Sonntag, 22. Februar 2015
Ein guter Tag zum Sterben. Kalimbo, der Elefantenbulle, ist alt. Er hat ein langes Leben gelebt und nun gilt es, seine Familie vor den Folgen seiner greisen Tage zu verschonen und den Elefantenfriedhof aufzusuchen, wo er in Ruhe sein Ende erwarten kann. So ein Weg quer durch die afrikanische Steppe ist weit. Kalimbo hat viele Tiere kennen gelernt, sein Ruf eilt ihm längst voraus. Dem alten Elefantenbullen macht niemand mehr etwas vor. Makoussa, ein alter Löwe, bietet dem wuchtigen Freund an, ihn auf seiner letzten Wanderschaft zu begleiten.
Didier Crisse (Autor) und Fred Besson (Zeichner, Kolorist) sind mit Atalante zu einem der Traumduos unter den Comic-Machern aufgestiegen. Konnte man bislang in Atalante einen Hang zu Disney-Design nur entdecken, ist das Vorbild König der Löwen, überhaupt die ganze tierische Seite des großen amerikanischen Unterhaltungskonzerns deutlich sichtbar. Wer den Löwen auf dem Titelbild sieht, wird sofort vergleichen. Das schadet aber in keiner Weise, denn Crisse und Besson ringen dem Thema eine Qualität ab, die sich nicht vor den Kinovorbildern verstecken muss, eher übernimmt sie in gedruckter Form selbst Vorbildfunktion.
Hier gibt es keinen Unterschied zwischen der grafischen Qualität von Titelbild und Innenseiten. Der erste Auftritt von KALIMBO, weit entfernt von Herde stehend, mit stechendem Blick, abweisend, damit ihm auch ja niemand folgt und der Abschied leichter fällt, ist einfach toll inszeniert. Die weißen Augenbrauen sind das I-Tüpfelchen auf dem Design des Elefantenbullen, der insgesamt so perfekt gestaltet ist, dass man seinen grummelnden Tonfall vom Papier her zu hören vermag. Das ist sicherlich übertrieben formuliert, es ist aber angesichts des unwahrscheinlich griffigen Entwurfs der Titelfigur eine für mich gute Beschreibung.
Mata-Mata. Der erste Band von KALIMBO präsentiert das Lied der Savanne in einem großen Teil seiner Bandbreite. Neben dem Motto Fressen und gefressen werden geht es natürlich auch um die ungeheure Vielfalt und Menge von Tieren, die Afrika zu bieten hat. Gnu-Herden werden für die übrigen Bewohner der Savanne zum Großereignis, dem man sich besser nicht in den Weg stellt. Didier Crisse vergisst über der realen Grundlage die Märchenhaftigkeit des Szenarios nicht. Die Tiere warten auf einen Gleichmacher, der das Prinzip von Gefressen und gefressen werden beendet. Die Bezeichnung dieser mythischen Figur: Akimba.
Problem: Nicht jeder will einen Gleichmacher. So mancher, frei nach George Orwell und passenderweise seiner Farm der Tiere, ist gleicher als gleich. Und so ist die Jagd auf Mata-Mata eröffnet. Das ginge für das kleine Zebra dieses Namens böse aus, gäbe es nicht, ganz klar, KALIMBO. Besonders Fred Besson darf nun mit seinen Bildern Gegensätze, Grundsätze, Missverständnisse und Widersprüche in dieser Tierwelt herausarbeiten.
Eines der schönsten Missverständnisse ist die Begegnung zwischen Kalimbo (Elefant) und Drogba (Nashorn). Mehr soll auch dazu nicht gesagt werden. Es ist ein Hingucker, es ist spaßig und komplettiert auch ein wenig die hintergründigen Fragen rund um das Alter. Wenn Tiere vermenschlicht werden, fließen logischerweise auch menschliche Fragestellungen mit ein. Diese Szene ist nur eines von vielen Kabinettstückchen, die Crisse und Besson gelingen. Ein fast schon obligatorisches Making-of im Anhang rundet den Blick auf das Können von Besson ab.
Eine Geschichte, die Spaß macht und für eine schöne Leserunde geeignet ist. Von Didier Crisse märchenhaft erzählt, von Fred Besson mit traumwandlerischer Versiertheit gezeichnet. Ein optischer wie auch technischer Augenschmaus. Die Fortsetzung darf kommen! 🙂
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Sonntag, 15. Februar 2015
Die Pilze sind riesig. Nicht nur das! Plötzlich tauchen überall auch diese ganzen kleinen Pilze auf. Pilze! Überall Pilze! Und dann dieser Zauberer! Nachdem dieser Herumtreiber in der Nähe von Rummeldorf aufgetaucht ist, brach auch das Chaos aus. Kühe alterten in enormen Tempo. Geräusche in der Nacht beunruhigen die beiden Camper Spirou und Fantasio. Der fremde Jäger, der in der Dunkelheit einen Hasen davonträgt, ist ein Anblick, den der Beobachter so schnell nicht vergisst, denn der Hase ist riesig!
Eine Erbschaft, die ist lustig … Nachdem das Abenteuer rund um das Kennenlernen mit dem Grafen von Rummeldorf erfolgreich bestanden ist, warten drei Aufgaben auf Fantasio. Spirou steht selbstverständlich an der Seite des Freundes. Allzu leicht sind diese Aufgaben, die den Weg zu einer Erbschaft ebnen, nicht zu bewältigen. Zu ungewöhnlich sind sie abseits des normalen Alltags. Die beiden Freunde werden häufig und gern mit merkwürdigen, exotischen, aber auch Vehikeln gesehen, die in der Realität Begeisterungsstürme auslösen würden. Nun ist Fantasio als Erfinder gefragt. Eine Erfindung von allgemeinem Nutzen soll dank seines kreativen Geistes das Licht der Welt erblicken. Das ist leichter gesagt als getan.
Wurde zuvor noch mit dörflichem Lokalkolorit gespielt und die konservative Landseele durch den Kakao gezogen, wird mit dem fünften Band, Eine aufregende Erbschaft, eine der großen Stärken der Reihe bereits vage vorskizziert. Und nicht nur das. Das dreigeteilte Abenteuer ist auch die Geburtsstunde des Marsupilamis, das nicht nur zu einem der außergewöhnlichsten Comickreaturen schlechthin werden wird, sondern auch neben solchen Figuren, die sich wenigstens wörtlich äußern können, zu einer der liebenswertesten Gestalten frankobelgischer Comickunst aufsteigt.
Dabei ist seine Konstruktion denkbar einfach und folgt, bedenkt man die gummiartigen Wesen, mit den aus heutiger Sicht abnormen Bewegungsabläufen der frühen Zeichentrickfilme, damaligen Gesetzmäßigkeiten, allerdings holt es ein Optimum aus diesen ungeschriebenen Regeln heraus. Das Marsupilami ist auf seine Art ein comictechnisches Denkmal geworden. Die Mischung aus Hund, Affe und gelbschwarzen Comicwesen ist (und das haftet jedem Comicklassiker an) zeitlos. Sein HUBA-HUBA braucht keine Übersetzung. Sein Lachen, das es durch die Begegnung mit Spirou und Fantasio überhaupt erst entdeckt, ist mitreißend und in der jeweiligen Szene urkomisch. Wer wollte es nicht wieder in Freiheit sehen?
Die Entführung des Marsupilami, das dritte Abenteuer in der vorliegenden zweiten Folge der Gesamtausgabe der Reihe um Spirou, handelt denn auch folgerichtig von seiner Befreiung aus Zoo und Gefangenschaft. Es mag eine unbewusste Lehrstunde darüber sein, dass in Freiheit geborene Tiere nicht in Gefangenschaft gehören, weder in Zoo noch Zirkus. Im redaktionellen Teil wird kurz über eine Phase vor und nach Franquin mit Spirou gesprochen, prägend sei aber vor allem die Phase während Franquins Schaffenszeit gewesen. Ungezwungen, Leichtigkeit sind die Worte, die mir zu seiner Arbeit einfallen.
Franquin selbst sind die Veränderungen der Figur Spirou aufgefallen. Die anfängliche Verspieltheit, eine Orientierungsphase, ist sprichwörtliche Geschichte. Die Figur Spirou, Fantasio natürlich auch, ist einstudierter, gewissenhafter, dafür müssen sich andere Charaktere noch entwickeln. Ein Graf von Rummelsdorf zum Beispiel besitzt noch die Schlaksigkeit eines Fantasio und hat noch lange keinen Anschluss an die beiden Hauptdarsteller gefunden, wie es später der Fall sein wird.
Der verlorene Sohn … Na, ja, nicht so ganz. Zantafio, Fantasios Vetter, wird schnell geläutert und verschwindet so gleich nach seiner Einführung wieder (vorerst), aber er wirft auch ein wenig die Schatten einer anderen Figur, nämlich Zyklotrop voraus, deren Konzeption ähnlich ist. Ist Zantafio das böse Gegenstück zu Fantasio, ist es Zyklotrop zu Graf von Rummelsdorf. Im direkten Vergleich zu Zyklotrop bleibt Zantafio aber deutlich blasser. Seine Auftritte jedoch sind spektakulär. Der raketenstarke, geflügelte Motorroller weckt motorenbegeisterte Männerträume, sogar bei den Comicfiguren selbst.
Die Geschichten rund Spirou und Fantasio nehmen Fahrt auf. Erste große Höhepunkte reißen mit, die Hauptfiguren sind runder, weitere Grundzüge der Serie werden gelegt, wichtige, spätere alte Bekannte werden eingeführt. Spirou und Fantasio sind bereits in den Jahren 1950-1952 eine Comic-Spielwiese, auf der sich Macher und Leser trefflich austoben können. 🙂
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Donnerstag, 12. Februar 2015
Ratten! Wie schnell das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt bedroht sein kann, wird durch das massenhafte und aggressive Auftreten von Ratten deutlich. Die Plage macht weder vor der örtlichen Wasserversorgung noch vor Haustieren Halt. Selbst solche Menschen, denen der Tod nichts mehr auszumachen scheint, sehen sich angesichts der schwarzen Nagetiere in Angst und Schrecken versetzt. Für die Drahtzieher im Hintergrund, rachsüchtige Hexen, denen es gefällt, Unheil zu stiften, ist es ein großer Spaß. Doch das Hexenleben besteht nicht nur aus der Vergiftung der Lebensgrundlagen, zuweilen können die eigenen Gefühle so bedrohend sein, dass sie von den eigentlichen Zielen ablenken.
Eifersucht kann weitreichende Folgen haben. Mitunter können selbst jene, die landläufig als böse zu bezeichnen sind, vor Eifersucht fast vergehen. Lilith ist da keine Ausnahme. Sie pflegt eine Eifersucht, die Äonen währt und sich ein ganz besonderes Ziel gesucht hat. Autor und Zeichner Terry Moore vertieft in dieser Folge der Mystery-Serie RACHEL RISING die Charaktere und nimmt sich insbesondere die Nebenfiguren vor, die einen maßgeblichen Einfluss am Geschehen entwickeln. Die erwähnte Lilith, von Gott zur Oberhexe verdammt, ist eine gequälte Kreatur, sobald sämtliche Barrieren fallen und sie sich nichts mehr ersehnt, als dieser Existenz zu entfliehen und wieder in die Nähe des Herrn zu kommen, von dem sie sich schmählich verlassen fühlt. Aus der erbarmungslosen Hexe wird in diesen schutzlosen Momenten ein kleines Mädchen, das nichts anderes will, als nach Hause zurückzukehren.
Der Teufel fühlt sich hingegen pudelwohl. Er hat sich in Form eines Priesters in den Schatten der Kirche zurückgezogen und erzieht dort die kleine Zoe, die zu Beginn der Serie für einen gehörigen Schrecken gesorgt hat. Zwischenzeitlich machte sie den Eindruck, ihrer brutalen Seite überdrüssig zu sein, sich sogar vor ihr zu fürchten. Nun erwacht dank des teuflischen Zuspruchs in ihr ein unheimlicher Ehrgeiz. Denn sie hat in ihrer Ahnenreihe einen ziemlich beunruhigenden Vorfahren, den es nun zu übertrumpfen gilt. Anhand dieser, aber auch vieler anderer, Szenen und Sequenzen wird deutlich, wie makaber Terry Moore seine Geschichte zu konstruieren vermag, wie pechschwarz sein Humor in dieser Mystery-Serie ist.
Ich hab sie erst vor einer Stunde aus dem Eisfach geholt. Sie braucht noch eine Weile zum Auftauen.
Frauen kehren von den Toten zurück. Besser gesagt, sie kehren vom Tode zurück. Wäre das nicht schon seltsam genug, mag sich Jet, Rachels Freundin, auch noch wundern, wieso sie eigentlich immer wieder nackt zu sich kommt. Das mag mit Earl zusammenhängen, einem Kumpel und lieben Freund, der sich einem schlimmen Verdacht ausgesetzt sieht. Aber ein Verdacht ist ein Verdacht ist ein Verdacht … Kein Wunder, dass der liebe Earl rot anläuft, als er sich mit entsprechenden Vorwürfen konfrontiert sieht. Terry Moore entlüftet den Kleinstadtmief mit einem süffisanten Blick hinter die Kulissen. Da wird der Katholizismus genüsslich durch den Kakao gezogen. Homosexualität im modernen Amerika ist in keiner Weise mehr anstößig, sondern in einer festen Beziehung so langweilig wie jede andere Beziehung auch.
Was ist mit Rachel? Die steht vor einem Rätsel, immer noch. Zwar haben sich ein paar Fragen geklärt, aber längst nicht alle und so manche Fähigkeit will erkundet werden. Die Ergebnisse schrecken selbst die junge Frau, die sich doch schon zweifach aus der Erde unter Mühen ausbuddelte. Rachel hat ein Gespür entwickelt. Terry Moore zeichnet mit feinem Strich eine Szene, die selbst für Comics, in denen viel mehr möglich ist, als in anderen Medien, die auf morbide Weise anrührend ist. An anderer Stelle beschert er dem lesenden Auge eine kurze Passage, die einem Tierfreund durchaus den Magen umzudrehen vermag, andererseits aber auch die Verrohung eines der Charaktere besser beschreibt, als alles andere zuvor. Deshalb darf über eine andere Szene im weiteren Verlauf frühzeitig abgebrochen und der Rest der Fantasie des Lesers überlassen werden.
Tolle Zeichentechnik, in vorbildlichen Schwarzweißbildern inszeniert, mit Charakteren, deren Merkmale immer tiefer gehend ausgelotet werden, so dass es nahezu jede Figur auf ihre Weise es schafft, für den Leser interessant zu sein, da Terry Moore das Kunststück gelingt, aus (fast) jedem auftretenden Charakter einen unverzichtbaren Bestandteil der Geschichte zu machen. Wäre es eine Fernsehserie, wäre es ein Quotenhit. Mystery-Fans sollten sich diese moderne Schauermär nicht entgehen lassen. 🙂
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Mittwoch, 11. Februar 2015
Die Tote ist durch einen Sturz aus großer Höhe verstorben. Wäre sie an anderer Stelle gefallen, vielleicht wäre sie früher gefunden worden. So aber lag wenigstens zwei Tage herum, bevor ein Passant, der sich nur verlaufen hatte, auf sie stieß und den Todesfall meldete. Für alle Beteiligten wäre ein Unfall wohl die beste Ursache für diesen Leichnam gewesen, hätte nicht ausgerechnet ein Neuling auf dem Gebiet der Kriminalistik auf ein wichtiges Indiz aufmerksam gemacht. Ein Handschuh zuviel drängt die Annahme eines Mordfalls auf. Leider, werden wohl die meisten denken, die sich am Tatort versammelt haben. Aber nachdem Zweifel geweckt sind, müssen diese den Spielregeln gemäß ausgemerzt werden.
In der Welt von HOROLOGIOM gibt es andere Gesetzmäßigkeiten als in jenen, die der Leser gewohnt ist. Nur hier wie dort ist Mord gleichermaßen verboten. Und hier wie dort gehört ein Mörder seiner gerechten Strafe zugeführt. Wie so oft bei Kriminalfällen werden solche und solche Polizisten einander gegenüber gestellt. Solche, die ihren Beruf sehr ernst nehmen und übergeordnete Instanzen nicht fürchten. Und solche, die nicht so genau hinsehen und eine leichte Lösung einer komplizierten Ermittlung vorziehen. Fabrice Lebeault nimmt seine Charaktere ernst, kann es sich aber nicht verkneifen, dass durch gewisse Konstellationen auch komödiantische Elemente in die Handlung einfließen.
Ein Überwachungsstaat wird in HOROLOGIOM geschildert, sicherlich, doch greift ein Vergleich zu 1984 zu kurz. HOROLOGIOM von Fabrice Lebeault mischt einen Funken Märchen, eine Portion Jules Verne und H.G. Wells unter die Handlung. Für den Leser ist es ein Land der Wunder und Ideen, aber alles andere als wunderbar für seine Akteure, denn das Leben in HOROLOGIOM ist pure Tristesse, wäre da nicht der Mord, der zeitweilig den ewig gleichen Alltag aufsprengt. Kleine schwarze Dreiecke sind die Nahrung in HOROLOGIOM. Sie sind nicht etwa die Hauptnahrung, ein Teil davon, nein, sie sind die einzige Nahrungsquelle. Im Vorspann werden dazu Anspielungen auf Soylent Green gemacht, den Science-Fiction-Klassiker von Richard Fleischer auf der Basis des Romans von Harry Harrison (beide sind uneingeschränkt zu empfehlen).
Wenn bei einem derart wichtigen Bestandteil wie der Nahrungsquelle einer Gesellschaft plötzlich Unstimmigkeiten auftauchen, stellt dies ein großes Problem dar, das mit Samthandschuhen behandelt werden muss, denn umstürzlerische Aktivitäten gibt es auch hinter den Kulissen von HOROLOGIOM. Fabrice Lebeaut, Autor und Zeichner von HOROLOGIOM, spricht diese nur vage an, als befürchte selbst der Autor, er könne vor den gestrengen blicken seiner eigens von ihm geschaffenen Kreaturen ein Wort zu viel verraten.
Die Fantasie in HOROLOGIOM. Man beachte allein das Titelbild. Zwei Kriminalbeamte schleichen durch die Gänge, beschreiten jenen stets neuen Weg zu jener Stelle, an der die neuen Dreiecke, die tägliche Fuhre Nahrungsmittel, den Bürgern zur Verfügung gestellt werden. Roboter sind nicht nur maßgeblich an der Produktion beteiligt, sie versuchen in einer Art Ritualfunktion jene in die Irre zu führen, die sich vom rechten Weg abbringen lassen, vielleicht auch jene, die es wagen sollten, einzubrechen, in der Absicht, einen Diebstahl zu begehen.
Eine akribisch beschriebene Welt und doch kommt die Komplexität mit einer enorm leichten Erzählung daher. Fabrice Lebeault berichtet weiterhin völlig unangestrengt über sein HOROLOGIOM. Zu keiner Zeit hat es den Anschein, als sei eine Information überflüssig oder habe noch unbedingt eingefügt werden müssen. Infolge dessen ist eine Geschichte entstanden, in die man sich als Leser sehr gut fallen lassen kann, auch und gerade wegen ihrer Fremdartigkeit. Denn einiges lernt der Leser zusammen mit den ermittelnden Polizisten. Diese schrecken vor der unheimlichen Automation ihrer Umwelt zu keinem Zeitpunkt zurück und ziehen so den Leser mit sich.
Ein optisches Szenario, in dem Fabrice Lebeault mit seiner Vision auf den Spuren eines Fritz Lang wandelt. Wer nur Ausschnitte oder Bilder von Metropolis gesehen hat, wer ein wenig die grafischen Richtungen eines Art-Deco vor Augen hat, wird hier sofort Anleihen und entsprechende Strömungen entdecken. Wo die Figuren sich mit ihrer Kleidung, ihrer Mode zurücknehmen, spielt die Umgebung umso mehr auf, vollführt Fabrice Lebeault mit seinen Gebäuden, mehr noch mit seinen ungewöhnlichen Vehikeln und Robotern wahre Kabinettstückchen.
So toll kann fantastische Science Fiction sein. Mit HOROLOGIOM ist Autor und Zeichner ein moderner Klassiker im Albengewand gelungen. Der neue Mordfall, der stark hinter die Kulissen dieser Welt führt, ist in jeder Beziehung ein Höhepunkt der Erzählkunst im Comic. 🙂
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Mittwoch, 04. Februar 2015
Eine seltsame Frau irrt durch den Wald, hinaus auf die Landstraße. Ihre Stirn blutet, ein weißes Bettlaken verhüllt notdürftig den bloßen Körper. Sie hat keine Ahnung mehr, wer sie ist, noch woher sie gerade kommt, aber sie übt eine merkwürdige Macht über die Männer in ihrer Umgebung aus. Ausgerechnet ein Musiker findet sie. Da er um die Existenz seiner Band fürchtet, ist er zum Bankräuber geworden. Der Coup war erfolgreich, die Begegnung mit dieser Fremden jedoch war nicht eingeplant. Lance fühlt außerdem eine Zuneigung, eine Begierde wachsen, die in seinem direkten Umfeld alles nur noch kompliziert.
Polizei ist nicht gleich Polizei. Zwar unterscheidet sich der ermittelnde Beamte in Sachen Hartnäckigkeit und Professionalität nicht von seinen Kollegen, nur sind seine Zielsetzungen ungleich gefährlicher und ganz und gar nicht auf Seiten des Gesetzes. Die junge Frau, die nicht nur Verwirrung innerhalb der kleinen Band stiftet und lernt, sich mit dem Namen Jane Doe anzufreunden, hat sehr bald andere, wichtigere Probleme als ihre abhanden gekommene Identität.
Ed Brubaker (Autor) und Sean Phillips (Zeichner) sind das Dreamteam des düsteren Comics. Gerade zu Brubakers Markenzeichen ist die Vermischung eines Crime Noir mit anderen, zugkräftigeren Elementen geworden. In Sleeper paarte er das Superheldengenre mit dem Thriller. In Gotham Central widmete sich der Kulisse vieler Batman-Abenteuer von der normalen Polizeisicht her. Hier, in FATALE, beschert er der Mystery eine weitere Facette und nimmt dabei einen ungewöhnlichen Weg.
Ohne die vorhergehenden Bände kennen zu müssen, taucht der Leser in einen dunklen Thriller ein, der sich erst nach und nach atmosphärisch mit Geschichten von Edgar Allen Poe vergleichen lässt. In die Neuzeit transportiert entstehen immer weitere unheimliche Situationen, die von keinem der Beteiligten zu erklären sind. Sicher ist nur eines: Jane Doe ist zweifellos der Auslöser für das irrationale Verhalten der Männer um sie herum. Neuzeitlicher als Poe formuliert: Scully und Mulder könnten gleich auf der nächsten Seite um die Ecke kommen.
Sean Phillips hat sich als Zeichner etabliert, der mit skizzenhaften Strichen Charaktere mit Ecken und Kanten aufs Papier zaubern kann. Wenige Innenlinien bestimmen die Gesichter, Schatten werden stilsicher fett gesetzt, manchmal wie die Kriegsbemalung von Footballspielern. Und der Vergleich passt, denn Phillips, der bereits mit Brubaker an Sleeper arbeitete, schickt die von seinem Autorenkollegen kreierten Figuren über kurz oder lang in den Krieg. Hier verläuft er nur leiser, heimlicher, es ist ein Kampf hinter den Kulissen und nicht immer wird er mit Waffen ausgefochten, verletzen soll er indes immer.
Sean Phillips hat einen europäischen Zeichenstil, der auch hierzulande in den Augen von Graphic-Novel-Lesern Gefallen finden dürfte. Seine Bilder erinnern an Momentaufnahmen, Grafiken, die versuchen, den intensivsten Augenblick einer Szene einzufangen. Die Kombination einer Bilderfolge, besonders solche, die einen mysteriösen Abschnitt beschreiben, gerät in den meisten Fällen sehr dicht. Diese Sequenzen sind es auch, die nicht selten verstörend wirken, denn nicht nur für die Akteure ist der Ausgang einer derartigen Wendung rätselhaft. Der Leser muss sich mit dem Gefühl begnügen, eine Lösung des Ganzen ist noch nicht in Sicht.
Ein intensives Comic-Erlebnis, dessen Thriller-Atmosphäre bald in eine moderne Mystery-Geschichte umschlägt. Vom versierten und über viele Jahre erfahrenen Comic-Duo Brubaker und Phillips zu Papier gebracht. Düster und spannend über die gesamte Strecke. 🙂
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Montag, 26. Januar 2015
Für manche Wesen ist Kampf mitunter nur ein Spiel. Es dient dem Training der Reaktionsfähigkeiten, des Augenmerks, der Beweglichkeit und sicherlich auch dem Ehrgeiz. Für andere bedeutet Training die Vorbereitung auf den tatsächlichen Kampf auf Leben und Tod. Es ist auch ein Spiel, aber am Ende kann der Besiegte nicht mehr vom Platz gehen. Hätte NÄVIS längere Zeit die Kultur der Erde kennen lernen können, hätte sie vielleicht auch die Bekanntschaft mit Polo gemacht, zu Pferd, nicht ungefährlich, aber auch nicht derart rabiat, wie sie es hier vollführt. Als Ersatzspielerin begeistert sie das Publikum mit einer wahnsinnigen Leistung. Zeitgleich erfreut sich ein anderer Athlet an seiner vollkommenen Erfahrung im Kampf. Zuschauer sind ihm gleichgültig. Für ihn zählt nur, dass er endlich vorbereitet ist.
Kampf ist die Einleitung. Kampf beschreibt den Hauptteil des Geschehens. Viele kleine Schritte haben den roten Faden von SILLAGE an diesen Punkt der Reihe gebracht. Aus NÄVIS ist mehr oder weniger aus einer Laune des Schicksals heraus eine Kampfmaschine geworden, jemand, für den die kriegerische Auseinandersetzung ein existentieller Bestandteil ist. Das mag sich merkwürdig anhören, aber als Charakter hat NÄVIS eine friedliche Phase nicht lange aushalten können. Und nicht selten wurde ihr Frieden nicht lange gegönnt, da ihr Potential und ihr Talent auf dem weiten Feld des Kampfes von einigen wichtigen Charakteren erkannt wurde.
Mit jenem anderen Menschen, der ebenfalls das Titelbild der 16. Ausgabe der Reihe SILLAGE ziert, verhält es sich anders. Dieser Mensch ist bereits von Beginn an zum Krieger erzogen worden, obwohl nicht die Not der Auslöser für diese Erziehung war. NÄVIS musste als einziger Mensch in der Gesellschaft eines Roboters und einer Raubkatze aufwachsen und war, dem Willen ihrer beider Schöpfer nach, ständig auf der Hut vor Gefahren. Sie brauchte den Kampf zum Überleben. Dieser andere Mensch wurde für die Rache trainiert. Eine entsprechende Ausrüstung kann der Leser auf dem Titelbild bereits in Augenschein nehmen. Die Rasanz des Umgangs mit dieser Technik ist hervorragend zu Papier gebracht, der dramatische Tanz in der Schwerelosigkeit auf seine Art bestimmt ein optischer Höhepunkt der Reihe.
Das Titelbild ist sehr drastisch und verrät im Gegensatz zu vielen seiner 15 Vorgänger eine Menge über die Geschichte, aber eben auch nicht alles, denn wer meint, das Ende zu erkennen, findet sich getäuscht. Nävis hält Yannsei in den Armen. Allein das Bild als solches stellt SILLAGE ziemlich auf den Kopf. Es ist nicht Yannseis erster Auftritt, doch bestimmt ist ein Wendepunkt der Reihe, da nun zwei Schicksale zusammengeführt werden. Bislang galt Nävis als einziger Mensch innerhalb der gewaltigen Ansammlung von Wesen aus scheinbar allen Teilen der Galaxis. Und woher Yannsei jetzt kommt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Zwei sich nahe stehende Menschen, die kämpferisch hoch begabt sind (das ist für Fans der Reihe kein Geheimnis), bieten für den Autoren Jean David Morvan und seinen Zeichnerkollegen Philippe Buchet ungeahnte neue Möglichkeiten.
Mut zum Design. Wie wurde George Lucas doch für die Frisuren einer Prinzessin Leia gescholten! Hielt man sie bei ihrem ersten Auftritt gar für eine kleine Micky Maus. Was soll man als Leser von SILLAGE nun von dieser Frisur halten, die NÄVIS dort auf dem Kopf trägt? Der Vergleich zu Micky Maus liegt hier näher, auch alte Witze steigen wieder auf (kriegst du damit auch das dritte Programm?), letztlich allerdings ist ganz einfach der Mut zu begrüßen, den Philippe Buchet mit diesem Konstrukt an den Tag legt. Bei genauer Betrachtung könnte dieser Einfallsreichtum auch einem Stardesigner für eines seiner Modelle auf dem Laufsteg eingefallen sein. Wichtiger noch ist der der praktische Umgang mit dieser Frisur, der es NÄVIS erlaubt, sich in jeder gefährlichen Lebenslage nicht um ihre Haarpracht kümmern zu müssen, die ansonsten von Buchet zur Verschönerung der Figur hergenommen wird.
Design zum Zweiten. Feine, klare Formen sind Philippe Buchets Markenzeichen als Comic-Künstler geworden. Im 16. SILLAGE-Band, Das Böse im Blut, muss der Leser auf die ansonsten reichhaltige Fülle von Raumschiffen, Ideen zur futuristischen Innenausstattung oder auch besondere Vegetationen fast verzichten. Die Aufmerksamkeit von Morvan und Buchet liegt beinahe ausschließlich auf den Charakteren und finalen Duell.
Ein Wendepunkt der Reihe der von einem Knalleffekt zum nächsten fortschreitet. Morvan und Buchet schaffen die Grundlage für einen neuen Abschnitt im Leben von NÄVIS. 🙂
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Mittwoch, 21. Januar 2015
Das kleine tuckernde Fahrzeug, nicht ganz Fahrrad, auch nicht Moped, brachte Jackie wie gewohnt ans gewünschte Ziel. Zeitweilig, wenn ein Auftrag auch Geld eingebracht hat, muss das Geld auch zur Bank gebracht werden. So selten solch ein Besuch auch ist, muss ausgerechnet in diesem Moment ein Überfall stattfinden. Die Verhaltensweisen in Gegenwart bewaffneter Räuber sind vergleichsweise einfach formuliert. Sollen sie doch das Geld haben, wenn einem dafür Leib und Leben unbeschadet bleiben. Leider gibt es immer wieder Bankangestellte, die sich wider jeder Vernunft als Helden hervortun wollen.
Jackie Kottwitz ist berechtigterweise entrüstet, allerdings wird er eines Besseren belehrt. Nun gilt es, noch Schlimmeres zu verhindern. Jackie wird zum Nachwuchshelden, als er dem Bankräuber hinterher eilt und gerät prompt mit der Polizei in Konflikt, die ihn für einen Mittäter hält. Es scheint wieder einmal einer jener Tage zu sein, in die Jackie so gerne wie in einen Fettnapf tritt … Und das ist erst der Anfang.
Jackie Kottwitz ist keiner der üblichen harten Knochen, wie sie ein Humphrey Bogart auf der Kinoleinwand vorlebte. Er ist aber auch kein Jean Gabin, der einem Maigret sein unverwechselbares Äußeres verlieh. Jackie Kottwitz ist eine Spürnase mit Feingefühl, könnte aber hin und wieder von den Fähigkeiten seiner beruflichen Verwandten gebrauchen. Denn ungefährlich sind die Fälle, die Jackie Kottwitz zu untersuchen hat, nicht. Obwohl er den Eindruck vermittelt, als würde er eher der Untreue von Ehebrechern nachspüren. Banküberfälle, vermisste Personen (ihn selbst eingeschlossen), Morde und Ganoven jeglicher Couleur gehören zu seinem Geschäft.
Nie völlig überrascht, nie ganz fassungslos. Eigentlich sieht er aus, als sei er nicht für diesen Job gemacht. Jackie Kottwitz ist jugendlich schlank und mit seinen runden Brillengläsern im ovalen Gesicht fehlte eigentlich nur eine gezackte Narbe auf der Stirn, wären seine Haare nicht feuerrot. Der Blick ist unschuldig und bleibt es auch nach allen Erlebnissen, die ihn mit den Abgründen menschlicher Leidenschaften konfrontieren. Alain Dodier (Zeichner), der die Serie zusammen mit den Erzählern Pierre Makyo und Serge Le Tendre ins Leben rief, hat einerseits einen optischen Antihelden geschaffen, andererseits ist ihm mit dem jungen Detektiven von nebenan ein sehr zeitloser Charakter gelungen, an dem die Jahrzehnte spurlos vorüber gehen.
Obwohl die in diesem dritten Sammelband vorliegenden Alben, Leichte Beute, Das Geheimnis in den Dünen und Vermisst, allesamt in den frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts original erschienen, ist die Atmosphäre der Kriminalgeschichten eine andere. So gibt es in Leichte Beute Tendenzen zur Schwarzen Serie Hollywoods. Das Geheimnis in den Dünen könnte Freunden von Werken einer Daphne du Maurier gefallen. Und Vermisst ist durch die zentrale Rolle der Frauen, die sonst um Jackie Kottiwtz herum agieren, so modern, wie es gerade nur möglich ist.
Sind französische Gesichter interessanter? Keine ernst gemeinte Frage, allerdings haben gerade die Gesichter in den drei Kriminalgeschichten viel zu bieten und es wäre interessant zu erfahren, welchen reale Vorlagen zugrunde liegen. Die Darstellung der Familie in Das Geheimnis in den Dünen ist so differenziert, wie man es nur selten in Comics findet. Und das Ermittlertrio der drei sehr verschiedenen Damen in Vermisst könnte geradewegs nach einem guten Casting von der Kinoleinwand oder vom Fernsehschirm auf Papier gebannt worden sein können.
Jackie Kottwitz ist ein rundum sympathischer privater Ermittler, dessen gesamtes Umfeld so wunderbar ausgewogen und gelungen ist, wie man es sich eigentlich von jedweder Unterhaltung erwartet. Zeichner Alain Dodier gelingt hier ein wahres Kunststück und erreicht mit seinen Bildern eine genaue Balance zwischen Ernsthaftigkeit und teils heiterer kriminalistischer Tätigkeit. Sehr, sehr schön! 🙂
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Essen. Ein Land aus Nahrungsmitteln. Traumhaft. Ein Schlaraffenland. Für die kleine Nävis bringt dieser Traum aber noch etwas ganz anderes mit sich, nämlich Hunger. Also wird flugs aufgestanden, wie kleine Kinder nun einmal sind, und der Kühlschrank angesteuert. Doch der Angriff auf die gesammelten Leckereien inmitten des Aufbewahrungsmöbels gipfeln in einem Chaos, wie es, natürlich, auch nur kleine Kinder verursachen können, ohne rot zu werden. Leider gibt es noch ein Missgeschick, das dafür sorgt, dass Nävis diese Nacht nicht so schnell vergessen wird. Durch einen unglücklichen Aufprall hat sich ein Milchzahn gelockert. Nach kurzem Wackeln verabschiedet er sich endgültig.
Nun sind Zähne ein besonders wichtiges Gut des Menschen. Und sie sind kostbar. Denn nach altem Brauch gibt es für einen Milchzahn ein Geschenk. LATITZOURY ist ein Wesen, das für verloren gegangene Zähne immer eine Gabe übrig hat. Nävis freut sich schon. Prompt reift in ihr ein für Kinder furchtbarer Gedanke. Was wäre, wenn ihr das Geschenk gar nicht gefällt? Da macht man sich besser gleich auf den Weg und teilt Latitzoury mit, was man am liebsten hätte.
Lange bevor NÄVIS in SILLAGE als außergewöhnliches Wesen auftauchte und in zahlreiche Abenteuer verstrickt wurde, war sie ein Kind unter der Obhut eines liebenswerten Roboters und einer sprechenden Raubkatze. NÄVIS ist nicht die erste Comic-Figur, deren Jugendabenteuer zu Papier gebracht wurden. Die Aufregung, die hier gezeigt wird, ist humorvoller als zu ihren erwachsenen Zeit, aber nicht weniger spannend, denn Bedrohungen können sehr unterschiedliche Gesichter haben: LATITZOURY. Zu dritt haben sich Jean David Morvan, Jose Luis Munuera (auch als Zeichner hier tätig) und Philippe Buchet an die Erzählung der Handlung gesetzt. Es sind Erlebnisse, wie Kinder sie sich im Traum ausdenken könnten, nur, dass das berühmte Monster nicht im Schrank lebt, sondern weit entfernt und Zähne auf der Speisekarte stehen hat.
Jose Luis Munuera besitzt als Comic-Künstler viele Stärken. Eine davon ist sicherlich der Umgang mit Figuren, die sich gummiartig verbiegen können. Ein Vergleich zu Spielzeugfiguren, die ein Drahtgeflecht in ihrem Inneren haben, liegt nahe. Die Formgebung, die ihm durch diese Technik gelingt, besitzt eine große Dynamik, so dass Bewegungen auf sehr gelungene und cartoonige Weise Geschwindigkeiten simulieren.
Glänzende Hommage! Ob beabsichtigt oder nicht, mit dem Vogel Tori gelingt Jose Luis Munuera eine tolle Verbeugung vor Orville, dem berühmten Albatros aus den Tricklfilmen um das Mäuseduo Bernard und Bianca. Tori landet (ganz besondere Ähnlichkeit), startet und fliegt so halsbrecherisch wie sein entfernter Vetter aus dem Hause Disney. Gleichzeitig ist Tori eine jener Nebenfiguren, die den Geschichten um NÄVIS generell Volumen verleihen, für Überraschungen sorgen und noch mehr zu den Figuren gehören, denen man als Leser ganz einfach gerne zusieht. Und Munuera gelingen solche Figuren am laufenden Band.
Eine ungewöhnliche Zahnfee. Das Titelbild verrät das seltsame Wesen bereits namentlich und illustrativ. Als Monster dürfte es zu den merkwürdigsten Kreaturen in der Science-Fiction-Komödie gehören. Sein Speiseplan komplettiert diese Einschätzung. Groß, grün, auf dünnen Beinchen unterwegs, mag man an einen außerirdischen Bären denken, der anstelle von Honig eine andere Leibspeise besitzt. Außerdem dürfte LATITZOURY, will man diesen Namen auf das grüne Wesen anwenden, wohl die Kreatur sein, die optisch auch in einem Anime auftreten könnte. Auch die etwas träge, behäbige Verhaltensweise passt dazu.
Klein-NÄVIS macht auf ihre kindliche Art ebenso viel Spaß wie die erwachsene Variante. Bis auf ihre beiden Begleiter ziemlich auf sich gestellt, kann sie als einziger Mensch einen ganzen Planeten auf den Kopf stellen. Dank Jose Luis Munuera liegt hier ein hervorragender Comic für Kinder und Junggebliebene vor. 🙂
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Montag, 12. Januar 2015
Väter und Söhne. Selten war ein Verhältnis zwischen Vater und Sohn so von Zerreißproben bedroht, wie jenes des Roten Korsaren und seines Ziehsohnes Rick. Obwohl beide unterschiedliche Wege beschreiten, der eine Pirat bleiben, der andere ehrlich sein will, stehen sie in Zeiten der Gefahr zueinander, wie es enger kaum sein kann. Nach einer langen Karriere auf See hat der Rote Korsar nicht nur große Reichtümer angehäuft, seine Feinde sind ebenfalls kaum mehr zählbar. So lässt die nächste Falle nicht lange auf sich warten. Die Spanier, denen der Rote Korsar auf See ganz besonders zugesetzt hat, locken mit einem Gerücht. Angeblich befindet sich Rick in ihrer Gewalt. Der Rote Korsar lässt sich nicht lange bitten und macht sich zur Rettung seines Sohnes auf den Weg.
Das Ende des Schwarzen Falken. Das Schiff, der Schwarze Falke, ist in der Karibik beinahe ebenso bekannt wie das Aussehen des Roten Korsaren. Die Spanier, die eine eindrucksvolle Flotte aufgeboten haben, um des gefürchteten Piraten habhaft zu werden, werden von Jean-Michel Charlier zu recht sehr siegessicher gezeigt. Automatisch fragt man sich als Leser, wie die beiden Helden und ihre Freunde, wie Dreifuss und Baba, hier wieder mit heiler Haut davonkommen sollen. Erzähler Jean-Michel Charlier macht mit dieser Episode noch etwas anderes deutlich. So kann es für den Roten Korsaren auf Dauer nicht weitergehen. Denn viele Jäger sind des Hasen Tod.
Elektrisierend sind die drei in diesem Sammelband vorliegenden Abenteuer, denn der Rote Korsar und sein Sohn Rick müssen wirklich alle Register ziehen, um die Gefahren letztlich zu meistern. Aus damaliger Sicht hätte ein Leser durchaus denken können, Jean-Michel Charlier und Victor Hubinon planten das Ende dieses meisterlichen Piraten, der zwar ein Halsabschneider ist, aber auf seine Art auch konsequent daher kommt. So heißt denn die zweite Episode folgerichtig: Auf Leben und Tod.
Nach den spektakulären Ereignissen des ersten Abenteuers schlagen Charlier und Hubinon eine neue Richtung ein. Die europäischen Seemächte haben die Jagd auf den Roten Korsaren noch nicht aufgegeben. Auf seinem ureigenen Gebiet, seinem Versteck, versuchen sie ihn auszuheben, aber das Versteck hat es in sich. Wie in den großen frankobelgischen Comic-Serien üblich konzentrieren sich die Charlier und Hubinon auf die Figuren und verknüpfen das Umfeld geschickt, unaufdringlich zu einer grandiosen Kulisse, die perfekt recherchiert und wiedergegeben wird. Hierzu gehören das Uniformspektakel der englischen Truppen, Quereleien und den Piraten selbst, ein weiterer hervorragender Aufmarsch von Segelschiffen sowie ein Ereignis, das es in dieser Serie auch noch nicht zu bestaunen gab.
Piraten: ein buntes Allerlei. Und nicht nur das. Der Rote Korsar hat einen Widersacher im Schwarzen Piraten, dem es aber über den Farbtupfer gestreifter Unterwäsche hinaus eindeutig an Format fehlt. Abseits der Demütigung durch Rick, der dieses Detail mittels eines geschickten Messerschnitts zutage fördert, fallen ein paar Nebencharaktere auf, bei den sich Hubinon besondere Mühe gegeben hat. Auffallend ist der englische Commodore, eine adelig verschrobene Witzfigur mit Hang zum Alkohol, der an der Spitze seiner Truppen mehr Unheil stiftet, als wirklich taktisches Geschick an den Tag zu legen.
Der Piratenschatz lautet der Titel der dritten Episode, die auf gelungene Weise einen feinen Reigen abschließt, denn durchaus kann der Inhalt der gesamten vierten Gesamtausgabe als eine durchgehende Handlung begriffen werden. Jean-Michel Charlier flechtet neben einem harten Überlebenskampf eine Begegnung mit Indianern (Seminolen) ein, die so gut gelungen ist, dass ihr ruhig mehr Raum eingeräumt hätte werden können. Der Auftritt der Ureinwohner lässt die Atmosphäre in der dritten Episode viel exotischer, ungewöhnlicher und geheimnisvoller als zuvor werden.
Einer der besten Handlungsbögen des Roten Korsaren in der vierten Gesamtausgabe: Jean-Michel Charlier erzählt hier mit höchster technischer Perfektion ein über drei Alben reichendes Abenteuer. Vorbildlich nicht nur für Piratengeschichten. Ein grandioser Hubinon macht aus diesem großen Abenteuer ein zeitloses Vergnügen. 🙂
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Dienstag, 06. Januar 2015
Machtverschiebungen. Wer die Gefolgschaft vieler hinter sich weiß, der kann sich im Gerangel um die Macht behaupten. Die verschiedenen Kontrahenten sind einfallsreich und suchen sich ihre Krieger, wo sie diese finden können. Falls nötig, sogar auf einem düsteren Friedhof. Allianzen. Maldoror, Fürst der Unterwelt, kommt nicht umhin, ein ungeliebtes Bündnis zu schließen und dazu eine Frau an seine Seite zu holen, die nichts lieber tun würde, als ihn zu überlisten. Dafür ist ihr jedes Mittel recht. Miranda, eine auf ihrem Gebiet vortreffliche Hexe, fordert als Preis eine Liebesnacht und Maldoror gewährt sie ihr. Dagegen wäre nichts einzuwenden, gäbe es nicht Blanche, Thronerbin und Rebellin, die nicht bereit ist, eine derartige Belohnungszeremonie zuzulassen.
Armer kleiner Horibili! Du bist ein ganz einsames Herz. Ja, der kleine Horibili! Er ist nicht nur einsam und könnte optisch ein entfernter Verwandter von Majestix sein, er ist außerdem ein findiger Kerl. Leider ist er von kleiner Gestalt und neben den ranken und schlanken Hauptfiguren eher unscheinbar zu nennen. Hinzu kommt, dass er in Miranda unsterblich verliebt ist und sogar eine Erniedrigung durch sie hinnehmen würde, fände er nur Beachtung auf irgendeine Art. Es sind solche Randfiguren, die auch den dritten Teil von ZAUBER zu etwas Besonderem machen. Jean Dufaux gibt den einzelnen Bänden keine Untertitel, was in der Fülle der Erscheinungen schon auffällig ist.
Auffälliger noch ist die sehr genaue Charakterisierung der Figuren, die sich wunderbar nachvollziehbar entwickeln, so dass sogar ein gewisses Mitleid mit einer Hexe wie Miranda entsteht. Maldoror, ehemals so rücksichtslos, eben wie es sich für einen Herrn der Unterwelt gebührt, ist zusehends seiner Blanche verfallen, die ihm den kleinen Fehltritt verzeiht, war er doch bloß ein Mittel zum Zweck. Genauso wie Raz Gul, der Anführer eines Heeres von Untoten, der sich unter den Befehl von Blanche begibt, alles nur, um eine Heimat für sich und seine Leute zu finden. Manches kommt einem bei der Lektüre bekannt vor, dient aber am Ende nur dazu, um durch den Erzähler Jean Dufaux genüsslich wieder gekippt und in neue Bahnen gebracht zu werden.
Nun, mein Neffe, beruhigt Euch! Wie viele Köpfe wollt Ihr denn noch? Neben der geschmeidigen Bösartigkeit eines Ombrage, die eines schauspielerischen Auftritts von Ian Mc Dermid würdig wäre und von Jose Luis Munuera grafisch an den herausragenden Darsteller angelehnt ist, ist es die filmische Inszenierung, die auch Band 3 von ZAUBER zu einem neuerlichen Augenschmaus macht. Ob es die mittelalterlichen Straßen sind, die das Auge auf einen Spaziergang mitten hinein ziehen, die Perspektiven, die den Betrachter zwischen die Akteure stellt oder Massenszenen, die eine Kreuzung aus cineastischen Erfahrungen wie Taran, Braveheart oder Robin Hood bilden. Stets gelingt Munuera ein sauberer Schnitt zwischen Vordergrund und Kulisse, wie in alten grafischen Techniken, vorgedruckt und nachgezeichnet, immer auf der Suche nach dem besten Effekt für das jeweilige Bild. Das ist feinste Comic-Kunst.
Goldenes Land, dunkelgrünblaue Finsternis. Kolorist Sedyas hat einen großen Anteil an der tollen Durchschlagskraft der Bilder. Das Konzept, nicht mit den Farben, sondern mit dem Licht zu leuchten, wird hervorragend über die gesamte Länge des Bandes (auch der Reihe) gehalten. Das Titelbild gibt einen kleinen Eindruck dieser Technik, auch der sich daraus ergebenden farblichen Pracht, die einerseits die Optik eines Trickfilms imitiert, andererseits die gemäldeartigen Effekte alter Ritterfilme heraufbeschwört.
Packendes Fantasy-Kino zwischen zwei Albendeckeln. Hier haben sich drei Comic-Künstler, Autor, Zeichner und Kolorist, gesucht und gefunden. Ein perfektes Team liefert mit dem dritten Band der Reihe ZAUBER ein echtes Meisterwerk mit dunklem Humor, tollen Bildern und spannender Erzählung. Märchenhaft packend! 🙂
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