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Comic Blog


Montag, 14. November 2011

Im Schatten keiner Türme

Filed under: Biographie — Michael um 17:51

Im Schatten keiner TürmeFalls ich irgendwas gewonnen haben sollte, ist es in der Post verloren gegangen. Meint Art Spiegelman über diesen Krieg, den die USA gewonnen haben. Wie war das denn mit den Anschlägen des 11. September 2001? Man glaubte, die Welt werde untergehen. Man glaubte zu wissen, wer die Feinde waren. Nachdem der erste Schock verhallte, war man nicht mehr so sicher. Viele machten sich wie Spiegelman Gedanken über den Anschlag. Wer steckte dahinter? Man wühlte in Details. Man wurde mit Details erschlagen. Radio, Fernsehen, Internet. Fakten, Fakten, Fakten, Mutmaßungen. Paranoia ging dem Krieg voraus. Fast ging darüber die Verzweiflung über den Verlust tausender Menschen im Blick der Öffentlichkeit unter. Aber eben nur fast.

Art Spiegelman mag den ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, George W. Bush, nicht. Er nennt ihn in seiner Veröffentlichung ganz offen einen Verlierer. Er macht auch keinen Hehl daraus, was er von den Wahlen hält, die diesen Präsidenten ins Amt brachten. Leider war eben jener Präsident der maßgebliche Militärchef, unter dessen Regierung der Krieg gegen den Terror weltweit und öffentlich so richtig begann. Der 11. September 2001 wandelte das Gesicht einer Stadt, die wohl wie kaum eine andere das Symbol für Tatendrang, Fortschritt, den amerikanischen Traum ist. Folgerichtig heißt die Spiegelman-Veröffentlichung Im Schatten keiner Türme, denn die Zwillingstürme des World Trade Centers, die diesem Symbol die Krone aufsetzten, brachen durch die terroristischen Anschläge an eben jenem Tag in sich zusammen. Tausende Menschen kamen dabei ums Leben.

Nicht ein Bild ist es, das Spiegelman vermittelt, doch die Summe der Bilder, der Blick auf ein Amerika, das so ganz anders ist als der amerikanische Traum, hat wenig gemein mit dem von Gott unterstützten Patriotismus, den die amerikanische Regierung in den Krisentagen und lange danach gerne vermittelte. Zuallererst, am 10. September 2001, schlafen die Amerikaner noch vor dem Fernseher. Am 11. September sträuben sich ihnen kurz die Haare, danach schlafen sie schon wieder fest. Art Spiegelman (und man muss kein besonderer Feingeist sein, um das zu erkennen) liebt sein Land, aber der (vornehmlich) kritiklose Umgang mit Geschehnissen, ein gewisser lethargischer Absturz, wird von ihm bitter kritisiert.

Unterschwellig rührt Spiegelman auch an dem Eindruck, als habe Amerika genau auf diesen Moment gewartet. Andererseits markiert der Anschlag auch das Ende einer Art Unschuld, auf beiden Seiten (obwohl zu dem Zeitpunkt bereits genug Schlachten geschlagen worden waren). Doch für den Big Apple war es wie ein Kopfschuss, der noch Zeit zum Nachdenken ließ. Und Spiegelman denkt nach. Er zieht Vergleiche. Er fürchtet sich, spricht sich auch einen gewissen Mut zu und entdeckt auch seine selten benutzte patriotische Seite. Auf zehn Seiten entwickelt er Bildcollagen, kurze Erzählungen und Feststellungen, die seine Gedanken zeigen. Immer wieder brechen hierbei die glühenden Stahlkonstruktionen der Türme durch, von denen am Ende die Imitation eines furchtbaren Kunstwerkes am Ground Zero übrig blieb.

Die Welt geht unter! Oder doch nicht? In einem melancholischen Cartoonstil, in dem er auch alte Bekannte seiner mit einem Pulitzer-Preis belohnten Veröffentlichung Maus heranzieht, wird der Betrachter manchmal direkt angesprochen, manchmal wird er zum Beobachter gemacht. Die Zeichnungen tendieren zeitweilig zur Karikatur, manchmal greifen sie einen alten, sehr alten Cartoonstil des letzten Jahrhunderts auf, manchmal vereinfacht er die Darstellung noch weiter. Das ist einprägsam und künstlerisch.

New York! New York! Der 11. September 2001 richtete einen neuen Blick auf New York, nicht den ersten. So stellt diese Veröffentlichung neben die zehn Seiten Spiegelmans weitere, die sich mit dem Mythos dieser Millionenstadt und natürlich Amerika beschäftigen. Zwischen 1902 und 1921 erschienen die ausgewählten Tageszeitungsstrips, die merkwürdigerweise Sichtweisen vermitteln, die nach teilweise über einhundert Jahren noch nicht völlig verschwunden sind, dafür aber stellenweise (z.B. Little Nemo) ungeheuer schön angelegt sind.

2004, bei Entstehung dieses Buches, dachte Art Spiegelman noch, die Welt gehe unter. Er denkt es noch weiterhin, musste aber feststellen, dass es viel langsamer dauert. Er bezeichnet sich selbst nicht als politischen Karikaturisten, da er glaubt, dafür zu langsam zu sein. Andererseits, wie er selbst mit seiner Einschätzung der Weltuntergangsgeschwindigkeit anmerkt, manchmal ist die Geschwindigkeit bei weitem nicht so wichtig, sind viele politische Anmerkungen lange Zeit nicht verkehrt. Ein interessanter Band, von einem Spiegelman, der eindeutig Stellung bezieht. Das ist weniger Unterhaltung als vielmehr schon ein zeitgeschichtliches Dokument. Ganz besonders, da Spiegelman hiermit in den USA ziemlich aneckte. 🙂

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