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Comic Blog


Samstag, 21. Januar 2006

Im Portrait: Der Autor Ben Jockisch

Filed under: Die Künstler — Michael um 2:09

Ben JockischZeichnern sagt man nach, dass jede gezeichnete Figur etwas vom Zeichner selbst hat. Gilt das auch für die Figuren, die Du in Deinen Geschichten (z.B. Stanislaus & Bundeslav oder Fregmusch und die Verpisserkönige) entwickelst?

Nur bedingt. Bei satirischen Geschichten bedenkt man die Protagonisten ja oft mit Eigenschaften, die der Autor gerade nicht zu haben meint. Aber natürlich ist es so, dass die Charaktere nichts sagen oder tun können, das sich der Autor nicht zuvor ausgedacht hat. Bei Stanislaus und Bundeslav ist es zum Beispiel ihre ganz spezielle Sprache, in der sich meine Vorliebe für Sprachspiele und absurden Wortwitz niederschlägt. In „Fregmusch“ findet sich eine Kollektion von Party-Erlebnissen, wie sie wohl fast jeder kennt, nur eben bis in den völligen Irrwitz gesteigert. Schorse, der boshafte Erzähler, der frohen Mutes eine gigantische Katastrophe anzettelt, ist vergleichbar mit einer Gestalt aus einem Schelmenroman, und hat mit mir als Autor wenig gemein. Allerdings teile ich mit meinen Protagonisten die Vorliebe für ein leckeres Bier, wenn auch kein Pilsator und auch nicht in derartigen Mengen.

In Horrorfilmen handeln die Figuren oft völlig irrational, damit sie eine spannende oder scheinbar aussichtslose Situation geraten. Unterstellt man als Autor seinen Figuren manchmal wirklich Handlungsweisen, die für den Zuschauer nicht nachvollziehbar sind oder ist das schlechter Stil bzw. Einfallslosigkeit?

Handelnde Personen, die für den Leser kaum nachvollziehbare Aktionen ausführen, oder sogar solche, die ihrem zuvor etablierten Charakter widersprechen (im Englischen gibt es dazu den schönen Ausdruck „out of character“), sind sicherlich schlecht geschrieben. Innerhalb bestimmter Genres wird das derart ausgereizt, dass es zu Parodien im Stile von „Scream“ führt, ein Film der die bekannten Klischees des Horrorfilms aufgreift und ad absurdum führt. Bei Parodien und Komödien kann eine oben beschriebene Handlungsweise also durchaus zu humorigen Situationen führen, vorausgesetzt, der Zuschauer ist mit den Konventionen vertraut. Wenn man allerdings, wie in „Scary Movie“, beginnt, die Parodien zu parodieren, dann wird es absurd und nicht sehr witzig. Wenn sich dieser Trend (siehe auch den Film „Not Another Teen Movie“) totgelaufen hat, dann kommen vermutlich Filme, die die Parodien über Parodien parodieren. Besonders einfallsreich ist das sicherlich nicht, aber durch Vertrautheit mit bestimmten ironischen Szenen aus Film und Literatur kann man ohne viel Aufwand schnell zu billigen Gags kommen. Man denke nur an die ungezählten Matrix-Parodien aus aktuellen Hollywood-Produktionen, oder sogar aus Deutschen Filmen („Der Wixxer“). Dabei ist der einzige Gag in solchen Szenen, dass ein Charakter, von dem man es nicht erwartet, den bekannten „Sprung-Kick“ aus Matrix ausführt. In meinen Stories versuche ich, auf solche „billigen Lacher“ weitestgehend zu verzichten, aber um das eine oder andere Zitat kommt wohl keiner herum.

Welche Geschichte eines anderen Autors (egal ob Buch, Film, TV, etc.) hat Dich in jüngster Zeit beeindruckt bzw. besonders berührt und warum?

Ich habe mich letztens wieder einmal durch die Stanley-Kubrick-DVD-Box geschaut und musste einmal mehr feststellen, dass es kaum einen Künstler gab und gibt, der in so vieler Hinsicht mit mir auf einer Wellenlänge zu liegen scheint. „A Clockwork Orange“ und „Barry Lyndon“ zählen nicht nur zum Besten, was dem Kino in seiner bisherigen Geschichte zugestoßen ist, sondern auch zu den gelungensten Literaturadaptionen, die man finden kann. Darüber hinaus noch „Die Nibelungen“ – Ich wünschte, der Charakter Hagen von Tronje wäre mir eingefallen.

Gibt es für Dich einen Unterschied zwischen den Geschichten, die Du für Dich schreibst und denen, die Auftragsarbeit sind (also Arbeiten, bei denen ein Thema vorgegeben ist)? Wenn ja, wie lässt sich dieser Unterschied beschreiben?

Der wichtigste Unterschied liegt nicht nur im vorgegebenen Thema – das ist ja klar – sondern auch darin, dass man für jemanden schreibt, der auch „nein“ sagen kann. Wenn ich eine Kurzgeschichte schreibe, dann schreibe ich sie primär so, wie mir sie gefällt, und muss keine Kompromisse eingehen. Bei einer Auftragsarbeit sieht das natürlich anders aus – was das Ergebnis aber nicht zwingend schlechter macht. Der 30minütige Film „Staub zu Staub“, für den ich zusammen mit dem Regisseur das Drehbuch verfasst habe, ist auch nicht in allen Punkten 1:1 umgesetzt worden – aber angesichts des fertigen Ergebnisses kann ich die Änderungen nachvollziehen, da nicht alles, was auf dem Papier funktioniert, auch auf der Leinwand hinhaut. Dieser Prozess der Zusammenarbeit ist spannend – nicht nur beim Film, sondern auch in anderen Bereichen.

Welche Charakterzüge sollte man haben, um ein guter Geschichtenerzähler zu werden?

Ein Charakterzug, der mir gefällt, wäre beispielsweise, die eigene Person nicht allzu offensichtlich in die Werke einzuflechten, sondern als Autor hinter die Werke zurücktreten zu können. Zu viele Autoren betreiben eine Art Personenkult um sich selbst, was einerseits oft bedeutet, dass sie nicht genügend abstrahieren können, andererseits auch ein wenig kläglich wirkt, wenn es sich dabei um völlig unbekannte Nischenautoren handelt, die ihre Texte ausschließlich auf ihren eigenen Websites veröffentlichen. Und im Internet gibt es genug davon. Viele Autoren betreiben eine Art aggressiver Eigenwerbung nach dem Motto: „Je durchgeknallter ich mich gebärde, desto glaubwürdiger werde ich als Autor und desto interessanter werden meine Geschichten“ – weil ja ein echtes Genie bekanntlich immer auch verrückt ist. Viele fangen leider mit dem Part des Verrücktseins an und wissen dann nicht mehr weiter.

Quelle: Pau Pau Productions
Interview-Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung