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Comic Blog


Samstag, 15. November 2008

Punktown 2

Filed under: Comics im Roman — Michael um 18:04

Punktown 2Drew bezeichnet sich selbst als Künstler, eine Form von Fleischeskünstler. Er klont. Nicht andere, nein, denn das steht auf rechtlich wackeligen Beinen, aber sich selbst oft und für Geld. Drew spielt mit seinen Klonen. Er verändert sie. Genetisch. Chirurgisch. Er tätowiert sie. Verstümmelt. Erweitert. Er erfindet sich immer wieder neu zur eigenen Belustigung, zur Belustigung anderer. Drew schafft Monströsitäten, entlässt sie in die Freiheit, nach draußen, nach Paxton oder nach Punktown, wie sie es nennen. Er zieht sie an, entlässt sie nackt, verkauft sie, um von dem Geld zu leben und seiner Kunst zu frönen.

Irgendwann verzieht sich das Spiegelbild von Geistern, bekommt Risse. Was ist seinen Klonen nicht schon alles geschehen? Sie wurden getötet, vergewaltigt, ausgeweidet … Aus Spaß. Drew hat das alles kalt gelassen. Er hat seinen Klonen keine Gefühle und noch weniger Intelligenz mitgegeben. Sie sind weniger als Tiere und nur etwas mehr als ein Gegenstand. Eines Tages wagt er etwas Neues. Für einen Auftraggeber schafft er eine Frau, aus sich selbst. Sein weibliches Ich zieht ihn immer mehr an, fasziniert ihn, doch der Tag der Übergabe an den Kunden naht viel zu schnell.

Geschichten aus einer schlimmen, verrohten, emotional verwahrlosten Zukunft. Das ist Cyberpunk, ein wenig Splatterpunk, das ist Blade Runner hinter den Kulissen der Mächtigen. Jeffrey Thomas geht in seiner ersten Geschichte der Frage nach, was wäre, wenn der Mensch sich selber schaffen könnte, nicht andere, nein, sich selbst. Was würde er mit diesen Kopien anfangen? Die Antwort in dieser Geschichte ist erschreckend, denn die Fähigkeit zum Klonen liegt ausgerechnet in den Händen eines jungen Mannes, der sich zunehmend von der Welt abgeschottet hat.

Wer das Schweigen der Lämmer sah oder las, wird sich vielleicht an den Blutadler erinnern, den Mr. Lecter bei seiner Flucht zurückließ. Drew, der Held aus Thomas’ erster Geschichte im vorliegenden Hörstück, inszeniert etwas ähnliches mit einem (noch lebenden) Klon in seiner eigenen Wohnung. Bei aller Beschreibung, die Drew über sich selbst offenbart, ist es genau dieses Kunstobjekt, das sein wahres Seelenleben zeigt.

Jeffrey Thomas beschreibt eine Welt, in der Gefühle jegliche Ausdrucksmöglichkeit haben, aber ihre Nutzung keine letztendliche Erfüllung bringt. Hassmaschine nennt sich eine Erfindung, die in der Lage ist, die negativen Emotionen ihres Besitzers auf und in sich zu bündeln. Ihr Besitzer wird so umgänglicher, pflegeleichter, nachgiebiger. Das kleine lebende Innere des figürlichen Sündenbocks verschrumpelt nach und nach und stirbt ab. Doch was ist, wenn der Druck zu groß wird, so groß, dass selbst ein so ausgeklügeltes Maschinchen nicht mehr standhalten kann?

Thomas spürt dem Mythos des Sündenbocks nach, der hier nicht in die Wüste gejagt wird, sondern stets dabei ist. Es gibt einen fürs Büro, für die heimischen vier Wände, sogar für unterwegs, für die Manteltasche gibt es einen. Und während die einen ihre gewaltsamen Neigungen so verhindern, gehen die anderen ihren Trieben ungehemmt nach. Cardiff lässt sich von seiner Frau nach Strich und Faden betrügen, seine Tochter wird von Punks getötet, aber er selbst beherrscht sich, obwohl er schon eine Waffe gekauft hat, diese mit zur Arbeit nimmt und nur darauf wartet, sie zu benutzen.

Thomas’ Menschenbild einer fortschrittlichen Zivilisation ist furchtbar und zu vielen Zeiten in vielen Epochen denkbar. Er hat sie eher zufällig und für vielfältigere Situationen in der Zukunft angesiedelt. Die Auslöser der Geschichten und die Psyche ihrer Protagonisten sind ähnlich auch in der Gegenwart oder der Vergangenheit denkbar. Die futuristische Atmosphäre hilft dem Hörer nur, mehr Abstand zu wahren, sich weniger in die Geschichten hineinzudenken – was gut ist, da Thomas den gemeinen inneren Kern des Typus Mensch trifft und festhält.

Die Stimmen – in den ersten beiden Geschichten absolut toll: Gerrit Schmidt-Foß als Drew und als verzweifelter Cardiff Jürgen Holdorf – klingen innerlich zerrissen, sie packen, ziehen einen herunter – was furchtbar ist – weshalb man sich nur eine Geschichte am Tag zu Gemüte führen sollte und nur, wenn gute Laune vorherrscht. Wer in düsterer Stimmung ist und sich aufheitern will, ist bei diesen Geschichten am falschen Platz.
Die gesamte Inszenierung lässt Punktown vor dem inneren Auge erstehen, vielleicht verleitet es auch dazu, zu bekannten Optiken wie Blade Runner abzudriften. Einerlei ob die Phantasie oder das Gedächtnis bemüht wird, der Klang baut im Geiste ein großartiges Gebilde.

Grimmig, gruselig, in Abgründe eintauchend, das ist Jeffrey Thomas, dessen Geschichten hier einmal mehr eine originelle Lebendigkeit erfahren und das Dunkle seiner Geschichten noch mehr verdüstern. 🙂

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2 Comments »

  1. […] schöne Rezi zu Punktown 2 gibt es im Comicblog. Mittlerweile hab ich die drei Geschichten durch und bin sehr angetan davon. 16. November 2008 | […]

    Pingback by comme il faut » Rezi Punktown 2 — Freitag, 13. August 2010 @ 23:12

  2. […] schöne Rezi zu Punktown 2 gibt es im Comicblog. Mittlerweile hab ich die drei Geschichten durch und bin sehr angetan davon. Veröffentlicht am […]

    Pingback by Rezi Punktown 2 | Abseitiges – Bizarre Abenteuer mit Tom — Montag, 30. März 2015 @ 13:57

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