Tiphanol. Im gefrorenen Zustand sieht es auf diesem gammeligen Schrottplatz aus wie eine arg beschädigte Ansammlung von Kugeln. Doch sobald sie auftauen verwandelt sich Tiphanol in eine ungeheuer gefährliche und effiziente Säure. Yoko, Vic und Khany, die in dieser Umgebung auf ihre Raumanzüge angewiesen sind, halten sich an einem Ort auf, in dem scheinbar alles zur tödlichen Falle werden kann. Kurz darauf spürt ein robotischer Arbeiter die Eindringlinge in seinem Reich auf. Wieder einmal muss Yoko Reaktionsstärke beweisen. Unter erschwerten Bedingungen können sich die Freunde gegen den mechanischen Feind verteidigen, doch das ist erst der Anfang.
Vinea, genauer die Vineaner dürften zu den besten Einfällen im Comic-Genre, aber auch im Bereich Abenteuer und Science Fiction gehören. Mehrmals beweist Roger Leloup, der Vater von Yoko Tsuno, dass eine Erzählung, in der Yokos außerirdische Freundin Khany mitspielt, alle Möglichkeiten zulässt. Leloup hat sich selbst ein Fass der Ideen ohne Boden geschaffen, aus dem er eigentlich bis in alle Zeiten schöpfen kann, denn die Grenze ist das Weltall und das ist groß …
Waren bereits die ersten Episoden mit den Vineanern phantastisch genug, kann Leloup in den vorliegenden Geschichten ohne die störende Umgebung des Planeten Erde einmal mehr auftrumpfen. Die Technik der Außerirdischen ermöglicht es dem Autor und Zeichner seine Helden stets beweglich zu halten und mit immer neuen Spielzeugen auszustatten, ein Konzept, das auch in anderen Veröffentlichungen für Überraschungen sorgt (z.B. James Bond Gadges). In den hier drei vorliegenden Episoden kann er dazu aus dem Vollen schöpfen. Als Schauplätze dienen ein sumpfiges Land mit titanischen Bewohnern (Die Titanen), eine Art intergalaktischer Schrottplatz (Der vergessene Planet) sowie eine fremdartige Unterwasserumgebung (Die Stadt des Abgrunds).
Das Design der Vineaner ist meist sehr spitz, flach, rund mit Kanten, ein Stück Zukunftssicht der 70er Jahre ist darin zu finden. Leloup ist immer um Funktionalität bemüht und versucht seinen Konstruktionen einen Sinn zu geben. Er spielt damit und hat sich ihre Funktionalitäten sehr genau ausgedacht. Man mag dieses Design mögen oder nicht, ihre optische Funktionalität rückt so in den Bereich des Möglichen und stützt so die Glaubwürdigkeit der Geschichte. So sind die Abenteuer von Yoko Tsuno, so wie diese hier auch, keine 08/15 Space Opera Märchen im Sinne eines Star Crash, sondern mit viel Herzblut gestaltete Science Fiction Märchen. Derartige Komplexität findet sich im Comic-Genre nicht oft.
Technik ist eine Sache, das Abenteuer eine ganz andere. Das Design stimmt also. Leloup ruht sich allerdings nicht darauf aus. Für ihn ist die Umgebung (die ganzen Fahrzeuge, Gebäude usw. eingeschlossen) nur eine Plattform. Hier menschelt es auf erfrischende Weise. Yokos Freunde halten zueinander, Außerirdische wie Menschen. Yoko besitzt einen verbindenden Charakter, der fast an Winnetou erinnert. Sie ist edel im Gemüt, was sogar von fremden Kreaturen wie den Titanen, die alles andere als menschlich sind, erkannt wird. Auch Roboter lassen sich von Yokos Edelmut begeistern und überzeugen. Yokos Mut grenzt manchmal allerdings auch an Übermut oder auch Wagemut. Nicht jede Aktion ist gut durchdacht. Spontanität ist eines von Yokos Markenzeichen, aber auch eine ihrer Schwächen.
Die Gefahren, denen Yoko ausgesetzt wird, sind besonders in der letzten Geschichte Die vergessene Stadt sehr groß. Hier zieht Leloup alle Register. Unterseeische angriffslustige Tiere, angriffslustige Roboter, humanoide Feinde, ein sorgfältiges Rätsel und eine untergegangene und vergessene Kultur, die der Entdeckung harrt. Auch hierin, in der Ausarbeitung des gesamten Szenarios, liegen Leloups Qualitäten als Erzähler verborgen. Manchmal beweisen Yokos Feinde (in einem Spiel würde man sie Endgegner nennen) ein gewisses Einsehen. In den beiden ersten Episoden des vorliegenden Bandes ist das der Fall. Hier allerdings geht es schlussendlich um Kopf und Kragen. Leloup verpflichtet sich keiner erzählerischen Linie, erst recht keiner, die er selbst geschaffen hat. Dazu reicht seine Phantasie viel zu weit.
Eine wunderbare Arbeit Leloups in fremden Welten. Auf jeder Seite sind die Abenteuer faszinierend. Dank eines sehr durchdachten Aufbaus, der so viele Feinheiten der Geschichte wie möglich berücksichtigt, schafft Roger Leloup eine greifbare und packende Atmosphäre. Perfekt. 🙂
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