde und enthüllt noch ein wenig mehr aus der gruseligen Vergangenheit der alten Ortschaft Manson. Terry Moore katapultiert auf ungewöhnliche Weise zwei Charaktere aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Der Junge James und das Mädchen Bryn Erin haben ihre ganz eigenen Erfahrungen mit Lilith gemacht. Doch mit diesem Resultat hat keiner der beiden gerechnet, am allerwenigsten James, der sich nach seinem männlichen Tod in einem Frauenkörper wiederfindet.
Mystery mischt sich hier mit kuriosen Momenten, mit schwarzem Humor untersetzt, der insbesondere dann zündet, wenn der Leser, wie im Fall von Dr. Siemen, mehr weiß, als all die anderen Figuren drumherum. Dieser Dr. Siemen ist ein gutes Beispiel für Verrücktheit und Normalität. Obwohl dem Wahnsinn anheim gefallen (wie, das soll hier nicht verraten werden), ist er schnell bereit, Hilfe zu leisten. Sicherlich auch aus eigenem Interesse heraus (das hängt mit besagtem Grund für den Wahnsinn zusammen), andererseits ist er nicht böse. Selbst Lilith scheint nicht böse zu sein. Das Böse zeigt sich bei Terry Moore hier am Rande. Mit dem Vater, der offensichtlich seine Tochter missbraucht hat. Mit dem Mann, der nur darauf wartet, einen Einbrecher in seiner Garage zu erschießen. Das große Böse ist diesmal, so scheint es, chancenlos.
Terry Moore, schwarzweiß grafisch auf Augenhöhe mit Kollegen wie Steve Dillon, mehr noch mit einem Altmeister wie John Romita (Sr.), schafft mit seiner Zeichentechnik eine unheimliche Atmosphäre, allein durch leichte Bildkomposition und Bildfolge. Das Titelbild, koloriert, spricht Bände. Ein kleines Mädchen, mit einem blutigen Messer in der Hand, halb versteckt hinter dem Rücken, lächelt den Betrachter an. Um es herum fallen tote schwarze Vögel vom Himmel.
Der Untergang der Welt im Kleinformat. Das Städtchen Manson geht stellvertretend für den Rest der Welt unter oder zumindest bis an den allzu oft beschworenen Abgrund. Schnee türmt sich wie ein Leichentuch immer höher, das Fortkommen wird immer beschwerlicher, die Welt stiller und mittendrin bemühen sich zwei alte Seelen um die Rettung einer Freundin, während die Toten ihre Pein hinausschreien. Terry Moore baut diese Stimmung langsam, stetig, mit viel Fingerspitzengefühl auf, bis hin zu einem Finale, in dem sich Grusel und Traurigkeit perfekt die Balance halten. Es gelingt ihm sogar, allein mit den Bildern den Blick zu bannen und das Lesen der Wörter für den Augenblick zu stoppen. Der Leser hält hier ebenso inne, wie es die Charaktere tun.
Eine sehr spannende vierte Episode, gleichzeitig findet ein Schnitt statt, der es Terry Moore ermöglicht, den Leser in der nächsten Folge zu überraschen, denn es macht ihm nichts aus, auch einmal wichtige Figuren aus der Handlung katapultieren. Terry Moore, ein toller Zeichner und erzählerisch so stark wie ein Stephen King, hat ein eindringliches Szenario geschaffen, das jedem Mystery-Fan gefallen sollte. Aber, wie bei modernen Serien üblich, die Kenntnis der Handlung von Beginn an ist gnadenlose Pflicht. 🙂
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Oder bei Schreiber und Leser.
Mittwoch, 08. Juli 2015
Horodamus und Berkan werden Zeuge eines Überfalls. In der Nähe von Karthago schließen die Römer den Belagerungsring immer enger und bringen einheimische Soldaten reihenweise um. Horodamus, der Gallier, und Berkan, der Numider, ehemalige Söldner erkennen ihre Chance, als ihnen eine Überlebende eines solchen Gemetzels in die Hände fällt. In jenen Tagen müssen Frauen ständig auf der Hut sein. Frauen gehören für Soldaten und Söldner ebenso zur Beute wie Gold und Silber. Aber Tara, die junge Frau, weiß sich nicht nur zu wehren. Sie versteht es auch, die beiden Halunken neugierig zu machen und mit einem Schatz zu locken, für den jeder Gauner, der etwas auf sich hält, alles aufs Spiel setzen würde.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss. So soll es Cato der Ältere häufig gesagt haben. Das Zitat beschreibt einen zentralen Konflikt des alten Rom, der hier als Hintergrund für ein antikes Schurkenstück dient. Apollo, Autor, und Herve Tanquerelle, Zeichner, lassen hier eine Epoche lebendig werden, in der Leben nichts galt, der Krieg die treibende Kraft der menschlichen Entwicklung war und römische Feldherren mit Siegen ihre finanzielle und politische Macht mehrten. Karthago konkurrierte lange mit dem anderen Stadtstaat auf der anderen Seite des Mittelmeeres. In Die Diebe von Karthago kommt es nun zur finalen Auseinandersetzung, an deren Ende nichts anderes steht als Karthagos völlige Vernichtung samt aller Bürger.
Apollo nimmt sich drei sehr unterschiedliche Menschen zu Hauptfiguren her, die vor diesem Hintergrund aufgewachsen sind und diese Mentalitäten verinnerlicht haben, obwohl sie aus verschiedenen Teilen der Welt stammen. Durch Handel mit Waren und Sklaven, Söldnertum, auch durch verschiedene Religionen herrscht bereits zu jener Zeit eine große Internationalität. Vor dieser drastischen Atmosphäre erscheinen die beiden Ex-Söldner zunächst als wenig sympathische Figuren. Auch die junge Frau Tara macht da keine Ausnahme. Menschliche Momente, die auch ihre Verzweiflung erklären, ihren Wunsch nach einem besseren Leben, der kaum durch Mitgefühl und normale Arbeit zu erreichen sein mag, führen den Leser an die drei Hauptcharaktere heran.
Gefangen in einem Leben, einer sozialen Schicht, in den Strukturen des antiken Lebens, zwischen Krieg, Exzessen und Angst. Hier spenden selbst die Götter keinen Trost. Es werden Menschenopfer verlangt und erbracht. Vor den Augen der weinenden Mütter werden Kinder lebendig in den brennenden Schlund der Gottheit Baal-Moloch geworfen, freilich nur eine gigantische Statue. Selbst hartgesottene Männer, die Horodamus und Berkan nun einmal sind, werden von diesem brutalen Spektakel, das der Stadt Karthago überirdische Hilfe zuteil werden lassen soll, erschüttert.
In einem karikierendem Strich, der manchmal durch die Kolorierung von Isabelle Merlet an Bilderbücher erinnert, manchmal einem Albert Uderzo nacheifert, fast wie ein wild gewordener Herge wirkt, ein wenig wie Frederik Peeters, weit entfernt von einer bequemen Optik, sehr einfühlsam kommt die Arbeit von Herve Tanquerelle daher. Tanquerelle ist ein Künstler, der auch sehr gut mit schwarzweißen Grafik zurecht kommt, auch Grautöne bestens verwendet. Durch die Farbgebung von Merlet gewinnen die Bilder eine enorme Wärme und eine tolle Leuchtkraft, die das Auge nicht mehr loslässt.
Es finden sich keine harten Kanten. Tanquerelle und Merlet bringen eine Mischung aus Buntstiftschattierung und Aquarellkolorierung zu Papier. Das erklärt die Wärme und die sehr organische Wirkung des Grafiken. Karthago, die Wüstenstadt, verblasst vor dem Glanz eines weitaus prächtigeren Roms. Der Eindruck dieses afrikanischen Zentrums ist spartanischer, militärischer, weniger verspielt. Die Lebenseinstellung der Bevölkerung, ein düsteres Ende, allerdings nach dieser Geschichte das einzig denkbare, verstärkt diesen Eindruck drastisch.
Eine harte, realistische Darstellung des Lebens innerhalb des Niedergangs des einstigen Großreiches Karthago. Apollo, Herve Tanquerelle und Isabelle Merlet arbeiten mit den Erzähltechniken und Bildeindrücken moderner Geschichten über die Antike, sparen nichts aus und können mit Horodamus, Berkan und Tara drei Charaktere vorstellen, die sich erst langsam dem Leser nähern, dafür umso länger im Gedächtnis bleiben. Ein wenig beschriebenes Kapitel in der Literatur, deshalb umso empfehlenswerter für alle, die an dieser Epoche interessiert sind. 🙂
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Montag, 29. Juni 2015
Neue Besen kehren gut. Neue Vorgesetzte nicht immer. Weil neue Ideen auch über das Ziel hinausschießen können, falls Arroganz und mangelnder Durchblick sich die Hand geben. So macht Generalinspekteur Nichtsalsverdrus einen riesigen Fehler, als er beschließt, sich mit den unbesiegbaren Galliern anzulegen. Der obligatorische Angriff auf das Dorf, von dem ihm nur zaghaft abgeraten wird, gipfelt anfangs noch in einer Welle von Krankmeldungen, die von dem Bürokraten aus Rom, dem es nur um seine Karriere geht, schnell durchschaut wird. Die Attacke wird ausgeführt, doch selbst die bezogene Prügel führt nicht zur Besinnung. Im Gegenteil …
Eine Liebeserklärung an Frankreich mit all seinen menschlichen Eigenarten und einer reichhaltigen Küche und einer Vielzahl von Delikatessen. Gleichzeitig schufen Rene Goscinny und Albert Uderzo mit dem sechsten Band der ASTERIX-Reihe eine der schönsten Figurenpräsentationen der Comic-Geschichte. Die Römer hatten, nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal, eine ungeheuerliche Idee, nämlich die Gallier in ihrem Dorf einzusperren, damit der Unsinn mit der Unbesiegbarkeit langsam aber sicher der Vergessenheit anheim fällt. Nur lassen sich unbesiegbare Gallier nicht so einfach einsperren. So entsteht eine folgeschwere Wette.
Ein Jubiläum: Seit 1965 ist Idefix dabei. Obwohl Idefix im Schlussbild triumphierend einen Knochen davonträgt, sieht es zunächst nicht danach aus, als wäre hier ein dauerhafter Begleiter von Asterix und Obelix auf die Welt gekommen. Denn der kleine weiße Hund, der so ausdauernd neben den Lokalen und Geschäften, die von den beiden Galliern besucht werden, zu warten versteht, wird anfangs ziemlich von Asterix und Obelix ignoriert. Erst wieder im Dorf der unbesiegbaren Gallier angekommen, macht er mit einem Wuff-Wuff auf sich aufmerksam und erhält eine wohl verdiente Belohnung für die ganzen Mühen, die er bei der Tour de France ebenfalls auf sich genommen hat.
Der hier noch namenlose Idefix zeigt das Verhalten mancher herrenloser Hunde, die insbesondere in südlichen Touristengebieten den Menschen auf der Suche nach Nahrung hinterherlaufen. Hinter der Ausdauer des kleinen Hundes verbirgt sich, wie der Leser nach einer Vielzahl weiterer Abenteuer weiß, noch mehr. Ganz offensichtlich hatte Idefix in Obelix etwas mehr als nur einen Nahrungslieferanten erschnüffelt. Der Leser wusste es zuvor schon, schließlich war der kleine Hund für ihn bereits seit Asterix und Kleopatra hierzulande bekannt. Anzeichen von Charakter, später viel deutlicher und gerne in Sequenzen auch herausgestellt, zeigt Idefix früh. Gegen die Römer thront er nach dem Kampf auf dem Berg der Besiegten, bleibt stets an der Seite seines zukünftigen Herrchens.
Erste Annäherung im Hintergrund. Vorne hagelt es eine Backpfeife, im Bildhintergrund gibt es eine Streicheleinheit. Die Sanftheit, die Obelix hier an den Tag legt, stellt den Beginn einer wunderbaren Freundschaft dar. Idefix schaffte es schnell mit den Helden zusammen aufs Titelbild und rückte sogar stärker ins Zentrum des Interesses, etwa wenn er dem spanischen Häuptlingssohn (Asterix in Spanien) als tröstender Kamerad zur Seite steht und hilft, dessen Bockigkeit zu mildern (was nur zeitweilig gelingt, wie der Leser weiß). Vergleicht man den frühen Idefix mit seiner heutigen Variante, nach einem evolutionären Vorgang, den viele Comic-Figuren durchmachen, hat er zusammen mit Asterix und Obelix einen guten Teil seiner ursprünglichen Knuffeligkeit und Knubbeligkeit verloren. Mit mehr Kontur und mehr Gesicht kann der heutige Idefix viel besser schauspielernd ins Geschehen eingreifen.
Eines der Geheimrezepte von ASTERIX ist der Vergleich mit der Gegenwart, die für den Leser zum Zeitpunkt, als die Tour de France entstand, schon wieder Vergangenheit ist. Nichtsdestotrotz haben einige Gesetzmäßigkeiten und Lebensarten überdauert. Im redaktionellen Anhang wird auf die französischen Wirtschaftswunderjahre eingegangen, in denen sich diese Phänomene entwickelten (und die sich bis heute gehalten haben). Und die Tour de France selbst wurde zum Rezept. Reisen innerhalb und außerhalb des Landes haben sich schnell durchgesetzt, das Kennenlernen spezifischer Weggefährten ist mittlerweile fester Bestandteil. Einige der Figuren sind unvergesslich.
Uderzos Originalzeichnungen und Obelix als Marke. Nicht nur die gepriesene Umsetzung von Goscinnys Vorgaben ist bemerkenswert, sondern auch die überaus präzise Tuschearbeit Uderzos, dem es gelingt, auf einer einzigen Seite das Lebensgefühl Lutetias auf Papier zu bannen. Es wimmelt, es ärgert sich, es lebt regelrecht im gezeigten Straßenverkehr, der die Verhältnisse eines modernen Paris auf die Vergangenheit überträgt, als Pferdefuhrwerke und Ochsenkarren einander das Wegerecht in den Straßen und Gassen der antiken Großstadt streitig machen. Obelix wird darüber hinaus von vorn, hinten und seitlich präsentiert und somit als Marke amtlich vorgestellt. Für den Leser vergnüglicher ist der Stammbaum des properen Galliers, dem noch einige charakterstarke Nachfahren folgten.
Auch in der Menge der bislang erschienen Abenteuer immer noch einer der Höhepunkte der Serie, die gleichzeitig den ungeheuren Erfolg erklärt. Der feine satirische Blick auf die Menschen, Marotten und Zustände eines Landes ist stets pieksend wie liebevoll, nie streng, immer humorig und augenzwinkernd und die Einführung eine der feinsten Nebenfiguren der Comic-Geschichte dürfte zu den sinnigsten und schönsten gehören, die das Medium zu bieten hat. Ganz, ganz toll. 🙂
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