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Comic Blog


Freitag, 23. November 2007

Albatros 1 – Shanghait

Filed under: Abenteuer — Michael um 19:05

Albatros 1 - Shanghait1890. Ombeline arbeitet in einem zweifelhaften Etablissement von Madame Couradille. Sie ist vierzehn und ein halbes Jahr alt. Obwohl sie noch ein Kind ist, weckt sie die Begierde des örtlichen Kommandanten, der das Mädchen zu sich rufen lässt.
Grayson ist ein ungeschlachter Mann, der sich einen Dreck um die Gefühle anderer Menschen schert. Er zahlt und er bekommt seinen Willen. So glaubt er. Zwar bereitet Madame Couradille das Mädchen auf die Begegnung vor, aber Ombeline ist alles andere als willens, sich mit diesem widerlichen Mann einzulassen – ganz gleich, ob er bereits ihre Mutter kannte oder nicht. Ombeline beschließt die Flucht. Doch das ist leichter beschlossen als getan.

Trotzdem kann sie zwei Freundinnen zur Flucht überreden. Die drei Mädchen haben einen ungünstigen Zeitpunkt für ihren Ausbruchsversuch gewählt. Über der Stadt ballen sich düstere Wolken zusammen. Entgegen der normalen Erwartung einer Hafenstadt bestehen diese Wolken aber aus aggressiven Möwen, die sehr bald schon die Menschen attackieren. Es herrscht eine endzeitliche Stimmung. Die Menschen wehren sich, so gut sie können. Aber gegen Lebewesen, die keinerlei Wert auf ihr eigenes Leben zu legen scheinen, fällt es außerordentlich schwer sich zu wehren. Außerdem greifen die Tiere sogar Gebäude an, bringen Kamine und Dächer zum Einsturz.

Aus den drei Flüchtlingen werden ganz schnell zwei. Die Vögel, zunächst Bedrohung, verhelfen ihnen auch zur weiteren Flucht, wenngleich auch ungewollt. In dem Chaos dringen die Mädchen bis zum Friedhof vor. Es wird ihnen nur eine kurze Zeitspanne zum Ausruhen gewährt. Alsbald geschieht etwas vollkommen Unerwartetes für alle Beteiligten. Die Stimmung in der Stadt schlägt erneut um, denn diesmal gibt es einen Feind, der sich real bekämpfen lässt.

Albatros empfängt den Leser mit einem etwas surrealen Szenario. Vieles ist dem historisch Interessierten bekannt, sei es aus Dokumentationen, Romanen oder Filmen. Und doch wirkt es durch die Bedrohung durch die Möwen wie eine Szenerie aus einer anderen Welt. Die Autorin Daphne du Maurier bescherte uns mit ihrer Kurzgeschichte ein ähnliches Szenario, das später von Alfred Hitchcock unter dem einprägsamen Titel Die Vögel verfilmt wurde. Mittels dieses simplen und doch ungeheuer effektvollen Kniffs wird aus einer gewöhnlichen Welt oder Umgebung wie dieser Hafenstadt eine ganz eigene gruselige und auch furchtbare Welt. Wo die Vögel auftauchen, hinterlassen sie Tod und Zerstörung. Und niemand vermag zu diesem Zeitpunkt zu sagen, wieso.

Autor und Zeichner Vincent, der mit dieser Reihe sein Debüt vorlegt, schickt den Leser gleich zu Beginn in die bedrohliche und unheimliche Atmosphäre hinein. Die Seevögel, von den Einheimischen Seelen genannt, eigentlich durch ihre Herkunft aus den Wolken als himmlich geadelt, verwandeln sich in Monstren, denen innerhalb von drei Tagen sechs Menschen zum Opfer fallen.
Geschickt setzt Vincent dem grausamen Auftakt die Dekadenz der Stadt wie auch der Obrigkeit gegenüber. Andernorts sterben die Menschen, im Etablissement der Madame Couradille wird gefeiert. Mehr noch. Die Feiern sind nur die Spitze einer gesellschaftlichen Verkommenheit. In diesem Sündenpfuhl lehnt sich ein Mädchen gegen sein Schicksal auf, während von oben die Rache über die Stadt hernieder geht.
Nimmt man das fliegende Schiff hinzu, das Ombeline die endgültige Flucht aus der Stadt ermöglicht, fühlt man sich in der Grundkonzeption an die biblische Geschichte von Sodom und Gomorra erinnert.

Aber Vincent belässt es nicht bei der Flucht. Für die kleine Ombeline ist es zu früh, um sich in Sicherheit zu wiegen. Mit der halsbrecherischen Fahrt des Ballonschiffs kommt sogar eine Art Jules Verne-Element mit hinzu. So lässt es sich unter dem Strich behaupten, dass Albatros ein Beispiel für gute, klassische Erzählkunst in bester französischer Tradition ist.

Grafisch führt Vincent einen Charakterstrich. Jede Figur erhält ihr persönliches Aussehen, trägt ihr zwar Herz nicht auf der Zunge, so doch wenigstens im Gesicht.
Kommandant Grayson ist richtig schmierig. Ombeline blickt unschuldig aus ihren großen Kulleraugen. Madame Couradille ist knochig streng, eine knurrige alte Hexe, wie sie mancher Leser vielleicht schon selbst als Kind in Märchen fürchten gelernt hat.
Die Stadt ist trübe und dunkel, durchsetzt mit engen Gassen und Pflastersteinen. In dieser Stadt ist die Kleidung von Ombeline ein bunter Farbklecks und ihr mutiges Verhalten ein Lichtblick. Vincent positioniert sie als ein Wesen, das einfach nicht in diese Stadt gehört – allerdings bleibt es auch fraglich, ob sie an Bord dieses merkwürdigen Schiffes gehört.
Aber irgendwie ist es für die gute Ombeline wie für andere bekannte Flüchtlinge: Etwas Besseres als den Tod wird sie überall finden. Und so lässt Vincent sie auch agieren und empfinden.

Vincent gestaltet mit Ombeline eine mutige kleine Heldin, wie auch einen äußerst sympathischen Charakter, mit dem man als Leser einfach mitfiebern muss. Eine schöne gruselige, klassische wie auch herzliche Erzählung im Stile von Abenteuern, in deren Mittelpunkt ein Kind steht. Märchenhaft, grausam, mit vielen spannenden Situationen und ständig neuen Rätseln, die hoffentlich in den beiden Folgebänden aufgelöst werden. 😀

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