Dienstag, 18. Oktober 2016
Es gibt schlechte Tage und es gibt noch schlechtere Tage. Ein Riese hat Hunger. Ausgerechnet zwei kleine Elfen fallen ihm auf seiner Wanderung in die Finger. Der eine endet gleich als Snack, der andere wird für später aufgehoben. Aber junge Elfen sind klein, die Taschen von Riesen groß und rissig und so gelingt es dem Kleinen noch einmal zu entkommen. Zu seinem Pech sind Riesen nicht die einzigen hungrigen Gesellen. Warum meinte der winzige Elf sich auch ausgerechnet im Nasenloch eines Drachen ausruhen zu müssen? Dumm gelaufen. Oder nicht?
Der Drache ist offensichtlich weiblich. Ein Ei zerbricht und der Nachwuchs kann sich nicht entschließen, den Elfen zu fressen. Die beiden sehr ungleichen Wesen werden sogar Freunde. Sie wachsen zusammen auf. Die Jahreszeiten kommen und gehen. Lange, sehr lange läuft es für den Elfen sehr gut. Er hat ein Zuhause, eine Familie, bis ihm eines Tages klar wird, dass es noch viel, viel schlechtere Tage geben kann …
Hätte ein Charles Dickens eine Fantasy-Geschichte geschrieben, hätte etwas wie die Lebensgeschichte von PILOU dabei entstehen können, dem Elfen, aus dem später eine der bekannten Figuren in der Welt des SCHWARZEN MONDES wird. Denn auch der Elf gerät in die Fänge eines düsteren Anführers einer jugendlichen Diebesbande, die nur durch einen düsteren Trick gefügig gehalten wird. F.M. Froideval beschreibt die erste Lebenshälfte innerhalb der Geschichte wie ein feines Märchen. Der Held wird ordentlich durchgeschüttelt und erhält seine Belohnung in Form einer Familie, die für ihn sorgt und ihn beschützt. Bis zu einem gewissen Grad jedenfalls, denn es in Sachen Skrupellosigkeit gibt es noch besser trainierte Wesen als Drachen.
In der zweiten Hälfte wird PILOU zwangsläufig erwachsen. Bislang war er in guter Obhut, nun muss er lernen sich durchzuschlagen. Er ist der Neue, der Kleinste, er wird drangsaliert und, ganz wichtig, muss zuallererst die Sprache der Menschen lernen. Er wird zu einem wichtigen Werkzeug für den Meister. Auch in der zweiten Hälfte der Handlung geht das Märchenhafte nicht gänzlich verloren und das ist vor allem dem Grafikduo Fabrice Angleraud (Zeichner) und Yves Lencot zu verdanken. Was die beiden Comic-Künstler hier dem Fantasy-Fan bieten, ist schlichtweg hervorragend.
Das märchenhaft Genannte entsteht zu einem großen Teil durch den Grafikstil, der gerade in den Kindertagen des Elfen besonders gut herausgestellt wird. Selten kann eine Comic-Figur einen Leser so gut einfangen und mitnehmen wie hier. Der kleine PILOU ist putzig, wirkt wahnsinnig schutzbedürftig und anfangs immer so, als könne er die Gefahren dieser Fantasy-Welt nicht recht begreifen und warum ihm alle ans Leben wollen. Wie unbedarft er ist, (obwohl zu diesem Zeitpunkt längst versucht worden ist, ihn zu fressen) wird in der starken Szene deutlich, in der er ausgerechnet eine kuschelige Übernachtungsmöglichkeit in einem Drachennasenloch findet.
Eine sehr weiche Farbgebung, sehr fein abgestuft koloriert, machen jede Seite zu einem kleinen Kunstwerk. Mitunter sehr große Ansichten, Bilder über Doppelseiten hinweg, collagenähnliche Strukturen breiten das Lebensabenteuer PILOUS regelrecht vor dem Leser aus. Man gewinnt den Eindruck, als sei auf die Techniken von mittelalterlichen Wandteppichen und ihren Szenendarstellungen zurückgegriffen worden.
Eine der schönsten Ausgaben aus der Welt des SCHWARZEN MONDES. Dank der Comic-Künstler Fabrice Angleraud und Yves Lecot erwartet den Leser ein grafisches Sahnehäubchen. Sehr, sehr für Fantasy-Fans zu empfehlen, auch solchen, die ansonsten nichts über den SCHWARZEN MOND wissen. 🙂
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Donnerstag, 22. September 2016
BUDDY LONGWAY hat einmal mehr Glück gehabt und seine Frau Chinook und seine Tochter Kathleen wiedergefunden. Aber der Weg war lang für alle Beteiligten. Der Wunsch nach Ruhe ist berechtigt und so verbringt die kleine Familie eine friedvolle Zeit im Indianerreservat. Schließlich kommt der Frühling und die Unruhe wächst. Jeremiah, Buddys und Chinooks Sohn sollte längst zu ihnen gefunden haben. Die Suche nach dem inzwischen erwachsenen Jungen ist beschlossene Sache. Doch zuvor gibt es noch eine Aufgabe zu erfüllen. Das Militär bittet BUDDY LONGWAY Mustangs für die Armee zu fangen. Unter der Anleitung von SIEHT ÜBER DIE WOLKEN macht BUDDY LONGWAY eine der wichtigsten Erfahrungen seines Lebens.
15 Jahre hatte sich DERIB Zeit gelassen, ehe er sich wieder seinem Westernepos um den Trapper BUDDY LONGWAY zuwandte und dieses mit weiteren vier Alben zu einem Abschluss brachte. Diese Ausgaben sind nun im letzten Band der Gesamtausgabenreihe versammelt. Von der Jugend bis zum gereiften Mann hat der Leser den Trapper über die Jahre begleitet. Einige der Wegbegleiter von BUDDY LONGWAY haben hier ihren neuerlichen, nostalgisch anmutenden Auftritt. Manches ist rührend, einiges dramatisch, wichtige Abschnitte auch tieftraurig. Doch zuvor zeigt DERIB einen Wilden Westen mit einer unglaublich schönen Natur und all den Facetten, die damit einher gehen.
Die Mustangjagd in der ersten Episode, die auch so heißt wie einer ihrer Figuren, SIEHT ÜBER DIE WOLKEN, besitzt nicht nur die Dramatik, wie der Leser sie von BUDDY-LONGWAY-Geschichten her gewohnt ist, sie besitzt auch diesen liebevollen Blick auf die grandiose Natur Nordamerikas und auf die wohl schönsten Einwanderer des Kontinents, die Mustangs. DERIB sind in dieser Szenerie wunderbar lebendig wirkende Bilder gelungen. Außerdem ist es interessant mit anzusehen, wie der sehr erfahrene Trapper auf seine alten Tage doch noch mit Staunen und Lernbereitschaft auf dieses urige Land schauen kann. Und auch bereit ist, diese Lektionen anzunehmen.
Nicht nur Lektionen, sondern auch Leid hält dieses Land für BUDDY LONGWAY und seine Liebsten bereit. DERIB war noch nie bereit, seine Helden zu verschonen. Schon häufiger hat er dem Trapper und seiner Familie vieles abverlangt, vor allem vielen Gefahren ausgesetzt. Was wurde aus Jeremiah? Diese Frage wird in DIE VERIRRTE KUGEL endlich beantwortet. DERIB vertieft hier die Indianerthematik, die Auseinandersetzungen zwischen Armee und Ureinwohnern, die Kluft zwischen angeblicher Zivilisation und Wilden, die gleichzeitig einen Keil in die Familie von BUDDY LONGWAY treibt. Das wird von DERIB allzu verständlich und nachvollziehbar erzählt. Und verstärkt die ebenso nachfühlbare Tragödie umso mehr.
KATHLEENS ZORN, die dritte Episode und gleichzeitig vorletzte der gesamten Serie, setzt fünf Jahre später nach der vorherigen Geschichte ein und zeigt, wie aus dem Mädchen Kathleen eine beinahe erwachsene Frau geworden ist. Die Handlung ist bei Kenntnis moderner Erzähltechniken höchst aktuell zu nennen, wagt sie sich nicht nur besonders eng an die Hauptpersonen heran, sondern demontiert sie auch noch mit chirurgischer Präzision. KATHLEENS ZORN ist emotional packend und beschreibt ein Szenario, in dem viele Charaktere sehenden Auges in ihr Verderben unterwegs sind.
Mit der Geschichte DIE QUELLE endet die Serie. DERIB lässt damit auch keinen Zweifel daran, dass eine Fortsetzung für immer ausgeschlossen war und ist, fremde Erzähler sich niemals dieser Figur annehmen können, wie es zeitweilig bei anderen Serien der Fall gewesen ist. Ich glaube, selten wurden Seriencharaktere derart final beschrieben. Einerseits muss man den Hut vor diesen letzten Episoden ziehen, die den Realismus von Beginn der Serie an bis zum wirklich bitteren Ende durchhalten. Andererseits fällt es die Akzeptanz des Endes schwer, da man als Leser besonders bei diesen Charakteren auf ein friedvolles Ende hoffte. Selten schaffen es Comic-Figuren derart viel echte Sympathie anzuhäufen.
Und selten war es stimmiger zu sagen, dass man sich hier als LEser mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiedet. DERIB hat sich darum bemüht, Kreise zu schließen und offene Enden miteinander zu verknüpfen. Weiterhin auf hohem Niveau illustriert, beendet DERIB hier seine Saga um BUDDY LONGWAY für immer und meißelt sie regelrecht ins Gedächtnis. Toll gemacht! 🙂
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Montag, 15. August 2016
Das Schiff des Roten Korsaren ankert vor der afrikanischen Küste. Die Mannschaft benötigt Wasser und vielleicht noch dringender frisches Obst, denn Skorbut greift unter den Matrosen um sich. Immer mehr Männer werden krank. Jedermann an Bord weiß, wie gefährlich eine Landung an der Küste ist. Baba erinnert sich daran, wie er hier von Sklavenhändlern verschleppt wurde. Und jedermann hat eine Vorstellung davon, wie die Einheimischen auf Weiße reagieren, die es wagen, einen Fuß auf den Strand zu setzen. Rick, der Sohn des Roten Korsaren will es dennoch riskieren. Eine Wahl bleibt ihnen nicht. Alle Vorsicht und Vorausschau nützt nicht. Rick und sein Landungstrupp laufen im dichten Dschungel in eine Falle …
Nachdem dem Tod der beiden Ausnahmekünstler Victor Hubinon und Jije stand Autor Jean-Michel Charlier vor der Wahl, die Serie enden zu lassen oder nicht, denn ein Nachfolgezeichner war über zwei Jahre hinweg nicht zu finden. Dann stieß Charlier auf den jungen Illustrator Patrice Pellerin. Zu Beginn der 1980er Jahre fand sich so ein Zeichner, der dem ROTEN KORSAREN noch eine Spur mehr Realismus gab, als es Hubinon und Jije bislang getan hatten. Diese Figuren, die sich fraglos stark an den bisherigen Vorgaben orientierten, bringen ein wenig mehr Kino mit. Sie wirken allesamt härter, der ROTE KORSAR gemeiner, durchtriebener und, betrachtet man die beiden Szenarien, die hier in der 7. Gesamtausgabe abgehandelt werden, das hat er auch bitter nötig.
Seeschlachten, Entführungen, Geiselnahmen, Zweikämpfe, zu Land und zu Wasser, zwischen Halunken und Seestreitkräften aus England und Spanien. Die Welt des ROTEN KORSAREN ist kein Kaffeekränzchen für Matrosen. Dennoch gab es oft eine gewisse Zurückhaltung der Erzählung. Gewalt gab es, sie blieb aber vage. In den beiden Geschichten Die goldene Flotte und Revolte auf Jamaica ändert sich das. Unter dem Gesamttitel Schachmatt den Sklavenhändlern greifen Jean-Michel Charlier und Patrice Pellerin ein sehr düsteres Kapitel der Menschheitsgeschichte auf. Sklavenhandel wird häufig historisch nur mit den Vereinigten Staaten assoziiert. Hier wird deutlich, wie weit die Kreise des Sklavenhandels reichten, wie groß das Drama und die Tragödien dieser Ära waren.
Ein konkreter wie auch ungewöhnlicher Anlass katapultiert die Piraten geradewegs ins Zentrum eines Krieges zwischen Unterdrücker und Sklaven. Das Besondere an den Figuren von Patrice Pellerin ist das gelebte Aussehen. Dieser ROTE KORSAR hat ein raues Leben im Gesicht stehen. Sein Lachen mag noch so herzlich gemeint sein, es schaut aus, als plane er im nächsten Augenblick sein Gegenüber zu verspeisen. Patrice Pellerin ähnelt in seinen Arbeiten stilistisch Jean Giraud, den er noch vor Jean-Michel Charlier kennen lernte.
Bemerkenswert schön anzuschauen sind Massenszenen und weite Blicke, die den beiden Abenteuern eine großartige Atmosphäre verleihen, was aber auch ein Verdienst (im ersten Teil) der Koloristin Claudine Giraud ist. Sie setzt ein beinahe romantisch zu nennendes Licht in Szene. Amerikanische Nächte, Sonnenuntergänge, brennende Wolken verklären die Abenteuer der Piraten und schaffen gleichzeitig eine einzigartige Atmosphäre, die in der Tat an Western wie Blueberry erinnert.
Einen harten Abschluss der Handlung bietet das abschließende Abenteuer REVOLTE AUF JAMAIKA. Das ist nach heutigen Begriffen starkes Action-Kino auf Comic-Seiten, ernsthafter als entsprechendes Blockbuster-Material. Um die Kampfszenen, auch die Spannung etwas aufzuwiegen, folgt noch eine kleine Parodie auf den ROTEN KORSAREN, die bekannte Szenen aufgreift und zudem auf andere bekannte Piraten verweist. Das ist mit großem Augenzwinkern verfasst und gezeichnet.
Prachtvoll! Ein neuer Zeichner reiht sich in den Reigen der Comic-Künstler rund um den ROTEN KORSAREN ein. Patrice Pellerin macht seine Sache ausgezeichnet, gerade mit höchst realistischem Ausdruck bei den Figuren, denen er zusätzliche Tiefe verleiht. Sehr schön! 🙂
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Samstag, 02. Juli 2016
Chinook. Ein ganz besonderer Wind, dicht und dunkel, geheimnisvoll, beinahe wütend. Nicht nur Buddy Longway gerät in diesen seltsamen Sturm. Auch ein Auswandererehepaar verschlägt es mit ihrem Planwagen in dieses merkwürdige Naturereignis und macht prompt eine mysteriöse Entdeckung. Die Entdeckung bildet den Auftakt weitreichender Ereignisse, während derer nicht nur die Bekanntschaft neuer Freunde macht, sondern sich auch einstige Freundschaften umkehren, freilich nicht durch Buddys Schuld. Die Zustände haben sich arg geändert. Die Armee nimmt sich, was sie will, die indianischen Ureinwohner verlieren immer mehr. Konflikte sind unausweichlich und keine Alternative mehr. In die Ecke gedrängt wird Verzweiflung der Antrieb, der die Sioux in den Aufstand zwingt.
Ein langer, spannender Wegesabschnitt, der zu einem lange ersehnten Ziel führt. Die hier abgedruckten vier ehemaligen Einzelabenteuer sind vielmehr Akte eines großen Handlungsbogens, der von Autor, Zeichner und Kolorist DERIB geschickt miteinander verwoben werden. Der wilde Wind, Der Schwarzrock, Hooka-Hey und Die letzte Prüfung bieten nicht nur ein starkes Stück Gegenwart des BUDDY LONGWAY, sie führen den Leser auch in dessen Vergangenheit, in die nahegelegene einer wunderbaren Ehe und Familie wie auch einer längst fernen Kindheit an die Seite des Vaters und die Hoffnung auf ein besseres Leben in einem unbekannten Land.
Und mehr noch: BUDDY LONGWAY erfährt von seiner Herkunft und bemerkt erst jetzt, wie tief die Verbundenheit mit diesem Land reicht, dass Wurzeln existierten, von denen er nicht einmal eine Ahnung hatte. EIN BESCHWERLICHER WEG lautet der zusammenfassende Titel der vierten Gesamtausgabe und hätte kaum treffender formuliert sein können. Denn BUDDY LONGWAY befindet sich auf zweierlei Spuren. Einerseits ist er weiterhin auf der Suche nach seiner Frau und seiner Tochter, andererseits beschreitet er auch einen Weg tief ins Innere seiner Selbst. Die Verbundenheit, die er mit Natur, Land und Menschen entwickelt hat, wurde von DERIB selten eindringlicher gezeigt.
Diese Verbundenheit kehrt DERIB aber auch noch an anderen Stellen heraus, weshalb gerade diese Lehre für den Comic-Künstler sehr wichtig gewesen sein muss. Aber er zeigt auch die Grenzen dieser Lehre auf. Weil manche Menschen wollen einfach nicht lernen. Auf beiden Seiten. Zuerst sind es ein Siedlerehepaar, das Missverständnisse über die amerikanischen Ureinwohner auszuräumen lernt. Im Verlauf kommt ein Schwarzrock hinzu. Der Priester sieht, dass sein christlicher Glaube ihm nicht jede Frage beantwortet und im Zusammenleben der Indianer und ihrer Spiritualit?t weitere Antworten verborgen sein können.
Grafisch ist DERIB hier auf dem Höhepunkt seines Könnens. Er beherrscht die individuellen Charaktere, die er gerne auch der Realität entnimmt. Er zeichnet ein Land und seine Menschen mit Bravour, wie ein Gerichtszeichner, der sieht, was er malt. Vielleicht mag BUDDY LONGWAY mittlerweile vor dem inneren Auge agieren sehen. Vielleicht ist diese Theorie richtig, denn er lässt für den Leser sogar einen Erinnerungsfaden vor einem inneren Auge, BUDDY LONGWAYS nämlich, auferstehen und er macht dies in einer äußerst liebevollen, sehr verdichteten Weise, so dass eine schöne Kurzgeschichte in einem Abenteuer entsteht. In beidem, in der langen wie auch der kurzen Erzählung, kann er den großen amerikanischen Erzählern auf Augenhöhe begegnen.
Durchaus könnte ein Leser hier in die Geschichte einsteigen, da BUDDY LONGWAY sehr viel aus seiner Familiengeschichte preisgibt, andererseits findet sich auch ein vorläufiges Etappenziel, das noch einmal mehr Freude beim Lesen bereitet, wenn die bisherige Strecke hierhin bekannt ist. DERIB zeigt, wie stark er in der ernsthaften Comic-Erzählung ist und gleichzeitig, was Comic für erwachsene Leser wie auch für Heranwachsende zu leisten vermag. Melancholisch, nostalgisch, einfühlsam, geheimnisvoll und spannend, dramatisch allemal, präsentiert sich hier einer der besten Comic-Western überhaupt. Ganz, ganz toll! 🙂
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Freitag, 17. Juni 2016
Mai 1780. In der neuen Welt ist die Landschaft paradiesisch und wild. Viele Neuankömmlinge haben eine Heimat gefunden. Viele haben sich mit den Ureinwohnern des Landes angefreundet und halten Frieden. Aber längst nicht alle, denn die Zwiste aus der alten Welt sind mit über den Atlantik gebracht worden und die Sklavenhaltung hat eine Bewegung von Menschen in Gang gesetzt, die unter persönlichen Gefahren Schwarzen zur Freiheit verhelfen. Einer dieser Menschen ist der junge Mann Eichhörnchen, der mit seiner Frau Rebecca ein Holzhaus in der Wildnis bewohnt. Eines Nachts färbt sich der Mond rot. Eines der ersten Vorzeichen auf das kommende Ungemach …
Der wilde Osten des nordamerikanischen Kontinents wird in Literatur, Comic und Film sehr vernachlässigt. Oft hört man in diesem Zusammenhang nur die Schlagworte Lederstrumpf, Wildtöter oder Chingachgook. Wie vielschichtiger eine Beschreibung dieses Zeitabschnitts sein kann, zeigt die (zu Recht) langlebige Serie DIE PIONIERE DER NEUEN WELT. In der 20. Episode mit dem Titel DIE NACHT DER WÖLFE teilt sich die Handlung in zwei sehr unterschiedliche, aber nicht minder spannende Stränge auf.
Bevor die Sklaverei im amerikanischen Bürgerkrieg zum großen Thema wird, haben sich bereits in dieser hier geschilderten Epoche ein paar tapfere Menschen dazu entschlossen, schwarze Sklaven aus dem Joch zu befreien und in Sicherheit zu bringen. Die Lebensbedingungen dieser ausgebeuteten Menschen sind sehr schlecht und schon die Kleinsten müssen für ihre weißen Herren schuften. Die Bewegung zur Befreiung dieser armen Seelen arbeitet im Verborgenen, zellenartig, nicht jeder weiß von jedem, Tarnnamen schützen und Geheimparolen sollen die einzelnen Anlaufstationen vor Entdeckung bewahren. Die Vorgehensweise von Eichhörnchen und einem Priester mutet vergleichsweise modern an und wie es sich zeigt, haben sie allen Grund sehr vorsichtig zu Werke zu gehen.
Handelskriege. Dieses Wort zeugt vor den hier erzählten Ereignissen von der ursprünglichen Bedeutung. Ist das eine Szenario trotz seiner Gefahr, die ständig mitschwingt, auch ein Hort der Ruhe, vor allem, da seine Akteure sich heimlich, still und leise verhalten müssen, ist das andere Szenario ein offener Krieg der Hudson’s Bay Company gegen die North West Company. Beide haben sich Verstärkung bei den Ureinwohnern gesucht, eine Art von Partnerschaft in beiderseitigem Interesse. Cree bei der North West, Irokesen bei der Bay. Hier geht es niemandem mehr darum, den Feind zurückweichen zu sehen. Hier geht es einzig noch um pure Vernichtung.
Auf der einen Seite bietet sich dem Leser eine eindringliche Handlung, spannend, anrührend, dramatisch. Auf der anderen Seite geht es zur Sache. Barbarisch, hart, grausam. In beiden Fällen zeigt ein wichtiger Erfolgsgarant der Reihe, Comic-Künstler Ersel, wie realistische Zeichnungen diese Zeitperiode transportieren und gut recherchierte Kulissen und Ausstattungen zu einer tollen Atmosphäre beitragen. Die Bilder treffen stets den richtigen Ton, tasten sich fein an die Figuren heran und überreizen die unumgängliche Gewaltdarstellung zu keinem Zeitpunkt.
Auch in der 20. Folge eine junge Serie, die immer neue Themen aus der frühen Phase der nordamerikanischen Besiedlung findet, leicht erzählt wirkt, durch die schönen Zeichnungen beeindruckt und mit jedem neuen Band einen Höhepunkt dieser spannenden Ära setzt. Für Freunde historischer Szenarien uneingeschränkt zu empfehlen. 🙂
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Montag, 02. Mai 2016
Warum sollte man als junger Mensch einem Erwachsenen Glauben schenken? Oder warum sollte die Erfahrung eines anderen zählen? Buddy Longway möchte seine Tochter Kathleen gerne davon abhalten, zu früh mit ihrem Pferd zu reiten. Es könnte weder für sie, noch für das Tier gut sein. Buddy Longway hätte seine Tochter besser kennen sollen, schließlich hat sie so manche Charaktereigenschaft von ihm geerbt. Dazu gehört auch, immerhin in dieser Altersphase, ein gewisses Ungestüm. Buddy kannte dieses Gefühl. Auch er hat seine Fehler gemacht. Fehler, die vielleicht sogar gefährlicher waren, als sie Kathleen nun unterlaufen.
DERIB erzählt mit BUDDY LONGWAY über mehrere Leben im Wilden Westen vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Buddys Familie beläuft sich inzwischen auf vier Personen. Neben den Problemen, die mit Heranwachsenden auftreten können, sind die Schwierigkeiten im urwüchsigen Land weit im Westen des nordamerikanischen Kontinents noch weitaus größer. Das Titelbild und die Überschrift des dritten Bandes der Gesamtausgabe über den Trapper BUDDY LONGWAY bringen es auf den Punkt. DER WAHN DES MENSCHEN teilt sich in verschiedene Aspekte auf. Ein Kern hier ist der Hass auf alles Fremde und der daraus resultierende Vernichtungswille alles Andersartigem.
DERIB vermischt eine straffe und spannende Handlung mit großen Themen. Für Jeremiah steht das Erwachsenwerden im Vordergrund. Ein Ziel zu finden, eine Vision sogar, wie es auch Heranwachsende seines Volkes, die Indianer, tun. Denn obwohl sein Vater ein Weißer ist, ist die Verbindung zur Linie der Mutter viel stärker ausgeprägt. Das Leben in und mit der Natur hat seinen Charakter geformt. Die Begegnung mit der Zivilisation, in Form von Auswirkungen des Goldrauschs und des Hasses auf die Indianer, schreckt ihn und lässt ihn sich noch mehr auf vertrautes Territorium, völlig zu Recht, zurückziehen.
Der weiße Dämon lautet der zweite Titel der hier vereinten vier Alben. Und Dämonisch ist das Stichwort für eine Reihe von Ereignissen, die DERIB seinen vier Helden, der Familie um BUDDY LONGWAY, zumutet. Ihm gelingt es einerseits, eine Art von Paradies zu zeigen, die Schönheit von Leben, wie es sein könnte. Andererseits stellt DERIB das Dämönische gegenüber, als eine Art Brunnenvergifter, das sich hinter Täuschung verbirgt, großen Worten und häufig überfallartig über die Protagonisten hinweg rollt. Der ebenfalls titelgebende Captain Ryan stellt eines dieser bösartigen Elemente in den Geschichten dar. DERIB schildert, wie sehr der Mann von seinem Hass zerfressen wird und gleichzeitig seine Soldaten in seinen ganz persönlichen Rachefeldzug hineinzieht und bis dahin unbescholtene Männer instrumentalisiert.
Aber auch das scheinbar Natürliche kann sich der Kritik nicht entziehen. Die Mannesproben der Indianer, die, einer Vision folgend, an der Schwelle zum Erwachsenen abgelegt werden, um endgültig zu reifen, stellen hier einen Eingriff in das natürliche Gefüge dar, obwohl sie seit Menschengedenken zum natürlichen Kreislauf gehören. Jeremiah, der Sohn von BUDDY LONGWAY, gelangt zu einer anderen Erkenntnis als jener, die er ursprünglich erwartet hat. DERIB ist nicht nur ein schlauer Erzähler, ihm gelingt es auch auf einfache Weise, eine leichte Form der Philosophie, ein wenig Ethik zu vermitteln. Gerade so, wie BUDDY LONGWAY seinen Kindern Geschichten erzählt, um diesen einen Rat oder eine Weisheit zu veranschaulichen, verhält sich auch DERIB gegenüber seinen Lesern. DERIB überschreitet damit leichtfüßig und ohne Druck auf den Leser die Trennlinie vom Comic zur Literatur.
Zeichenstil: gestern und heute. In der ersten Geschichte im vorliegenden Sammelband gestattet sich DERIB einen nostalgischen Rückblick. Er lässt BUDDY LONGWAY nicht nur aus dessen Anfangstagen als Trapper erzählen, er zeichnet ihn auch wieder mehr cartoony, wie er es zu Beginn der Serie getan hat. So grenzen sich die Erinnerungen deutlich zur familiären Gegenwart ab, die DERIB mit seinem wunderbaren Realismus zu Papier bringt. Auf diese Art wird auch der Humor seiner Erzählung deutlicher, ohne wörtlich in einen Witz abzugleiten, der sich schlecht übersetzen lässt. Die Situationskomik versteht jeder.
DERIB versteht es einfach mit seiner Figur BUDDY LONGWAY Geschichten zu erzählen. Sie wirken nicht nur echt, sondern auch wahrhaftig, als wäre diesen Menschen heimlich über die Schulter geschaut worden. Eine große Geschichte, die mehr als nur ein Western ist. Erste Klasse! 🙂
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Sonntag, 24. April 2016
Eine Jagd ist kein leichtes Unterfangen, wenn die Beute eine größere Stärke, mehr Masse, mehr Wut und … große Hörner besitzt. Aber die Jäger haben keine Wahl. Eine solche Beute ist ein Glücksfall für den ganzen Stamm. Eine List mag helfen, die Beute zu bezwingen. In der Aufregung begeht der kleine Poika, der die Jäger begleiten darf, einen folgenschweren Fehler. Das Leben vor 10.000 Jahren in Britannien besteht aus täglichen Überlebenskämpfen. Geheimnisvolle Wesen lauern in der Welt und in den Träumen. Legenden entstehen schnell. Und wer die Grenzen der Stammesgebiete nicht achtet, provoziert eine gewalttätige Auseinandersetzung.
Ben Haggarty und Adam Brockbank haben ein ungewöhnliches Projekt auf die Beine gestellt, gleichzeitig eines, das darf an dieser Stelle schon gesagt sein, dass gesamter Länge gelungen ist. Offensichtlich ist die Qualität der Grafiken, die weit über das normale Maß hinausgehen. Adama Brockbank arbeitet als Storyboard-Artist (siehe auch Link unten) und im Bereich Production-Design. Die Grafiken seiner Arbeiten zu diversen Harry-Potter-Filmen, Troja, Captain America und vielen anderen sind schlicht großartig zu nennen.
In der Filmproduktion muss dem Ergebnis gemäß, bei Filmen mit fantastischem Hintergrund wie Fantasy oder Comic sowieso, muss mit einer erhöhten Präzision gearbeitet werden, die von Comic-Zeichnern so nicht zur Gänze verlangt werden. Rein technisch betrachtet lassen sich qualitative Vergleiche (nicht thematisch) zu Comic-Produktionen wie THE RED STAR oder GUNG HO ziehen. Adam Brockbank zeichnet ähnlich wie die Comic-Künstler Yanick Paquette und Stuart Immonen (beide bekannt durch ihre Arbeiten für die Ultimativen X-Men). Stilistisch finden sich hier leicht kantige Strukturen, optische Vereinfachungen einiger Figuren. Im mythischen Bereich der Steinzeitmenschen wird diese Stilistik aufgebrochen und glatte, abgerundete Linien sind vorherrschend, wie die Schwäne sehr schön zeigen.
In der Farbgebung findet Adam Brockbank einen feinen Mix aus Flächen, Verläufen und Airbrush. Manchmal erfolgt ein klarer Ausbruch aus einer bewusst künstlichen Darstellung und der Leser darf sich an Grafiken mit fotorealistischem Charakter erfreuen.
Ben Haggarty spielt mit steinzeitlichen Mythen und nutzt jene Fragmente, von denen Schlüsse auf eine religiöse Sicht jener frühen Menschen gezogen werden können. Wandmalereien oder die berühmte kleine Venus von Willendorf mögen Haggarty einerseits für den hier gezeigten Jagdglauben gedient haben (zusammen mit indianischen Mythen neuerer Generationen), andererseits mag die Venus Vorlage für jene bombastische Mutterkreatur gewesen sein, der der Jäger Talja auf seiner Reise zu den Schwänen begegnet. Auf Fantasy muss der Leser hier nicht verzichten, aber er wird nicht einer Fantastik begegnen, die er von den ansonsten üblichen Publikationen her gewohnt ist. Hier herrscht eine Atmosphäre vor, wie sie in Am Anfang war das Feuer gezeigt wurde und der prinzipiell jegliche Romantik fehlt.
In kurzen Episodenschritten entsteht langsam ein Gesamtzusammenhang in MEZOLITH, werden nach und nach die Charaktere genauer gezeigt, ihr Werdegang aufgeschlüsselt. Alles dreht sich in gewissem Sinne um den Jungen Poika, die nicht einmal immer zugegen ist und seine Erfahrungen erweitert, sondern auch aus den Erzählungen der anderen Stammesmitglieder lernt. Wie wichtig derlei Wissen sein kann, wie schnell sich eine Legende in die Wahrheit verkehrt, lernt der Leser in mancher Wendung. Ben Haggarty hat eine neue Möglichkeit gefunden, geheimnisvoll Elemente zu verarbeiten, sehr leicht, sehr menschlich, in einer Rückführung in jene Epoche, als die Grundlagen für jedwede Fantasie entstand und die Grenzen zwischen dem Mythischen und dem Realen noch viel durchlässiger waren.
Eine für Comics lange vernachlässigte Zeitspanne, die hier von Ben Haggarty sehr gründlich, sehr liebevoll, unterhaltsam und packend erzählt wird. Adam Brockbank überträgt die geschilderten Figuren in echte Persönlichkeiten, die sich einer stets gefährlichen Umwelt stellen müssen und gemäß des historischen Entwicklungsstadiums der Menschheit in ihrer Welt aufgehen und sich arrangieren, anstatt mit ihr zu hadern. Sehr gut. 🙂
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Sonntag, 10. April 2016
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs zogen die Soldaten noch mit einem Hurra auf den Lippen in den Kampf. Bei den beiden französischen Kämpfern, Calixtus von Prampeand und Leon Matilo, ist von diesem überschäumenden Gefühl, sollte es jemals vorhanden gewesen sein, nichts mehr zu finden. In den Schützengraben herrschen Todesangst und Desillusion. Wie berechtigt diese Ängste sind, zeigt sich binnen kurzem, als ein kleiner Igel, als Frühwarnsystem eingesetzt, in sein Versteck krabbelt, weil er das Getrampel der angreifenden deutschen Infanterie viel früher erkennt als die französischen Einheiten. Das Gemetzel beginnt …
Der Krieg geht vorüber, die Männerfreundschaft bleibt, zusammengeschweißt von der grauenhaften gemeinsamen Vergangenheit. Nach so viel Tod bedeutet das Leben noch viel mehr. Aber was soll man nach diesem weltweiten Unheil anfangen? Die Welt hat nichts daraus gelernt. Die Kämpfe gehen weiter, anderswo. Warum nicht daraus Profit ziehen? Aus Calixtus, demotiviert von einem Leben in der Oberschicht, und Leon, ambitioniert, weil er seiner Misere entfliehen möchte, werden Abenteurer. Die Rifberber erheben sich gegen die spanischen Besatzer in Marokko. Es wäre doch gelacht, wenn sich dort mit Waffen kein gutes Geld verdienen ließe …
Maurin Defrance und Fabien Nury haben eine klassisch französische Abenteuergeschichte verfasst, wie sie in der guten alten Kinozeit mit Gesichtern wie Lino Ventura, Yves Montand und anderen Charakterköpfen die Leinwände bevölkerten. Nach dem Ersten Weltkrieg bäumen sich die Kolonialmächte auf, versuchen die Kontrolle zu behalten. DER MAROKKANISCHE FRÜHLING kündigt einen Umschwung an. Stolze Völker wehren sich gegen die fremden Unterdrücker. In diesem ersten Teil, Lockruf Tanger, wollen die beiden Hauptfiguren (siehe Titelbild) dieses Aufbegehren für eine eigene Lebenswende nutzen.
Man muss diese beiden Halunken direkt von Beginn an mögen. Das Leben hat ihnen übel mitgespielt. Ihre Herkunft spielt kaum eine Rolle. Sie lieben das Leben, sind mutig und einzeln oder gemeinsam gleichermaßen Unglücksraben. Außerdem kommt bei aller mörderischen Erfahrung aus dem Krieg noch eine gewisse Blauäugigkeit hinzu. Merwan, einer der beiden Zeichner, war für die Geschichte nach einem Animationsfilm-Look. Das Ergebnis sind starke Eindrücke, die bei aller Reduziertheit der Optik mit sehr differenzierten Charakteren überzeugen.
Moderne Trickfilmoptik mit Nostalgiecharakter. Einerseits finden sich grafische Techniken, wie sie auch in Waltz With Bashir benutzt wurden. Dünne Linien, deutliche schwarze Schattierungen, ein fein ausgearbeiteter Gegensatz von Leichtigkeit und Schwere. Andererseits werden Comic-Nostalgiker, solche die Freude an Geschichten wie Corto Maltese haben, ihren Lesespaß ebenfalls mit DER MAROKKANISCHE FRÜHLING finden können. Farblich wird zurückhaltend agiert. Erdige, meist eher kühle Töne, in einer kleineren Gesamtpalette nehmen den Leser mit auf Zeitreise, noch kein ganzes Jahrhundert, aber viel fehlt nicht mehr.
Das Making of von DER MAROKKANISCHE FRÜHLING bietet einen tollen Einblick in den Entstehungsprozess. Comic-Künstler Fabien Bedouel wirft Entwurfsskizzen aufs Papier, die, je nach Ausführung, einem Moebius oder einem Enki Bilal nahekommen. Stilistisch wäre das Endergebnis deutlich aufwendiger gewesen, es hätte der Geschichte aber auch eine völlig andere Note gegeben. Der letztlich durchgezogene Weg hält mehr auf Abstand. Durch die Abstraktion wird, ähnlich wie bei Corto Maltese, die Fantasie des Lesers etwas mehr bemüht.
Endlich mal wieder eine tolle Idee innerhalb des Comic-Mediums. Unverbraucht, angesiedelt in einer höchst spannenden Epoche, findet der Leser zwei klasse Hauptcharaktere, deren Lebensweg einen Hauch von Jack London umweht. Für Freunde von guten Abenteuergeschichten. Sehr schön. 🙂
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Freitag, 11. März 2016
Die Welt braucht eine Religion, einen Gott, um all die Völker zu einen. Und Präsentation ist alles. Für den neuen Tempel wird ein Architekturwettbewerb ins Leben gerufen. Aber die Entwürfe sollten gut sein. Sehr gut sogar, denn wer den Herrscher verärgert, kann sehr schnell sein Leben lassen. Immerhin einer schafft es, mit seinem Tempelmodell Wismerhill zu begeistern. Die Verbesserungsvorschläge des Herrschers sind das Tüpfelchen auf dem I, die dem Ganzen einen noch bombastischeren Anstrich verleihen.
Wie baut man eine Fantasy-Welt? Autor F.M. Froideval gibt darauf eine umfassende Antwort. Die Einzelheiten, die hier in TERRA SECUNDA, der neune Welt der Menschen, zusammengefügt werden, sind umfassend und dank des Comic-Künstlers Fabrice Angleraud gewinnen sie einen besonderen Wimmelbildcharakter. In den Chroniken des schwarzen Mondes ist was los. Wie hier eine ganze Welt aufgesplittet wird, ist nicht beispiellos, aber in seiner Machart und Kleinarbeit aufregend. Es ist wie der Blick auf ein fantastisches Diorama, in dem es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt.
Eine Vorgeschichte für Drachen-Fans! Die Schlangen führen Krieg. Wo sie erscheinen, haben sie sich daran gewöhnt, jeden Feind in Bausch und Bogen zu besiegen. Es funktioniert, bis sie eines Tages an den falschen Gegner geraten, einen, der einfach übermächtig ist: Drachen. Als Fantasy-Laie sollte eine gewisse Verwandtschaft des geschuppten Gewürms vorausgesetzt werden und deshalb eine Art stummer Allianz natürlich sein. Weit gefehlt, wie uns F.M. Froideval eindrucksvoll schildert. Hinzu kommt die grandiose Inszenierung der Drachenattacke, die, hätte es sie auf der Kinoleinwand gegeben, Smaugs Angriff im Hobbit wie einen Zwergenaufstand hätte aussehen lassen. Eine Drachenparade, jeder einfallreicher als sein Nachbar, bietet teils doppelseitigen Lesegenuss. Die Begegnung zwischen dem großen Drachen und dem Schlangenkönig ist ein Ausschnitt episch angelegter Fantasy.
Wie entstand TERRA SECUNDA? Der Leser darf der Erzählung aus dem Mund einer mittlerweile erwachsenen Frau lauschen, die als Kind den Aufbau des gewaltigen Reiches miterlebt hat. Es ist eine Sammlung vieler Episoden und Einblicke in den Wiederaufbau einer Kultur, fast eine Art Making-of eines Königreiches mit verschiedenen Zivilisationsausprägungen. Denn anders als in den üblichen Fantasy-Geschichten, in dem einzelne Reiche sich optisch und organisatorisch ähneln, werden hier verschiedene Konzepte angerissen. Das verhält sich ebenso mit mancher Episode. Einige scheinen wie der Auftakt von mehr zu sein. Es l?sst den Leser hier ein wenig unbefriedigt zurück.
Schwarzer Humor wird groß geschrieben. Die sind so süß! Wie schon die Crew in Galaxy Quest feststellte, sind kleine süße Dinger nicht unbedingt harmlos. Bei der Erforschung ihrer neuen Länder machen auch die Wissenschaftler in TERRA SECUNDA diese leidvoll tödliche Erfahrung, final und deshalb ohne davon profitieren zu können. Es ist ein Witz, der auf der Leinwand funktioniert hat, der es hier gleichfalls schafft, zumal er einer in einer ganzen Reihe ist, die Schlag auf Schlag von Angleraud und Froideval präsentiert werden.
Es ist eine zweifellos brutale Welt. In einigen Sequenzen wird nicht mit Blut gegeizt. Ob nun Drachen zu Felde ziehen, Rache eingefordert wird oder es in der Hölle bei einem Personalwechsel zur Sache geht, in Spitzenwerten herrscht eine regelrechte Braindead-Blutschwemme vor. Andererseits gibt es aber Überraschungen familiärer Natur, die das Bild eines tyrannischen Herrschers kurz kippen. Nicht lange jedoch, denn dann marschiert eine kleine Armee nach Azteca … Die feingliedrigen Arbeiten von Fabrice Angleraud und Perusse-Bell (Farben) machen selbst daraus ein tolles grafisches Erlebnis.
Für Freunde weitschweifiger und sehr ausgefeilter Fantasy. Die Grafiken transportieren eine Welt, die es auf jeder Seite in sich hat. Optisch ist Comic-Künstler Fabrice Angleraud ein Riesenrespekt für seine Arbeit zu zollen. Ganz, ganz toll! 🙂
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Mittwoch, 24. Februar 2016
2. Februar 1854. Am Bosporus herrscht das Grauen. Im strömenden Regen kehren die verletzten Soldaten von der Front zurück und werden in die überfüllten Lazarette geschafft. Doktor Parks kann sich die Freude nicht verkneifen, einmal einen Soldaten auf dem Behandlungstisch zu haben, bei dem sehr gute Heilungschancen bestehen. Aber das Schicksal will es anders. Völlig überraschend verschlechtert sich der Zustand des verletzten jungen Mannes während der folgenden Operation. Parks kämpft. Er sucht nach einer Blutung, die es nicht geben dürfte. Vergebens. Was ist hier geschehen? Eines Tages wird der Doktor es wissen.
Die geheimnisvolle Familie Holmes. Wer hätte gedacht, dass jene Familie selbst ein Geheimnis besitzt? Dass nicht alles geradlinig in jenem Hause verlief, in dem der spätere Meisterdetektiv zur Welt kam? Autor Luc Brunschwig gelingt mit diesem dritten Band der Reihe HOLMES ein feiner Spagat zwischen dramatischer Biographie und einem Gesellschaftsbild einer vergangenen Epoche, in der so bedeutende Menschen wie Florence Nightingale von sich Reden machten. Nicht umsonst heißt diese Folge: Die Dame von Scutari.
Mit jener Dame geht der Begriff Engel von Scutari einher, ein Beiname, den sich die Mutter von Sherlock Holmes an den Krankenbetten der verletzten und sterbenden Soldaten an der Front des Krimkrieges verdient. Obwohl Dr. Watson in der Sache HOLMES ermittelt, stehen die Frauen hier im Mittelpunkt der Handlung. Die Mutter von Sherlock Holmes ist nur ein Aspekt dieser Geschichte. Daneben finden sich Florence Nightingale, die unglückliche Judy Brown und das langjährige Kindermädchen der Familie Holmes, Miss Bannister. Die Geschichten, die diese drei Frauen zu erzählen haben oder auch selbst in der Handlungsgegenwart mitmachen, besitzen diese unterschwellig kochende Dramatik, die Sherlock-Holmes-Fällen zueigen ist. Der Schrecken erwächst in einigen Ausbrüchen und Wendungen, die vor allem durch ihre Tragik mitreißen.
Doktor Parks ist ein Mittelsmann über zwei Epochen. Der Leser darf diese Figur in zwei exzellenten Sequenzen erleben, die eng miteinander verzahnt sind. Mehr soll nicht verraten werden. Doch sei auf die Erzählweise von Luc Brunschwig eingegangen, dem es elegant gelingt, erzählerische Tricks, wie sie gerne in modernen Fernsehserien angewendet werden, auf die Handlung im dritten Band von HOLMES zu übertragen. Der aufmerksame Leser wird dazu aufgefordert den Atem anzuhalten, wenn die Handlung unaufhaltsam nach vorne drängt und zwei Stränge sich überschneiden. Häufig teilen sich zwei solche einen Gegenwartsstrang. Hier wird gezeigt, wie die Vergangenheit auf die Gegenwart Einfluss nimmt. Eine Handlungslinie erhält textliche Unterstützung. Die andere wirkt rein durch die grafische Darstellung von Cecil.
Kaltes Grau für die Gegenwart, helles Braun und Ocker für die Vergangenheit. Cecile entzieht sich mit seiner Farbgebung weiterhin der gängigen Kolorierung und entscheidet sich hier für die Atmosphäre eines Blicks in die Vergangenheit. Für den Leser ist eine Zeitreise in die Tage monochromer fotografischer Abbildungen entstanden, die durch ihre Farbigkeit Abstand hält und doch, wie es bei alten Fotografien oft der Fall ist, seltsam berührt und fesselt. Zwei Schienen entstehen. Einerseits schaut der Leser in die Vergangenheit, andererseits schaut er dabei Dr. Watson und Mary über die Schulter, wie diese ihrerseits ferne Tage auferstehen lassen (und nicht nur sie).
Cecil beeindruckt mit seiner Genauigkeit und seiner gefühlvollen Darstellung. Wer den historischen Roman zu schätzen weiß, aktuelle Serien, die mit dem 19. Jahrhundert spielen und der Jahrhundertwende in die das 20. hinein, wird die Atmosphäre mögen, die gleich zu Beginn in den Krimikrieg springt. Das eigentliche Gemetzel bleibt dem Leser erspart. Er muss sich mit den Auswirkungen, den Verletzten arrangieren und dem Kampf des Pflegepersonals, Leben zu retten und Leiden zu lindern. Wer den ausführlichen redaktionellen Teil im Anhang hinzuzieht, wird darüber staunen, wie sich Cecil an den jeweiligen Bildausdruck und die komplette Seite herantastet. Meisterlich wird es hier verstanden, mit dem Großen das Kleine zu umrahmen. Aus einer detailreichen werden die Blicke weniger Personen in den Fokus geholt, eine großartige Imitation einer Kamerafahrt.
Charaktere mit enormem Tiefgang etablieren sich binnen kurzem. Zusammenkünfte, Lebensgeschichten geben mit ihren Dramen einen gesellschaftlichen Eindruck wieder. Hier werden grafisch eindrucksvoll familiäre Geheimnisse der Familie Holmes gelüftet. Für Fans der Originalvorlagen von Arthur Conan Doyle ein Muss. 🙂
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