Samstag, 16. Mai 2009
Die riesige Frau turnt über das Dach des Wolkenkratzers, ihren Liebsten im Arm. Der Sonnenuntergang taucht die Szene in ein romantisches Licht. Die liebliche Atmosphäre endet abrupt, als ein Doppeldecker aus den Wolken herabstößt und das ungleiche Paar unter Feuer nimmt. Die Riesenfrau will sich wehren, schlägt nach dem Flugzeug, taumelt und fällt …
Trash-Cineasten aufgepasst: Bender hat sich mit den uralten Monsterfilmen der Erde vertraut gemacht und nun … Nun, nicht nur. Stein des Anstoßes ist diesmal Amy. Amy wächst und wächst und erinnert so an die gute alte 20-Meter-Frau, die in einer Neuverfilmung auch von Daryl Hannah (Staatsanwälte küsst man nicht) gespielt wurde. Amy, die sonst eine Nebenrolle spielt, wächst nicht nur, sie hat auch einen Freund (oder einen möglichen Freund, so genau weiß man das in den Verhältnissen der Zukunft nicht). Erste Dates können schwer genug sein, doch wenn die Angebetete bei einem solchen Date kontinuierlich wächst, wächst sich das im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Problem aus.
Und nicht nur das. Warum sollte Autor Ian Boothby dann aufhören, wenn es am schönsten ist? Das hat er noch nie und das ist gut so. So ist wirklich auf beinahe jeder Seite eine Anspielung zu finden. Mehr noch. Boothby steigert sich. Entweder er gibt die Anspielungen ganz offen zu oder sie wird versteckt platziert. Wenn eine Junge in eine Dose mit Pym-Artikeln greift und wenig später in sich zusammenschrumpft, um in einem Lokal mit den Kleinen der Comic-Branche (Atom, Ant-Man, Shrinking-Violet, einst als Winzwanda bekannt) wieder zu wachsen, dann ist nichts faul im Staate Dänemark, aber der Leser kann sich zu diesem Zeitpunkt auf ein Gag-Feuerwerk freuen.
Einzige Voraussetzung: Der Leser muss Albernheiten mögen. Ansonsten ist man hier völlig fehl am Platz. Denn, wie war das mit Bender? Bender hat alle Filme, die es jemals gegeben hat, gefressen. Jetzt spuken viele, viele Gedanken durch sein Automatenhirn. Ein Schnurbart, irgendwann in den 70ern ausgestorben, erwacht auf seine metallenen Oberlippe wieder zum Leben und Bender rast wie einstmals der Bandit in einem Trans Am durch die Straßen.
Wo Ian Boothby sich nach Herzenslust austoben kann, liefert das Grafik-Team solide und unvorhersehbare Arbeit ab. Im Rahmen der Vorgaben zeichnet Carlos Valenti alle Futurama-Charaktere aus dem FF, kann allerdings auch Experimente wagen (z.B. mit einem Roboter-Stephen Spielberg). Die Farbgestaltung ist schlicht, selten nur werden Schatten oder Verläufe eingesetzt, aber dergleichen wird in einer Spaßklamotte wie hier auch nicht benötigt.
Lacher, Gags, kleine und große Spitzen, Anspielungen allerorten: Aufgabe erkannt und gelöst. Ian Boothby ist und bleibt ein großes Komödientalent. 🙂
Freitag, 15. Mai 2009
Der Küster hat Geburtstag. Wie in jedem Jahr macht sich Renaud auf den Weg, den alten Mann zu besuchen. Quinquagesimä ist nicht mit den anderen Minimenschen nach Eslapion gezogen, sondern blieb in der Kirche, wo er sich immer noch Zuhause fühlt. Wer nun glaubt, der Küster fühle sich einsam, der sieht sich getäuscht. Quinquagesimä hat Schüler gefunden, die ihm die Zeit sehr verkürzen und ihm manchmal auch ein wenig auf der Nase herumtanzen: Mäuse.
Und da sind noch andere Minis: In gleich zwei Geschichten erzählen Hao und Seron (Zeichner) von den Begegnungen der Minimenschen mit anderen, bisher unbekannten kleinen Menschen. Mit der Invasion aus der Vergangenheit sieht sich die kleine Stadt Eslapion plötzlich einem Heer von Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg gegenüber. Seltsamerweise ist es eine bunt zusammengewürfelte Truppe verschiedener Nationen. Darüber hinaus verstehen sie sich prächtig. Ähnlich wie es der Leser vielleicht aus einer Weltkriegs-Klamotte wie Ein Käfig voller Helden her kennt, gibt es allerhand Frotzeleien unter den altgedienten Recken. Während die Deutschen eher die preußisch hackenschlagende Fraktion bilden, erinnern die Engländer mit ihrer Ruhe an den allseits berühmten Teefax. (Asterix-Leser wissen Bescheid.)
Ein Angriff? Hao, der zusammen mit Seron für die Handlung verantwortlich ist, lässt die Geschichte stark in diverse Slapstick-Sequenzen abgleiten, um den Beigeschmack Krieg zu verwässern. Das gelingt ihm auch sehr gut, denn Kriegsgerät bleibt Kriegsgerät. Es mag eine Hommage an den alten amerikanischen Film Unternehmen Petticoat sein, wenn rosa angestrichene Panzer den Angriff auf Eslapion wagen. Zumal ein harmloser Zusammenstoß mit einem alten Mann, das Kriegsfahrzeug auseinanderbrechen lässt. Der Zahn der Zeit hat ordentlich genagt. Technikliebhaber kann sich hier richtig austoben. Es gilt nicht nur, Düsenjäger in die Luft zu bringen, sondern auch eine ganze Reihe von propellerbetriebenen Flugzeugen, die allerdings auch ihre argen Schwierigkeiten haben. Seron zeichnet seine Flieger und Fahrzeuge wieder etwas überzogen, mit dem leichten Anflug von Lebendigkeit in der Maschine, indem sie etwas verwackelt aussehen. Das nimmt der Grundidee der Geschichte auch von ihrer Schärfe.
Die anderen Minimenschen, die hier ihren Auftritt haben, kommen in einer kürzeren Geschichte daher. Ihre Abkehr von der Welt der Großen liegt noch länger zurück, wie Renaud feststellen muss, als er von einem alten Segelschiff aus dem Wasser gefischt wird.
Als Ursache ist immer der Meteorit zu finden, genauer, ein Meteorit, vielleicht auch Bruchstücke von ein- und demselben. Dieses Geheimnis wird nicht gelüftet. Dafür offenbart sich den Menschen von Eslapion ein anderes, nicht unwichtiges Geheimnis, was zur Folge hätte, dass noch viele Abenteuer in unveränderter Besetzung geschehen können. Hao und Seron können so mit einem ganz kleinen Erzähltrick den Haken an mancher Endlosserie ganz einfach umschiffen.
Neben einigen kürzeren Episoden in diesem Band findet sich hier auch das albumlange Abenteuer um das Auto im See aus dem Jahre 1973. Das Alter der Geschichte mag jene, die noch nichts von den Minimenschen gelesen haben, erschrecken. Doch der Klassiker funktioniert auch heute noch. Ein Auto fährt in den Land, über einen Waldweg auf einen Weiher zu, geradewegs in das Wasser hinein und taucht nicht mehr auf. Dabei bleiben die beiden Männer auf den Vordersitzen ganz gelassen, als sei es das Normalste von der Welt. Was anfängt wie der Auftakt eines Thrillers, mündet in die wunderbare frankobelgische Erzählwelt, in der es keine Grenzen zu geben scheint. Wenn Renaud schließlich in einem ferngesteuerten Torpedo das Meer unterquert, ist das beste Erzählkunst, schöner Einfallsreichtum und gute Unterhaltung.
Darüber hinaus bleibt auch sonst kein Auge trocken. Ob die Minimenschen sich einer Kindertheateraufführung als Zwerge anschließen oder Renaud einem ungeschickten Modellbauer mit seinen Flugkünsten unter die Arme greift, stets vermischt sich feiner Humor mit packender Action im Mini-Universum.
Spaß, Spaß, Spaß und ein kleiner wehmütiger Blick in die Vergangenheit des europäischen Comics, als Klassiker geschaffen wurden und die Ideen freien Auslauf hatten. Auch hier zündet noch nach so vielen Jahren jede Idee. Für Kinder und im Herzen Junggebliebende beste Unterhaltung. 🙂
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Donnerstag, 14. Mai 2009
Eine Seefahrt, die ist lustig … Wenn sie stattfindet. Cubitus hat inzwischen in Sachen Reiseschwierigkeiten seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Sein Herrchen Boje gibt sich immer allergrößte Mühe und doch geht dann einiges schief. Schade für die beiden, aber … gut für den Leser, denn so bleibt kein Auge trocken. Der Titel des neuen (20.) Albums lautet treffend: Ausflug ins Grüne. Gleich der Beginn zeigt, wie unterschiedlich Herrchen und Hundchen dieses Motto nehmen. Im Garten brennt die Sonne. Boje nutzt die Gelegenheit, um die Blüten rot anzumalen, während Cubitus das Sonnenbaden einläutet. Ganz stilecht natürlich mit Badewanne.
Dupa, Autor und Zeichner, schickt seine kleinen Helden in mehrseitigen Geschichten hinaus ins Grüne. Mögen Sie Vivaldi? lautet die nächste Frage. Wenn solch eine Frage gestellt wird, ist klar: Zu Anfang mag Vivaldi noch wunderbar sein, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt … Was sich anhört, wie der Beginn einer klassischen Klamotte, erhält durch eine kleine, aber sehr wichtige Zutat die Möglichkeit, sich in alle Richtungen entfalten zu können und dadurch unberechenbar zu werden. Und zugleich wird es ein Brüller.
Weniger phantastisch fällt ein reiner Parkausflug aus. Eine kleine Verwechslung nur (man merkt schon: kleine Hindernisse, große Wirkung) bringt die beiden Helden wieder durcheinander. Kurz darauf, bei einer Bootspartie, geraten sie sogar mit dem Gesetz in Konflikt. Dupa hat übereifrige Gesetzeshüter, so auch in Form von Steuerbeamten, gerne als Widersacher dabei. Der überzogene Wahn, einen Gesetzesübertreter zu fangen, verspricht allerhand Albernheiten und Slapstick.
Urlaub, das große Thema hinter dem Motto, Ausspannen, Relaxen wird von Dupa benutzt, um einige Widersinnigkeiten auf der Jagd nach dem schönsten Erlebnis in der schönsten Jahreszeit zu zeigen. Dupa bringt sich auch selbst wieder ins Spiel, nämlich als Verursacher all jener Schwierigkeiten, die Boje und Cubitus diese Erholung oft verleiden. Wie ist es doch schön, als Hund und Herrchen erfahren, dass Dupa höchstpersönlich in Urlaub fährt und gerade diese freie Zeit des Autors Freizeit für Cubitus und seine Freunde bedeutet. Plötzlich sind Cubitus und Paustian, die Katze von nebenan, die besten Freunde. Wer ist also schuld: Dupa.
Besser wäre es allerdings zu sagen, dass der Leser es Dupa verdankt, einige Zeit vom Alltag abgelenkt zu werden und in einen tollen Spaß einzutauchen. Im 20. Album der Reihe des kugeligen flauschigen Hundes ist der Erfindungsreichtum von Dupa ungebrochen. Wenn der Vorgarten zu klein wird, lässt er seine Helden in die Welt aufbrechen, nicht nur die Welt gleich nebenan, sondern auch die ganz große Welt. Eine wunderbare Geschichte, in der Paustian Cubitus an den Rand des Nervenzusammenbruchs treiben darf. Aber selbst diese Geschichte treibt das Konstrukt Urlaub noch nicht auf die Spitze.
Das I-Tüpfelchen in dieser Hinsicht kommt kurz vor Schluss des Bandes. Vorher jedoch hat Dupa viele andere kuriose und humorige Spitzen gesetzt. Er kann mit wenigen Strichen tolle Gesichtsausdrücke schaffen, in denen sich beinahe alles finden lässt, was zu einer Komödie dazugehört. Der gierige Schupo, der kaum an sich halten kann darüber, dass er eine wahre Liste von Vergehen aufschreiben darf, gehört ebenso dazu wie das kleine Kaninchen, ganz weit im Hintergrund, das grinsend auf die beiden Helden zeigt, als es sieht, dass es einmal nicht im Mittelpunkt des Interesses der Jäger steht, sondern Boje und Cubitus, die vor einem Kugelhagel flüchten.
Spaßige Episoden von unterschiedlicher Länge, sehr schön um das Thema Urlaub drapiert. Dupa zeigt den alljährlichen ausbrechenden Wahnsinn, die Jagd nach der Erholung und dem besonderen Freizeiterlebnis in vielen überspitzten (aber auch so manches Mal sehr treffenden) Szenen. Klasse! 🙂
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Mittwoch, 29. April 2009
Wasser Marsch! So heißt es leider ungewollt im Versteck der Minimenschen. Durch den Unfall eines Lkws kommt es zur Überflutung. Diese ist so folgenschwer, dass sich die Minis ein neues Zuhause suchen müssen. Doch diese Umsiedlung will erst einmal organisiert sein. Das ist alles andere als leicht. Vieles aus dem Besitz ist durch das einströmende Wasser vernichtet worden, also muss Ersatz her. Man könnte es selber bauen, aber es lässt sich auch von denen organisieren, die das ganze Schlamassel verursacht haben: Von den Großen.
Zuerst geht alles gut, nicht reibungslos, aber das wäre auch für alle Beteiligten äußerst langweilig. Später jedoch geraten die Kleinen immer mehr in die Bedrouille. Ihre technischen Spielereien vermögen ihnen nur in Teilen zu helfen. Viel wichtiger sind Schläue, Geduld und Tricks, die ihnen von Mal zu Mal aus der Patsche helfen.
Ein Kinderspiel! Nein, nicht die Erzählung der Minimenschen, schon gar nicht die Zeichnungen von Pierre Seron, sondern die Grundidee der Minimenschen entstand während eines Kinderspiels. Der kleine Pierre Seron spielte die Abenteuer eines Bob Morane im Garten nach. Mit Zinnfiguren. Nicht zum ersten Mal hört man von Künstlern, die von den Ideen aus ihrer Kindheit zehren. Was sich bei einem Kind oder einem Jugendlichen vielleicht albern anhört oder mit einem Lächeln abgetan wird, kann sich bei einem Erwachsenen plötzlich zu einer wunderbaren Umsetzung auswachsen.
Die klitzekleine Welt, die Ministadt, die der Leser im ersten Sammelband kennen lernen konnte, sucht nun ein neues Zuhause. Die Reise, die zwangsläufig sehr lang ausfällt, wenn man nur die Größe eines Fingers hat (eher weniger), ist alleine schon ein mittelgroßes Abenteuer. Die kleinen Begebenheiten dazwischen haben einen französisch belgischen Charme und jene begnadete Sorte Humor, die Schauspieler wie Louis de Funes, Pierre Richard oder auch ein Gerard Depardieu in die Welt transportiert haben. Pierre Seron selbst ist Belgier, doch er wird sicher nicht wie Hercule Poirot darauf bestehen, es eine besondere belgische Eigenart zu nennen.
Seron versteht es auf wunderbare Weise, aus der einfachen Grundvoraussetzung der Minis immer neue lustige und abenteuerliche Situationen zu kreieren. Endlich ist ein Mittel gefunden, dass die Wirkung des Meteoriten aufhebt und die Menschen wieder wachsen lässt. Aber die Kleinen wollen nicht mehr zurück!
Seron entwickelt mit Ministadt 2 (oder auch Eslapion 2) ein im wahrsten Sinne des Wortes kleines Utopia. Hier läuft zwar nicht alles rund, aber die Erfolgsquote eines ruhigen Zusammenlebens ist in dieser Gemeinschaft außerordentlich hoch. Es ist neben dem Humor die mitschwingende Heiterkeit, die Kameradschaft und der Optimismus, der die Minimenschen zu einem unschuldigen (eine tolle Angelegenheit in der weiten Comic-Landschaft) Spaß macht, der uneingeschränkt von Kindern gelesen werden kann.
Die Zeichnungen sind auf mutig schmissige Art von Seron auf das Papier aufgebracht worden. Diesen Zeichenstil findet der Leser zwar auch heute noch im Cartoon-Bereich, aber selten wirkt er noch so ungezwungen, so unangestrengt wie hier. Ebenso wie bei den ganz Großen aus der Funny-Ecke, bei Uderzo, Morris oder Franquin, sind die Zeichnungen leicht, knuffig, putzig und auch liebevoll zu nennen. Wenn ein Zeichner in seinem Projekt aufgeht, so meine Einschätzung, dann merkt man das als Leser auch, wie hier bei Seron.
Eine uneingeschränkt spaßige Unterhaltung, dank eines komisch futuristischen Szenarios immer noch der zeit voraus, mit einem Humor, der zeitlos ist und einem Finale, das sich zum Thriller auswächst, in dem Seron so richtig mit allem spielen kann, was er für die Minimenschen erfunden hat. Top. 🙂
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Samstag, 14. März 2009
Zwar haben die Kinder Paris nun hinter sich gelassen und damit auch ein gefährliches Pflaster, in dem entkommene Zirkustiere das Leben erschwerten, doch leichter wird es für sie trotzdem nicht. Außerhalb der großen Stadt haben sich noch andere Tiere zusammengerottet. Einst waren sie der beste Freund des Menschen. Nun, da dieser verschwunden ist, haben sie sich wieder zu Rudeln zusammengeschlossen und gehen auf die Jagd: Hunde. Die weitere Fahrt hätte so schön sein können, aber die Hundemeute setzt sich auf ihre Fersen und jagt dem alten Bus hinterher, in dem die Kinder unterwegs sind.
Sie haben schon nicht mehr daran geglaubt: Neben der Fahrbahn scheint plötzlich ein Licht in der Nacht auf. Andere Kinder. Dodji, Yvan, Leila, Camilla und der kleine Terry haben plötzlich wieder Gesellschaft. In einem Vergnügungspark haben sich viele andere Kinder verbarrikadiert. Saul, ein blonder schlanker Junge, hat diese Gruppe zusammengeschmiedet und ihnen neue Regeln gegeben. Sie nennen sich selbst: Haifisch-Clan.
Die Katastrophe, während der alle Erwachsenen von einer Sekunde auf die andere verschwanden (sowie ein Großteil der Kinder), wird für die fünf Kinder, die der Leser im ersten Band kennen lernte, langsam zum Normalzustand. Sie haben gelernt, mit der Situation umzugehen. Sie improvisieren, lernen dazu, übernehmen Verantwortung füreinander und ergehen sich in Aufgabenteilung. Die kleine Gruppe ist durch die Vorkommnisse bei aller Unterschiedlichkeit zusammengeschweißt worden.
In einem Vergnügungspark findet die Geschichte nun ihren vorläufigen Höhepunkt und erinnert an dieser Stelle wohl am stärksten an den Herrn der Fliegen von William Golding. Im Vergnügungspark, der eine Insel- und Piratenwelt nebst Meeresshow darstellt, haben sich die versammelten Kinder allesamt als Piraten verkleidet und folgen ihrem Anführer Saul, der hochherrschaftlich residiert und die Gesetze erlassen hat. Ein leibhaftiger Hai in einem großen Wasserbecken gibt dem selbsternannten Clan seinen Namen. Gleichzeitig dient er als Druckmittel zur Erhaltung der Ordnung, wie auch zum Vergnügen.
Fabien Vehlmann zeigt ein für Kinder seltsames, aber beileibe nicht außergewöhnliches Verhalten. Mit einer geradezu verzweifelten Komik versuchen sie unter der Führung von Saul eine Art Gesellschaftsform zu entwickeln, die einer Erwachsenenwelt nachempfunden ist. Saul greift bei seiner Form der Gemeinschaft (ein Missgriff von Fehlmann, aber häufig nicht anders von Autoren zu erwarten) auf Vorlagen zurück, die er aus Büchern hat: Themen aus dem Dritten Reich.
Es ist ein Szenario, das, auch durch die Bekleidung der Kinder, an Geschichten wie Hook erinnert und die Gemeinschaft der verlorenen Jungs. Und verloren sind sie. Dank Saul irren sie durch Rituale wie das der Verheiratung per Losentscheid. So findet sich Camilla, 8 Jahre, bald in einer Ehe mit Saul, 11 Jahre, wieder. Saul bereitet sich außerdem darauf vor, Nachkommen in die Welt zu setzen. Dies ist die verzweifelte Komik und sie wird von Vehlmann sehr treffend erzählt, teilweise düster, wenn die Befehlsstrukturen einer Hitler-Jugend greifen, aber es ist unter dem Strich auch sehr traurig. Vehlmann schlägt für den Leser willkommene Haken. Aus dem Endzeittrauma wird ein Drama und schließlich erwartungsgemäß die Tragödie. Vehlmann gönnt seinen Helden nichts. Bislang bleiben sie am Leben, doch derart wie die Handlungen ihren Verlauf nimmt, sollte man als Leser nicht darauf wetten, dass es so bleibt.
Bruno Gazzotti, Zeichner dieser Comic-Reihe, bleibt bei sehr geradlinigen Gestaltung. Er bleibt cartoony und entschärft das Szenario. Die Ernsthaftigkeit, die Vehlmann bei seiner Erzählung an den Tag legt, findet sich in den Bildern nicht wieder. Sicherlich verfügt Gazzotti auch mit diesen Figuren über alle Möglichkeiten, um Emotionen zu wecken, ganz bestimmt schafft er es mittlerweile eine sehr große Sympathie für die fünf Freunde zu entfachen. Die optische Mischung der fünf Helden stimmt ganz einfach. Ähnlich wie man es bei einem Casting vermuten würde, bei der möglichst echte Charaktere zu einem Ganzen zusammenfinden, sind auch diese Fünf, Dodji, Yvan, Leila, Camilla und der kleine Terry, perfekt aufeinander abgestimmt.
Eine sehr spannende, aber im weiteren Verlauf auch über die Maßen traurige Episode. Ein kleiner Hinweis sagt etwas über das Schicksal all der verschwundenen Menschen aus, doch nicht genug, um genauere Vermutungen anzustellen. War spannend, bleibt spannend, unterhält perfekt. Was will man mehr? 🙂
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Dienstag, 10. März 2009
Eigentlich sollte man in einer Muschel das Meer rauschen hören. Aber Isnogud, der mit seiner Fragerei den Andenkenhändler gehörig genervt hat, flutscht gleich am Stück durch die Muschel und landet wie durch Zauberhand auf der Andenkeninsel. Und was das für eine Insel ist! Muscheln bedecken den Strand und spießförmig konstruierte Türmchen wachsen aus der Wiese. Es ist eine Welt, in der sich ein Andenkenhändler selber wegradieren kann. Am Ende … Nun, fest steht, dass sich Isnogud die Welt so nicht vorgestellt hat.
Himmel und Hölle. Wie macht man aus einem recht alten und bekannten Kinderspiel einen wunderbaren Sketch? Rene Goscinny hat dieses Meisterstück (und genau das ist es) des Humors mit einem ganz kleinen Trick bewerkstelligt. Wer es aus der Hölle, am unteren Ende der auf dem Boden nummerierten Kästchen, hüpfend in den Himmel schafft, am oberen Ende der Kästchen, wird wieder zum Kind. Für Isnogud ist dieser Zaubertrick eine tolle Sache. Jetzt muss nur noch der Kalif dazu gebracht werden, über die Kästchen zu hüpfen und schon ist er minderjährig und nicht mehr regierungsfähig.
Aber, wie so oft, wenn Isnogud seinem Kalifen eine neue Falle stellt, muss diese auch getestet werden. Ein im wahrsten Sinne des Wortes kindlicher Spaß, nur zu kurz. Dafür lässt es Goscinny im ersten Teil dieses Sammelbandes so richtig krachen. Schlag auf Schlag kommen die Gags unter dem Titel Isnogud der Listige. Der Großwesir ist hier zwar wieder einmal sehr bemüht am Werke, doch vom Glück gesegnet, ist der von Missgunst zerfressene hohe Beamte im Dienste des Kalifen von Bagdad nicht.
Ich will ein Walkie-Talkie!
Zwar versucht es Isnogud einmal durch die Blume zu sagen, doch in einer anderen Episode ist es so klar wie Kloßbrühe: Jeder in Bagdad weiß um den Wunsch des Großwesirs. Nur der Kalif weiß es nicht. Goscinny kann sich eine Verbindung des magischen Bagdad mit unserer Welt nicht verkneifen. Eines Tages gelangt Isnogud in den Besitz eines Ottoquell-Katalogs. Mit diesem wundersamen Druckwerks lässt sich einfach alles bestellen, vorzugsweise das, was in der Welt von Isnogud noch gar nicht existiert. Sobald der Großwesir über ein Walkie-Talkie Kontakt zu einer französischen Polizeistreife aufnimmt und diese für Dschinnis hält, ist vom Schmunzler bis zum Brüller alles drin.
Der Humor von Isnogud ist einigermaßen albern. Wer sich an Louis de Funes erinnern kann, ganz gleich an welchen Film mit ihm, hat so ungefähr einen guten Ausblick auf den Humor, der ihn bei Isnogud erwartet. Es ist ein Humor, wie er gerne einmal kopiert wurde, auch im nichtfranzösisch sprechenden Ausland, aber erreicht wurde er andernorts nur sehr selten. Goscinny wusste, und das zeigt sich hier einmal mehr, wo er zu beginnen hatte und wo Schluss war. Paradebeispiele im zweiten Teil des vorliegenden Sammelbandes sind Der Türkenkopf (über ein verzwicktes Puzzle), Ein Gesang, der erstarren lässt (über eine außergewöhnliche Meerjungfrau) und Der magische Kalender, in dem sich Zeichner Jean Tabary höchstselbst einen Gastauftritt hineingezeichnet hat. Isnoguds Abenteuer oder auch Sketche, ganz wie es ein jeder für sich zu definieren vermag, sind teilweise wie ein Countdown konstruiert und zu jeder Stufe mag man denken: O, nein, der arme Kerl! Oder: Geschieht dir ganz recht!
Jean Tabary bringt sich als Zeichner mit alten Episoden ein, erkennbar an der deutlich schlankeren Gestalt Isnoguds und einem weniger ausgeprägtem Gesicht, doch vermehrt mit neueren Geschichten aus der Feder von Goscinny. Aus dieser neueren Zeit stammen die einseitigen Episoden des dritten Teils des Sammelbandes mit dem Titel Düstere Aussichten. Was wäre wenn oder besser: Wenn ich … wäre …
Mit einer einfachen Ausgangslage erzählen Goscinny und Tabary in wenigen Bildern einen Witz, einen Sketch, eine Annekdote. Dieser Ausbruch aus der gewohnten Erzählweise ist auf den ersten Blick unspektakulär, aber am Ende hat man gerade diesen Teil am schnellsten verschlungen (lesend, versteht sich) und am meisten gelacht. (Besonders bei der vorletzten Episode. Warum, das soll jeder für sich herausfinden.)
Goscinny, ein Meister seines Fachs, fehlt in der heutigen Comic-Welt. Ein richtig würdiger Nachfolger ist noch nicht in Sicht. Sein Humor ist nicht nur zeitlos, er wird wie die Mode immer aufs Neue modern. Mit dem von Jean Tabary besonders später genial interpretierten Isnogud ist eine Figur entstanden, über die der Leser immer noch herzhaft lachen kann. 🙂
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Freitag, 20. Februar 2009
Cubitus ist nicht der faulste Hund im Universum, aber sicherlich einer derjenigen, die furchtbar schwer zu wecken sind. Wie gut, dass sich sein Herrchen darauf eingestellt hat. Ein leichter Donner aus einer überdimensionierten HiFi-Anlage hat noch jeden Hund geweckt. Herrchen hat es aber auch nicht leicht mit Cubitus. Da kidnappt der Hund doch tatsächlich die Zervelatwurst aus dem Kühlschrank und fordert zwei weitere als Lösegeld. Gar keine Frage, dass Herrchen schnell weiß, wo der Hase – Verzeihung – natürlich, wo der Hund lang läuft. Essen ist ein zentrales Thema im Leben von Cubitus. Eines, das ihm Freude macht, aber auch ständig in Schwierigkeiten bringt.
Keine Frage, Cubitus weiß auch, dass Essen nicht nur Leib und Seele zusammenhält, sondern auch als Köder dient. So wird ein Angelausflug nicht lustig, er ist auch von unterschiedlichem Erfolg gekrönt. Ein Kaviartoast mag die Fische anlocken, ein überdimensionierter Räucherschinken macht da schon mehr Probleme. Aber zu jeder Zeit bleibt er bei all seinen Bemühungen liebenswert.
Debakel ohne Makel lautet die Überschrift des 19. Bandes mit den Abenteuern des kugeligen weißen Kuschelhundes. Cubitus will – und das muss hier einmal mit allem Nachdruck angeführt werden – stets das Beste, nur er hat nicht immer das beste Händchen dafür. Anders gesagt: Cubitus ist ein Tolpatsch. Dupa hat sich für seinen Wunderhund einige haarsträubende Situationen ausgedacht. Korpulent mit Talent bringt es ans Tageslicht. Cubitus ist ein Zauberer, wenn auch ein mäßig begabter, wie es sich bald zeigt. Das Bild, auf dem ein Cubitus zu sehen ist, der sich abmüht, alle seine Zauberkaninchen einzufangen, hat einen hohen Knuffig-Faktor.
Ich ködere mit in Milch getunktem Brot und ich nehme, was hier so vorbeischwimmt.
Ich ködere mit in Bordeaux (Jahrgang 1961) getunktem Kaviartoast und ich kriege alles, was ich will.
Worthumor steht hier wunderbar gleichbedeutend neben Humor ohne Worte. Sicherlich ist hier nicht alles mit Weisheit getränkt, wie diese kleine Wortspielerei der Angler, aber ein wenig Lebensklugheit findet sich immer wieder einmal in den Einseitern, die abschnittsweise aus Cubitus’ Leben erzählen. Welche Wirkung ein feiner Anzug und das Wort Liebe haben kann, zeigt sich in dem Sketch Kurze Rede mit einer wundervollen kleinen Pointe.
Sketch? Ja, nicht alles ist gleich humoristisch, nicht jede Seite ist von Dupa als Brüller ausgelegt. Der Leser sollte nicht dieser Annahme verfallen und so einen Fehler begehen. Dupa verlässt sich bei seinen Erzählungen auch auf die kleinen Momente. Er sucht das Schmunzeln bei seinen Lesern, vielleicht auch ein glückliches Lächeln, das neben einem schadenfrohen Grinsen natürlich auch seine Berechtigung hat. – Schade nur, dass es diesmal nur einen kleinen Ausflug in den Wilden Westen gibt. Der Maulwurf, der hier als Indianer auftritt, könnte ein heimlicher Star werden. Ganz besonders, da die Schnecke in diesem Band eindeutig zu kurz kommt.
Keine Vorkenntnisse vonnöten: Einfach loslesen, laut lachen, leise schmunzeln, Spaß haben. Hier ist einfach für jeden etwas dabei, von der albernen Slapstick bis zur kleinen Lebensweisheit in humorvoller Verpackung. Cubitus ist jung und bleibt jung: Zeitloser Humor. 🙂
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Alix Yin Fus Schicksal entscheidet sich. Wie wird sie dem Großen Steuermann dienen? Als Stechfliege? Oder als Honigfliege? Rein optisch sind ihre Fähigkeiten klar definiert, doch Alix hat gar nichts mit einem erotischen Dienst für den Großen Steuermann im Sinn. Ihr Vorgesetzter lässt sich durch ein paar Schläge gern überzeugen. Alix wird eine Stechfliege, eine Mörderin im Dienste des Großen Steuermanns. Ihr erster Einsatzort ist San Francisco. Alix’ Vorgesetzter Hsu Hsieh bringt sie höchstpersönlich über den großen Teich und übergibt sie in die Obhut des Dreifarbigen Drachen.
Alix ist erstaunt, es mit einer Langnase zu tun zu haben, die für den Kommunismus einsteht. Doch Rousseau, ein gebürtiger Franzose, hat sich an das Geschäft gewöhnt. Widrigkeiten gehören dazu. Wenn Alix diejenige sein soll, die auszubilden ist, wird er seine Aufgabe erfüllen. Kaum hat Alix an seinem Tisch Platz genommen, hat sie auch schon ihre erste Bewährungsprobe zu erfüllen: Einen Mord auf offener Straße.
Didier Conrad nimmt den Ball alleine auf und schickt seine Alix ins Land der Kapitalisten. In San Francisco herrschen noch nicht jene Tage, in denen man die Stadt besser mit einigen Blumen im Haar betritt. Es ist Feindesland. Alix darf niemandem trauen, erst recht keinen Chinesen, denn diese sind die schlimmsten Kapitalisten von allen. Ihr Auslandseinsatz gestaltet sich sehr bald schon gefährlicher als ihre vorherigen Aufgaben. Rousseau, der Franzose, ist ein strenger Lehrer, aber Alix muss feststellen, dass sie nicht die eiskalte Mörderin ist, wie es der Große Steuermann von ihr verlangt.
Oder besser, wie es seine ihm dienenden Untergebenen verlangen. Wie überall sonst werden Gunst und Missgunst verteilt, sind persönliche Vorteilsnahmen im Kommunismus ebenso präsent wie anderswo auch. Ausgerechnet Rousseau, der als Langnase eigentlich jegliches chinesische Klischee erfüllen sollte, stellt sich als würdige Stechfliege heraus, die ihrem Auftrag ohne Wenn und Aber nachkommt.
Die Zeichnungen mögen täuschen, aber die Geschichte um Die weiße Tigerin nimmt sich ziemlich ernst. Nicht nur Mord und Totschlag, die berühmten Geheimdienstaktivitäten der 50er Jahre bzw. des Kalten Krieges, auch alte Gräueltaten kommen ans Licht und erschüttern insbesondere Alix, die sich hier verstärkt mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss, als es für zu wählen heißt. Entweder nimmt sie Rache am Mörder ihrer Mutter oder sie dient dem Großen Steuermann wortgetreu.
Conrad bleibt natürlich nicht vollständig ernst. Eine Figur wie Rousseau karikiert einen Schauspieler wie Jean Reno. Chinesische Weisheiten lassen allerhand Spielraum zur Interpretation (um die Wahrheit zu sagen, habe ich kaum eine davon verstanden) aber gerade das macht den humoristischen Reiz aus. Hier stehen kleine Albernheiten, leicht erotische Verspieltheiten neben vielerlei knallharten Agentenszenen, die auch in einem ganz normalen Action-Film denkbar wären. Conrad gestaltet eine sehr liebenswerte Hauptfigur, die sich lange weigern kann, die Fünfte Glückseligkeit anzuwenden.
Grafisch wird der klassische frankobelgische Cartoon-Weg weiterbeschritten. Stark angedeutete und reduzierte Figuren stehen neben einer sehr schön ausgearbeiteten Kulisse nebst Fahrzeugen und Ausstattung. Die prachtvollen Farben auf dem in Posterqualität gestalteten Titelbild geben ein leicht falsches Bild. So düster die Geschichte überwiegend ist, so sind es auch die farblichen Stimmungen. Seitengassen, Spelunken, Hinterzimmer, eine gefährliche Nacht am Strand bilden einen starken Gegensatz zu den lichten Momenten. Aber jegliche Farbstimmung ist stets kräftig und mitreißend.
Weitaus weniger Komödie als knallharter Agententhriller mit einer sehr sympathischen Hauptfigur. Zeichner Didier Conrad hat die alleinige Umsetzung der weißen Tigerin übernommen und führt die Geschichte auch ohne Yann sogar sehr spannend fort. 🙂
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Sonntag, 04. Januar 2009
Die Kinder sind allein. Immer noch. Dodji, derjenige, der viel zu erwachsen für sein Alter ist. Terry, der kleinste von ihnen, der gar nicht genug Spielzeug sammeln kann, da ihn kein Erwachsener mehr daran hindert. Leila, die versucht, sich zusammenzureißen. Yvan, der nicht aufgibt und eine Telefonnummer nach der anderen ausprobiert und schließlich Camilla, ein wenig schüchtern und mit einem großen Herzen versehen. Sie haben Zuflucht in einem Hotel gesucht. Fünf Kinder können in diesem palastartigen Haus schalten und walten, wie sie wollen. Und obwohl sie auch einsam sind, genießen sie die Situation ein wenig.
Gefahren sind vorhanden, aber die Kinder haben schon gelernt, damit umzugehen. Die freilaufenden Tiere, aus einem ehemaligen Zirkus entkommen, wurden mit Sperren daran gehindert, in die Nähe des Hotels zu kommen. Ein Wettrennen mit einem Nashorn, was an einer solchen Sperre aufgehalten wird, ist eher aufregend als furchtbar. Eines Tages allerdings, aus einer Spiellaune heraus, begehen sie einen Fehler. Es ist nur ein Schuss, aber dieser geht in die falsche Richtung. Plötzlich haben die fünf Freunde einen Gegner, mit dem sie nicht gerechnet haben.
Der Mensch gewöhnt sich an eine Situation und er lernt, sich zurecht zu finden und das Beste aus einer Lage zu machen. Überleben lautet die oberste Priorität der fünf kleinen Helden wider Willen. Das haben sie bisher gemeistert, aber ihre Gegner waren auch nur Tiere. Jetzt tritt ein Mensch gegen sie an: Der Herr der Messer. Seine Motive … Es sind keine erkennbar, wenigstens für die Kinder nicht (für den Leser schon), die sich zum ersten Mal in ihrem Leben gegen jemanden wehren müssen, der sie töten will.
Fabien Vehlmanns Szenario läuft eigentlich der künstlerischen Gestaltung etwas entgegen. Der Humor bricht hier nur zeitweise wie in einem Cartoon durch. Der Grundgedanke – hier noch stärker als im ersten Band – ist sehr ernsthaft angelegt und könnte, entsprechend gezeichnet ein noch breiteres Publikum ansprechen. Vorbehalte könnten durch den Cartoon-Look entstehen, so dass nicht angenommen wird, es handele sich um eine erwachsene Geschichte, sondern vielmehr um ein Kinderabenteuer mit Paris als großem verwaisten Spielplatz.
Dem ist aber nicht so. Vehlmann nimmt sich der eigenverantwortlichen Kinder an, die vermehrt auf sich gestellt sind, die vernünftiges Handeln entwickeln müssen. Dodji, der älteste der Gruppe, aus dem Waisenhaus stammend, ist das Paradebeispiel, fast schon vernünftiger als so mancher Erwachsene in dieser Situation. Die Unvernunft seiner Gefährten ärgert ihn, verlasst ihn beinahe, die anderen zu verlassen und sein Glück alleine zu versuchen. So ist es denn auch wirklich diese Unvernunft, die die Gruppe erst in die Schwierigkeiten bringt, die zum Ende des Bandes aufgeklärt werden.
Der Zeichenstil von Bruno Gazotti soll nicht schlechtgeredet werden, ganz im Gegenteil, doch er kann – muss nicht – Missverständnisse produzieren und so Leser außen vorhalten, die sich ansonsten für diese spannende Geschichte interessieren würden. Vielleicht kann der Ausdruck der Figuren hier durch den Zeichenstil noch besser transportiert werden. Cartoon-ähnliche Mimiken erlauben ganz andere, auch deutlichere Ausdrücke, als es Realzeichnungen in Comics gemeinhin vermögen. Der Strich sitzt in jedem Bild auf dem Punkt. Gazotti wäre mit seiner Technik auch ein guter Zeichner für Klassiker wie Spirou + Fantasio oder Lucky Luke.
Der Herr der Messer betritt das Szenario optisch wie einer der vielen Slasher-Gestalten, eine vermummte Gestalt im Kerzenschein, die eine Tür zu einem einzelnen Zimmer öffnet. In einem Film würde nur allzu deutlich, was sich hier anbahnt, denn Boden und Wände sind über und über mit Hieb- und Stichwaffen ausgelegt und behängt. Für einen Comic in dieser Optik will man diesen Gedankengang als Leser zuerst nicht wahrhaben. Und doch sehen sich die Kinder bald einem erbarmungslosen Killer gegenüber … Oder doch nicht?
Noch größere Spannung als im ersten Band, eine erwachsene Geschichte im Cartoon-Gewand, ungewöhnlich, gruselig, mit sympathischen Hauptfiguren, die einem noch ein wenig mehr ans Herz wachsen als zuvor.
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Samstag, 03. Januar 2009
Alix Yin Fu wähnte sich gerade noch in einer guten Ausgangsposition. Sie hat die Atombombe gefunden, der dumme Engländer Sir Francis liegt bewusstlos zu ihren Füßen. Sie hat ihre Aufgabe als chinesische Agentin perfekt erfüllt. Der Erfolg macht sie einen Moment unaufmerksam. Und schon ist sie es, die bewusstlos ist. Kurz darauf liegt sie auch noch gefesselt auf dem Bett des Engländers. Alix macht sich berechtigte Sorgen, um ihre Jungfräulichkeit – doch auch nicht allzu lange, denn noch ein wenig später kommt jemand hinzu, der alles ändert: Sir Francis’ Mutter.
Hongkong ist hier der Tummelplatz der Weltmächte – und solcher, die sich dafür halten. Die Engländer, die Chinesen und natürlich die Amerikaner kennen nur ein Ziel: Den Fund der verlorenen Atombombe. Gerät sie in die falschen Hände könnte es zu einer Katastrophe kommen. Leider sind alle Beteiligten irgendwie neben der Spur, wie es so schön heißt, weshalb die Atombombe zu einer Art Wanderpokal wird, der sich mal hier oder mal dort befindet, nur nicht in den Händen, in denen er eigentlich gehört.
Yann und Conrad haben nach einem sehr spaßigen Auftakt über die chinesische Agentin Alix Yin Fu die Humorschraube noch weiter angedreht. In diesem Band wandeln sie auf den schwarzhumorigen Spuren eines Alfred Hitchcock, dem es auch trefflich gelang, Spannung mit Witz zu verbinden. Sex und Tod, durchaus legitime Mittel im Agentenkrieg, werden hier recht überzogen. James Bond, zwar auch ein Agent im Geheimdienst ihrer Majestät, hätte mit seinem Sexappeal ziemlich das Nachsehen, da er bei weitem nicht der einzige ist, der dieses Blatt ausspielt.
Alix, eigentlich sehr freizügig gekleidet, legt auf diese Karte überhaupt keinen Wert. Im Gegenteil ist es für sie viel erstrebenswerter – weil für ihre Karriere von Vorteil – eine Jungflau zu bleiben. Nachdem sich die Mutter von Sir Francis durch eine chinesische Bedienstete davon überzeugt hat, dass dieses fremde Mädchen nichts mit ihrem Sohn hatte, greift sie selbst in den Fall ein.
Mutter! Mutter! Was hast du? Sag doch was, bitte!
Ihh … Ihh … I … Idiot!
Francis’ Mutter, eigentlich eher eine Frau, die das Heft in einer Beziehung in der Hand hält, gerät ausgerechnet durch ihren Sohn doch noch in eine Situation, in der ihr die Zügel zu entgleiten drohen. Als Leser mag man sich in diesem Moment über den Witz dieser Situation kringeln (oder auch wundern), die nächste Blutspur wartet schon auf der nächsten Seite, um die Spannung weiter anzutreiben.
Grafisch wird ein einfacher Cartoon-Weg beschritten, der aber nur derart schlicht gegangen werden kann, wenn diese Technik auch beherrscht wird. Es gibt durchaus Beispiele anderer Zeichner, wo es nicht funktioniert. Didier Conrad beherrscht den leicht ausschauenden Strich perfekt. Es zeigt sich, dass für eine solche Szenerie keine aufwändigen Bilder notwendig sind, aber das wenige, was zum Aufbau der Grafiken nötig ist, muss sitzen.
So springt Conrad ein wenig. Er hält Gesichter und Körper schlichter, besinnt sich aber bei der Umsetzung von Ausstattung – Fahrzeuge, Architektur, Waffen etc. – auf eine größere Genauigkeit, auf mehr Realismus. Gesichter karikiert er gerne, auch auf die Art, wie es ein Hergé oder ein Marc Sleen machte. Ausgerichtet sind die Bilder, wie auch die Erzählung auf ein erwachseneres Publikum, das auch mit den etwas derberen Scherzen umzugehen weiß – von den sehr schwarzhumorigen Witzen ganz zu schweigen.
Eine gelungene Fortsetzung zu Im Geheimdienst des großen Steuermanns, besser noch als der Auftakt, mit einer höheren Geschwindigkeit erzählt, trefflich gezeichnet. Ein gelungener Agentenspaß aus der Zeit, als der Kalte Krieg seine Hochzeit erlebte. 🙂
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