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Comic Blog


Samstag, 13. September 2025

CRIMINAL – DELUXE EDITION Band 1

Filed under: Thriller — Michael um 16:43

CRIMINAL – DELUXE EDITION Band 1Männer sind Schweine! Sie hat es früh gelernt. Mit der ersten Spritze voller Heroin, dem Angriff, der erzwungenen Operation, dem Verlust. Es spielt keine Rolle, ob die Kerle zu den harten Brocken gehören oder den aus dem Leim gegangenen Waschlappen. Am Ende wollen sie von ihr nur eines. Was sie immer wollen. Inzwischen ist sie nicht mehr hilflos. Sie hat eine Knarre. Und benutzt sie, wenn ihr einer der Typen auf die Pelle rückt. Und sie lernt die Bentzung anderer Waffen, naturgegebenen. Und je mehr sie lernt, desto tiefer taucht sie ab…

Gangster werden von ED BRUBAKER (Autor) und SEAN PHILLIPS (Illustrator) todernst genommen. Einige Zeit waren Gangster Witzfiguren. Brutal, durchtrieben, gar nicht mal dumm, aber sie waren in Comics eher Karikaturen. ED BRUBAKER und SEAN PHILLIPS tauchen tief ein ins kriminelle Leben, nehmen den Leser mit zu den Jobs der Halunken, hin zu ihren Glaubenssätzen, Richtlinien, ihren Vorlieben, ihren Beziehungen, ihrer Szene, ihrer Welt abseitig der unseren, hinter den Kulissen. Diese Gangster sind dreidimensional, fassbar, nachvollziehbar in ihren Motiven, man kann sie teilweise sogar mögen.

In einer Welt, in der es nie so richtig hell werden will, die Sonne nicht wirklich den Durchbruch schafft, sich das Leben im Zwielicht abspielt, kann niemand dem oder der anderen wahrhaftig trauen. Los geht es mit FEIGLING. Dieser Gangster nimmt nie eine Schusswaffe mit zur Arbeit. Und er ist derjenige, der den Job überlebt. Das hat ihm einen gewissen Ruf eingebracht. Der steht bei Leuten, die keine Skrupel haben, Cops zu erschießen, nicht zum Besten. ED BRUBAKER und SEAN PHILLIPS haben mit dieser Geschichte einen HEIST-MOVIE auf Comic-Seiten gebannt. Wer derlei Geschichten kennt, weiß, dass so ein krummes Ding bei der besten Planung in die Hose gehen kann. Mehr noch, wenn ein paar Falschspieler das Feld zu ihren Gunsten aufmischen wollen.

Und plötzlich ist da einer, der keine Waffe in die Hand nehmen wollte, der es nun doch tun muss, weil die anderen ihm keine Wahl lassen. Weil ihm Loyalität wichtiger ist. Und alles könnte klappen, gäbe es nicht ein paar wirkliche Monster in der Unterwelt, denen Ehrbegriffe absolut fremd sind. Das ist von ED BRUBAKER in schönster FILM-NOIR-Manier erzählt, mit der Wucht eines MICHAEL-MANN-Thrillers. Man darf als Leser das Elend kommen sehen, ist so nahebei neben der Hauptfigur, dass man ihm zuflüstern möchte: He! Pass doch auf, Mann! Allerdings ist man auf seine Plätze verbannt und so nimmt das Verhängnis nicht nur sprichwörtlich seinen Lauf. Pures Drama!

TRACY ist ein harter Typ in der zweiten Geschichte, BLUTSBANDE. Er weiß es, andere wissen es und wer noch nicht so weit ist, lernt ihn kennen. Unter der stählernen Oberfläche befindet sich ein zerrissener Typ, da ist eine gewisse Moral, nicht viel. Wirklich nicht viel. Manchmal lässt er etwas zurück, das auch von einer Bestie zurückgelassen werden könnte. Wer sich in seine Welt begibt, muss damit rechnen, auf das Übelste traktiert und schlussendlich getötet zu werden. In dieser Welt gibt es Rechnungen, aber kein Mitleid. Verständnis schon eher. Wenn ähnliche Bahnen sich kreuzen. Dankbarkeit erfährt TRACY deswegen noch lange nicht. (Wer genau aufpasst, wird in TRACYs Geschichte einen alten Bekannten wiederentdecken!)

ED BRUBAKER sucht sich immer einen neuen Charakter und lässt ihn auf das Geschehen los. In BLUTSBANDE wie auch den nachfolgenden Stories findet sich eine Figur, die den Leser spüren lässt, dass dieser Charakter nicht so auf die Welt gekommen ist. Mies, schlecht, verdorben. Aber jetzt sind sie da, wo sie sind und sie haben sich damit arrangiert. Sie arbeiten ohne Gewissen, eher nach einem Kodex wie TEEG in WOLF UNTER WÖLFEN. Oder sie tun alles, um zu überleben, mit Körpereinsatz oder Knarre wie in DAS WEIB. Meistens ist Überleben das einzige, was ihnen bleibt. So betrachtet erzählt ED BRUBAKER nicht nur über eine sehr raue, lebensfeindliche Welt, er schildert sie auch bar jeder Hoffnung. Diese Figuren sind über das Ausgestoßensein weit hinaus.

In dieser verzweigten und doch in sich geschlossenen Welt, aus einer bestimmten Sicht vielleicht sogar eine Art Vorhölle braucht eine stilistische Darstellung, die dem Ganzen nicht die Ernsthaftigkeit nimmt, sondern diese noch unterstreicht. SEAN PHILLIPS zeigt uns einen reduzierten Stil, reist auf der Spur von Kollegen wie MIKE MIGNOLA (in frühen Jahren) oder FRANK MILLER. Oder wie DARWYN COOKE in PARKER (Ausschau halten nach der MARTINI EDITION!). Oder BRAHM REVEL. Er erfasst die Realität, aber mit einer ordentlichen Portion Expressivität. Beim Betrachten der Bilder fühlt man sich, vorausgesetzt derlei ist bekannt, an schwarzweiße Krimis erinnert, aus der düsteren Periode Hollywoods. Aber auch an jene expressiven Bildgewalten, die mit Filmen wie METROPOLIS einhergingen.

Nein, CRIMINAL ist nicht schwarzweiß angelegt, dennoch könnte es in dieser rein Licht-oder Schatten-Mystik funktionieren. Farben wirken hier ergänzend, verstärken Stimmungen, erhöhen die Wirkung des Schwarzweißen. Licht wirkt selten befreiend, denn zumeist fehlt ihm die Kraft, ist es Nachtbeleuchtung. Ein Brand blendet fast, die Lichter auf einem Streifenwagen spenden einen Funken Hoffnung. Oder sind ein eher finsteres Versprechen wie der leuchtende Schriftzug über einer Bar.

SEAN PHILLIPS hat diesen forschen Strich, als fehle die Zeit, genauer zu arbeiten, als müsse er den Moment erfassen. Gleichzeitig hat er sich einen filmischen Blick angeeignet. Man sollte annehmen, jeder Comic-Künstler habe sich dieses Können erarbeitet, aber weit gefehlt. SEAN PHILILIPS hingegen beherrscht diesen speziellen Look. Natürlich wird er, wenn er schon in diesem Genre arbeitet (und es ist nicht sein einziger Ausflug auf diesem Gebiet), sich mit den Techniken vertraut gemacht haben. Wie sieht der klassische Gangsterfilm aus? Und unter dem Strich geht es mehr in die Richtung eines FRENCH CONNECTION als eines MALTESER FALKEN. Es gibt keine Übertreibungen. SEAN PHILLIPS zeichnet ganz normale Leute. Seine Gangster könnten Abbilder echter Menschen sein. CRIMINAL lässt den Leser auf diesem Weg verdammt nah ran!

Episch und fühlbar. So kommt CRIMINAL daher. Es ist eine Erzählweise, die in knallharten, ungekünstelten Krimis und Thrillern gerne verwendet wird, nah an den Charakteren, nah am Geschehen, nah an der jeweiligen Umgebung. Wenn kein Blatt Papier mehr dazwischen passt und die Welt echt wirkt, packt sie dich. Das ist ED BRUBAKER und SEAN PHILLIPS mit CRIMINAL gelungen! Diese Krimis sind heute schon selbst ein Klassiker! 🙂

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