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Comic Blog


Donnerstag, 21. Juni 2012

Reise zum Kerguelen-Archipel

Filed under: Biographie — Michael um 17:03

Reise zum Kerguelen-ArchipelEin Zeichner kommt ins Gespräch. Ein Fotograf, so scheint es, drückt nur auf den Auslöser. Ein Zeichner nähert sich seinen Bildern, den Menschen, die darauf sind, an. Emmanuel Lepage ging auf eine Reise ans gefühlte Ende der Welt. Seine Mitreisenden wundern sich über ihr Aussehen, wenn etwas ihrer Meinung nach nicht richtig ist. Die See bleibt unbeteiligt von dem Maler, der ihre Macht einzufangen gedenkt. Und die Seevögel, in deren Mitte sich der Maler setzt, um sie zu portraitieren, klauen ihm kurzerhand seinen Wasserbehälter. Ganz nebenbei berichtet Lepage von diesem Teil der Welt, der so wenig in der Aufmerksamkeit der Weltnachrichten vorkommt und der doch Geschichte und Dramen vorzuweisen hat. Am Ende stehen viele Bekanntschaften, auch Freunde und Erlebnisse, die sich Emmanuel Lepage so vorher bestimmt nicht ausgemalt hat.

Eine Reise zu einem Flecken auf diesem Planeten und doch so weit weg. Die Terres Australes Et Antarctiques Francaises, kurz TAAF, sind ein französischer Außenposten, ferne Südgebiete und kleinste Inseln in der Nähe der Antarktis. Die TAAF bestehen aus den Inseln Amsterdam, Saint Paul, dem Crozet-Archipel sowie dem Kerguelen-Archipel, auch die Insel der Trostlosigkeit genannt. Nur wenige Menschen verschlägt es freiwillig in diese von Gott verlassene Weltecke, die Seevögeln und Pinguinen zu gehören scheint.

So ist es denn auch ein ganz besonderer Menschenschlag, der in der Abgeschiedenheit Monate verbringt, Forschungen betreibt und sich mit der Kargheit dieser winzigen Flecken im Ozean begnügt. Nicht weniger besonders sind jene, die sich auf dem Versorgungsschiff Marion Dufresne auf die weite Reise begeben und auch enthusiastische Touristen und andere Mitstreiter an Bord nehmen. Einer dieser Touristen war Emmanuel Lepage, der mit seiner Bildtechnik und leisen wie auch eindringlichen Erzählweise schon mehrfach überzeugte (Oh, diese Mädchen!, Muchacho).

Die Reise an Bord der Marion Dufresne inspirierte ihn zu einem Reisebericht, der eine Mischung aus biografischen Eindrücken, vielen Menschen, einzigartigen Orten und einer faszinierenden Natur ist. Trotz modernster Technik spielt der Mensch in diesem Teil der Welt eine untergeordnete Rolle. Wer sich hierhin begibt, muss diesen Umstand akzeptieren. Die meisten gehen noch einen Schritt weiter und suchen gerade diese ganz besondere Situation, wo sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren können. Auf dieser Reise, auf der unnötige Ablenkungen ungeheuer selten sind, gelingen nicht nur für unseren Teil der westlichen Welt ungewöhnliche Eindrücke, auch gelingt es, sich in sich selbst zu versenken, auf einer der nahezu menschenleeren Inseln unbewusst einen meditativen Zustand zu erreichen.

Emmanuel Lepage zeichnet mit schnellem Bleistift und hält den Augenblick fest. Er malt mit Aquarell eine Reihe von Charakterdarstellungen beteiligter Besatzungsmitglieder und Mitreisender. Und er malt sehr fein und fast schon ehrfürchtig die Schönheit des Meeres, die Abgeschiedenheit der Tierwelt, Überreste von Zivilisation und Industrialisierung (Stichwort Walfang) und nähert sich in den 30 Reisetagen einer unglaublichen bildhaften Ruhe an. Zeichnen beim grellen Licht der Sonne, bei bewegter See, bei Wind und Regen, fast schon Sturm. Stets dokumentiert Lepage auch, wie etwas entsteht. Während andere fotografieren, ihre Studien betreiben, wird die gesamte Umgebung, ihn selbst eingeschlossen, zum Studienobjekt.

Bemerkenswert ist Lepages genaues Auge, das die Unterschiede seiner Mitmenschen erfasst. Kleine Szenen an Bord, Rückblicke auch in ferne Vergangenheit, hin zur Entdeckung der Inselwelt, Szenen auf den Inseln mit den Tieren, die arglos auf Menschen zugehen, komplettieren mitsamt ihren Beschreibungen das Szenario, in dem so wenig zu geschehen scheint und doch von so großer Intensität ist. Ein optischer Wechsel zwischen Bleistiftskizze, Tuschezeichnung und Aquarell (auch Mischgrafiken) bietet dem Auge abwechslungsreiche und spannende Anreize.

Ein Reisebericht, ja, ist es auch ein Comic? In jedem Fall eine Bestätigung der Kunst im Comic. Technisch sehr sorgfältig, liebevoll gestaltet, intensiv von der ersten bis zur letzten Seite, optisch beinahe lyrisch. Eine Reise abseits aller Hektik, auch mühevoll. Im Bereich Comic sicherlich ein Experiment, aber ein toll geglücktes. 🙂

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