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Comic Blog


Freitag, 21. August 2015

BALTIMORE 1

Filed under: Horror — Michael um 16:11

BALTIMORE 1Lord Henry Baltimore erlebt die Schrecken des Ersten Weltkriegs hautnah auf schlammigen und blutüberströmten Schlachtfeldern mit. Eines Nachts, dem Tode nah, schlägt das Grauen mit aller Macht zu. Der Mann, der glaubte, dem Tod längst ins Augen geblickt zu haben, steht plötzlich dem Übernatürlichen gegenüber: Vampire. Die Kreaturen fallen des Nachts über die Schlachtfelder her und berauben die bereits Verstorbenen und die tödlich Verletzten ihres Blutes. Baltimore will sich nicht kampflos ergeben, will nicht als Nahrung für dieses Ungeheuer dienen. Mit letzter Kraft bäumt er sich auf und ergreift ein in der Nähe liegendes Bajonett. Ein Hieb mit der langen Klinge hinterlässt eine tiefe Wunde im Gesicht des Angreifers. Die Monster ziehen sich zurück. Vorerst.

Mike Mignola schrieb vor einigen Jahren zusammen mit Christopher Golden über Lord Baltimore, den standhaften Zinnsoldaten, der einbeinig durch die Welt streift, immer auf der Suche nach dem Bösen, um es endgültig aus dieser Welt zu vertreiben. Die Geschichte wurde nun mit Zeichner Ben Stenbeck und Kolorist Dave Stewart, einem Veteranen in den geistigen Welten von Mike Mignola in eine reine Comic-Form übertragen. Bereits damals steuerte Mike Mignola Illustrationen in seiner gewohnten Manier zum Baltimore-Universum bei. Ideen zum Aussehen dieser Schauermär existierten also schon.

Eine düstere Epoche, obwohl historisch nur kurz an Jahren, breitet sich vor dem Leser aus. Aus der Verteidigung gegen einen Vampir wird eine Kampfansage und der Ausbruch eines noch zerstörerischen Krieges gegen die gesamte Menschheit. Eine starke Schattengebung zeichnet die Arbeiten von Mike Mignola seit langem aus. Da er grafisch seit Jahren kürzer tritt, sind ihm Künstler gefolgt, die seine Visionen stilistisch ähnlich auszuführen vermögen, ohne ihre eigene künstlerische Identität zur Gänze aufzugeben. Ben Stenbeck trifft den Ausdruck Mignolas, ohne dessen abstrakten Vorgaben zu sehr zu befolgen. Stenbecks Arbeiten sind realistischer, lassen den Zuschauer näher an das Grauen dieser gezeigten Welt heran.

Atmosphärisch findet sich der Leser in der guten alten Zeit der Horrorunterhaltung wieder. Es fühlt sich nach Hammer Productions an, nach Edgar Allan Poe und H. P. Lovecraft, nach Ray Harryhausen. Mike Mignola hat neben seiner Begeisterung für übernatürliche Legenden häufig bewiesen, wie sehr er klassische Erzählumgebungen einer modernen Kulisse vorzieht. So bewegt sich Ben Stenbeck bildhaft in Gegenden, in den Dracula gleich hinter der nächsten Ecke hervorspringen könnte. Die Riesenkrabben am Strand können als Hommage an Ray Harryhausen verstanden werden oder als Hinweis auf eine denkwürdige Szene, die Stephen King für den Revolvermann erdacht hat.

Direkt und überhaupt keine Anspielung mehr ist der Auftritt von Edgar Allan Poe selbst, wenn auch nur als Kopf. Ebenso ist der Auftritt des Roten Todes ein weiterer Hinweis auf den Gruselmeister und sein Schaffen, das Mignola und Golden hier zitieren wie auch weiterentwickeln.

Moderne Monster, interessante Neuerfindungen und die gruseligsten Nonnen, die je eine Horrorerzählung bevölkerten. Wenn das Böse um seine schlechten Qualitäten weiß, sich selbst der Bestrafung zuführt, dann entstehen starke Momente, gruselige, gepaart mit Traurigkeit. Natürlich sind die hier auftretenden Wesen, von klassisch (Vampire, Werwölfe) bis kultig anders, auch brutal und gehen nicht gerade zimperlich mit ihrer Beute um. Aber im Zuge einer reduzierten Darstellung wird auch nicht jedes Detail von Ben Stenbeck hervorgezerrt. Wichtiger ist die Gestaltungsfreude, mit der die Horrorgestalten entworfen werden. Von der Arbeit Mike Mignolas her ist der Fan bereits in dieser Hinsicht verwöhnt. Stenbeck muss sich hinter dem Meister nicht verstecken. Zahlreiche Entwurfsskizzen bieten einen Blick auf die Entstehung mancher Figuren. Dabei sieht der Leser, wie gut sich Stenbeck auf jedwedem grafischen Terrain zu bewegen versteht, ob es nun Monströses ist oder ein neu auftretender menschlicher Charakter. Besonders eindrucksvoll sind jene Untoten, die mit Tiefsseetauchanzügen bewehrt ihre Ziele angreifen.

Der Feind meines Feindes ist nicht mein Freund. So könnte man angesichts der Figur von Vater Andre Duvic behaupt, eines Richters der Neuen Inquisition, sich sich gleichfalls auf der Jagd befindet. Gnadenloser noch als Lord Baltimore ist es eine Frage der Zeit, bis die beiden sozusagen ein grandioses erstes Finale bestreiten, bevor Baltimore dem eigentlichen Ziel seiner eigenen Jagd begegnet. Sind die Akte bis dorthin schon sehenswert, bietet der Schluss eine fiebrig spannende Atmosphäre, die über eine weite Strecke bis zum Ende gehalten wird.

Eine prachtvoll gruselige Erzählung, sehr komplex, mit einer charakterlich verhärteten Hauptfigur, deren Ausstrahlung man sich dennoch nicht entziehen kann. Viktorianisches Flair mit modernen Anklängen, stark mit gekonntem Wissen für das Tempo einer Handlung erzählt. Sehr schön. 🙂

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