Freitag, 08. Januar 2016
Ein Markt, ein gemeinsames Fest, organisiert über die Grenzen der Dorfbefestigungen hinaus. Es gibt wieder Handel. Die Straßen werden sicherer, die Gefahren überschaubarer. Die Menschen trauen es sich, ein Lachen anzustimmen. Sie haben gelernt, mit dem Feind umzugehen. Doch am Horizont braut sich etwas zusammen. Rick Grimes, der glaubte, der Kampf gegen Menschen wie Negan gehöre der Vergangenheit an, wird von einem neuen Gegner vollkommen überrumpelt. In seinen kühnsten Träumen hätte er es sich nicht träumen zu lassen, einem derartigen Feind gegenüberzustehen. Vielleicht sogar einem Feind, der ihn geradezu einlädt, sich gegen ihn zu wehren.
Robert Kirkman präzisiert den neuen Feind, der sich der bisherigen Kultur zu entziehen scheint und auch gar nicht danach trachtet, jemals wieder auf den alten Pfad der bekannten Zivilisation zurückzukehren. Für diesen neuen Gegner ist ein Jahrmarkt nichts weiter als eine Farce, die nicht mehr in dieser Zeitalter gehört. Die gefährliche Atmosphäre schaukelt sich nur langsam hoch. Der Leser darf die Anführerin des Feindes beobachten, ihre Machenschaften erahnen und schließlich … Mehr wird nicht verraten. Das Ergebnis ist in jedem Fall unvorhersehbar und für die Helden um Rick Grimes ein großer Schock.
Nach den ersten Begegnungen war nicht abzusehen, wohin Robert Kirkman die Geschichte führen würde und ob diese Gesellschaftsordnung, die er hier zeigt, in der Erzählung funktionieren würde. Er mischt archaische Strukturen mit einem Leben unter Zombies. Man könnte es ein perverses Dschungelbuch nennen, mit vielen Mowglis, die sich unter Wölfen verstecken oder gleich unter einer Horde aus Tigern, die sie jederzeit fressen würden. Sprüche wie Der Preis der Freiheit ist ewige Wachsamkeit erhalten eine völlig neue Bedeutung, wenn sich diese Flüsterer in verwesenden Masken aus Menschenhaut unter den Beißern bewegen und diese sogar bis zu einem gewissen Grad zu lenken vermögen.
Unzweifelhaft ist diese Situation, die Robert Kirkman hier hinterlässt bzw. für seine Helden aufbaut, eine der gruseligsten seit langem. Sicherlich gab es häufiger den blanken Horror und auch diese 24. Episode, Leben und Tod, verzichtet nicht darauf. Aber der Schauer, der hier in mancher Szene zelebriert wird, bleibt länger in Erinnerung. Charlie Adlard, langjähriger Zeichner der Serie, muss wie so oft zuvor auf die Menschen, die Charaktere eingehen. Im Sinne einer Zelebrierung gibt es ganzseitige oder halbseitige Ausreißer. Genauer benannt werden dürfen Szenen mit Gregory, dem vorgeworfen wird, einen Mordanschlag auf Maggie verübt zu haben. Neben den Flüsterern führt sein Schicksal ebenfalls eine Wende in den neueren Entwicklungen herbei.
Sie leben! Die unterschiedlichen Entwicklungen der Comicserie und der Fernsehserie haben dazu geführt, dass in dieser jüngsten Episode der Comic-Erzählung immer noch Charaktere unter den Lebenden weilen, die der Fernsehzuschauer bereits vermisst. Während Andrea und Sophia im TV den Untoten zum Opfer fielen, haben sie hier weiterhin ihre Rollen zu erfüllen. Von Glenn hingegen, in beiden Serien eine höchst beliebte Figur, mussten sich die Comic-Fans wegen des brutalen Mordes durch Negan verabschieden. Anfangs war ich skeptisch über die verschiedenen Richtungen, die Robert Kirkman in seinen beiden Serien beschritt. Aus jetziger Sicht (und für die Produktionsfirmen auch aus finanziellen Erwägungen) halten diese Entwicklungen aber auf beiden Schienen die Spannung aufrecht.
Mehr noch: Die Charaktere (sofern sie noch leben, versteht sich) haben jeweils eine deutliche Veränderung zu ihrem jeweiligen Pendant erfahren. Dabei spielen nicht nur abweichende Erfahrungen eine Rolle. Es ist interessant zu sehen, wie ein Autor sich selbst ein Ultimatives Universum schafft (comicsprachlich ausgedrückt) und seine Figuren so in noch mehr Geschichte ausprobieren kann.
Der Umschwung zur nächsten Storyline ist komplett vollzogen. Die 24. Folge endet mit einem brutalen Cliffhanger, der allerdings einiges für das zukünftige Zombie-Drama verheißt. Robert Kirkman erfindet die Serie ein Stück weit neu. Sehr gut. 🙂
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Mittwoch, 06. Januar 2016
Der rote Korsar ist weithin berüchtigt auf See und zu Land. Seine Gegner fürchten ihn wie der Teufel das Weihwasser. Noch schlimmer ist, dass sie ihm alles zutrauen. Wer Schiffe kapert, der ist bestimmt auch ein Meuchelmörder und macht keinen Unterschied zwischen Mann, Frau und Kind. Aber weit gefehlt. Es gibt auch Grenzen, die dieser berühmte Pirat nicht überschreitet. Ein ganz in schwarzes Tuch gekleideter Mann macht dem roten Korsaren ein Angebot. Er möge auf See ein bestimmtes Schiff einholen und eine ebenso genau bestimmte Frau an Bord dieses Seglers ermorden. Die Reaktion ist unerwartet. Entrüstet schlägt der Pirat die Offerte aus, will sogar dem Auftraggeber an den Kragen. Vergeblich. Was bleibt zu tun? Gemeinsam mit seinem Sohn macht sich der Pirat auf den Weg, um die Frau zu warnen und vor dem Schlimmsten zu bewahren. Ein Wettrennen gegen die Zeit beginnt.
Ein neuer Zyklus im Leben des roten Korsaren und seines Sohnes Rick beginnt. Eigentlich scheint es zu Beginn eine einfache Angelegenheit zu sein. Eine Frau ist in Gefahr und muss gerettet werden. Dass letztlich das Leben so manches bekannten Piraten am seidenen Faden hängen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Der Comic-Autor Jean-Michel Charlier schickt den roten Korsaren aus der amerikanischen Hemisphäre in die alte Welt zurück. Damit auch ja keine Pause aufkommt, setzt er seine Helden komplett durch all drei hier vorliegenden Geschichten unter Zeitdruck.
Gefährliche Erbschaft, Die Gefangene und Das Höllenschiff beschreiben eine Jagd auf unterschiedlichen Wegen. Mit dem Ende der dritten Episode ist das Langezeitabenteuer noch nicht am Schluss angelangt, aber immerhin konnte der Leser schon einen sehr ausgiebigen Blick auf das neue Schiff des roten Korsaren werfen. Der neue Schwarze Falke ist frisch von der Werft in Amsterdam gelaufen und spielt im dritten Abenteuer der 6. Gesamtausgabe der Reihe eine zentrale Rolle. Für die Feinde des roten Korsaren (und es sind sehr, sehr viele in dieser Folge) wird der Schwarze Falke wirklich zum Höllenschiff. Meisterzeichner Victor Hubinon gestaltete Seeschlachten, wie sie in diesen Konstellationen sicherlich äußerst selten, dafür aber umso aufregender sind.
Die Karibik lassen die beiden legendären Comic-Künstler in diesem Band komplett hinter sich. Die Jagd geht quer über den Atlantik, hinein ins Mittelmeer. Als neue Feinde treten die Mauren auf, teilweise von Europäern aufgestachelt. Geld und Liebe sind bald auf orientalischer Seite im Spiel, die europäischen Intriganten begnügen sich mit der Schacherei um die Macht. Österreich streckt seine Fühler gen Italien aus. Mittendrin stellt Rick, der Adoptivsohn des roten Korsaren weiterhin eine moralische Instanz dar, aber er wird hier sehr schnell an seine Grenzen geführt. Erkennen will er sie dennoch nicht. Da greifen seine Freunde ein. Zuerst zur Unterstützung herbeigeeilt, stellen sie die Vernunft in den Vordergrund und belehren ihren Freund nach Piratenart.
Die drei Abenteuer sind mit einer tollen Geschwindigkeit erzählt (Stichwort: Wettrennen gegen die Zeit) und jedes Ereignis sorgt für einen nur noch größeren Sprung nach vorn. In der Episode Das Höllenschiff gipfelt dieser Erzählschwung von Jean-Michel Charlier. Von diesem Gipfel geht es in die Schussfahrt, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Schwarze Falke mit den feuerroten Segeln kann gleich mehrfach seine Eignung in der Schlacht beweisen. Wo sich andere Schiffe (auch durch eine weniger findige Besatzung) die Zähne ausbeißen, kann das Piratenschiff sich freikämpfen. Pirat hin oder her, der rote Korsar und seine Mannen waren nicht häufig vom Glück begünstigt (allenfalls im richtigen Moment), so ist es einmal spannend mit anzusehen, wenn der Teufel mit ihnen ist. So betonen es die Halunken beider Seiten oft genug.
Die maltesische Hafenausfahrt, die über einen besonderen Schließmechanismus verfügt, wie auch die maurischen Piraten können ein Lied von der Schläue und der Durchsetzungsfähigkeit ihrer karibischen Kollegen singen. In den abschließenden Kämpfen, während derer nicht allein, aber besonders der technische Vorsprung des Schwarzen Falken eine Niederlage selbst gegen eine Überzahl des Feindes unmöglich macht, herrscht wieder eine Kintoppatmosphäre, wie sie mit Leinwandhelden wie Errol Flynn und auch neuerdings Johnny Depp einhergehen (allerdings ohne Fantasy).
Eine geballte Ladung Roter Korsar lässt sich mit Fug und Recht unter dem Strich für die sechste Gesamtausgabe der Reihe behaupten. Hier kracht es, dass sich die Balken biegen und brechen. Deutlich mehr Action und Rasanz als gewöhnlich. Klasse! 🙂
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Sonntag, 27. Dezember 2015
Der Zweite Weltkrieg. Eine neue Wunderwaffe der deutschen Streitkräfte steigt in die Lüfte und steuert mit einer unglaublichen Geschwindigkeit den Luftraum über dem britischen London an. Die Spitfire-Jagdflugzeuge der Royal Airforce sind dem düsenbetriebenen Nurflügler hoffnungslos unterlegen. Captain Francis Blake wird vom einem Flugzeugträger der englischen Marine mit einem ebenfalls düsenbetriebenen Prototypen auf Verfolgungsjagd geschickt. Er trifft ein, als die deutsche Maschine die ersten Attacken auf die Houses Of Parliament fliegt. Ein erbarmungsloser Kampf über den Dächern Londons beginnt.
Francis Blake und Professor Philip Mortimer sind zurück und steigen in der Hochphase des Zweiten Weltkriegs geradewegs ein in ein Abenteuer aus Spionage und Täuschungsmanövern. Im in Literatur und Unterhaltungsmedien mehrfach behandelten Bletchley Park, dem Herzen der englischen Gegenspionage, werden die beiden Akteure innerhalb streng geheimer Projekte und machen die Bekanntschaft mit einer, aus Sicht des Lesers, sehr vertrauten Figur.
Yves Sente schickt die beiden gestandenen Helden in eine sehr verzwickte Episode, innerhalb der Serie um Die Abenteuer von Blake und Mortimer, gleichzeitig im Zweiten Weltkrieg, denn das Schicksal der Nation steht auf dem Spiel. Wo der deutsche Feind besiegt werden kann, stehen neue Gegner bereits bereit, um gegen die Überlebenden und Sieger dieser weltumspannenden Auseinandersetzung zu Felde zu ziehen. Aus diesen Zutaten heraus entsteht die Ausgangssituation der 20. Folge, Der Stab des Plutarch. Einerseits stolpert der Leser zusammen mit Francis Blake in die Welt der Geheimdienste hinein, andererseits erfährt er auch viel über die Arbeiten an neuen Gerätschaften und Techniken, die einerseits eine Überlegenheit herstellen, andererseits den Feind verwirren und ablenken sollen.
Scaw-Fell und Bletchley Park als Schauplätze dieser Geschichte sind genau die richtigen Orte, an denen Zeichner Andre Juillard eine perfekte Atmosphäre herstellen kann. Ein dritter optischer Höhepunkt ist der Luftkampf über London. Spielen die Schauplätze Scaw-Fell und London mit den technischen Ansichten, geheimen Anlagen und original Kulissen, ergibt sich Bletchley Park ganz einer intellektuellen Atmosphäre mit geselligem Beisammensein und Ereignissen, die sich im Schatten abspielen. Davor gerät der rote Faden der Handlung fast ein wenig in den Hintergrund. In der klaren Linie von Andre Juillard findet sich keinerlei Makel, nur versiertes Handwerk und ein genauer Blick, der jene Vorstellungen einfängt, die man als Leser aus Filmen und Fotografien jener Epoche haben kann.
Abseits der Aktion: Very British. Die Reserviertheit im Miteinander, in jeder Situation die Haltung zu bewahren, ist schön anzuschauen. Denn der Leser trifft diese Haltung nicht nur auf Empfängen an, sondern noch in den kleinsten Szenen bis hin zur Höflichkeit, die ein bewaffneter Wächter an den Tag legt und einen allzu neugierigen Geheimdienstmitarbeiter in seine Schranken weist. Gerade vor der neuen Serientradition, die diesen gesellschaftlichen Umgang zur Spielwiese erklärt hat, ist der 20. Band der Reihe ganz aktuell zu nennen (und gleichzeitig sind seine älteren Vorgänger sozusagen Vorreiter).
Ein gepflegtes Agentenstück, das voll und ganz auf die Gentleman-Auftritte seiner beiden Helden setzt, Action in Maßen einsetzt und zeitlich vor dem Kampf um die Welt einzuordnen ist. Eine feine Vorgeschichte, die Informationen vertieft, ohne von den späteren Ereignissen etwas vorweg zu nehmen. 🙂
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Dienstag, 22. Dezember 2015
Das kleine Segelboot hat die Gefährten über eine lange Strecke getragen. Vor den Klippen vor der Küste der Insel müssen die Planken kapitulieren. Das Holz bricht, das Schiff sinkt, die Helden müssen den letzten Rest des Weges schwimmen. Erschöpft durchqueren sie die Brandung und gehen an einem Strand an Land, der ihnen bekannt erscheint. Glück im Unglück also, so dass die Freunde sich zu recht freuen können. Sogar die Göttin Artemis schenkt GOLIAS, dem Heimkehrer und Prinzen, ihre Gunst, obwohl sie ihm auch eine kleine Schlappe beibringt. Zum Schluss verlässt sie die Menschen, insbesondere GOLIAS mit einer Warnung. Hüte dich vor Hekate.
Ist die Tragödie eine griechische Erfindung? Oder ist es einfach menschlich? Am Ende ist es einerlei, wenn die Götter den Menschen das Glück nicht gönnen, dann kann der Mensch nur blindlings in das Unheil hineinlaufen. Dabei schien das Glück abseits aller Dramatik doch noch auf dem Weg zu liegen. Der gute Freund von Prinzen GOLIAS hatte seine Liebe in der Schwester des Thronfolgers gefunden. GOLIAS und sein kleines Gefolge erreicht die Gestade der Heimat, nach langer gefahrvoller Reise. Und es könnte sogar eine Romanze für den Prinzen geben, wenn es das Schicksal wohl meint. Aber zunächst eben meint es das Schicksal ganz und gar nicht gut und hetzt der kleinen Gruppe brutale Zentauren auf den Hals.
Keine Verniedlichung der Zentauren. Bloßer menschlicher Oberkörper, ein Pferdekorpus, Reißzähne, lüstern, brutal und hungrig auf Menschenfleisch. Für die Reisenden um GOLIAS bildet das Zusammentreffen mit diesen für uns Leser mythologischen Gestalten eine der größten Gefahren des nun abgeschlossenen Vierteilers. Das Titelbild zeigt eine Verfolgungsjagd im Stile von griechischen Vasenmalereien, wenn auch comicartig überzogen. Allerdings wird damit das Verhalten der Zentauren auf den Punkt gebracht. Sie sind einzig von ihren Trieben motivierte Ungeheuer, die nur durch die Androhung von Gewalt (einer lange vergangenen Niederlage auf dem Schlachtfeld) in ihrer Region gehalten werden. Ausgerechnet das Erscheinen von GOLIAS macht diesen brüchigen Frieden zunichte.
Noch einmal überschäumende Dramatik. In der ersten Hälfte kündigt sich das Unheil an. In der zweiten Hälfte rast es los. Als Leser wird man misstrauisch, möchte warnend eingreifen, aber wie eben in der Tragödie so ist, sieht der Zuschauer mehr als die Akteure und es bleibt ihm nicht viel mehr als die Hand schockiert vor den Mund zu heben und mit den Figuren zu fühlen, die wirklich alles Mitleid verdient haben. Jerome Lereculey ist es mit seinem exzellenten Strich zu verdanken, dass die Empfindungen der Hauptfiguren so trefflich herüberkommen und Freud wie Leid in der Geschichte so toll funktionieren.
Und nicht nur das. Glaubt man gerade noch, mit den Zentauren ein grauenvolles Monster entdeckt zu haben, weil es intelligent ist und dennoch nicht vor seinen Untaten zurückschreckt, kommt es in nur einem einzigen Bild noch viel ärger. Der Anblick lässt keinen Zweifel darüber, dass sich bald zwei unversöhnliche Feinde gegenüberstehen werden, von denen zwar jeder der beiden überzeugt ist, der andere sei in Wahrheit das Ungeheuer, in Wahrheit schenkt sich keine Seite etwas. Jerome Lereculey zeichnet einen bösartigen König von Ankinoe, der mit nur wenigen Szenen Furcht verbreitet, aber dafür umso stärkere Auftritte hat.
Ein würdiger, wenn auch tragischer Abschluss. Aber hier legen sich Menschen mit Göttern an und wer sich die alten Tragödien ansieht, kann schnell Vergleiche ziehen. Fred Duval will hier nichts glatt ziehen, sondern der klassischen Linie treu. Mit einem feinen Händchen für antike Szenarien illustriert. 🙂
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Sonntag, 20. Dezember 2015
Alamo! Ein Fort in Texas wird am 6. März 1836 zur traurigen Legende. Ein fürchterlich geringe Anzahl texanischer Verteidiger unterliegt im dritten Ansturm der Armee des mexikanischen Generals Santa Anna. Als sich das Gemetzel seinem Ende nähert, erfüllt Davy Crockett eine letzte, vielleicht die wichtigste Aufgabe dieses Tages. Viele Jahre später sind die Auseinandersetzungen mit Mexiko viel unwichtiger geworden und die Schlacht um Fort Alamo nur noch eine Legende. Die Vereinigten Staaten haben ihren Bürgerkrieg vorerst beendet, aber die Bedrohungen sind alles andere als vergangen, sondern haben sich nur verschoben.
Das Monster aus der schwarzen Lagune ist da! Oder erinnert sich noch jemand an den B-Movie-Klassiker Insel der neuen Monster? Das Unheil in amphibischer Form, halb fischig, halb menschlich hat SciFi-Autoren schon häufiger zu Ideen beflügelt. Fred Duval greift diese Idee im 12. Band der Reihe HAUTEVILLE HOUSE nun intensiver auf. Intelligenter sind diese Wesen, die den Weg an Land nicht scheuen und es verstehen, sich unter ihre Feinde, die Menschen zu mischen. Ihr Auftreten sorgt innerhalb der Handlung für gehörige Überraschungen. Ihre Absichten werden verschleiert, ihre Bündnisse sind unerklärlich. Neben der erwähnten schwarzen Lagune (es gibt einen eindeutigen optischen Hinweis auf die Vorlage) schien es mir, als Habe Fred Duval auch einmal einen Blick in Der Schwarm geworfen.
In der Unterwasserwelt … ist nicht alles so anders, wie es die Helden auf der Erdoberfläche annehmen könnten. Wenn sie denn von dieser ungewöhnlichen Örtlichkeit wüssten. Mehr soll nicht verraten werden, doch zusammen mit der Aussicht auf das Verschwinden von Davy Crockett fügt sich hier ein Mosaiksteinchen zum anderen und enthüllt noch lange nicht das ganze Bild. Und damit bleibt Fred Duval seiner Linie treu, weil in der Weise, wie er Fährten auslegt und Spannung schürt, hat er eine gnadenlose erzählerische Meisterschaft entwickelt. Wer den 12. Band schon erwartet hat, wird mir beipflichten.
Gnadenlos in allen Belangen: Mut zur fantastischen Erzählung ohne Grenzen. Das Schöne an Fred Duval ist der Umstand, dass er ohne jegliche Scheu Genres mischt, Einzelheiten beifügt, die man vielleicht hier und dort, aus Film und Roman, aus der Historie her kennt, höchstwahrscheinlich aber nicht in Beziehung zueinander bringen würde, da es auf den ersten Blick grotesk wirkt. Wer jedoch die Szenen sich ansieht (vergesst Lincoln, den Vampirjäger!), wird ganz schnell feststellen, wie beeindruckend gut diese Mixtur funktioniert. Das Titelbild gibt einen schönen Eindruck dieser Szenerie. Ein Trupp berittener Nordstaatler wird aus der Deckung heraus von einem unheimlichen amphibischen Wesen beobachtet. Und seltsamerweise trägt es, trotz seines wilden Aussehens, eine moderne Waffe bei sich. Und so viel sei verraten, es weiß sie zu benutzen.
Natürlich muss der Fan der Reihe nicht auf seine beiden Lieblingshelden von HAUTEVILLE HOUSE verzichten. Agent Gavroche und die nicht minder begabte Zelda sind auf der Suche nach Informationen, ehe sie bemerken, dass sie längst ins Fadenkreuz des unbekannten Feindes geraten sind. Basierend auf dem Storyboard von Christophe Quet arbeitet Zeichner Thierry Gioux mit seiner gewohnt leichten Skizzentechnik, starken Schatten und viel Feinarbeit in Sachen Steampunktechnik und Monster. Der 12. Band mit dem Untertitel Jacob’s Well geht so nahtlos weiter, wo das elfte Abenteuer endete. Abwechslungsreiche Schauplätze halten die Neugier des Lesers unangestrengt wach und gönnen dem Auge eine Menge.
Ja, das ist es doch! Mittlerweile lässt sich mit Fug und Recht sagen, dass Fred Duval so manchem Comic-Autor ein Vorbild sein kann. Sein Erzählreichtum ist wagemutig und versiert. Die Serie sei jedem ans Herz gelegt, der gerne dort weiterlesen möchte, wo ein Jules Verne und ein H.G. Wells aufhörten. 🙂
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Mittwoch, 16. Dezember 2015
Eine weitere Episode aus der Reihe ASSASSIN’S CREED. Die Reise geht nach London, in eine seiner dunkelsten Phasen, an die Schwelle eines neuen Zeitalters. Jacob und Evie Frye treten gegen die Templer an und versuchen die Macht des Ordens durch unterschiedliche Aktionen und Vorgehensweisen zu erschüttern, wenn nicht gar zu brechen. Das Art-Book dieses neuen Spiels mit dem Zusatztitel SYNDICATE blättert ein London vor dem Leser auf, wie es übelsten Alpträumen entsprungen sein könnte, aber so einmal Realität gewesen ist.
Ein virtueller Catwalk: Jacob und Evie Frye leben und agieren in einer Welt des Umbruchs. Die Klasse vergangener imperialer Jahrhunderte verblasst. Etwas Neues bahnt sich seinen Weg. Entsprechende Veränderungen und Entwürfe finden sich auch in der Kleidung der beiden Attentäter. Dem Zeitalter entsprechend treten Jacob und Evie in einer Art pompöser Zweckmäßigkeit auf. Hellgrau, dunkelgrau, rot in der Tönung getrockneten Blutes und Spitzformen wie auch feinster silberne Accessoires sind wiederkehrende Elemente in diesen modischen Designs. Unter der klassischen Kapuze bleibt das Gesicht verborgen, während so manches Outfit auch auf dem roten Teppich im Blitzlichtgewitter der Journaille funktionieren würden.
Doch Tarnung ist am Ende alles. Und deshalb muss die Figur vor der Kulisse des viktorianischen London im Jahre 1868 aufgehen. Lassen wir einmal das überaus beeindruckende Arsenal an Waffen und Hilfsmitteln beiseite, die dem Leser wunderbar wie in einem Versteigerungskatalog der großen Auktionshäuser präsentiert werden. Dieses LONDON ist ein Moloch, ein Krake, ein majestätisches Rennpferd, ein mit Dampf pfeifendes Ungetüm. Es unterteilt sich in Bezirke, Details, von denen jedes einen eigenen Mikrokosmos darstellt, der jeweils derart erforscht und ausgearbeitet wurde, so dass sich eine lebende Kulisse ergibt. Diese reißt den Leser bereits mit ihrer gemäldeartigen Theatralik mit. Jedes Bild hat schon eine Geschichte.
LONDON: Deine magischen Orte. In der alltäglichen Betrachtung mögen die Stadtteile Londons, einzelne Flecken auf der Stadtkarte und in der Silhouette keine besondere Ausstrahlung verströmen. In der historischen Betrachtung, mit einem Licht, das dem eines gelungenen Kinofilms entliehen sein könnte, ändert sich das gewaltig. Ob Westminster, Trafalgar Square, Covent Garden, Big Ben, Southwark, hier entstehen verwunschene Plätze. Opulent breiten sich die Bilder auf ausklappbaren Seiten aus und faszinieren mit ihren Einzelheiten. Bestes Beispiel ist das Bild, das den Markt zeigt und das Resultat einer Bluttat. Eine Leiche liegt auf zum Verkauf stehenden Fischen. Der Mörder wendet sich ungerührt ab und wischt die Klinger seines Messers ab.
Es ist nicht nur die Inszenierung des Bildes in Perspektive, Licht und Schatten und Farben. Es sind die Menschen, die den Mörder beobachten, der seltsam unbeteiligt und wenig bedrohlich wirkt. Die Reaktion der Marktfrauen ist aussagekräftig. Die Gesichter sprechen Bände und hier wäre schon der perfekte Einstieg in eine Geschichte. Wie Art Director Thierry Dansereau herausstellt, ist die Leistung eines globalen Teams an der Arbeit zu SYNDICATE zu würdigen. Im Vergleich zur Covent-Garden-Szene fällt ein Blick auf eine dunkle Gasse auf, in der sich der Assassin gerade an einer Fassade auf und davon macht. Neben der fein ausgestalteten Kulisse sind es gerade jeder einzelne Mensch, der dieser Szene seine Aufmerksamkeit schenkt und diese letztlich ein Stück komplettiert. Die Aufmachung vieler Grafiken in diesem Begleitband zum Spiel kann sich an alten Meistern messen und wurde sicherlich davon inspiriert.
Wie wichtig die Menschen als Nebenfiguren in SYNDICATE (wie immer eigentlich) sind, darf in einer ganzen Strecke von Kapiteln begutachtet werden. So lebt ASSASSIN’S CREED: SYNDICATE nicht nur vom einfachen Bürger auf den Straßen, den vielen ausgefüllten Funktionen vom Polizisten bis zum Gauner, es geben sich auch historische Persönlichkeiten die Ehre. Mit der Zeitanomalie: Erster Weltkrieg erscheint Winston Churchill auf der politischen Bühne und als imposante Nebenfigur im Spiel. Die Übergangsphase der Industrialisierung wird ad acta gelegt, die Auswirkungen dominieren kriegerisch den Luftraum über London und erzeugen größere Weite und Höhe, wenn Doppeldecker und Zeppeline plötzlich die Welt vom Boden in die Zukunft reißen. Ein Zitat nennt diesen Zeitabschnitt einen interessanten Spielplatz, aber gleichzeitig untermauert gerade dieses Szenario die Absicht der Macher des Spiels, Zeitgeschichte zu lehren. Ein häufiger Ansatz, der hier wirklich passt.
Alles bedacht. Dem Zeitsprung gegenüber stehen in den Konzeptzeichnungen die archaischen Kämpfe in den improvisierten Arenen Londons. Bewegungsabläufe, die den Faltenwurf der Kleidung verdeutlichen, gehören ebenso zu den breit angelegten Grundlagen wie eine Sammlung der Bewohner Londons, verschiedener Fahrzeuge wie Schiffe und Lokomotiven bis hinunter zur Backsteinarchitektur der Arbeitersiedlungen. Umfangreicher kann eine Konzeption nicht mehr ausfallen und es zeigt, wie Spieleindustrie und Filmemacher inzwischen Kopf an Kopf, Hand in Hand zu arbeiten verstehen.
Ein Blick hinter die Kulissen der Gestaltung eines erfolgreichen Actionreißers, ASSASSIN’S CREED: SYNDICATE, der ein Fest für jeden Freund historischer Bilder ist, für Freunde der Spielereihe, die eintauchen möchten sowieso. Wer wissen will, wo die Sorte Künstler abgeblieben ist, deren Gemälde früher Einzug in die Museen hielten: hier sind ihre Werke zu finden. Das ist Kunsthandwerk und Perfektion. Toll! 🙂
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Sonntag, 13. Dezember 2015
Galog dachte, er wäre diesem außerirdischen Jäger gewachsen. Immerhin hat er sich bereits mit seltsamen Viechern angelegt und ist davon gekommen. Aber das waren Herdentiere mit minderer Intelligenz, die wie brachiale riesige Ameisen über ihre Opfer herfielen. Der hier ist mit seinem Killerinstinkt viel menschlicher, schlauer, letztlich wirklich überlegen. Galgo hat Pech. Er wird gefangen genommen. Galgo hat Glück. Er bleibt am Leben, weil der PREDATOR ihn noch braucht. Aber wie lange?
Galgo, der Badass dieser Miniserie, wurde von Patrick Reynolds im Stile eines Tuco (Eli Wallach in Zwei glorreiche Halunken) gestaltet. Christopher Mooneyham übernahm die Vorgaben dieses Westerncharakters und fügte, SciFi-gemäß noch ein wenig Snake Plissken (Die Klapperschlange) hinzu. Und schon war der perfekte Partner für einen PREDATOR fertig. Es ist nicht leicht, einen gleichwertigen menschlichen Partner für einen PREDATOR zu finden. Abgesehen von Machiko Naguchi ist da erst einmal lange niemand in Sicht. Mit Galgo ändert sich das gewaltig.
Christopher Mooneyham zeichnet rasant, kräftig und erinnert mich oft an den starken Tuschestrich eines Frank Miller. Mooneyham arbeitet aber feingliedriger. Das Zusammenspiel der beiden Hauptcharaktere in den ersten drei Vierteln der Handlung, Galgo und Ahab, ist bewusst an ein Westernszenario angelehnt. Galgo, der Mensch, und Ahab, der einäugige PREDATOR, treten zusammen gegen den scheinbar übermächtigen Konstrukteur an.
Natürlich heißt Ahab nicht wirklich Ahab. Die Verständigung zwischen Mensch und Außerirdischem ist seit den Anfangstagen der Zusammenkunft der beiden intelligenten Arten nicht besser geworden. Doch das Auftreten des fremden Jägers hat etwas mit dem menschlichen Kapitän gemein, der wusste, dass die Jagd auf den weißen Wal seinen Untergang bedeuten würde und dennoch ließ er nicht davon ab. Um die Ähnlichkeit im Charakterdesign zu unterstreichen, hat der PREDATOR zahlreiche Blessuren davongetragen. Ein verlorenes Auge ist die auffälligste Vernarbung im Aussehen des außerirdischen Giganten.
Flucht in Ketten. Lang ist es her, dass dieser Film und sein Remake die Leinwände unsicher machten. Das Grundkonzept indes funktioniert immer noch. Fessele zwei völlig gegensätzliche Charaktere, die sich am besten abgrundtief hassen, aneinander. Gebe ihnen auch noch gegensätzliche Ziele. Und dann lasse sie abhängig voneinander sein. Der PREDATOR fesselt Galgo mit einer Energiefessel an sich, einzig zu dem Zweck, damit der Mensch nicht flieht. Bald schon wird diese Fessel aber mehr zu einem Rettungsstrick. Autor Joshua Williamson bringt die beiden in die wahnwitzigsten Gefahrensituationen. Ganz nebenbei rettet Galgo mit seinem unerschütterlichen Humor regelmäßig den Tag.
Blick zurück im Stolz. Oder: Wie ich mein Auge verlor. Ein PREDATOR, der im Kampf mit einem unterlegenen Gegner überlegene Feuerkraft einsetzt, hat oft einen bitteren Nachgeschmack beim Leser hinterlassen. Fairness war bei diesen Wesen von Anfang an ein Fremdwort. Umso überraschender ist die Vorgehensweise von Ahab, der sich auch an seine Beute herantraut. So erfährt der Leser, wie Ahab auf einen fast ebenbürtigen Gegner traf und sich gleichzeitig einen noch mächtigeren Feind aussuchte: Den Konstrukteur.
Im letzten Viertel des abschließenden Bandes von FEUER UND STEIN findet sich das Kapitel OMEGA. Denn ein weiterer Handlungsstrang wartet noch auf seinen Abschluss. Elden war einst ein Android, der mit der Ursuppe des Konstrukteurs in Berührung kam. Seither mutierte er. Der Leser wähnte ihn eigentlich auf der Reise in den tiefen Raum. Seine einzigen verbliebenen Begleiter: ALIENS.
Nun ist Elden wieder da und schließt den Kreis. Agustin Alessio übernimmt den Zeichenstift und die Kolorierung. Könnte man seinen Kollegen Christopher Mooneyham einen künstlerischen Rocker nennen, dann ist Alessio ein Michelangelo, der weder in Form, in Perspektive noch Farbe etwas dem Zufall überlässt. Anders ausgedrückt und in die Machart übersetzt: Mooneyham ist ein Tarantino, Alessio ein Cameron. Mooneyham will Comic sein, Alessio macht Kino auf Papier. Mit seiner Perfektion setzt er einem sehr gelungenen Vierteiler die Krone auf.
Ein würdiger Abschluss, der zwar offene Fragen lässt, die jedoch ein PROMETHEUS auch nicht beantwortete. Grafisch einwandfrei, mit Stilistiken, die für jeden SciFi-Fan etwas zu bieten haben. Der PREDATOR, in der Figur des Ahab, dürfte gerne zurückkehren, da seine Individualität, auch sein Zusammenspiel mit Galgo geradezu zu Fortsetzungen prädestiniert. 🙂
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Links: murderingink.com (Homepage von Patrick Reynolds)
Samstag, 12. Dezember 2015
Glasflaschen. Eine alte Kassette. Ein Fahrrad und eine Öllampe. Diese und noch mehr Gegenstände kennt das schwarze Kind nicht, als es in die verlassene Hütte des alten Mannes einbricht, den alle im Stamm nur DER, DER WEISS nennen. Dem schwarzen Kind ist das Sammelsurium in der Hütte einerlei. Der Junge ist auf der Suche nach nützlichen Dingen, Fellen zum Beispiel. Und es gibt nicht viel Zeit zu verschwenden, denn der Alte hat eine boshafte Ankündigung gemacht. Bei seiner Rückkehr soll das schwarze Kind sterben.
Unumwunden zugegeben, ich mag apokalyptische oder postapokalyptische Szenarien sehr. NUORK ist in letztere Kategorie einzuordnen. Alles, was die Zivilisation einmal groß gemacht hat, ist vergangen. Aber es ist noch nicht so lange her, dass es nicht noch Reste von ihr zu sehen oder zu plündern gäbe. Dem Niedergang der Technik folgte der Niedergang der Zivilisation, der Kultur, der Sprache, bisheriger Errungenschaften. Die Menschen sind auf ein steinzeitliches Niveau herabgeklettert. Jäger, Älteste und Schamanen bestimmen das Schicksal eines Stammes. Doch inmitten von Weißen fällt ein schwarzes Kind immer noch wie ein Fremdkörper auf. Es wird drangsaliert, an den Rand der Gemeinschaft gedrängt, gar vom Ältesten für das Ungemach des gesamten Stammes verantwortlich gemacht wird. Das schwarze Kind hat noch einmal einen richtigen Namen.
Das ehemalige Kuba. Das Meer ist zurückgewichen und hat der Welt neues Land geschenkt. Doch zu welchem Preis? In einem Zeitraffer, so würde es im Film genannt werden, erfährt der Leser ein wenig über den Ablauf, das Desaster der menschlichen Geschichte.
Olivier Vatine, über seine Arbeiten am Star-Wars-Universum mit Space Operas vertraut, hat von Science-Fiction-Autor Stefan Wul ein älteres Szenario aufgegriffen und dieses für den Comic adaptiert. In dystopischer Tradition eines Diesseits von Eden (von Harry Harrison), gewürzt mit einer Prise Cthulhu, einer steinzeitlich endzeitlichen Stimmung abgeschmeckt, entwickelt sich eine dichte Atmosphäre, die auf zwei Handlungssträngen reist. Der des schwarzen Kindes und derjenigen des Stammes. Wenn das schwarze Kind in den Überresten einer Shopping Mall nach Nützlichem sucht und inmitten der Schaufensterpuppen umherspaziert, fühlt man sich an die Einsamkeit des Omega-Mannes erinnert.
Endlich einmal wurde ein völlig anderer Erdteil für die Erzählung über den Untergang der Menschheit ausgewählt. In seiner durchweg grazilen Zeichenart beginnt Olivier Vatine auf dem Meer der Gegenwart, ohne den Ort näher zu bestimmen. Angesichts der späteren Ortsbegehung muss es sich aber um ein Seegebiet in der Karibik handeln. Ein Schiff löscht seine Ladung giftiger Chemikalien mitten auf dem Ozean. Doch das Entsorgen bleibt nicht unbemerkt. In der Tiefe des Meeres nehmen sich fremde Kreaturen, an Kraken erinnernd, der schrecklichen Ladung an.
Olivier Vatine lässt den Leser zunächst mit diesem Geheimnis allein und macht einen ordentlichen Zeitsprung. Er skizziert mit sehr feinen Strichen, so dass selbst den ungeschlachten Steinzeitmenschen etwas Fragiles anhaftet. Die ganzseitigen Grafiken zu Beginn eines jeden Kapitels vermitteln hervorragende Eindrücke dieser verlorenen Welt, in der sich jegliches Überbleibsel einer Zivilisation verflüchtigt zu haben scheint (sieht man von einem sehr speziellen Ort ab, der von den Leuten des Stammes aus unbekannten Gründen nicht aufgesucht werden darf oder soll). Der feine Anhang gibt Aufschluss über die Technik von Olivier Vatine und seine Herangehensweise an die jeweilige Szenerie.
Ein sehr eindringliches Science-Fiction-Abenteuer, nah bei seinen Figuren, auf die es großen Wert legt. Effekte sind verhalten, mehr setzt die Geschichte auf Tiefe und Geheimnis sowie die Entwicklung seiner Charaktere. Der Anführer des Stammes, Thoz, und das schwarze Kind sind die Eckpfeiler einer Handlung, die durch die beiden wächst. Beeindruckend sind der Mut und die Unverzagtheit, die das schwarze Kind an den Tag legt. Hier ist bei aller Düsternis des Szenarios der helle Kern der Geschichte. Und dieser hält gleichzeitig die Waage zum seltsamen Volk aus den Tiefen des Meeres, das den Gang an Land über die Jahrhunderte (?) geschafft hat. Top! 🙂
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Mittwoch, 09. Dezember 2015
Es war einmal … Bevor Helden zu Helden wurden, waren sie jung und benötigten Inspiration. Das trifft auf Balduin den Tapferen wie auch auf andere Mäuse zu. Geschichten geben aber ebenfalls Hoffnung. Sie bewahren Erinnerungen und sind Gleichnisse, dienen zum rechten Zeitpunkt als Rat für die Tat. Wie also werden Mäuse zu Helden? Auf zweierlei Art. Zuerst brauchen sie die richtige Gesinnung. Und zum Zweiten benötigen sie einen Künstler, der das nötige Fingerspitzengefühl besitzt, um sie als Helden darzustellen: David Petersen. Mit seiner MOUSE GUARD schuf er ein intensives Universum voller eindringlicher Kreaturen, eben Mäusen.
In BALDUIN DER TAPFERE UND ANDERE GESCHICHTEN, einem Ablegerband der Hauptserie, können Stammleser Figuren wiederentdecken und neue Leser gewinnen einen tollen Einblick in diese Geschichten, findet sich hier doch ein toller Querschnitt jener dichten, sehr gefühlvollen Atmosphäre, die sich durch alle Abenteuer der Mäuse zieht.
In der Darstellung liegt die Kraft und die Besonderheit. In einer Mixtur aus Comic und Bilderbuch entfaltet sich Leben und Lieben, Überlebenskampf und Alltag der Mäuse. David Petersen sucht in jeder Erzählung einen anderen Weg zur Präsentation. Er stimmt eine Legende innerhalb einer Geschichte an und wer dazu noch den Subtext entdeckt, die Verträumtheit und den liebevollen Blick des Künstlers auf seine kleinen Wesen mag, findet hier ein Kleinod auf dem Comic-Bilderbuchsektor.
Zur Technik dienen David Peterson klassische Rückblicke, in denen er seine Bilder mit einem ockerfarbenen Schleier belegt und so die Vergangenheit oder die Fremdartigkeit der Situation deutlich macht. Der Leser wirft so ein Auge auf das mäuserische Walhalla, SEYAN gerufen, in dem andere Gesetze zur Aufnahme gelten, als der Mensch mit seinen nordischen Göttern gewöhnt ist. Zur Erzählung bedient sich Peterson aber auch mittelalterlicher Bildsprache, wie sie zur Vervollkommnung von Texten in alten Büchern angewendet wurde. Die Art der Darstellung findet sich mitunter noch auf Kirchenfenstern.
Die schönste Variante jedoch, die hier zur Erzählung eines Abenteuers innerhalb einer Geschichte verwendet wird, ist jene des Marionettenspiels. Das Titelbild gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die technische Umsetzung des Ganzen (und offenbart beim genauen Hinsehen Hinweise auf die im Titel angesprochenen ANDEREN GESCHICHTEN). Kein Strich zu viel, keiner zu wenig, meist sehr dünn gezogen, so konturiert David Peterson seine Zeichnung. Leichte Kreuzschraffuren verstärken Schatten, Punktierungen sorgen für Oberflächenstrukturen und Vertiefungen. In der Kolorierung finden feine Füllmuster Verwendung, verstärken die Geradlinigkeit des Designs, erhöhen das Volumen aber nur wenig. Aufteilung, Präzision und Blickwinkel sind David Petersen um so wichtiger.
Besonders deutlich diese Technik in Die Geschichte des Axt-Trios, wenn drei Schwestern gegen eine Ratte antreten. Durch den aufgerissenen Rachen der Bestie geschaut, im Schattenriss entdeckt, in der Großaufnahme begutachtet, so findet der Leser die Szenerie vor, lebhaft und doch wie kleine Statuen abgebildet.
Träumerisch geschildert, mit Geschichten in Geschichten, für Kinder, mit einer Moral für die Mäusekinder dieser Abenteuer, aber vielleicht auch für den Leser. Stilsicher von David Peterson illustriert, mit Sinn für freundliches, märchenhaftes Ambiente und mittelalterliche Dramatik. Fein. 🙂
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Dienstag, 08. Dezember 2015
Selbst im Untergang der Welt sind nicht alle Menschen gleich. Im Zeichen des Krieges haben sich die vermögenden Einwohner des Landes in eigene kleine Bastionen zurückgezogen, streng bewacht und gesichert für jene Zeit, wenn es wieder eine Normalität auf der Erdoberfläche vorzufinden gibt. Nachdem Seba, Rosa, Nue, angeführt vom Kriegsveteranen RINGO von Menschen gejagt wurden und sie sich gegen Wesen, halb Mensch, halb Maschine, verteidigen mussten, ist die kleine Ortschaft für die vier Flüchtlinge zunächst sehr verheißungsvoll. Die Gebäude und die Straßen sind intakt. Es könnte ein Zufluchtsort sein, würden die Wachen in irgendeiner Form kompromissbereit sein. Leider gestattet ihnen ihre Programmierung keinerlei Einigung. Eine friedliche schon gar nicht.
Ein langer Weg für die unfreiwilligen Gefährten. Und die Gefahren könnten kaum unterschiedlicher und überraschender sein. Die beiden Handlungsstränge, zusammengefasst im dritten Band zum WAISEN-Spin-off RINGO mit dem Untertitel WIE DER REGEN, halten für den Leser ein paar Überraschungen parat und enthüllen ein gutes Stück mehr, was aus der Welt geworden ist.
Neue Zeichner, neue Perfektion. Generell wird natürlich die Optik beibehalten, aber es gibt Abweichungen in der Gestaltung der Figuren und der Art und Weise, wie die Bilder den Leser in die Handlung hineinziehen. Nahezu identisch zu den Vorgängern bleiben die Hintergründe, die einen Großteil der Atmosphäre ausmachen. Gab es bei James Bond einst den ungewöhnlichen Auftritt einer Ente als Fluchtwagen, findet der Leser hier ein weiteres, für solche Zwecke eher ungeeignetes Fahrzeug vor: einen Fiat 500. Obwohl das auch nicht ganz richtig ist, denn ganz im Sinne von PIMP MY RIDE hält auch dieses Auto ein Special Feature bereit.
Davide Gianfelice, Künstler des ersten Handlungsstrangs, der noch sehr handfest und action-reich daherkommt, arbeitet realistisch, aber er gibt seinen Figuren noch eine verspielte Note mit. Da werden Striche um den Mund zuviel gesetzt, hier ein Kringel im Haar oder am Kinn. Die Augen der einzelnen Helden fallen sehr unterschiedlich aus, Nues Gesicht wirkt wie im klassischen europäischen Comic, während die anderen auch in Mangas auftreten könnten, ohne mit ihrem Design aufzufallen (Stichwort: Akira). Es ist eine Mischung, die sehr gut miteinander korrespondiert. Ein fetter Tuschestrich an den richtigen Stellen sorgt für mehr Volumen und zusätzliche Tiefe innerhalb der jeweiligen Szene. Insgesamt eine tolle Gestaltung.
Gianfelices Nachfolger, der Zeichner Alessio Avallone, besitzt einen amerikanischeren Strich, vergleichbar mit Mike Norton (REVIVAL). Der klaren Vorgabe der Serie folgend schleichen sich aber rundere Züge der Figuren ein. Überhaupt liegt im von Avallone gezeichneten zweite Handlungsstrang ein starker Fokus auf den Gesichtern und ihren Emotionen, geht es doch um innerste Wünsche, Sehnsüchte, um das Pausieren vom Krieg, eine Spur von Glück. Jeder der Helden erlebt dieses Fitzchen auf ganz eigene Weise. Ringo selbst entdeckt sogar seine künstlerische Ader wieder, ein Talent, das lange verschüttet geblieben war.
Im Spiel mit den Gefühlen der vier Reisegefährten wird die Geschichte ruhiger, gefühlvoller, bei weitem aber nicht weniger nervenaufreibend. Denn konnten die Beteiligten zuvor beweisen, wie agil sie in Kampfsituationen sind, allen voran RINGO selbst, ziehen sie in der zweiten Hälfte mit ihren Gefühlen blank. Das Stichwort Seelenstriptease trifft es auf den Punkt.
Science Fiction, die jeden etwas bereit hält: Action wie in einem Kino-Blockbuster, schön ausgearbeitete Charakterisierungen und eine ausgefeilte Weltenbeschreibung, ein tiefsinnig erzählter zweiter Teil. Hier passt alles! 🙂
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