Jesse Custer reist nach Frankreich. Wenn man als Amerikaner nicht romantisch veranlagt ist, hat einem Frankreich wenig zu geben, aber Custer ist nicht in romantischer Mission unterwegs, obwohl ihn seine Freundin Tulip O’Hare begleitet. Custer hat nur ein Ziel. Er will seinen alten Freund Cassidy retten – einen Vampir.
Eine Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Diese beginnt mit Warten. Am Flughafen JFK geht nicht alles so reibungslos vonstatten. Als Custer sich die Zeit mit einem Drink vertreibt, hat er eine unerwartete Begegnung mit einem alten Kriegskameraden seines verstorbenen Vaters. Jetzt endlich, nach derart langer Zeit, erfährt er endlich mehr über den Mann, den er bereits als Kind verlor und von dem er bisher so gut wie nichts wusste.
Vietnam. Das ewige Trauma. Custers Vater gehörte zu einer der vielen kleinen Einheiten, die eines Tages auf Patrouille in den Busch ziehen. Sie finden ein Dorf. Leer. Der Vietcong hat es verlassen. Ein mieser Befehl zwingt drei Freunde in das Dorf. Es kommt, wie es kommen muss. Einer stirbt. Die Befehlshaber sind schuld. Manches erledigt sich von alleine, manches nicht. Es ist Krieg. Und niemals weiß man so genau, woher die Kugeln kommen.
So schlimm die Erinnerungen an die Vergangenheit des Vaters sind, wenn Custer dereinst von seinen Erlebnissen erzählt, wird er dem Grauen, was seinem Vater widerfuhr, in nichts nachstehen. Denn in Masada ist alles anders.
Starr hat die Organisation nicht mehr im Griff. Alles, buchstäblich alles, begonnen bei seiner eigenen Libido, scheint ihm immer mehr zu entgleiten. Genau zu diesem Zeitpunkt, als in den Kellergewölben der Festung ein besonders heikler Gast beherbergt wird, zusätzlich zu einem nicht alltäglichen Vampir, kündigt sich das Oberhaupt ihrer Bewegung. Jetzt endlich wird das gesamte Ausmaß der Verderbtheit und der Inzucht ihrer Bewegung sichtbar. Custers Eintreffen kommt dem Stich in ein Wespennest gleich und alles gerät aus den Fugen.
Sie kamen nach Masada fasst in der dritten Sammelausgabe von Preacher die Ereignisse um die Rettung von Cassidy, dem Vampir, zusammen. Zwei kleine Schlenker bringen außerdem auf einerseits furchtbare wie auch vergnügliche Weise Licht ins Dunkel der Vergangenheit.
Masada, die letzte Bastion der Hebräer gegen die römischen Invasoren, lautet auch der Name einer geheimen Einrichtung in Frankreich, wo unter dem Deckmantel einer verqueren religiösen Ansicht nur nach der ultimativen Macht gegriffen werden soll. Leider ist der künftige Messias ein debiler Idiot, dem die Inzucht die letzte Intelligenz und das letzte Quentchen Mitgefühl ausgetrieben hat.
Masada wird für Custer nicht nur zu einer Rettungsaktion, es wird zum Teil auch ein Blick in seine Vergangenheit. Viel länger, als er es selbst geglaubt hätte, wird er beobachtet. Seine Großmutter ist die Tante des derzeitigen Oberhaupts des Grals, jener merkwürdigen Geheimgesellschaft.
Es ist wieder einmal der überbordenden Phantasie und der komplexen Planung von Garth Ennis zu verdanken, dass Preacher so ungeheuer fesselt. Ennis versteht es in einer kleinen abgeschlossenen Episode (zu Beginn und zum Ende des Bandes) ebenso die Handlungsabschnitte in der richtigen Portionierung zu servieren wie in einem übergreifenden Handlungsbogen.
Vietnam, das amerikanische Trauma, wird hier in einer Episode dargestellt, die ebenso ein Oliver Stone in einem seiner Vietnam-Filme wie Platoon hätte verarbeiten können.
Dieser Abschnitt bringt denen, die mit derlei Geschichten vertraut sind, nicht viel neues, das ändert jedoch nichts an der Intensität der Handlung, die so oder ähnlich stattgefunden haben kann. Faszinierend auch der Auftritt des Duke, der seinerzeit mit seiner Rolle in The Green Berets, jener legendären Spezialeinheit, für ein eher gespaltenes Echo sorgte.
Masada steht im absoluten Gegensatz zu der in der Vietnam-Episode geschilderten Realität. Man könnte die gezeigte Handlung mit Monty Python trifft Quentin Tarantino überschreiben. Wer sich ein solches Zusammentreffen in Thema, Humor, Action und Handlung ausmalen kann, kommt der prallen und sehr skurrilen Geschichte sehr nahe.
Die Charaktere stützen die Geschichte.
Da ist der Killer, dem ein kleines anatomisches Anhängsel fehlt, und der deshalb Gott und die Welt dafür bestrafen möchte. Da trifft es sich, dass er einem Vampir begegnet, dessen Wunden heilen und der so unendlich oft und lange gequält werden kann.
Da ist der Sonderbeauftragte des Grals, Starr, der sich bis vor kurzem noch als normaler Mann wähnte und nun dabei ist, die Seiten zu wechseln.
Da ist ein gestürzter Engel und der Herr persönlich, beide eingeschüchtert von Custer, der mit seiner Fähigkeit, das alles befehlende Wort auszusprechen, für beide eine Bedrohung darstellt. Wann war Gott zuletzt auf der Flucht vor einem Menschen?
Zwischen wirklich blutiger Action trägt abgrundtiefer bitterböser Humor den Leser zur nächsten Szene, amüsiert, vielleicht auch schockiert, ungläubig lesend, vielleicht auch schallend lachend über so viel Absurdität, aber immer daran interessiert, wie es weitergehen mag.
Auf seine Art fasziniert Preacher, da sich die Geschichte in kein Korsett zwängen lässt. Die gute Zeichenkunst eines Steve Dillon und die Spitzen-Cover eines Glenn Fabry machen Preacher zu einer runden Sache. 🙂
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