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Comic Blog


Freitag, 31. August 2012

Das Nest 6 – Ernest

Filed under: Abenteuer — Michael um 13:59

Das Nest 6 - ErnestMarie ist fort. Immer noch. Sie scheint auch keineswegs daran zu denken, ihren Aufenthalt in Montreal abzubrechen. Das Verhalten der übrigen Dorfbewohner, die ihr die kleine Affäre sehr nachgetragen und vorgeworfen haben, hat sie in diesem Entschluss nur bekräftigt. Langsam aber, aus der schlichten Notwendigkeit heraus, erkennen die Dörfler, was sie in ihrer Scheinheiligkeit angerichtet haben. Marie führte den Dorfladen. Sie besaß den einzigen Lieferwagen. Sie holte die Waren für alle ins Dorf. Nun, da sie fort ist, vielleicht für immer, sollte es ihr in Montreal allzu gut gefallen, hat das Nest ein echtes Problem.

Regis Loisel und Jean-Louis Tripp haben gemeinsam eine Serie geschaffen, die sich sehr stark auf das menschliche Miteinander konzentriert, ohne ins Boulevardtheater abzurutschen. Sie beschreiben eine Zeitenwende, ohne nostalgisch zu sein. Inzwischen haben sich alle Figuren mehr als nur vor den Augen des Lesers emanzipiert und bewegen sich mit außerordentlicher Leichtigkeit durch die Geschichte, die nicht nur vom Zwist der Leute lebt, sondern auch von sehr realen Problemen erschüttert wird. Die Waren können auch auf anderem Wege ins Dorf gelangen. Die Menschen verharren nicht, sie denken sich eine Lösung aus und gehen sie an. Wenn jedoch eine Bärenattacke ein Drama heraufbeschwört, kann selbst die stärkste Anstrengung nicht zum Erfolg führen.

Welten und Leben prallen aufeinander. Marie, die lange Zeit im Dorf verbracht hat und automatisch in eine bestimmte Richtung gelebt hat, erlebt in Montreal eine neue Freiheit. Diese mag in Gedanken vorhanden gewesen sein, doch ausgelebt ist sie nicht nur schöner, sondern macht (nicht nur vor dieser Zeitperiode) auch ein schlechtes Gewissen. Nicht, weil sie es nicht darf, sondern weil sie es sich selbst gestattet. Die Stadt, Montreal, mit seinen Vergnügungsmöglichkeiten und seiner aufbrechenden Moderne steht ebenfalls im totalen Gegensatz zum beengten und auf die Notwendigkeiten ausgerichteten Leben.

Ohne Worte. Loisel und Tripp, die beide zusammen an der Geschichte und den Grafiken gearbeitet haben, erschaffen eine zutiefst menschliche Atmosphäre, in der die Bilder einen großen Teil der Erzählung übernehmen. Szenen geben gewichtig wieder, wie sich das Leben abspielt, wo Schwerpunkte sind. Blicke, Gesichtsausschnitte zeugen von Gefühlen, Sorgen, Wünschen, Bedenken und auch Zuneigung, im besten Fall Liebe. Gespräche finden leise, sind beigefügt, fliegen mit und erdrücken nicht, lenken nicht ab.

Die Bildgebung, von Loisel choreographiert, von Tripp im Detail und feiner ausgearbeitet, mit spitzem Bleistift und feinen Graustufen, von Francois Lapierre plastisch koloriert, prall, herbstlich, wie es das Titelbild auch andeutet, bewegt sich nah an der Karikatur, aber niemals verächtlich. Jede Figur, in dieser realistisch gestalteten Umgebung, ist sicherlich überzeichnet, aber macht dem Künstler das Zeichnen leichter. Der Leser erkennt schneller und bei genauer Betrachtung sind die Mienen der einzelnen Charaktere so weit weg von der Realität auch nicht. Atmosphärisch dicht lassen die Helden den Leser, der bis hierher gelangt ist, nicht mehr los.

Die Ente, der Hund, die Katze. Ein ungewöhnliches Trio hat sich klammheimlich am Rande einen Platz in der Geschichte erobert, als kleine Beobachter wie auch als Abbild einer ungewöhnlichen Gemeinschaft, die sich zusammenrauft. Dieses Trio bleibt nicht allein und erhält nun Zuwachs. Loisel und Tripp schaffen mit der Drolligkeit dieser kleinen Szenen einen Ausgleich zur Ernsthaftigkeit der übrigen Handlung, kleine Verschnaufpausen abseits der großen und kleine Dramen.

In dieser Nische eine der besten Reihe seit langem. Mit viel Gespür für Menschen erzählt, genauem Blick, bei aller auftretender Dramatik auch sehr fröhlich, manchmal verspielt, echt, ehrlich. Die Gestaltung durch ein eingespieltes Künstlertrio ist inzwischen beispielhaft, beispielhaft gut. 🙂

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