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Comic Blog


Montag, 02. Juli 2012

Der Spieler

Filed under: Biographie — Michael um 16:03

Der SpielerAlexej Iwanowitsch liebt Polina. Polina aber, die Stieftochter des Generals, ist berechnend. In ihrer Welt ist Liebe eine Illusion, auch eine Währung, aber Liebe, so hat sie es gelernt, ist niemals einfach nur Liebe. So steht denn bei der Wahl des Verehrers, des Siegers um das Wettrennen mit dem Ziel Ehe, auch nicht nur Stattlichkeit im Vordergrund. Geld ist der Antrieb. Für den General, der bereits alles verpfändet hat, was er nur zu verpfänden hatte, ist Polina eines der letzten Tauschobjekte. Und die junge Frau selbst ist längst in dieser Welt aus Taktiererei und Gier gefangen. Die ehrliche Liebe, mit der sich Iwanowitsch zum Narren macht, ist für sie ein Störenfried, eine Ablenkung, eine Puppe, die unter den ungeschickten Händen eines Kindes ihren Kopf verliert.

Die russische Seele ist voller Schwermut und Weltschmerz. Sie giert nach Liebe und Leben und verliert sich in den Sehnsüchten, während das Leben an ihr vorüber zieht. Dies wäre ein Fazit der vorliegenden Geschichte nach der Vorlage eines Romans von Fjodor Dostojewski mit dem Titel Der Spieler. Alexej Iwanowitsch ist ein Hauslehrer, der aus Liebe zum Spieler wird, vielleicht die Sucht schon in sich trug, vielleicht angesteckt wurde. Am Ende, einem sehr bitteren Ende, mit einem boshaften, auch sezierenden Blick auf die menschliche Seele, nicht ausschließlich die russische, spielt all das keine Rolle mehr. Autor Stephane Miquel adaptiert den berühmten Roman Dostojewskis für das Medium Comic. Loic Godart vermittelt Zeitgeist und Atmosphäre mit einer Optik, die aus der Schule eine Otto Dix entstammen könnte.

Als Leser, der nach Identifikationsfiguren sucht, hat man es sehr schwer in dieser Geschichte. Vielleicht entdeckt man Ähnlichkeiten in diesen Figuren, zu sich selbst oder zu anderen. Es ist, möchte man behaupten, eine Gesellschaft voller Lebensüberdruss, in der das Risiko im Spiel gesucht wird. Das eigene Schicksal wird vom Verlauf der Kugel (auch im doppelten Sinne) abhängig gemacht. Alels wird auf eine Zahl, eine Farbe oder die Null gesetzt. Für jene Spieler steht am Ende der Verlust des Vermögens, des Selbstwerts, des Lebenssinns. Gewinner sind die Zuschauer am Rande, die sich nicht weiter einmischen, die ein bürgerliches Leben führen, das den Spielern zu schnöde ist.

Alle warten auf den Tod. Eigentlich auf den Tod einer Erbtante, denn ihr Vermögen soll der Retter in der Not sein. Doch die Tante stirbt nicht (zunächst), kommt vielmehr nachsehen, wo denn ihre Verwandten ihr Leben fristen und verfällt selbst der Spielsucht, die den Einstieg wie jede Sucht allzu leicht macht. Die Verfremdung in Form und Farbe, die Dank der Kunst von Loic Godart das Seelenleben der verschiedenen Charaktere gnadenlos enthüllt, lässt einen Alptraum entstehen. Die Menschen sind hier eher Zerrbilder, wie in einem Spiegelkabinett. Sie sind einfach, tragen ihren Charakter im Gesicht, in der Haltung, im irren Blick oder in ihrer Verlorenheit. Nicht viele gehen stark durchs Leben. Die meisten sind im dünnen Strich, der kargen, stets atmosphärischen Farbgebung der Schwäche und der Depression preisgegeben.

Vielleicht (ein sehr großes Vielleicht) möchte der Leser Mitleid mit den Figuren haben, doch sie sind alle zu große Egoisten, Egomanen, als dass einem dies gelingen könnte. Selbst der Hauslehrer Iwanowitsch, der das Treiben durchschaut, spielt seine Rolle weiter und weiter bis zum Untergang. Obwohl es sich um das Roulettespiel dreht, ist es eher russisches Roulette, bei dem der Hauptspieler ein seltsames Glück hat, am Ende noch auf den Beinen zu sein.

Das Schlimmste aber, oder das Wundersamste, ist dies: Bis heute kann ich mir mein Verhalten nicht erklären. So berichtet es Alexej Iwanowitsch gleich zu Beginn. Nach der Lektüre kann der Leser dieser Aussage nur folgen. Mag er seine Ideen haben, so bleibt es doch beim Kopfschütteln über diese Menschen, die wie Kaninchen angesichts von aufblendenden Scheinwerfern auf der Straße verharren und sich überfahren lassen. Neben all Lupenblicken auf die Charaktere ist es auch eine Schau einer Epoche, einer besonderen Schicht, gesellschaftlicher Aspekte und kultureller Eigenschaften, die von Godart in unbequemen Bildern gezeigt werden.

Eine hoch depressive Gesellschaft, gefangen in der eigens konstruierten Tragik: Stephane Miquel und Loic Godart transportieren den Roman Der Spieler von Dostojewski ins Medium Comic mit einer ungewöhnlich ernsthaften und enorm tragischen Handlung. Ambitioniert, dicht. 🙂

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