Sonntag, 20. Dezember 2015
Alamo! Ein Fort in Texas wird am 6. März 1836 zur traurigen Legende. Ein fürchterlich geringe Anzahl texanischer Verteidiger unterliegt im dritten Ansturm der Armee des mexikanischen Generals Santa Anna. Als sich das Gemetzel seinem Ende nähert, erfüllt Davy Crockett eine letzte, vielleicht die wichtigste Aufgabe dieses Tages. Viele Jahre später sind die Auseinandersetzungen mit Mexiko viel unwichtiger geworden und die Schlacht um Fort Alamo nur noch eine Legende. Die Vereinigten Staaten haben ihren Bürgerkrieg vorerst beendet, aber die Bedrohungen sind alles andere als vergangen, sondern haben sich nur verschoben.
Das Monster aus der schwarzen Lagune ist da! Oder erinnert sich noch jemand an den B-Movie-Klassiker Insel der neuen Monster? Das Unheil in amphibischer Form, halb fischig, halb menschlich hat SciFi-Autoren schon häufiger zu Ideen beflügelt. Fred Duval greift diese Idee im 12. Band der Reihe HAUTEVILLE HOUSE nun intensiver auf. Intelligenter sind diese Wesen, die den Weg an Land nicht scheuen und es verstehen, sich unter ihre Feinde, die Menschen zu mischen. Ihr Auftreten sorgt innerhalb der Handlung für gehörige Überraschungen. Ihre Absichten werden verschleiert, ihre Bündnisse sind unerklärlich. Neben der erwähnten schwarzen Lagune (es gibt einen eindeutigen optischen Hinweis auf die Vorlage) schien es mir, als Habe Fred Duval auch einmal einen Blick in Der Schwarm geworfen.
In der Unterwasserwelt … ist nicht alles so anders, wie es die Helden auf der Erdoberfläche annehmen könnten. Wenn sie denn von dieser ungewöhnlichen Örtlichkeit wüssten. Mehr soll nicht verraten werden, doch zusammen mit der Aussicht auf das Verschwinden von Davy Crockett fügt sich hier ein Mosaiksteinchen zum anderen und enthüllt noch lange nicht das ganze Bild. Und damit bleibt Fred Duval seiner Linie treu, weil in der Weise, wie er Fährten auslegt und Spannung schürt, hat er eine gnadenlose erzählerische Meisterschaft entwickelt. Wer den 12. Band schon erwartet hat, wird mir beipflichten.
Gnadenlos in allen Belangen: Mut zur fantastischen Erzählung ohne Grenzen. Das Schöne an Fred Duval ist der Umstand, dass er ohne jegliche Scheu Genres mischt, Einzelheiten beifügt, die man vielleicht hier und dort, aus Film und Roman, aus der Historie her kennt, höchstwahrscheinlich aber nicht in Beziehung zueinander bringen würde, da es auf den ersten Blick grotesk wirkt. Wer jedoch die Szenen sich ansieht (vergesst Lincoln, den Vampirjäger!), wird ganz schnell feststellen, wie beeindruckend gut diese Mixtur funktioniert. Das Titelbild gibt einen schönen Eindruck dieser Szenerie. Ein Trupp berittener Nordstaatler wird aus der Deckung heraus von einem unheimlichen amphibischen Wesen beobachtet. Und seltsamerweise trägt es, trotz seines wilden Aussehens, eine moderne Waffe bei sich. Und so viel sei verraten, es weiß sie zu benutzen.
Natürlich muss der Fan der Reihe nicht auf seine beiden Lieblingshelden von HAUTEVILLE HOUSE verzichten. Agent Gavroche und die nicht minder begabte Zelda sind auf der Suche nach Informationen, ehe sie bemerken, dass sie längst ins Fadenkreuz des unbekannten Feindes geraten sind. Basierend auf dem Storyboard von Christophe Quet arbeitet Zeichner Thierry Gioux mit seiner gewohnt leichten Skizzentechnik, starken Schatten und viel Feinarbeit in Sachen Steampunktechnik und Monster. Der 12. Band mit dem Untertitel Jacob’s Well geht so nahtlos weiter, wo das elfte Abenteuer endete. Abwechslungsreiche Schauplätze halten die Neugier des Lesers unangestrengt wach und gönnen dem Auge eine Menge.
Ja, das ist es doch! Mittlerweile lässt sich mit Fug und Recht sagen, dass Fred Duval so manchem Comic-Autor ein Vorbild sein kann. Sein Erzählreichtum ist wagemutig und versiert. Die Serie sei jedem ans Herz gelegt, der gerne dort weiterlesen möchte, wo ein Jules Verne und ein H.G. Wells aufhörten. 🙂
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Mittwoch, 16. Dezember 2015
Eine weitere Episode aus der Reihe ASSASSIN’S CREED. Die Reise geht nach London, in eine seiner dunkelsten Phasen, an die Schwelle eines neuen Zeitalters. Jacob und Evie Frye treten gegen die Templer an und versuchen die Macht des Ordens durch unterschiedliche Aktionen und Vorgehensweisen zu erschüttern, wenn nicht gar zu brechen. Das Art-Book dieses neuen Spiels mit dem Zusatztitel SYNDICATE blättert ein London vor dem Leser auf, wie es übelsten Alpträumen entsprungen sein könnte, aber so einmal Realität gewesen ist.
Ein virtueller Catwalk: Jacob und Evie Frye leben und agieren in einer Welt des Umbruchs. Die Klasse vergangener imperialer Jahrhunderte verblasst. Etwas Neues bahnt sich seinen Weg. Entsprechende Veränderungen und Entwürfe finden sich auch in der Kleidung der beiden Attentäter. Dem Zeitalter entsprechend treten Jacob und Evie in einer Art pompöser Zweckmäßigkeit auf. Hellgrau, dunkelgrau, rot in der Tönung getrockneten Blutes und Spitzformen wie auch feinster silberne Accessoires sind wiederkehrende Elemente in diesen modischen Designs. Unter der klassischen Kapuze bleibt das Gesicht verborgen, während so manches Outfit auch auf dem roten Teppich im Blitzlichtgewitter der Journaille funktionieren würden.
Doch Tarnung ist am Ende alles. Und deshalb muss die Figur vor der Kulisse des viktorianischen London im Jahre 1868 aufgehen. Lassen wir einmal das überaus beeindruckende Arsenal an Waffen und Hilfsmitteln beiseite, die dem Leser wunderbar wie in einem Versteigerungskatalog der großen Auktionshäuser präsentiert werden. Dieses LONDON ist ein Moloch, ein Krake, ein majestätisches Rennpferd, ein mit Dampf pfeifendes Ungetüm. Es unterteilt sich in Bezirke, Details, von denen jedes einen eigenen Mikrokosmos darstellt, der jeweils derart erforscht und ausgearbeitet wurde, so dass sich eine lebende Kulisse ergibt. Diese reißt den Leser bereits mit ihrer gemäldeartigen Theatralik mit. Jedes Bild hat schon eine Geschichte.
LONDON: Deine magischen Orte. In der alltäglichen Betrachtung mögen die Stadtteile Londons, einzelne Flecken auf der Stadtkarte und in der Silhouette keine besondere Ausstrahlung verströmen. In der historischen Betrachtung, mit einem Licht, das dem eines gelungenen Kinofilms entliehen sein könnte, ändert sich das gewaltig. Ob Westminster, Trafalgar Square, Covent Garden, Big Ben, Southwark, hier entstehen verwunschene Plätze. Opulent breiten sich die Bilder auf ausklappbaren Seiten aus und faszinieren mit ihren Einzelheiten. Bestes Beispiel ist das Bild, das den Markt zeigt und das Resultat einer Bluttat. Eine Leiche liegt auf zum Verkauf stehenden Fischen. Der Mörder wendet sich ungerührt ab und wischt die Klinger seines Messers ab.
Es ist nicht nur die Inszenierung des Bildes in Perspektive, Licht und Schatten und Farben. Es sind die Menschen, die den Mörder beobachten, der seltsam unbeteiligt und wenig bedrohlich wirkt. Die Reaktion der Marktfrauen ist aussagekräftig. Die Gesichter sprechen Bände und hier wäre schon der perfekte Einstieg in eine Geschichte. Wie Art Director Thierry Dansereau herausstellt, ist die Leistung eines globalen Teams an der Arbeit zu SYNDICATE zu würdigen. Im Vergleich zur Covent-Garden-Szene fällt ein Blick auf eine dunkle Gasse auf, in der sich der Assassin gerade an einer Fassade auf und davon macht. Neben der fein ausgestalteten Kulisse sind es gerade jeder einzelne Mensch, der dieser Szene seine Aufmerksamkeit schenkt und diese letztlich ein Stück komplettiert. Die Aufmachung vieler Grafiken in diesem Begleitband zum Spiel kann sich an alten Meistern messen und wurde sicherlich davon inspiriert.
Wie wichtig die Menschen als Nebenfiguren in SYNDICATE (wie immer eigentlich) sind, darf in einer ganzen Strecke von Kapiteln begutachtet werden. So lebt ASSASSIN’S CREED: SYNDICATE nicht nur vom einfachen Bürger auf den Straßen, den vielen ausgefüllten Funktionen vom Polizisten bis zum Gauner, es geben sich auch historische Persönlichkeiten die Ehre. Mit der Zeitanomalie: Erster Weltkrieg erscheint Winston Churchill auf der politischen Bühne und als imposante Nebenfigur im Spiel. Die Übergangsphase der Industrialisierung wird ad acta gelegt, die Auswirkungen dominieren kriegerisch den Luftraum über London und erzeugen größere Weite und Höhe, wenn Doppeldecker und Zeppeline plötzlich die Welt vom Boden in die Zukunft reißen. Ein Zitat nennt diesen Zeitabschnitt einen interessanten Spielplatz, aber gleichzeitig untermauert gerade dieses Szenario die Absicht der Macher des Spiels, Zeitgeschichte zu lehren. Ein häufiger Ansatz, der hier wirklich passt.
Alles bedacht. Dem Zeitsprung gegenüber stehen in den Konzeptzeichnungen die archaischen Kämpfe in den improvisierten Arenen Londons. Bewegungsabläufe, die den Faltenwurf der Kleidung verdeutlichen, gehören ebenso zu den breit angelegten Grundlagen wie eine Sammlung der Bewohner Londons, verschiedener Fahrzeuge wie Schiffe und Lokomotiven bis hinunter zur Backsteinarchitektur der Arbeitersiedlungen. Umfangreicher kann eine Konzeption nicht mehr ausfallen und es zeigt, wie Spieleindustrie und Filmemacher inzwischen Kopf an Kopf, Hand in Hand zu arbeiten verstehen.
Ein Blick hinter die Kulissen der Gestaltung eines erfolgreichen Actionreißers, ASSASSIN’S CREED: SYNDICATE, der ein Fest für jeden Freund historischer Bilder ist, für Freunde der Spielereihe, die eintauchen möchten sowieso. Wer wissen will, wo die Sorte Künstler abgeblieben ist, deren Gemälde früher Einzug in die Museen hielten: hier sind ihre Werke zu finden. Das ist Kunsthandwerk und Perfektion. Toll! 🙂
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Montag, 31. August 2015
Sie folgen dem Erkundungstrupp langsam. Die Männer zu Pferd machen sich keine Sorgen. So lange sie schnell als die Untoten sind, besteht nur eine geringe Gefahr. Aber niemand hätte damit gerechnet, dass Zombies inzwischen in der Lage sind, den Menschen Fallen zu stellen und Stichwaffen zu benutzen. Als die Falle zuschnappt, ist die Überraschung groß und kurz sieht es so aus, als würde niemand die furchtbare Attacke überleben. Paul Monroe wehrt sich mit der Kraft und der Behändigkeit des Verzweifelten. Es gelingt ihm sogar, einen der Angreifer gefangen zu nehmen.
Wenn eine Zivilisation stirbt, die Bedingungen für sie nahezu unmöglich geworden sind, sollte dann auf Biegen und Brechen versucht werden, sie neu aufzubauen? Oder gibt es am Ende einen Neuanfang auf einem völlig anderen Weg? Mit dieser Frage beschäftigt sich Robert Kirkman zu einem großen Teil im 23. Band der Reihe THE WALKING DEAD mit dem Untertitel Dem Flüstern folgt der Schrei. Während sich die Gesellschaft um den ehemaligen Polizisten Rick Grimes an der alten Ordnung orientiert, sogar expandiert, weil man gelernt hat, wie der allgegenwärtigen Bedrohung durch die Untoten zu begegnen ist, haben sich andere, solche, die sich nicht hinter einer Umzäunung verschanzen, gelernt, wie es ist, da draußen dauerhaft und in Koexistenz mit den Zombies zu überleben.
Aber die Gefahren werden durch Organisation nicht geringer, nur fassbarer. Und die Gefahren kommen nicht nur von außen. Wer die bisherige Arbeit von Robert Kirkman verfolgt hat, weiß, dass es der Autor wie andere seiner Zunft (Stephen King ist hierfür ebenfalls ein gutes Beispiel) gerne erst einmal an einzelnen Stellen schwelen und brodeln lässt, bevor der Ausbruch mit einem Knall erfolgt. Carl Grimes, Ricks Sohn, hat in der Wildnis seine Vorstellung von Gerechtigkeit gelernt. Es Faustrecht zu nennen, wäre noch untertrieben. In die Atmosphäre des Wilden Westens gesellt sich eine gehörige Portion Eine Mann sieht rot. Es handelt sich um eine Sequenz, bei der man als Leser hin und her gerissen wird, auf wessen Seite man hier stehen soll.
Zumal die Bedrohung innerorts noch von einer anderen Seite ausgeht. deren Unzufriedenheit sich bald zu einer Attacke aus dem Hinterhalt verdichtet. Diese gerät vor der großen Bedrohung fast ins Hintertreffen. Die nahende Gefahr ist hier auf jeder Seite fühlbar, nachdem der 22. Band eine Einleitung zu diesem vorläufigen Gipfel im Handlungsstrang geführt hat. Sie zeigt sich in konkreten Überfällen und Morden. Sie zeigt sich im merkwürdigen Verhalten der Besucherin Lydia, die ganz anders aufgewachsen ist als Carl, der Gefallen an ihr entwickelt. Sie zeigt sich in der Feigheit eines machtgierigen Gesellen, der bereit ist über sein Maulheldentum hinauszuwachsen und einen Mord zu begehen.
Und Rick Grimes? Der wird im Augenblick nicht benötigt und hat auch gar keinen Auftritt. Rick ist zu einer lebenden Legende geworden, einem Vorbild aus der Ferne, der sich seinen Halbruhestand verdient zu haben scheint. An seine Stelle ist (vorübergehend) Maggie getreten, die mit einem Nachzügler des langen Handlungsstrangs, Jesus (Spitzname von Paul Monroe), die Verantwortung über eine Siedlung übernommen hat. Erste Handelsrouten sind so entstanden, ein weiterer Beleg für den betriebenen Wiederaufbau. Wie schwierig der Spagat zwischen privaten Belangen und einer Führung einer Gemeinschaft ist, lernt sie, ähnlich wie Rick einst, schmerzlich kennen. Als Leser befürchtet man kurzzeitig, Robert Kirkman habe sich erneut vorgenommen, sich von einem weiteren Standardmitglied der Serie zu verabschieden und es sich doch noch im letzten Augenblick anders überlegt.
In gewohnter grafischen Qualität von Charlie Adlard (mit einem schönen Interview zum Schluss) getragen, erzählt Robert Kirkman in eine völlig neue Richtung. Die Wanderschaft ist endgültig beendet. Jetzt gilt es, das einmal Zementierte in einer großen Gemeinschaft gegen eine neue Kultur zu verteidigen. Gleichzeitig werden spannende Weichen für kommende Entwicklungen gestellt. Sehr gut. 🙂
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Freitag, 17. Juli 2015
Macht muss nicht gleich erkennbar sein. Manchmal versteckt sie sich. Oder wird verkleinert. Geschliffen. Manchmal wird aus einem bereits gefährlich aussehenden Schwert ein Buttermesser. Manchmal ist ein kleines Mädchen keines, sondern ein sehr alter Geist. Und manchmal kann so ein Mädchen mit einem Buttermesser furchtbare Sachen anstellen. Ihr Selbstbewusstsein ist durch ihre brutalen Übergriffe enorm gewachsen, dennoch wird auch sie nicht nur durch einen Schneesturm überrascht, vielmehr tragen noch zwei junge Frauen dazu bei, die ebenfalls nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.
Historie war gestern. Ich bin heute. Das ist Serienkillerlogik. Wen kümmern heute noch aus düsterer Sicht die mörderischen Großtaten eines Jack the Ripper? Zoe Mann, das für das ungeübte Auge kleine Mädchen, hat sich mit ihrer Liste von Toten längst über ihren Urgroßvater erhoben. Ihre Eigenart, sich allem zu verweigern, das ihr gegen den Strich geht, beschwört Konfrontationen herauf, die für den Leser nicht vorhersehbar waren. Wenn ein kleines Mädchen mit einem teuflischen Buttermesser sich mit Kreaturen anlegt, die viel mächtiger als sie sind, kann alles passieren.
Und genau das geschieht auch. Terry Moore, Autor und Zeichner in Personalunion, geht hier mit seiner Serie RACHEL RISING in die vierte Runde und enthüllt noch ein wenig mehr aus der gruseligen Vergangenheit der alten Ortschaft Manson. Terry Moore katapultiert auf ungewöhnliche Weise zwei Charaktere aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Der Junge James und das Mädchen Bryn Erin haben ihre ganz eigenen Erfahrungen mit Lilith gemacht. Doch mit diesem Resultat hat keiner der beiden gerechnet, am allerwenigsten James, der sich nach seinem männlichen Tod in einem Frauenkörper wiederfindet.
Mystery mischt sich hier mit kuriosen Momenten, mit schwarzem Humor untersetzt, der insbesondere dann zündet, wenn der Leser, wie im Fall von Dr. Siemen, mehr weiß, als all die anderen Figuren drumherum. Dieser Dr. Siemen ist ein gutes Beispiel für Verrücktheit und Normalität. Obwohl dem Wahnsinn anheim gefallen (wie, das soll hier nicht verraten werden), ist er schnell bereit, Hilfe zu leisten. Sicherlich auch aus eigenem Interesse heraus (das hängt mit besagtem Grund für den Wahnsinn zusammen), andererseits ist er nicht böse. Selbst Lilith scheint nicht böse zu sein. Das Böse zeigt sich bei Terry Moore hier am Rande. Mit dem Vater, der offensichtlich seine Tochter missbraucht hat. Mit dem Mann, der nur darauf wartet, einen Einbrecher in seiner Garage zu erschießen. Das große Böse ist diesmal, so scheint es, chancenlos.
Terry Moore, schwarzweiß grafisch auf Augenhöhe mit Kollegen wie Steve Dillon, mehr noch mit einem Altmeister wie John Romita (Sr.), schafft mit seiner Zeichentechnik eine unheimliche Atmosphäre, allein durch leichte Bildkomposition und Bildfolge. Das Titelbild, koloriert, spricht Bände. Ein kleines Mädchen, mit einem blutigen Messer in der Hand, halb versteckt hinter dem Rücken, lächelt den Betrachter an. Um es herum fallen tote schwarze Vögel vom Himmel.
Der Untergang der Welt im Kleinformat. Das Städtchen Manson geht stellvertretend für den Rest der Welt unter oder zumindest bis an den allzu oft beschworenen Abgrund. Schnee türmt sich wie ein Leichentuch immer höher, das Fortkommen wird immer beschwerlicher, die Welt stiller und mittendrin bemühen sich zwei alte Seelen um die Rettung einer Freundin, während die Toten ihre Pein hinausschreien. Terry Moore baut diese Stimmung langsam, stetig, mit viel Fingerspitzengefühl auf, bis hin zu einem Finale, in dem sich Grusel und Traurigkeit perfekt die Balance halten. Es gelingt ihm sogar, allein mit den Bildern den Blick zu bannen und das Lesen der Wörter für den Augenblick zu stoppen. Der Leser hält hier ebenso inne, wie es die Charaktere tun.
Eine sehr spannende vierte Episode, gleichzeitig findet ein Schnitt statt, der es Terry Moore ermöglicht, den Leser in der nächsten Folge zu überraschen, denn es macht ihm nichts aus, auch einmal wichtige Figuren aus der Handlung katapultieren. Terry Moore, ein toller Zeichner und erzählerisch so stark wie ein Stephen King, hat ein eindringliches Szenario geschaffen, das jedem Mystery-Fan gefallen sollte. Aber, wie bei modernen Serien üblich, die Kenntnis der Handlung von Beginn an ist gnadenlose Pflicht. 🙂
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Freitag, 22. Mai 2015
Interdimensionaler Ausbruch aus dem Frauenknast. Nur die gefährlichsten Furien sind im Frauentrakt der White-Ward-Strafanstalt untergebracht. Es ist für die Wachmannschaft nicht leicht, diese wilden Verbrecherinnen unter Kontrolle zu halten. Dr. Ursula Weir, April Foley und die Bomb Queen nutzen ihre Chance die verlassen das Gefängnis auf illegalem Wege, nicht nur in die Freiheit, sondern gleich in eine andere Dimension, geradewegs zur Erde. Hier wäre das Eintreffen solcher Slasher-Monster ein riesiges Problem, würde nicht Cassie Hack enorme Erfahrungen mit derartigen Mördern aufweisen. Leider ist sie zur Zeit solo unterwegs, denn ihr Kumpel, ebenso jagderfahren, Vlad ist ans Bett gefesselt. Manche schaffen verzweifelte Situationen verzweifelte Maßnahmen und so sucht sich Cassie für den Übergang einen anderen Alliierten, einen alten Bekannten: Samhain.
Tim Seeley hat mit Cassie Hack die ultimative Slasher-Jägerin erschaffen. Slasher, ein Oberbegriff für Killer der übelsten Sorte, der mit der Erfolgsserie mörderischer B-Movies einhergeht, vereint so illustre Figuren wie Freddy Kruger, Chucky, Michael Myers oder Jason Vorhees unter seiner Kategorie. Tim Seeley setzte auf diesem Konzept auf und hat es seither noch um einige andere B-Movie-Varianten erweitert. Einerseits gibt es hier in den beiden vorliegenden Abenteuern besonders irre Vertreter der Slasher zu besichtigen, andererseits entführt Tim Seeley, Autor, in die kuriose Welt japanischer und amerikanischer Monsterfilme und karikiert ganz nebenbei Stilblüten wie Jurassic Park, King Kong oder die Schreckensinsel des Dr. Moreau.
Natürlich nimmt er sich in diesem Zusammenhang kaum der erwähnten Vorbilder an, vielmehr der merkwürdigen Nachfolger wie Der Koloss von Konga, diverse Sauriermetzeleien und vermischt das mit einem bösen Wissenschaftler, der gerade aus den Dinos eine irrwitzige Tour de Force hinlegt und mit Monsterjagd einen Angriff der Psychosaurier beschreibt. Gehirne ist das Zauberwort. Ähnlich, wie es Tim Burton mit seinen großkopferten Marsianern übertrieb, so setzt auch Tim Seeley seinen ausgefallenen Raptoren ein überquellendes Gehirn wie eine eklig rosafarbene Krone auf. Zum Ausgleich, denn die Gefährlichkeit dieser sehr speziellen Dinosaurier steht außer Frage, steht ein neuer Verbündeter auf dem Plan: Gorillakonda. Tim Seeley lässt es sich nicht nehmen hier gleichfalls zu übertreiben, indem er Gorilla und Anakonda zu etwas abstrus Riesigem kreuzt.
Man merkt es schon an den Beschreibungen. Tim Seeley erlegt sich ähnlich wie sein erwähnter Namensvetter keine Grenzen auf. Im Gegenteil: Tim Seeley braucht innerhalb des Mediums Comics keine Grenzen zu fürchten. Budgets sind nicht sprengbar, deshalb hat der B-Movie-Wahnsinn hier tolle Methode und zieht alle Register. Nicht nur der Gorillakonda ist ein Beispiel dafür. Die Figur der Dr. Ursula Weir überrascht noch viel mehr. Irgendwie fühlt man sich an eine Killervariante von Ben 10 erinnert, kann sich Frau Doktor doch ebenso auf Knopfdruck in mehrere alternative Wesenheiten verwandeln. Diese sind nur allesamt von Kopf bis Fuß auf Metzeln eingestellt. Leider ist die Dame mit den vielen Gesichtern allzu schnell Geschichte, weil ihre Ausdrucksformen noch gehörigen Platz für grafisch tolle Auftritte gelassen hätte.
David Leister kommt die Hauptaufgabe der Gestaltung während der beiden Horrorthriller zu. Leister ist dem Realismus mit leichter Verfremdung verpflichtet. Eine Spur Karikatur ist bei den Entwürfen der Slasher auch unabdingbar. Ob David Leister nun Sexbomben zeichnet, dabei kurz eine Hommage an Harley Quinn zu Papier bringt, eine deutlich gewalttätigere als das Original, oder ob er sich mit besagten Psychosauriern verlustiert, stets ist der Humor im Strich zu erkennen, der locker ausgeführt ist. Sein Kollege Emilio Laiso, der eine Episode der Monsterjagd übernimmt, zeichnet kraftvoller, etwas genauer, mit nicht weniger Spaß am Szenario. Hier stechen nicht nur die Psychosaurier heraus, auch Auszüge aus dem Intimleben von Cassie Hack (selten genug, dass sie Zeit dafür hat) gehören zu seinen zentralen Szenen. Eine dickerer Tuschestrich und ein etwas statuenhaftes Aussehen bekommen den Figuren sehr gut.
Ein weiterer praller Band der Reihe HACK/SLASH, immer noch ein Füllhorn an Ideen für alle Freunde des leichteren, nicht ganz so ernst gemeinten Horrors. In feiner grafischer Umsetzung, aber leider nur mit geringen Auftritten von VLAD, Cassies langjährigem Kameraden. Cassie Hack geht hoffentlich noch länger auf Slasher-Jagd. Tim Seeley scheinen die Einfälle nicht auszugehen. 🙂
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Auf der Insel lebt ein Wesen des Bösen. Der Ronin Kogaratsu wird angeheuert, um ein ganz besonderes Exemplar dieser Kreaturen zur Strecke zu bringen. Er ist nicht der erste, der diesen Versuch unternimmt. Vielleicht wird er der letzte sein, aber seine Chancen stehen nicht gut. Auf der Insel erwartet ihn eine junge Frau. Er hätte nicht gedacht, dass der Empfang so sein wird. Ruhig, gefasst, heiter sogar tritt ihm Ako, die Tochter eines Fürsten gegenüber. Bislang hat sie jeden und alles in ihrem Umfeld verdorben, nicht selten getötet. Kogaratsu sieht nur eine junge hochnäsige Frau und begeht den Fehler, sie zu unterschätzen. Warum sollte ein Krieger vor einem dürren Geschöpf, dem als Waffe nichts anderes als eine spitze Zunge zur Verfügung steht, Furcht verspüren?
Bosse (Text) und Michetz (Zeichnungen) tauchen tief in eine japanische Gefühlswelt ein, in der Ehre, Stolz und Geister eine wichtige Rolle spielen. Das Böse wandelt in menschlicher Gestalt umher und entehrt jene, die verwandtschaftlich mit ihm verwoben sind. KOGARATSU tritt als Krieger auf, dem nichts Böses mehr fremd zu sein scheint, von Professionalität bis ins Mark durchdrungen ist und keinerlei Probleme damit hat, eine unbewaffnete Frau auf das Wort eines Fürsten hin zu töten. KOGARATSU ist sich zunächst nicht bewusst, dass er in eine Art Spiegel blickt und jemanden vor sich hat, der ähnlich mitleidlos mit Blut umgeht, jedoch Spaß daran gefunden hat, weil, so hoffen es die Beteiligten, sich der Wahnsinn in der jungen Frau eingenistet hat.
Mit kaligrafisch sicherem Strich entwirft Michetz hier einen Mikrokosmos, der sich sehr bald schon nur noch um zwei Menschen dreht. Der Schauplatz, eine verwilderte Insel, sparsam in aquarellleichten Farben koloriert, erinnert an alte Gruselgeschichten. Das Titelbild offenbart auf den zweiten Bild den Wahnsinn jenes merkwürdigen und perversen Wesens, das jenes titelgebende Protokoll des Bösen führt. Der Leser sieht Ako, die junge Frau, in ihren Armen wiegend eine kleine Katze, der, es ist zu in Unkenntnis der Geschichte kaum vorher zu ahnen, die Pfoten abgeschnitten wurden. Diesen zu einem Fetisch erhobenen Umgang mit anderen Lebewesen wendet Ako auch auf Menschen an. Michetz gelingt das Kunststück, die Fantasie des Lesers arbeiten zu lassen, mehr zu verschleiern, als zu zeigen. Es ist gruselig genug, das spöttische Lächeln von Ako zu betrachten, die sich unverhohlen über ihre Art des Amüsements äußert und diese zu einer philosophischen Form verklärt.
Ein weiblicher Michael Myers, viel intelligenter, um Konversation bemüht, aber nicht weniger verspielt und ebenso rigoros darin, das gesteckte Ziel, den Tod oder die Vernichtung eines anderen Menschen zu erreichen. Hier liegt auch das japanische Element verborgen, das bereits mehrere Autoren, auch westlicher Herkunft, für sich vereinnahmten. Die Beiläufigkeit, mit der ein Tabuthema wie der Tod in der japanischen Lebensart des 17. Jahrhunderts ins Spiel gebracht und akzeptiert wird, wirkt interessant und stößt gleichermaßen ab. In einem kurzen Rückblick wird der rituelle Selbstmord angedeutet. Die Entleibung mit dem Messer, falls sie nicht eigenhändig und somit ehrenvoll zu Ende gebracht werden kann, wird durch einen Helfer mittels Köpfen vollendet. Ehre geht über Tod. Der Tod begleicht eine Ehrenschuld. Aber die kulturellen Richtlinien stoßen bei KOGARATSU an ihre Grenzen. Denn aus einem simplen Auftrag wird ein bis dato ungekanntes Duell.
Die Überheblichkeit des Kriegers sorgt für den Sprung von einem Wachtraum in einen Drogenrausch. Der Leser könnte die Handlung an diesem verwunschenen Ort mit der seltsamen Mörderin binnen kurzer Zeit für einen Wachtraum halten. Am Drogenrausch, der die Geschichte in ein Finale zwingt, gibt es nichts mehr zu deuten. Kurz werden stark leuchtende Farben einander kontrastierend gegenüber gestellt. Eine real existierende Modrigkeit deckt dieses traumatische Erlebnis wieder zu. Michetz versteht sich auf atmosphärische Farbgebung, bringt den Zustand von Verwesung und Verzweiflung gekonnt rüber. Farben der Hoffnung sucht man hier vergebens. Allenfalls taucht gegen Ende eine Spur Erlösung auf, mehr nicht.
Die 13. Episode der Reihe KOGARATSU von Bosse und Michetz ist ungeheuer düster geraten, ein philosophisch brutaler Sprung in den Abgrund, optisch mit künstlerisch stilsicherem Strich ausgeführt. Nicht nur für Freunde asiatischer Abenteuer, aber sicherlich die Kernzielgruppe von Folge und Serie. Lesenswert im wahrsten Sinne des Wortes. 🙂
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Dienstag, 05. Mai 2015
Blanche ist weder ein gewöhnliches Mädchen, noch ein gewöhnliches Menschenkind. Rein äußerlich wirkt sie auf den unwissenden Betrachter etwas unheimlich, mit ihrer hellen Haut und den gelb getönten Brillengläsern. Und in der Tat hat Blanche ein Geheimnis. Sie ist nur zur Hälfte ein Mensch. Erwan passt auf die Kleine auf, die vom Geschehen um sich herum seltsam unbeteiligt ist. Obwohl ihr Wuchs offenkundig ein paar Jahre Lebenszeit beweist, bewegt sie sich in dieser Welt, als wäre jede noch so unbedeutende Erfahrung ganz neu für sie. Blanche, die einen ganz eigenen Kopf hat, aufgrund ihrer Fähigkeiten auch als gefährlich zu bezeichnen ist, ist außerdem eine Figur in einem Spiel, das nichts weniger als den Untergang der Menschheit zum Ziel zu haben scheint. Und das Spiel läuft bereits auf Hochtouren.
Beste Weltuntergangsstimmung, sofern ein solches Prädikat überhaupt ausgestellt werden darf, das versteht sich. Mit DER GROSSE TOTE stellt Loisel die Vielfalt seiner Ideen unter Beweis. Mehr noch. Loisel und sein Co-Autor JB Djian scheuen die Entschleunigung nicht und erzählen mit einer tollen atmosphärischen Dichte. In einer dreigeteilten Erzählung ersteht eine sterbende Menschenwelt und eine kleine, nicht allzu fremde Welt, die sich auf das Betreiben einer Person gegen die Menschen zur Wehr setzt. Im Zentrum des Geschehens, als Ausgangspunkt, liegt DER GROSSE TOTE, für jene kleinen Wesen das Skelett eines Giganten, der ein Fanal einer allgegenwärtigen Bedrohung darstellt.
Eine fremde Intelligenz wehrt sich. Die Ausführung dieser Idee ist sehr originell. Als Leser erfährt man zwar relativ wenig von den kleinen Fremden, die im Einklang mit der Natur leben. Ihre vornehmliche Friedfertigkeit ist offensichtlich, ihr Unverständnis über den Plan, den Macara eingefädelt hat, indem sie zwei Mischlingskinder zum Leben verhalf, eindeutig. Loisel und JB Djian zeigen den Weltuntergang auf zweierlei Art. Einerseits stellen Mallie (Zeichnungen) und Lapierre den Zusammenbruch des zivilisatorischen Systems auf sehr eindrückliche Weise dar. Für einen Zusammenbruch braucht es nicht viel und die Menschen geraten in Panik (so der Untertitel dieser 5. Episode).
Die Infrastruktur bricht durch Erdbeben und Stürme binnen kürzester Zeit zusammen, sobald die Durchleitung von Elektrizität unterbrochen, die Kommunikation weitgehend gekappt, die Straßen zerstört sind. Zahlreiche Menschen kämpfen vor Ort weiterhin um ihr Überleben, auch das Bestehen ihrer Ordnung. Andere suchen das Heil in der Flucht, jeder nach seiner Facon dort, wo er sich eine Zuflucht erhofft. In dieser Situation, optisch bedrückend dargestellt, höchst realistisch in Kulisse und Figuren, nimmt auch noch das Wetter den Kampf gegen die Menschen auf. Taubeneigroße Hagelkörner fallen aus dunkelgrauen Himmeln …
Es ist kaum möglich, sich der düsteren Stimmung der Geschichte zu entziehen. Selbst jene, die wie Schachfiguren aufgestellt wurden, um das Ende der Menschheit zu beschleunigen, stehen fassungslos, ängstlich und machtlos vor den Gewalten, die sich zusehends mehren. Durch den vorzüglichen Strich von Mallie, der den Niedergang mit tollem Blick auf das Geschehen portraitiert, will man als Leser auch gerne die andere Seite des Geschehens glauben, fernab, der Katastrophen, wo scheinbar noch Normalität und Sicherheit herrscht, sich allerdings eine Art Kriminalfall abspielt.
Eine herausragende Übergangsepisode, die aber im Zusammenhang genossen werden will. Das Vorwissen der ersten Bände ist zum Verständnis dieser Ereignisse erforderlich. Wer bis hierher mitgefiebert hat, wird atemlos umblättern, wenn das Comic-Team um Loisel die Welt hier konsequent an den sprichwörtlichen Abgrund führt. Vielleicht sogar schon darüber hinaus. 🙂
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Sonntag, 08. März 2015
Einige finden sich mit ihrer neuen Lebenssituation ab. Andere hadern mit ihr. Die kleine Jordan war einst, vor ihrem Tod, ein Vorzeigekind. Nun ist sie von einer finsteren Last geplagt. Jemand ruft sie. Martha ist älter, erwachsen. Sie hat es selbst erlebt, wie es ist, von den Toten zurück zu kehren. Sie weiß, wie sich das anfühlt. Sie will Jordan vor dem Unbekannten um jeden Preis beschützen. Aber wie beschützt man jemanden, der gar nicht beschützt werden will? Die Aufgabe ist schwierig, wenn sich Jordan sogar energisch wehrt und jener, der zuvor unerkannt rief, plötzlich Gestalt annimmt und zum Verfolger wird.
Das Phänomen amerikanische Kleinstadt. Es hat die amerikanische Literatur beschäftigt, Stephen King spielte damit und Tim Seeley ließ seine Cassie Hack schon mehrmals in die Untiefen der amerikanischen Seele abtauchen, in der Provinz, wo Fuchs, Hase und nun auch Tod sich Gute Nacht sagen. Inzwischen hat die Regierung eingegriffen. Nicht konforme Erweckte werden eingesammelt. Dies dient natürlich der Sicherheit der Mehrheit in der Stadt, andererseits sind ins Leben zurückgekehrte Subjekte von wissenschaftlichem Interesse, der eine mehr, der andere weniger.
Auf der Suche nach Normalität. Verglichen mit Tim Seeleys anderer Erfolgsserie, Hack/Slash, ist REVIVAL viel ernster und durchleuchtet seine Charaktere viel genauer. Hier entsteht der Horror aus der Aneinanderreihung zahlreicher kleiner Geschehen. Fast fühlt man sich an eine Abfolge von Dominoereignissen erinnert. Die Wiederkehr der Toten hat diese umfallende Kette in Bewegung gesetzt und bei allen Bemühungen der kleinstädtischen Bewohner gelingt es nicht, dieses Umfallen zu unterbrechen. Die Normalität des Lebens, so gemäßigt und auch langweilig sie vorher auch gewesen sein mag, ist nun erstrebenswert und doch unendlich weit entfernt.
Mike Norton fängt die Normalität dieser kleinen überschaubaren Gemeinschaft grafisch perfekt ein, weshalb die Ausbrüche aus dieser sehr eigen gewachsenen Ordnung umso drastischer ausfällt. Am schlimmsten sind wohl die Verletzungen, die sich die Erweckten selbst zufügen, aber auch die Folgen, die Hinweise, Beweise und Indizien, die nur mittels eines Bildes beschreiben, was geschehen sein muss, stellen für den Leser eine Herausforderung dar. Auch die Gegensätzlichkeit der Szenen fallen wie auf einer gruseligen Waage ins Gewicht. Werden einerseits von den Sicherheitskräften noch Leichenteile sortiert, versucht man andernorts wieder am Leben teilzunehmen, Stichwort Normalität, und bricht ins erste Date seit langem auf.
Kindermund tut Wahrheit kund. Die kleine Jordan ist nicht die einzige, die optisch auffällig dazu benutzt wird, um Licht ins Dunkel der Rätsel zu bringen. Das andere Kind ist Cooper, ein Junge, der nicht wiedererweckt wurde und nicht in düstere Selbstzweifel verfällt, sondern ein normales Kind mit einem normalen Blick auf die Geschehnisse. Dabei wird deutlich, wie sehr die Kinder das Szenario begriffen haben, in dem sie nun gezwungen sind zu leben. Cooper zeichnet seine Erfahrungen. Wenn in üblicher Kinderzeichnungsmanier seine Tante Martha mit einer Sense auf die Bösen losgeht, braucht es keine weiteren Erklärungen durch Off-Texte seitens Tim Seeleys.
Die Titelbilder von Jenny Frison und ihren Kollegen. besitzen einen melancholischen Ausdruck, sind technisch für diesen Zweck eindrucksvoll und weisen einen höheren Realismusgrad als die Zeichnungen von Mike Norton auf. Frisons Bilder können auch ohne die Serie bestehen, geben die Vorlage für eine Geschichte im Kopf und besitzen durch ihre Motive eine feine Wandgemäldequalität. Ein Bild, nicht von Frison, viel verspielter, zeigt Cooper im Spiel mit einem der Geistwesen. Während Cooper sich als Spielfigur Skeletor ausgesucht hat, verteidigt sich das Wesen mit der Figur von Darth Vader. Bestehende Popkultur findet Eingang in neue Popkultur.
Mysteriös, unheimlich geht REVIVAL in die dritte Runde. Tim Seeley spielt gekonnt mit der Regenerationsfähigkeit der erweckten Akteure. Je mehr heilt, desto größer wird der innere Leidensdruck der einzelnen Charaktere. Der Wahnsinn schleicht nicht nur, mitunter rennt er auch mit dem Kopf gegen die Wand. Horror im Stile von Stephen King, ein besseres Kompliment kann es in diesem Genre kaum geben. 🙂
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Mittwoch, 25. Februar 2015
Diese Herde wird gelenkt, obwohl die Untoten, die sich in ihr bewegen, dies kaum wahrnehmen. Diejenigen, die hoch zu Ross, geschützt durch leichte Körperpanzer und Schutzwesten, mit Schwertern bewaffnet, die Kreaturen durch die Landschaft treiben, bemerken ihren Fehler erst spät. Denn sie sind nicht die einzigen Menschen, die hier noch unterwegs sind. Für Magna und ihre Gruppe, die sich bislang gut durchgeschlagen hatten, wird die Begegnung mit der Herde zu einem Fiasko. Als die Treiber ihren Fehler erkennen, ist es beinahe zu spät. Die Untoten haben eine neue Futterquelle gefunden. Ein Entkommen scheint unmöglich …
Das ist ein wirklicher Neuanfang. Man könnte auch sagen: Willkommen im Wilden Westen. Es herrscht Siedleratmosphäre. Robert Kirkman fängt den Geist der Gründertage Amerikas neu ein. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, in der die menschlichen Feinde besiegt zu sein scheinen und der Umgang mit den Untoten eine gewisse Professionalisierung erfahren hat. Herden werden getrieben, gelenkt. Wachen patrouillieren, die Landwirtschaft blüht auf, ein Handel stellt sich ein, sogar Lehrstellen werden an die Jugendlichen vergeben.
Rick Grimes, der einst den Ausbruch der Apokalypse miterlebte, eine Gruppe um sich scharte, immer im Bemühen lebte, diese Menschen wie seine Familie zu beschützen, ist inzwischen zu einer Legende gealtert, dem mit Respekt begegnet wird. Und er muss sich längst nicht mehr um alles kümmern. Der einzige Wermutstropfen in dieser prächtig wachsenden neuen Gesellschaft ist ein Gefangener einer vergangenen Auseinandersetzung, der nur allzu gern dazu bereit ist, wieder Schwierigkeiten zu machen.
Robert Kirkman beginnt Ein neuer Anfang allerdings nicht mit dem Utopia, das sich Grimes und seine Leute geschaffen haben, sondern führt eine weitere Gruppe ein, die auf jenem Stand sind, auf Grimes und die anderen vor vielen, vielen Bänden einmal waren: Wanderer. Ausgerechnet diese Menschen werden zu Opfern der neuen Ordnung und verständlicherweise ist das nicht die beste Ausgangslage für ein vorurteilsfreies Kennenlernen.
Es ist spannend und menschelt. In den vergangenen Episoden herrschte Krieg zwischen den Menschen, die Untoten waren fast schon im Weg. Das ändert sich in dieser neuen Konstellation. Das Verhältnis zu den Zombies erhält eine neue Qualität. Sie werden als eine Urgewalt begriffen, der man aus dem Weg geht, die man in Teilen beherrschen kann. Sofern man die Regeln befolgt. Wer zu cool an die Sache herangeht, ist bald schon Futter. Hinzu kommt das Flüstern. Haben die Untoten gelernt zu sprechen?
Es dauert eine Weile, bis sich eine Antwort abzeichnet. Robert Kirkman hatte hier einen sehr guten Einfall und schiebt das Zusammenleben mit jenen, mit denen der Mensch sich nun den Planeten teilen muss, auf eine höhere Ebene. Mehr sei dazu nicht verraten. Allerdings sei angemerkt, dass diese neue Idee einen großen Vorrat an Folgeereignissen bereit halten mag und Kirkman es so gelingt, nach der langen Lebensdauer der Serie immer noch Neugier zu schüren.
Horror. Die Untoten haben sich seit den ersten Bänden gehörig verändert. Charlie Adlard, im Bereich Tusche durch Stefano Gaudiano verstärkt, hat es nur noch mit Wiedergängern zu tun, die seit den ersten Tagen der Katastrophe unterwegs sind. Sie halten sich auf den Beinen, die Zersetzung der Untoten, ob sie nun beweglich oder nicht sind, arbeitet für die überlebenden Menschen. Bei einer Attacke halten die Körper nicht mehr so viel aus, wie es ein Lebender tun würde. Es ist also eine Frage der Zeit, bis die Herden der Zombies sich erledigt haben werden. Aber … noch laufen sie. Individuelle Merkmale sind für Charlie Adlard kaum mehr zu beachten. Unterschieden werden die Kreaturen lediglich noch am Grad ihrer Verrottung.
Vater und Sohn. Es ist erstaunlich, welchen optischen Sprung Rick Grimes und sein Sohn Carl gemacht haben. Die gemeinsamen Szenen der beiden, die in einer Art Familienbild münden, mit fehlendem Arm und fehlendem Auge, sind ein Indiz für all das, was die beiden mitgemacht haben und dennoch ist es ein schönes Bild, das Kirkman und Adlard hier entwerfen, denn wirklich zum ersten Mal seit die Serie begann, werden die beiden auf eine gewisse Art glücklich dargestellt.
Robert Kirkman gestattet es seinen Helden, den Kurs weitestgehend im Griff zu haben … ehe er das Grauen auf ziemlich ungewöhnliche Art neu erweckt, so dass alle erreichten Erfolge erneut ins Wanken geraten könnten. Eine tolle Grundlage für die nächsten Folgen, unheimlich, aber auch sehr interessant. Sogar für Neueinsteiger geeignet. 🙂
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Donnerstag, 12. Februar 2015
Ratten! Wie schnell das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt bedroht sein kann, wird durch das massenhafte und aggressive Auftreten von Ratten deutlich. Die Plage macht weder vor der örtlichen Wasserversorgung noch vor Haustieren Halt. Selbst solche Menschen, denen der Tod nichts mehr auszumachen scheint, sehen sich angesichts der schwarzen Nagetiere in Angst und Schrecken versetzt. Für die Drahtzieher im Hintergrund, rachsüchtige Hexen, denen es gefällt, Unheil zu stiften, ist es ein großer Spaß. Doch das Hexenleben besteht nicht nur aus der Vergiftung der Lebensgrundlagen, zuweilen können die eigenen Gefühle so bedrohend sein, dass sie von den eigentlichen Zielen ablenken.
Eifersucht kann weitreichende Folgen haben. Mitunter können selbst jene, die landläufig als böse zu bezeichnen sind, vor Eifersucht fast vergehen. Lilith ist da keine Ausnahme. Sie pflegt eine Eifersucht, die Äonen währt und sich ein ganz besonderes Ziel gesucht hat. Autor und Zeichner Terry Moore vertieft in dieser Folge der Mystery-Serie RACHEL RISING die Charaktere und nimmt sich insbesondere die Nebenfiguren vor, die einen maßgeblichen Einfluss am Geschehen entwickeln. Die erwähnte Lilith, von Gott zur Oberhexe verdammt, ist eine gequälte Kreatur, sobald sämtliche Barrieren fallen und sie sich nichts mehr ersehnt, als dieser Existenz zu entfliehen und wieder in die Nähe des Herrn zu kommen, von dem sie sich schmählich verlassen fühlt. Aus der erbarmungslosen Hexe wird in diesen schutzlosen Momenten ein kleines Mädchen, das nichts anderes will, als nach Hause zurückzukehren.
Der Teufel fühlt sich hingegen pudelwohl. Er hat sich in Form eines Priesters in den Schatten der Kirche zurückgezogen und erzieht dort die kleine Zoe, die zu Beginn der Serie für einen gehörigen Schrecken gesorgt hat. Zwischenzeitlich machte sie den Eindruck, ihrer brutalen Seite überdrüssig zu sein, sich sogar vor ihr zu fürchten. Nun erwacht dank des teuflischen Zuspruchs in ihr ein unheimlicher Ehrgeiz. Denn sie hat in ihrer Ahnenreihe einen ziemlich beunruhigenden Vorfahren, den es nun zu übertrumpfen gilt. Anhand dieser, aber auch vieler anderer, Szenen und Sequenzen wird deutlich, wie makaber Terry Moore seine Geschichte zu konstruieren vermag, wie pechschwarz sein Humor in dieser Mystery-Serie ist.
Ich hab sie erst vor einer Stunde aus dem Eisfach geholt. Sie braucht noch eine Weile zum Auftauen.
Frauen kehren von den Toten zurück. Besser gesagt, sie kehren vom Tode zurück. Wäre das nicht schon seltsam genug, mag sich Jet, Rachels Freundin, auch noch wundern, wieso sie eigentlich immer wieder nackt zu sich kommt. Das mag mit Earl zusammenhängen, einem Kumpel und lieben Freund, der sich einem schlimmen Verdacht ausgesetzt sieht. Aber ein Verdacht ist ein Verdacht ist ein Verdacht … Kein Wunder, dass der liebe Earl rot anläuft, als er sich mit entsprechenden Vorwürfen konfrontiert sieht. Terry Moore entlüftet den Kleinstadtmief mit einem süffisanten Blick hinter die Kulissen. Da wird der Katholizismus genüsslich durch den Kakao gezogen. Homosexualität im modernen Amerika ist in keiner Weise mehr anstößig, sondern in einer festen Beziehung so langweilig wie jede andere Beziehung auch.
Was ist mit Rachel? Die steht vor einem Rätsel, immer noch. Zwar haben sich ein paar Fragen geklärt, aber längst nicht alle und so manche Fähigkeit will erkundet werden. Die Ergebnisse schrecken selbst die junge Frau, die sich doch schon zweifach aus der Erde unter Mühen ausbuddelte. Rachel hat ein Gespür entwickelt. Terry Moore zeichnet mit feinem Strich eine Szene, die selbst für Comics, in denen viel mehr möglich ist, als in anderen Medien, die auf morbide Weise anrührend ist. An anderer Stelle beschert er dem lesenden Auge eine kurze Passage, die einem Tierfreund durchaus den Magen umzudrehen vermag, andererseits aber auch die Verrohung eines der Charaktere besser beschreibt, als alles andere zuvor. Deshalb darf über eine andere Szene im weiteren Verlauf frühzeitig abgebrochen und der Rest der Fantasie des Lesers überlassen werden.
Tolle Zeichentechnik, in vorbildlichen Schwarzweißbildern inszeniert, mit Charakteren, deren Merkmale immer tiefer gehend ausgelotet werden, so dass es nahezu jede Figur auf ihre Weise es schafft, für den Leser interessant zu sein, da Terry Moore das Kunststück gelingt, aus (fast) jedem auftretenden Charakter einen unverzichtbaren Bestandteil der Geschichte zu machen. Wäre es eine Fernsehserie, wäre es ein Quotenhit. Mystery-Fans sollten sich diese moderne Schauermär nicht entgehen lassen. 🙂
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