Sonntag, 22. Juni 2025
Eine Kunstauktion. Die Bieter im Publikum sind begeistert, der Preis ist hoch und steigt noch. Als der Zuschlag erfolgt, fällt ein Schuss. Dem Gewinner der Auktion fliegt der Schädel weg. Die Mörderin flieht. Das Sicherheitspersonal kann sie nicht erwischen. Zurück bleibt allein ein Schuh, den die Mörderin verloren hat. SASCHA JÄGER übernimmt einen Auftrag: Finde die Killerin.
Die Welt hat sich verändert. BERLIN im Jahre 2099. Reisen ist zum Luxus geworden. Viele Menschen werden Berlin ihr ganzes Leben lang nicht verlassen. Denn Fakt ist, wer geht, macht alles richtig und kann sich Reisemeilen verdienen. Wer sich fahren lässt, verursacht Kosten und muss bezahlen. So ist der Gang zu Fuss nicht nur allgemein schonender für eine ramponierte Umwelt, erlaufene Strecken sind gleichzeitig Währung. Andererseits haben sich die Menschen arrangiert. Wie es heute schon dort der Fall ist, wo Überbevölkerung herrscht, sich Millionen auf engstem Raum drängeln, findet das Leben, der Mensch irgendwie einen Weg. Nicht immer den schönsten oder den besten, aber einen, der zeitweilig haltbar ist. Vor diesem Hintergrund wird von FRED DUVAL ein Krimi erzählt.
Ich freue mich immer auf eine neue von INGO RÖMLING illustrierte Geschichte. Seit der ersten Ausgabe von MALCOLM MAX und spätestens seit dem von ihm animierten Musikvideo von MELOTRON (Titel: Du bist es nicht wert) bin ich auf das nächste Werk gespannt. INGO RÖMLING ist auf seinem Gebiet ein Perfektionist. Das hat er mit den bisher insgesam sechs Ausgaben von MALCOM MAX, aber auch mit der Trilogie DIE CHRONIKEN DES UNIVERSUMS reiflich bewiesen. Seine Arbeiten für STAR WARS und jüngst der Ausflug ins BATMAN-Universum nicht zu vergessen.
Nun also wieder Science Fiction, aber nicht ins SPACE-OPERA-Fach, sondern in ein dystopisches Szenario. Die Welt, hier am Beispiel BERLIN, hat ihre Zukunft verspielt. Konsum, übermäßiger Energieverbrauch, Überbevölkerung hat zu einem zivilisatorischen Rückfall gesorgt. Einiges hat sich weiterentwickelt (wie VIRTUAL REALITY und CYBERSPACE), manches ist rückwärts gewandt (wie der Verkehr). Aus der Weite der Möglichkeiten wurde für nicht wenige Menschen eine Art knastvolle Enge auf Lebenszeit. Vielleicht mit ein wenig mehr Auslauf.
Dieses Berlin der Zukunft ist ein Schatten desjenigen unserer Gegenwart. Gedränge allerorten, es gibt mehr Verfall als Aufbau. Roboterhunde helfen beim Trieb einer Ziegenherde, Fahrradrikschas (CYCLIFTS) transportieren jene, die es sich leisten können. Humanoide Roboter (GYNOIDEN) agieren als Hilfspolizisten. Darüber hinaus sind Mode und Architektur ins Hintertreffen geraten. Dort herrscht Stillstand. INGO RÖMLING zeichnet brillant, aber die Aussichten auf dieses Berlin sind trüb. Grafisch stark, detailreich, vermittelt INGO RÖMLING ein tragisches Bild der Zukunft. Aber nicht zuletzt auch ein spannendes.
Denn neben der gezeigten Welt, der Gesellschaft und ihrer Regeln gibt es einen Mord aufzuklären, dessen Inszenierung gleich zu Beginn auch sehr viel über das futuristische Berlin verrät. So gehen detektivische Arbeit, ACTION und atmosphärische Schilderung von der ersten Seite an Hand in Hand. Für Science-Fiction-Freunde ist das großartig umgesetzt.
Mal eine Lanze brechen: In den überwiegenden Fällen finden sich vorne auf dem Cover der oder die Namen der AutorInnen und/oder der ZeichnerInnen. Manchmal übernimmt der Zeichner oder die Zeichnerin auch die Arbeit des Tuschens (falls das nicht ohnehin am Rechner erfolgt und somit ein Aufwasch ist) sowie die Kolorierung. Aber oft ist gerade letzteres nicht der Fall. INGO RÖMLING ist jemand, der meisterhaft kolorieren kann, dies jedoch in METROPOLIA nicht übernommen hat. Vielmehr hat CHRISTOPHE BOUCHARD diese Aufgabe im vorliegenden Band und sorgt für die farbliche Stimmung.
Die hier gezeigte Zukunft ist nicht neonbunt, sie strahlt eher Blade-Runner-Vibes aus. Es ist farblich zurückgenommen. Das Titelbild übertreibt in dieser Hinsicht gehörig. Atmosphärische Kolorierung ist hier Methode, denn die Zukunft Berlins, dem Handlungsort, ist farblich einigermaßen trist. Aber es gibt Farbtupfer, und die stammen ausgerechnet aus der Vergangenheit. Schönstes, besonders einprägend, Beispiel sind vier gelbe Spielzeughühner aus Kunststoff, auf breiten Sprungfedern befestigt, wie sie sich in unseren in unzähligen Varianten auf Spielplätzen finden lassen. Dort, in METROPOLIA, stehen die Dinger auf einem grauen Dach und haben, ganz im Gegensatz zum Rest der Gesellschaft, ihr fröhliches Grinsen bewahrt.
Darüber hinaus bringt die Virtual Reality Farbe ins Spiel und zeigt eine gesunde Welt. Bestes Beispiel hier ist, als sich Sascha, der Hauptcharakter, mit seiner, nennen wir sie, Freundin trifft. Aber eben nicht in der Realität, sondern in der VR, weil ein kompletter Ozean zwischen ihnen liegt. Er befindet sich in Europa, sie in Nordamerika. Ihr Treffpunkt ist ein nachgeahmter fast schon kitschig grüner Wald. Sobald Sascha in die echte Welt zurückkehrt, herrscht wieder ein ungesundes rötliches Licht vor.
Das ist für Fans von dystopischer Science Fiction ebenso für jene von Krimis und Thrillern der Schwarzen Serie. FRED DUVAL (Autor) vermischt beides gekonnt. Durch die künstlerische Umsetzung von INGO RÖMLING (Zeichner) und CHRISTOPHE BOUCHARD (Kolorist) wird ein grafisches Fest daraus. Beide Daumen rauf für diesen dichten SciFi-Thriller! 🙂
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Dienstag, 14. Januar 2025
Die JUNKYARD DOGS sind nur eine kleine Gruppe innerhalb der us-amerikanischen Armee. Die durchweg jungen Soldaten versuchen ihren Einsatz in Übersee, in VIETNAM zu überleben. Die nächste Mission steht an. Einen Kameraden hat die Gruppe gerade verloren. Ein neuer Soldat soll ihn ersetzen. Der junge Mann ist nicht nur schweigsam, er ist still. Sein Blick ist seltsam unbeteiligt. Sein Auftreten wird von den anderen als Angst interpretiert. Keiner trägt es ihm nach. Alle Soldaten haben Angst und sie tun gut daran, denn es hält sie wach, macht sie aufmerksam. In der Nacht auf der Patrouille geschieht das Unfassbare. Ein feindlicher Soldat will die G.I.s mit einer Sprengladung töten. Der Neue geht dazwischen und fängt die Explosion mit seinem eigenen Körper ab…
Es war einmal in VIETNAM. Ein oft behandeltes Thema in den Vereinigten Staaten von Amerika. Zahlreiche Schlachten hat die USA geschlagen, in vielen Kriegen gekämpft. Aber das herausragende Trauma, medial immer wieder bemüht, ist VIETNAM. GEOFF JOHNS (Autor) und GARY FRANK (Zeichner), ein Künstler-Dreamteam, haben diesen Zeitabschnitt als Inspiration hergenommen und einen neuen, sehr besonderen HELDEN kreiert, der auf seine Art ein moderner PINOCCHIO sein könnte.
Aber JUNKYARD JOE ist noch mehr. Das muss vorweg geschickt werden. Zwar kann die Geschichte durchaus als alleiniges Werk betrachtet werden, doch gleichzeitig ist sie eingebettet in ein ganzes Comic-Universum, geschaffen von GEOFF JOHNS. Eine Zeitlinie im Anhang setzt den Leser über diverse Charaktere ins Bild: REDCOAT, THE NORTHENER, THE MONSTER, (natürlich) JUNKYARD JOE, AMERICAN WIDOW X, FIRST GHOST und schlussendlich auch GEIGER, dessen Geschichte bereits bei Cross Cult erschienen ist. Und alles zusammen umfasst ein UNERKANNTER KRIEG, in dem die, wie diese Helden auch genannt werden, DIE UNGENANNTEN eine Rolle spielen.
Zurück zu JUNKYARD JOE: GEOFF JOHNS hat hier keinen Killerroboter geschaffen. Sein JUNKYARD JOE hat den Auftrag, Menschen zu beschützen. Derlei kann – muss aber nicht – damit einhergehen, potentielle Bedrohungen auszuschalten. Notfalls endgültig. Freundlich formuliert. Das könnte eine eingleisige Geschichte werden, würde GEOFF JOHNS nicht (wie er das meistens macht) mehrere Schichten hinzufügen, die dem Szenario Tiefe verleihen.
Aus besagter Gruppe Soldaten zu Beginn ist in der Gegenwart ein einziger Mann, MUDDY DAVIS, zurückgeblieben. Dieser hat seine Erfahrungen mit JUNKYARD JOE sehr erfolgreich verarbeitet. Er gab dem namenlosen Roboter, der ihnen im Dschungel das Leben rettete, nicht nur die comicartige Bezeichnung, er schuf auch gleich einen ganzen Comic dazu, der auf den überaus beliebten Comic-Seiten von Tageszeitungen über Jahrzehnte hinweg ein breites Publikum, eine Fanbase gefunden hat. Plötzlich, mitten im Winter, taucht dieser ROBOTER wieder auf. Und MUDDY DAVIS, der zeitweilig an seinen Erinnerungen und seinem Verstand zweifelte, wird mit der Echthit seiner Vergangenheit konfrontiert.
JUNKYARD JOE spricht nicht. Zwar kann er Emotionen ausdrücken (auf seine Weise), doch Worte (kein einziges) kann er dazu nicht nutzen. So liegt es an den Interpretationen der Menschen um ihn herum, ein klareres Bild dieses Maschinenwesens für den Leser zu kreieren. Denn genau das entwirft GEOFF JOHNS hier: keinen schlichten gedankenlosen ROBOTER, sondern tatsächlich ein MASCHINENWESEN. Damit all diese Emotionen im Bild rüberkommen, hat GEOFF JOHNS den Zeichner GARY FRANK an seiner Seite. GARY FRANK hat bislang über mehr als 30 Jahre im Comic-Geschäft gearbeitet und in jedem größeren amerikanischen Comic-Universum seine Spuren bei sehr bekannten Comic-Figuren hinterlassen. An der Seite von GEOFF JOHNS kann er neue Figuren erschaffen.
GEIGER war der erste Charakter, JUNKYARD JOE folgte ihm auf dem Fuße. GARY FRANK arbeitet mit starkem Realismus, und jede seiner Figuren besitzt ein höchst individuelles Aussehen. Verwechslungen sind hier ausgeschlossen. GARY FRANK steht qualitativ auf Augenhöhe mit Illustratoren wie z.B. JIM LEE, CLAY MANN oder BRYAN HITCH (letzterer gestaltet die von GEOFF JOHNS für dieses neue Comic-Universum geschaffene Figur REDCOAT). Aber es ist in JUNKYARD JOE nicht nur futuristisch, mysteriös, es ist außerdem auch Familiendrama. In feinen Szenen beweist GARY FRANK seine Meisterschaft, wenn er Figuren ein Gesicht gibt, in denen der Leser selbst sich (und möglicherweise seine eigenen Emotionen) wiederfinden kann. Das Kleinstadtflair hilft hier extrem.
Die Action sehr pointiert eingesetzt und wenn sie ausbricht, ist sie ein Hingucker, aber nie übertrieben oder gar Selbstzweck. Das wäre im Umfeld eines realen nationalen Traumas wie VIETNAM auch fehl am Platz. Ebenso später in der Gegenwart ist es szenisch mehr THRILLER- als SUPERHELDEN-Ambiente.
WOW! Ich mochte schon GEIGER, der neue Akzente setzte, und JUNKYARD JOE, obwohl im selben Comic-Universum von GEOFF JOHNS angesiedelt, lenkt den Blick auf ganz andere Aspekte auf einer Zeitlinie, die von 1776 bis in die Zukunft reicht. Feinfühlig von GEOFF JOHNS erzählt. Viele Charaktere dürfen sich entfalten, viele Facetten halten das Szenario sehr lebendig. GARY FRANK erweckt diesen neuen metallenen Homunkulus sehr schön, sehr realistisch in seinen Bildern und liefert wohl Comic-Seiten ab, die heutzutage absolut State of the Art. Grandios! Für Freunde des Superheldengenres, von Science Fiction und Mystery-Thrillern gleichermaßen. 🙂
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Freitag, 16. Februar 2024
Das Drama hat in MYJOY seinen Lauf genommen. Obwohl es gerade dort kein Drama geben sollte. Denn MYJOY ist der größte Ferienpark aller Zeiten, wo jeder Mensch, der es sich leisten kann, sich zwei Wochen lang seinen Vergnügungen hingeben kann. Aber hinter den Kulissen von MYJOY gärt es. Schon seit längerem entgleisen die Strukturen, gibt es immer mehr Menschen, die über die Stränge geschlagen haben, sich überschuldeten und nun auf den Straßen von MYJOY leben. Jeden Tag sind solche Leute auf der Flucht, weil das computerisierte System es jedem Individuum nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt gestattet, seine Schlafstätte zu nutzen. Wer danach noch vor Ort ist, verliert sein Leben. Darüber hinaus, für alle sichtbar, hat der Kopf von MYJOY, sein Erfinder SPRINGY FOOL, nicht nur die Kontrolle über sich selbst, sondern auch über den Park verloren. Eine unaufhaltbare Abwärtsspirale setzt ein …
LUC BRUNSCHWIG, Autor, und ROBERTO RICCI, (Zeichnungen und Farben) setzen SPRINGY FOOL, der im Gewand des HASEN aus ALICE IM WUNDERLAND auftritt und völlig verantwortungslos ist, einen jungen enthusiastischen Mann, BUZZ, gegenüber, der in MYJOY als Sicherheitsbeamter (oder vielleicht besser als Parkpolizist) arbeitet. Inspiriert von einer alten Zeichentrickserie, in der ein Indianer namens LAUGHING RACOON durch die Zeit reist und unbestrafte Verbrecher richtet, hat sich BUZZ von seinem elterlichen Bauernhof verabschiedet und will ein gänzlich anderes Leben führen. Diese völlig gegensätzlichen Charaktere prallen in URBAN aufeinander. Es entspinnt sich ein, über die gesamte Länge andauerndes, SCIENCE FICTION DRAMA der besten Art.
Im vorliegenden 5. BAND, mit dem Untertitel SCHIZO ROBOT, werden viele über die Reihe URBAN hinweg ausgeworfene Fäden zusammengeführt. Glücklich werden hierbei die wenigsten Charaktere. Tote, Verletzte, seelisch gebrochene Gestalten bleiben in den Fährten von BUZZ und SPRINGY FOOL zurück. Das ist von LUC BRUNSCHWIG meisterhaft geschrieben und mit großer Weitsicht über einen sehr gestreckten Handlungsbogen. So manches klärt sich erst zum Schluss. Den einen oder anderen AHA-Moment gibt es ebenfalls, wenn sich die letzten Knoten entwirren. Bezeichnend ist eine tolle Charaktertiefe, selbst bei solchen, die realtiv kurz eingeführt werden. Bedeutet im Klartext: Selbst wenn der Leser glaubt, eine Figur könnte wichtigere Bedeutung in der Handlung erlangen, kann er ziemlich falsch liegen. Hier kann jeder Charakter über die Klinge springen.
ROBERTO RICCI arbeitet mit einem starken Mix aus organischen Zeichnungen und Computerkolorierung. Neben der bereits bekannten Zeichentechnik darf sich der Leser aber auch noch auf eine Abwandlung freuen. Die von BUZZ so geliebte Zeichentrickserie seiner Kindheit wird in einem Rückblick vorgestellt. Genauer gesagt wird sie gepitcht. Das Serienkonzept, der Handlungsablauf, die Hauptfigur LAUGHING RACOON. Die gezeigten Ereignisse sind anfangs nah an der amerikanischen Historie, bevor die Geschichte in Richtung SCIENCE FICTION schwenkt. Der Zeichenstil ist von ROBERTO RICCI so gewählt, dass er durchaus in einer modernen Zeichentrickserie Verwendung finden könnte (das sieht richtig gut aus!). Es wäre schön, wenn ROBERTO RICCI diesen Stil irgendwann einmal wieder aufgreifen würde (vielleicht für ein SPIN-OFF mit LAUGHING RACOON).
Das ist ein SCIENCE FICTION DRAMA. Natürlich gibt es Übertreibungen, aber nicht hin zur Komik. LUC BRUNSCHWIG und ROBERTO RICCI nehmen die Geschichte und ihre Charaktere sehr ernst. Neben Spannung, Tiefe gibt es auch Platz für Mitleid. Und das nicht zu knapp. Eine toll erdachte Dystopie, stark und durchdacht erzählt, bestens illustriert. Für SCIFI-FANS absolut empfehlenswert! 🙂
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Sonntag, 10. September 2023
Man stelle sich vor: Da gibt es eine Maschinerie, die darüber entscheidet, ob ein Buch bestehen bleibt. Oder ob es in der Versenkung verschwindet. Auf Nimmerwiedersehen. Selbst sogenannte gute Bücher. Inhaltlich wichtige Bücher. Sobald die Leserzahlen in den Keller rauschen, ist es futsch. Nicht bloß bei Romanen. Auch bei Sachbüchern. Sogar bei Comics. Dann stelle man sich vor: Es existiert eine Gruppe ungewöhnlicher Individuen, die es sich auf die Fahne geschrieben haben, solche Bücher zu retten. Eine Gruppe, die sich selbst PLOT HOLES nennt. Eine Gruppe, die aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt, Bestandteil eines solchens Buches zu sein. Oder eines Comics. Weil sie aus solchen Büchern gerettet wurden. Oder aus Comics.
So wie CLIFF WIESELWITZ, der seinen Nachnamen in INKSLAYER geändert hat. CLIFF ist Comiczeichner, leider kein sehr erfolgreicher. Erst vor kurzem ist seine Frau gestorben. Seelisch ist CLIFF am Boden. Beruflich ist da nichts, um von dem Verlust wenigstens abzulenken. Da steht eines Tages eine ältere, höchst agile Dame namens ED vor seiner Wohnungstür. ED prophezeit ihm das Ende SEINER Serie und offenbart ihm so, dass er nichts weiter als eine erfundene Figur ist. Klar, die Welt von CLIFF, dem selbst ernannten INKSLAYER, bricht vollends zusammen.
Dabei ist er nicht der einzige erfundene Charakter, der fortan ein eigenes Leben ohne Fremdbestimmung führen darf. Die PLOT HOLES stammen aus den unterschiedlichsten Geschichten und verschiedensten Genres. Teilweise, wie der kleine KEVIN, sind sie uralt. Oder nicht einmal menschlich. Was auf den überwiegenden Rest der Truppe zutrifft. Ja, SEAN MURPHY hat erneut seine Fantasie laufen lassen und eine GRAPHIC NOVEL erschaffen, Als Autor und Zeichner gleichermaßen entführt (das Wort passte selten besser als hier) er den Leser in eine Welt zwischen den Welten. Das ist letztlich größer als PHANTÁSIEN oder irgendwelche Comic-Universen, denn hier ist nicht einmal der Himmel das Limit.
Die Grundidee klingt zuerst seltsam, aber Dank vieler kleiner Hommagen, Figuren, die einem bekannt erscheinen, ohne es tatsächlich zu sein, darf man sich sogleich wie angekommen fühlen. Sei es FANTASY oder MANGA, HORROR oder SCIENCE FICTION, ernstes SACHBUCH über historische Ereignisse oder Architektur, thematisch finden sich irre viele Fingerzeige, die nicht nur Verbeugung vor der menschlichen Kreativität als solcher sind, sondern auch zeigt, wie weit die Lust am Fabulieren zurückreicht und wie sehr die Menschen ihre ABENTEUER und ihre HELDEN lieben.
Deshalb dürfen sich die Leser auch auf Auftritte von ROBIN HOOD, riesengroße MECHS oder MOBY DICK freuen. Und man muss nicht einmal suchen, um ein rotes Lichtschwert zu entdecken. Da wird seitens SEAN MURPHY von alt bis brandneu nichts ausgelassen. Gleichzeitig wird deutlich, wie ähnlich sich die Grundkonzepte sind und wie verzweigt eine Geschichte dennoch ausufern kann und mit den Epochen wächst.
SEAN MURPHY, der hierzulande mit seinen Veröffentlichungen von TOKYO GHOST und BATMAN: DER WEISSE RITTER auf sich aufmerksam machen konnte, zeichnet den vorliegenden Sammelband von A-Z. Grafisch ist das (wie er es bisher auch handhabte) sehr zart, auf magisch anziehende Weise zerbrechlich. Dünnste Outlines bilden fein ausgearbeitete Charaktere ab. Und damit erschöpft es sich nicht. SEAN MURPHY gibt einem Charakter die Fähigkeit zur Gestaltwandlung. Dank der Koloristen DAVE STEWART und MATT HOLLINGSWORTH ballern die Bilder richtig ins Auge, leichter Zeichentrickeffekt inklusive.
Daneben ist die Erzählung modern, trotz diverser nostalgischer, manchmal sentimentaler Anflüge. Krankheit, Liebe, sexuelle Ausrichtung, Menschen im Krieg, Zeiten im Wandel, allesamt große Themen, mal eben so mitgenommen. Ganz schnell ist der Leser an der Seite der Figuren, die ihr Innerstes im Laufe der Geschichte nach außen kehren. Selbst (ehemalige) Schurken geben sich so der Angreifbarkeit preis.
Mehr von SEAN MURPHY. Das ist ein echter Stern am Comic-Himmel. Hier lässt ein Künstler die Zügel locker, ohne zu entgleisen und zu abgedreht zu werden. Nachvollziehbare Verrücktheiten, grafisch erstklassig umgesetzt, spannend, gefühlvoll erzählt. Das darf Comic, das soll Comic, hier kann Comic, was andere Medien nicht schaffen! Toll! 🙂
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Mittwoch, 05. Juli 2023
Es ist geschehen. Das Wasser ist gestiegen. Und die Menschen entwickeln einen neuen Lebensstil. HANS VOGEL ist einer von ihnen. Manche Menschen leben in den verbliebenen Städten. Manche auf kleinen Inseln inmitten des Wassers. Andere, so wie HANS VOGEL, kreuzen auf den Wasser, immer auf der Suche nach Nahrung und Gelegenheiten. Sein Bruder GORZA begleitet ihn manchmal, meistens jedoch lebt er bei seiner Mutter JEANNE. GORZA spricht nicht, seine Denkfähigkeit ist beeinträchtigt, darüber hinaus ist das Herz am rechten Fleck. Und dann ist da noch der blaue HUND, der ein paar recht seltsame Fähigkeiten hat.
Eines Tages kehrt HANS nach Hause zurück, bringt Vorräte auf die kleine Insel und hat einen Plan für die nächste Tour im Gepäck. GORZA soll ihn begleiten. HUND auch. Doch ungefährlich wird es möglicherweise nicht. Draußen sind noch andere mit ähnlichen Zielen unterwegs. Außerdem gibt es eine Obrigkeit, die glaubt, es wäre besser, alle Menschen vom Wasser weg in die Städte zu evakuieren. Aber die meisten lieben ihre Freiheit und irgendwelche neuen Vorschriften scheren sie nicht. Es ist nur eine Frage der zeit, bis es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung kommt …
BENJAMIN FLAO kehrt mit einer neuen Graphic Novel zurück. Nach KILILANA SONG, einer zweiteiligen Geschichte, deren Handlungsmittelpunkt in KENIA lag, wirft BENJAMIN FLAO als Autor und Zeichner nun einen Blick in eine (denkbare) nahe Zukunft. Auf der einen Seite zeigt er jene Menschen, die sich mit den neuen Gegebenheiten abfinden und sich in ihnen zurechtfinden. Die andere Seite, eine Art Kehrseite, zeigt jene Gruppe, die am Althergebrachten festhalten will, in den Städten lebt, während um sie herum das Wasser steigt und auf ehemaligen Parkplätzen die Autodächer aus der Wasseroberfläche ragen.
HANS, GORZA und JEANNE versprühen eine gewisse Zufriedenheit. BENJAMIN FLAO verschafft ihnen und der Szenerie um sie herum eine positive Ausstrahlung. So schlecht, wie es für den Leser von außen scheint, scheint es nicht zu sein. Jedenfalls für jene, die noch die Segnungen der Zivilisation genießen, wie es HANS‘ TOCHTER VINEA macht. Obwohl sie ihrem Vater draußen, außerhalb der Stadtgrenzen, ähnlicher ist, als sie wahrscheinlich glaubt. 18 Jahre alt und Jura-Studentin, so hat sie den PUNK für sich entdeckt und lebt diesen gewissermaßen rebellisch aus. Sie rebelliert gegen das Establishment (auf ihre Art), und wer ihr blöd kommt, fängt sich eine. Da ist HANS ruhiger, ausgeglichener und mit etwas mehr Über- sowie Weitblick versorgt.
Die Charaktere sind gegeneinander ausgewogen, in sich stimmig, interessant, VINEA sogar ein wenig unbequem. Stellvertretend für den Leser darf eine Kommilitonin ihre Erkenntnisse mitteilen, nicht unbedingt wörtlich, aber ihr Verhalten ist aussagekräftig genug. Interessant ist, wie BENJAMIN FLAO Menschen beschreibt, die einerseits klammern, andererseits loslassen und sich auf etwas Neues einlassen. Noch interessanter hierbei ist, wie ausgerechnet ein junger Mensch an althergebrachtem Rebellentum festhält, das sich durch die äußeren Gegebenheiten eigentlich längst überlebt hat. Was vordergründig einfach und leicht erzählt scheint, ist hintergründig vielschichtig und sehr gut beobachtet.
Die Geschichte wirkt, gerade vor dem Hintergrund der letzten Anmerkung und den Bemerkungen aus dem OFF (vom blauen HUND), wie von einem illustrierenden Reisebiographen verfasst. BENJAMIN FLAO fängt Momente ein, Landstriche, Bilder und das ist mehr als nur die Herstellung von Atmosphäre. Ganz besonders, der blaue HUND seine Weisheiten und Gedanken einstreut. Er liest nicht nur in der Zeit und macht deutlich, dass diese neue Welt nur ein Stadium ist, kein Stillstand. Er liest zudem in den Herzen der Menschen (was HANS VOGEL erkennt und er vertraut entsprechend darauf, denn es hilft, Situationen nicht nur zu entschärfen, es hilft auch, den Ball gleich von Beginn an flachzuhalten und Missverständnisse zu vermeiden). HUND ist die Prise MYSTERY in AUF DEM WASSER. Aber es fügt sich gut ein. Wenn die bekannte Welt zugrunde geht, mag eine Spur mysteriöser Interpretation zum Verständnis der neuen Umstände helfen.
Stichwort Reisebiograph. Dieser muss nicht nur gut beobachten können, er muss auch schnell sein. BENJAMIN FLAO sammelt Eindrücke, entsprechend skizzenhaft sind seine Bilder. Etwas roh, grob, aber deutlich, eindringlich, unmissverständlich. Selbst eine Figur wie GORZA, dem kein vernünftiges Wort über die Lippen kommt, wird hier trotz allem zum verstehbaren und sympathischen Charakter. Die Farbpalette knallt nicht, sie hat ihre leuchtenden Momente, aber es ist eher so, als käme es immer wieder zu Bewölkungen und dunstigen Tagen (eben weil viel Feuchtigkeit in der Luft hängt). Ob beabsichtigt oder instinktiv, es passt von A bis Z.
Stimmungsvoll, dicht, stark beobachtet, fein erzählt, mit nachvollziehbaren Charakteren in einer sich drastisch verändernden Welt (die unserer in nicht allzu ferner Zukunft folgen könnte). Genug bleibt erhalten, um den Leser bei der Hand zu nehmen, reichlich verändert sich, was es zu entdecken gilt. In einer skizzierten Umgebung, die neben dem Bekannten ihre Andersartigkeit gerne zelebriert. Ein ruhiges Science-Fiction-Szenario, dem viel Inhalt innewohnt. Packend. 🙂
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Dienstag, 04. Juli 2023
Neues Team. Neues Glück? DOKTOR APHRA, die Archäologin und Schatzjägerin, hat neue Leute um sich geschart. Nachdem sie den Schwierigkeiten mit dem Imperium entkommen konnte, verläuft die Arbeit etwas entspannter – ohne imperiale Häscher im Nacken. Aber ohne Konflikte geht es dennoch nicht. TUBLEEK, einer aus ihrer Bande, will ihr in den Rücken fallen. Und das ausgerechnet auf dem Eisplaneten HOTH, wo APHRA und der WOOKIE BLACK KRRSANTAN soeben eine imperiale Einheit aufgemischt haben. LUCKY, der Scharfschütze aus ihrer Gruppe, löst das Problem. Endgültig.
Freiberufler suchen stets nach neuen Chancen und so ist es nach einem Job auch stets vor einem Job. Die nächste Chance naht mit der Studentin DETTA YAO. DETTA verfolgt die alte Legende zweier Ringe, die Unsterblichkeit und ewigen Reichtum verheißen. APHRA ist skeptisch, was derart sagenhafte Artefakte anbelangt. Allerdings, so DETTA, ist noch jemand von dem wahren Kern dieser Legende überzeugt: PROFESSORIN EUSTACIA OKKA. Leider ist diese eine ehemalige Flamme von DOKTOR APHRA. Animositäten und Schwierigkeiten sind so einmal mehr vorprogrammiert …
Eine Serie geschafft und jetzt der Neustart – zumindest Stand 2021, denn diese Serie liefert in diesem Monat den bereits vierten Band ab. DOKTOR APHRA ist eigentlich ein Kandidat für eine Streamingserie, zumal ein bekanntes Gesicht aus dieser Serie (sogar hier auf dem Cover) es in THE MANDALORIAN geschafft hat: BLACK KRRSANTAN. Wie will man DOKTOR APHRA beschreiben? Ein weiblicher INDIANA JONES im STAR-WARS-KOSMOS, allerdings jugendlich frech, sehr ego-fixiert, nicht unbedingt und schon lange nicht immer vertrauenswürdig. Die Liste ihrer Feinde ist wahrscheinlich nicht eben kurz und sie selbst macht sich nichts daraus, wenn eine Position mehr in dieser Sammlung auftaucht.
Der erste Band mit dem Untertitel GLÜCK UND SCHICKSAL handelt letztlich davon, wie DOKTOR APHRA eine neue Kerbe in diese Liste schnitzt. RONEN TAGGE, schwerreich, hat einen Spleen. Er hat Spaß daran, seltene Gegenstände zu erwerben (am besten einzigartige), diese zu berühren und anschließend zu zerstören. Sein Kick besteht darin, das letzte Lebewesen gewesen zu, das diese Artefakte besessen und berührt hat. Ja, da blinkt ein wenig der Wahnsinn durch (oder ein sehr hohes Maß an Exentrizität).
DOKTOR APHRA ist charakterlich so angelegt, dass sie gar nicht anders kann, als sich mit diesem Mann anzulegen (he, DARTH VADER stand auf ihrer Liste, da verwundert das hier nicht). Aus der Suche nach zwei seltenen Gegenständen (deren Existenz nicht bewiesen ist) wird eine Jagd und ein Kampf auf Leben und Tod. ALYSSA WONG lässt die Geschichte Haken schlagen, wartet mit Intrigen auf, satter Action und natürlich eine forschen DOKTOR APHRA, die immer ein As in der Hinterhand hat.
Grafisch ist MARIKA CRESTA in diesem Band für DOKTOR APHRA zuständig. Wie nicht wenige junge Comic-KünstlerInnen arbeitet sie mit einer sehr klaren realistischen Linie. Damit ist sie zum Beispiel in der Gesellschaft von PIA GUERRA (Y – THE LAST MAN) oder FIONA STAPLES (SAGA) oder TERRY MOORE (RACHEL RISING, STRANGERS IN PARADISE). Der Blick wird so auf jedes einzelne Bild konzentriert. Platzverschwendung, irgendwelche Kaschierungen gibt es hier stilistisch nicht – zwangsläufig. Das lässt den Leser selbst in den actionreichsten Momenten alles haargenau betrachten. Für das sehr atmosphärische Licht und das Farbenspiel sorgt RACHELLE ROSENBERG, die über diese Arbeit hier hinaus eine vielbeschäftigte Koloristin für MARVEL-Abenteuer ist.
Weiterhin ein starker Hauptcharakter im STAR-WARS-UNIVERSUM. Futuristisch wie immer, diesmal aber auch ein bisschen spooky. Die perfekte Serienfigur, die immer eine neue Facette offenbart. Toll gezeichnet und koloriert. So macht STAR WARS Spaß! 🙂
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Samstag, 18. März 2023
Mutter werden ist nicht so schwer, Mutter sein dagegen schon schwieriger. Besonders schwer sogar, wenn die Elternteile aus gegensätzlichen kriegerischen Lagern stammen und der gemeinsame Sproß Hoffnung verheißt. Hoffnung, die offiziell nicht existieren darf und beiderseitig zum Abschuss freigegeben ist. Wer dauernd damit rechnen muss, gejagt und getötet zu werden, kann das übliche, eher ruhige, Familienleben nicht aufbauen. Und so ist die kleine Familie, die auf ungewöhnliche Weise sogar gewachsen ist, ständig auf der Flucht und auf der Hut …
Zurück in der SAGA. Drei Jahre hat es gedauert, bis nun endlich die Fortsetzung der Reihe vorliegt, nachdem der Leser mit einem äußerst traurigen Cliffhanger zurückgelassen wurde.
Wie die einführenden Worte schon andeuten: SAGA ist eine Familiegeschichte im SPACE-OPERA-Gewand. Und dank ihrer ungewöhnlichen Figuren ragt SAGA weit über das gewohnte Maß solcher Geschichten hinaus (was den langanhaltenden Erfolg der Reihe unter anderem begründen dürfte). Wer sich heute für Weltraumabenteuer interessiert und medial unterwegs ist, kennt reichlich außergewöhnliche Kreaturen aus Comic, Roman und natürlich Film. SAGA kann (und macht es) geht noch viele Schritte weiter. Weder den Ideen von Autor BRIAN K. VAUGHAN oder der Künstlerin FIONA STAPLES scheinen hier Grenzen gesetzt.
Wer die Bilder betrachtet (bereits das Titelbild), wird für den Begriff PATCHWORK-FAMILY eine völlig neue Definition finden müssen. BRIAN K. VAUGHAN und FIONA STAPLES lieben es für die gesamte Länge der Reihe, alles Erdenkbare auf die Spitze zu treiben. Äußerlichkeiten sind ein Mittel dafür. (Beispiel Titelbild: Eine humanoide Figur mit der Nase eines Koalas und ebenso entlehnten Puschelohren. Gleichzeitig kriegsversehrt und mit eine Prothese versehen, die so gar nicht zum restlichen muskulösen Äußeren des Charakters BOMBAZINE passt.) Aber sie verfahren gleichfalls mit gesellschaftlichen Umständen ziemlich anarchisch und krempeln Bedeutungen um (Stichwort: Kopfgeldjäger) oder präsentieren Beziehungen, die selbst langjährigen Comic-Fans neue Bilder vor Augen führen (die es so noch nicht zu sehen gab). All das lässt sich mit einem Wort übertiteln: Überraschungen.
Jemand, der keine Anstellung finden kann, der gesucht wird, nicht sesshaft ist, dem bleiben nicht viele Optionen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. ALANA, Mutter von HAZEL (einer sehr besonderen Tochter) und dem kleinen BROBOT (einem ebenso besonderen Waisenkind), verdingt sich als Schmugglerin. Offiziell. Inoffiziell ist ihre Tätigkeit noch eine kleine Spur gefährlicher. Die junge Frau ist tough, erfinderisch, risikobereit. Alles Eigenschaften, die bis zum Äußersten in der Geschichte gefordert werden. BRIAN K. VAUGHAN lässt sich einiges einfallen.
Aber das ist es nicht allein. Wie das Titelbild verrät (allen Sci-Fi-Fans, die bisher noch nicht mit SAGA in Berührung gekommen sind), gibt FIONA STAPLES ihren Figuren einen realistischen Look. Und obwohl sie sich an wirklich kuriose Gestalten heranwagt, funktioniert das Aussehen (meistens). Ein Highlight der vorliegenden 10. Folge von SAGA ist eine BAND mit dem Namen SHOWING BUNT (ein vorübergehend ausgewählter Name). Deren Mitglieder bestehen unter anderem aus einem Angehörigen des ROBOT-Volkes, einem menschgroßen FROSCH und einer Kreatur, die eine jugendlichere Verwandte von NOSFERATU sein könnte. Alle rufen sich jeweils nur mit den Bezeichnungen ihrer jeweilig gespielten Instrumente wie Schlagzeug, Gitarre oder Trommel.
Auf diese Art hält die Musik in SAGA Einzug. Die Band ist (bei allen Querelen) sympathisch, durchgeknallt (aber sympathisch) und insgesamt als Idee innovativ. Wenn sich jemals eine Truppe für ein Spin-Off qualifiziert hat, dann diese Band!
Einfach stark. Wer die Serie mag, dürfte hier in Band 10 sozusagen nach Hause kommen. Es ist spannend, aber auch dramatisch, weil einem die Charaktere, selbst die Neuen, schnell ans Herz wachsen. Das ist der Erzählung von BRIAN K. VAUGHAN geschuldet und den originellen und tollen Zeichnungen von FIONA STAPLES. Eine vorbildliche SPACE OPERA und grandiose Familiengeschichte. 🙂
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Dienstag, 11. Oktober 2022
Die Welt ist am Boden. Die Menschen haben nicht mehr genug Nahrung. Die Erde gibt ihnen nicht mehr das, was sie zum Leben brauchen. DIOSYNTA, ein multinationaler Konzern, hat die Kontrolle übernommen. Mittels einer Söldnergruppe werden Menschen zur Feldarbeit zwangsverpflichtet. Unter militärischem Schutz werden Äcker bewirtschaftet. Eine Terrorgruppe, die sich selber DIE SÖHNE GAIAS nennt, bekämpft DIOSYNTA, aber es ist eine Guerilla-Nadelstichtaktik und nicht wirklich wirksam. Daneben gibt es die RESILIENZ, ein Netzwerk von Menschen, die sich aus den Städten und vergifteten Gebieten dahin zurückgezogen haben, wo es zu unwirtlich für den Ackerbau ist. Die RESILIENZ hegt und pflegt Gemüsesorten, sammelt und verteilt Samen, in der Hoffnung, die übrigen Menschen aus ihrer Lethargie zu holen und das natürliche Erbe des Planeten Erde zu bewahren …
AUGUSTIN LEBON packt hier einen sehr düsteren dystopischen Stoff an. Er hat RESILIENZ geschrieben und gezeichnet. (Die Kolorierung übernimmt HUGO POUPELIN.) Es ist eine Welt im Dreck, in der sich die Menschen grundsätzlich vorsehen müssen. Pestizide bringen einen ruckzuck um, wie die Hauptfigur, ADAM, gleich zu Beginn feststellen muss. Eine Tragödie zwingt ihn und seine Freundin AGNES, das Zuhause zu verlassen. In der Welt abseits der Strukturen von DIOSYNTA gehen sich die Menschen gegenseitig schnell an die Kehle. Und doch will man gerade von hier einen Neuanfang organisieren.
DYSTOPIEN üben fortwährenden Druck auf ihre Akteure aus. Hier ist es nicht anders. Eine Ruhepause ist sehr, sehr selten. Überleben steht ganz oben auf der Liste. Nachdem ADAM, wie es scheint, ein vergleichsweise behütetes und versorgtes Leben geführt hat (dank der RESILIENZ) wird er mit Anlauf ins Chaos geworfen. AUGUSTIN LEBON erspart seiner Hauptfigur nichts. An seiner Seite erlebt der Leser den Wahnsinn dieser lebensfeindlichen Erde, in der diejenigen, die ein geregeltes Leben führen, letztlich doch nicht anderes als Sklaven sind. Denn Flucht wird bestraft.
Das erste Drittel ist eine Art kleines Roadmovie in dieser furchtbaren Welt, im Anschluss versucht ADAM nur noch aus dem Wahnsinn zu entkommen, der ihm da als lebenswert präsentiert wird. AUGUSTIN LEBON erzählt den ersten Teil noch relativ gemächlich, aber eindringlich. Danach nimmt die Handlung deutlich mehr Fahrt auf. ADAM will nur noch fliehen. Als ihm endlich eine Erfolg versprechende Gelegenheit dazu begegnet, beginnt der Schlussprint (ein vorläufiger, denn DIE TOTEN ERDEN ist der erste von vier Teilen).
Grafisch arbeitet AUGUSTIN LEBON mit einfachen Outlines. Großflächige Schatten werden nur sehr selten eingesetzt. Striche werden da eingesetzt, wo sie sein sollen. Nichts ist überflüssig. Aber alles, was notwendig ist, wird erfasst. Die verwahrlosten Städte, ausgedörrte Landschaften, verzweifelte Menschen. Aus einer landwirtschaftlichen Szenerie entsteht plötzlich eine Action, die auch in MAD MAX oder ähnlichen apokalyptischen Handlungen Platz finden könnte. Es gibt Gewalt in den Bildern (das bleibt thematisch kaum aus). AUGUSTIN LEBON fügt diese niemals zum Selbstzweck oder im Übermaß ein. Filmisch gesprochen, schwenkt die Kamera mehr darüber hinweg und hält nicht extra drauf.
Insgesamt arbeitet AUGUSTIN LEBON mit einem sehr gefälligen Zeichenstil und einer lockeren Seitenaufteilung. Er hat einen guten Mittelweg zwischen optischer und textlicher Erzählung gefunden.
Eine bodenständige Science Fiction Geschichte der düsteren Art. Die Menschheit befindet sich mit einem Fuß über dem Abgrund. Hoffnung ist (fast) keine in Sicht. AUGUSTIN LEBON konzentriert sich auf drei Figuren (eine mit Unterbrechungen) mit ADAM als Bindeglied des Ganzen. Ein gelungener Einstieg in die Handlung, ein sympathischer Hauptcharakter, der den Leser stark und emotional mitnimmt. Dunkle, starke SciFi! 🙂
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Mittwoch, 21. September 2022
GOLDEN CITY glaubte, in Sicherheit zu sein. Nachdem die Stadt der Reichen lange Zeit auf den Weltmeeren unterwegs war und dort von Terroristen gekapert wurde, schließlich sogar sank, dachten die Verantwortlichen mit einer Stadt im Weltraum die ultimative Lösung gefunden haben. Weit gefehlt! GOLDEN CITY ist angreifbar. Ohne Technik und Vernetzung läuft in GOLDEN CITY nichts. Logisch, letztlich ist sie nichts anderes als ein riesiges Raumschiff. Sie ist kein Selbstversorger. Ständig gibt es Flugverkehr zwischen Erde und Stadt. Und so gelingt am Ende die Sabotage aus dem DARK WEB heraus…
Das 14. Abenteuer um GOLDEN CITY spielt mit Ideen, wie sie in unserer heutigen Zeit fast schon an der Tagesordnung sind. Firmen, Institutionen, Verwaltungen und vieles mehr wird über das Internet angegriffen, Daten gekapert, geklaut oder, wenn man es nennen will, gekidnappt (verschlüsselt) und erst gegen ein Lösegeld wieder seinen Besitzern zur Verfügung gestellt. Hier ist gleich an eine ganze Stadt das Ziel von Hackern!
Interessant ist, wie die Technik in GOLDEN CITY auseinanderdriftet. Hightech gibt es vermehrt dort, wo es bezahlbar ist, wo die beste Technik ausprobiert werden kann. Kommunikation über holografische Projektion findet in GOLDEN CITY Verwendung. Andernorts gibt es die technischen Möglichkeiten gar nicht. In diesem breit angelegten Szenario gibt es reichlich Diskrepanzen zu entdecken.
DANIEL PECQUEUR (Autor) und NICOLAS MALFIN (Zeichner) haben die Welt von GOLDEN CITY in den letzten Jahren sehr schön ausgearbeitet. Deshalb hat das Szenario eine tolle Tiefe entwickelt. Die Reichen haben sich in den Weltraum zurückgezogen, während die ärmeren Bevölkerungsschichten sich auf den verbliebenen Landmassen zurechtfinden müssen. Das Meer ist zu einem Lebensraum geworden. An den Küsten haben die Menschen sich neue Bereiche erschlossen. Manche, wie einige wichtige Charaktere dieser Geschichte, leben wild, ohne Genehmigung in eigens errichteten Behausungen. Es wird zusammengetragen, was passt und einigermaßen gemütlich hergerichtet.
Aber das ist nicht alles. Unterstützt werden die Optiken von der Improvisation zusammenbrechender Zivilisationen. Es gibt Ansichten, die erinnern an das scheinbar ungeordnete Miteinander in Kanalvierteln in Macau, dann wieder könnte die nächste Ecke, technisierter, einem Szenario wie BLADE RUNNER entsprungen sein. Oder aber Ansichten eines höchst modernen Asiens mit klaren glatten Formen. Und immer wird diese Welt, dank der Kolorierung von PIERRE SCHELLE, von einer ungeheuren Strahlkraft beherrscht. Das lässt vieles freundlicher erscheinen, als es eigentlich ist.
Darüber hinaus, bei aller fein angelegter Science Fiction, ist GOLDEN CITY 14, DARK WEB, auch ein Thriller. HARRISON BANKS, der BÜRGERMEISTER von GOLDEN CITY, war bislang die zentrale Figur der Handlung. Hier ist zwar bei weitem nicht unwichtig, doch DANIEL PECQUEUR verschiebt den Blickwinkel zu den bisherigen Nebenfiguren, MIFA, APPLE, SOLO und KUMIKO. Besonders MIFA, eine junge Frau, und KUMIKO, die ihren Freund APPLE suchen, tragen die Geschichte voran. Auch das Drama wird mehr um diese Charaktere drapiert als um HARRISON BANKS. Letzterer ist mehr ein Verwalter der Unglücksfälle, die sich immer mehr um GOLDEN CITY herumspinnen und das leichte Leben in der Stadt erschüttern.
Eine Geschichte, die von DANIEL PECQUEUR stimmig in den Handlungsstrang von GOLDEN CITY eingefügt wird, durchaus für sich steht, aber auch einen Übergang für (wahrscheinlich) noch gewichtigere Ereignisse darstellt. Die Welt gerät in eine Schieflage und Schuld daran ist eine kleine Gruppe junger Leute mit höchst radikalen Ansichten und hervorragenden Fähigkeiten. (Das ist beinahe keine Science Fiction mehr.) Die Spannung passt von Anfang bis Ende, die grafische Umsetzung ist auf gleichbleibend tollem Niveau (von NICOLAS MALFIN und PIERRE SCHELLE). So müssen SciFi-Serien sein! 🙂
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Samstag, 18. Juni 2022
Welt kaputt. Alles verloren. Allein als Mensch im All. Das kann einen schon zum Saufen bringen. Aber der Lebensunterhalt will auch verdient werden. Und das Raumschiff will fliegen. Wie gut, wenn man gut im Töten, Ballern, Kopfgeldjagen und Söldnertum ist. Irgendwie alles zusammen. Wie gut, dass man dann HEATH HUSTON heißt, weil man sowieso in jeden Fettnapf tritt, den das Universum zu bieten hat!
RICK REMENDER erzählte in den ersten drei Bänden von FEAR AGENT, die Geschichte eines Mannes, der alles verloren hat und dem das Universum wirklich übel mitgespielt hat. Gleichzeitig kreierte RICK REMENDER einen Charakter, der bereit war, es dem Universum mit gleicher Münze heimzuzahlen. In mehreren Kurzgeschichten kehrt diese Tough-Guy-Ikone des Science-Fiction-Comics noch einmal zurück. RICK REMENDER gibt die Erzählungen weitgehend an andere Autoren ab. Auf die bisher bekannten Zeichner der Reihe muss der HEATH-HUSTON-Fan verzichten, dafür sind nun 18 neue Künstler an der Reihe.
FEAR AGENT bedeutet ein Stück weit Chaos. Käme er aus dem Genre WESTERN (es gibt hier wieder einmal entsprechende Anleihen), wäre HEATH HUSTON ein großer ITALO-WESTERN-Held. Hier muss alles ein wenig drüber sein, etwas mehr, etwas größer, derber, brutaler, häßlicher, kauziger. Beispiele hierzu gibt es reichlich. Es gibt Verbeugungen vor dem Genre selbst und auf der anderen Seite, wird sich nicht gescheut, das in die Geschichten zu integrieren, was man gerade aus anderen Genres brauchen könnte.
Als Hommage zu verstehen, sind Stories wie IM AUGE DES CHAOS (ein wenig MANN IM MOND, ein wenig CTHULHU im Weltraum) oder MENSCH ZUM DINNER (was sich ein ROALD DAHL ausgedacht haben könnte) oder UND DANN KAM EINE SPINNE (in der WESTERN mit ALIENS), während DIE PRINZESSIN VON RONGAR ein Ausflug ins HIGH-FANTASY-Genre ist.
Bei 18 verschiedenen Zeichner hat der 4. Band von FEAR AGENT natürlich einiges zu bieten. Manches verströmt Heavy-Metal-Feeling. Zeichner MARK TORRES erinnert stilistisch an einen MIKE MIGNOLA (der hier leider nicht dabei ist). Zeichner JAMES CALLAHAN ist ein grafischer Verwandter eines EDUARDO RISSO (der ist leider auch nicht dabei, obwohl das hier durchaus sein Thema wäre). In NICHTS ZU BEFÜRCHTEN bietet KIERON DWYER (geschrieben von RICK REMENDER selbst) eine feine Trickfilm-Atmosphäre auf. Teilweise waren Stilistiken eines BERNIE WRIGHTSON zu entdecken (was nicht zuletzt an der Zombie-Version von HEATH HUSTONS Frau liegt).
Persönliche Zeichner-Favoriten: PAUL RENAUD (DIE PRINZESSIN VON RONGAR), weil es ein feiner realistischer Stil ist, mehr davon! Außerdem: KIERON DWYER (NICHTS ZU BEFÜRCHTEN), hat den stilistischen Realismus eines BERNIE WRIGHTSON, auch starken Schwung, etwas anarchischen Touch.
FEAR AGENT liegt im 4. Band natürlich immer nur häppchenweise vor. Die Geschichten sind kurz und meist so erzählt, als habe es zuvor schon einen längeren Anlauf gegeben. Man könnte auch sagen: Jede Story ist ein Finale! Ruhephasen (kleine Pausen für HEATH HUSTON, bevor es wieder zur Sache geht) sind äußerst kurz, dafür ist die Geschwindigkeit der Erzählung meistens hoch. Exemplarisch hierfür sind die Geschichten DIE GEDÄRME DES ALLS (ist so abgefahren wie es klingt) oder VON HIER ZUM URANUS oder EIN SCHMUTZIGER AUFTRAG. In die Story reinspringen und durchziehen.
Das kann natürlich bei weitem nicht so in die Tiefe der Figuren gehen, wie es die Vorgängerbände geschafft haben. Die Geschichten sollen einem flott um die Ohren fliegen (tun sie!) und Space-Opera-Feeling vermitteln (tun sie; hat ein wenig von früheren Space Operas, die so manchem SciFi-Fan als Vorlage dienten wie FLASH GORDON) und haben einige starke Prisen Gruselhorror zu bieten (Creepshow lässt grüßen).
Das ist Space-SciFi-Fun! Gut für zwischendurch, fein portioniert. HEATH HUSTON, der FEAR AGENT, ist ein BRUCE WILLIS auf Comic-Seiten, im Weltraum. Er ist nicht nett, er lässt es krachen. Man möchte ihn bloß an seiner Seite haben, wenn einen ein fieses Weltraummonster fressen will und man jemanden braucht, der dem Vieh in den A**** tritt! So wie nicht selten in diesem Band. 18 Zeichner und 12 Autoren sorgen für viel Abwechslung, Spannung und Spaß in durchweg gelungener Optik! 🙂
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