Samstag, 29. Dezember 2018
In den USA ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen, ein Side-Kick für HIT-GIRL ist nicht aufzutreiben. Der gute KICK-ASS hat sich zur Ruhe gesetzt. Aber MINDY MCCREADY, das Mädchen hinter der Maske von HIT-GIRL, will die Bösen noch nicht einfach so laufen lassen. Es gibt noch so viel zu tun. Da ergibt sich ein Kontakt nach KOLUMBIEN und gleichzeitig die Gelegenheit, den berüchtigsten und gefährlichsten Killer des Landes auf die eigene Seite und als Verstärkung heranzuziehen. MANO, ein Monster in Menschengestalt, soll eigentlich ein zehnfach lebenslängliche Haft antreten. HIT-GIRL findet wie immer Mittel und Wege, den Auftragsmörder aus dem Knast zu holen …
SIE IST WIEDER DA! HIT-GIRL ist inzwischen selbst zu einem kleinen Monster geworden. Ohne die Anleitung ihres getöteten Vaters, BIG DADDY, ist sie im Prinzip eine Amokläuferin mit Ansage. Freilich dreht sie aus ihrer Sicht nur unter dem letzten Abschaum der Menschheit durch, wie Mördern, Vergewaltigern, Drogenbaronen und vielen anderen, dennoch scheint es in Sachen Mord und Totschlag keinerlei Grenzen mehr zu geben. DAVE LIZEWSKI, der erste KICK-ASS, wäre diesen Weg niemals mitgegangen. Für MANO, den kolumbianischen Irren mit Spaß an Knarren aller Art, stellt das überhaupt kein Problem dar.
MARK MILLAR lässt HIT-GIRL hier endgültig und vollkommen von der Leine, mehr noch als in dem Soloausflug, der die Handlungslücke zwischen KICK-ASS Teil 1 und Teil 2 schließt. In der Tat gibt es hier keinen KICK-ASS mehr oder eine Pflegefamilie, die irgendwie besänftigend auf das zwölfjährige Mädchen einwirken und so einen geringen Teil von Normalität (wie es der Schulalltag war) in ihr Leben bringen könnten. HIT-GIRL genießt das Abschlachten ihrer Feinde, immer unter der Maßgabe, dass diese Gangster genau diese Behandlung verdient hätten. Ständig werden neue Waffen ausprobiert, Gegner explodieren mit schöner Regelmäßigkeit.
Nach JOHN ROMITA JR., der für die KICK-ASS-Reihe (und den jüngsten weiblichen Ableger) als Zeichner zur Verfügung stand, hat nun RICARDO LOPEZ ORTIZ den Zeichenstift übernommen. JOHN ROMITA JR., der nach seinem Vater einen eigenen, etwas überzogenen Realismus entwickelt hat, wirkt mit seiner Technik gegenüber RICARDO LOPEZ ORTIZ noch gezügelt. In dieser neuen Interpretation ist die Kunst des Manga und des Manhwa auf SPEED-Geschwindigkeit angelangt. Darunter mischt sich eine Spur PUNK, etwas STREETART sicherlich auch, etwas B-MOVIE-Atmosphäre. Zeitweilig hatte ich den Eindruck, als würden HEIDI und der ZIEGENPETER die Sau rauslassen.
Stellenweise wird sehr hohe Geschwindigkeit dargestellt, akrobatisches Töten im Stile eines JOHN-WICK-Films. So wird Mord zur Slapstick. Andererseits passt sich der Zeichenstil von RICARDO LOPEZ ORTIZ gut der schmutzigen Umgebung in Slums und schmuddeligen Seitenstraßen an. Die Strichführung ist dünn, flott ausgeführt, teils mit Rastern unterfüttert. Gesichter werden bei RICARDO LOPEZ ORTIZ zu regelrechten Gesichtslandschaften, aus denen sich ganze Geschichten ablesen lassen (würde MARK MILLAR dem Leser durch die schnelle Handlung genügend Zeit dazu lassen).
Brutal heftig, rasend erzählt, aber mit einem sehr versöhnlichen Ende ausgestattet. MARK MILLAR macht aus HIT-GIRL eine Vigilantentouristin, die sich ihre Feinde per Zufall sucht (siehe Fortsetzung HIT-GIRL IN KANADA) oder dort, wo es viel zu viele davon gibt. Im wahrtsen Sinne des Wortes fetzig illustriert von RICARDO LOPEZ ORTIZ. 🙂
HIT-GIRL IN KOLUMBIEN: Bei Amazon bestellen.
Oder bei Panini Comics.
Link: https://twitter.com/rlopezortiz?lang=de (RICARDO LOPEZ ORTIZ auf Twitter)
Sonntag, 23. Dezember 2018
Die vom Dach fallenden riesigen Buchstabenkonstruktionen könnten Menschen erschlagen. Im besten Fall gelingt es BLACK LIGHTNING diese mit seinen neu antrainierten Techniken auszubremsen und auf unwichtige Aufschlagstellen umzuleiten, so dass nur Sachschaden entsteht. Dieser besteht leider in einem Polizeifahrzeug (ohne Insassen selbstverständlich). Seitens der Cops ist man über diese Rettungsaktion nicht froh. Tatsächlich versucht ein entrüsteter Polizist BLACK LIGHTNING wegen Sachbeschädigung zu verhaften. Die Aufforderung wird von dem schwarzen Helden mit einem Achselzucken abgetan …
Ein Held ist zurück. Vor langer Zeit (als es noch Comics mit der Übertitelung SUPERBAND gab und die JLA GERECHTIGKEITSLIGA hierzulande gerufen wurde) stieß ich ein Abenteuer, das diesen BLACK LIGHTNING in den Mittelpunkt rückte. Im Einsatz inmitten einer eher benachteiligten Gegend, hatte dieser BLACK LIGHTNING keinerlei Lust den so genannten großen Helden zur Seite zu stehen, die sich einen Deut um die kleineren Probleme scherten. Der von TONY ISABELLA (Autor) und TREVOR VON EEDEN (Zeichner) geschaffene Held ist nun unter der Feder von TONY ISABELLA zurück. Im privaten Leben als Highschool-Lehrer JEFFERSON PIERCE in Cleveland ansässig, ist er der schwarze Blitz der Nachbarschaft, der sein Revier sauber hält.
Plötzlich überschwemmen neue Waffen die Straßen, effizient, tödlich, denen der Polizei deutlich überlegen. Ihr Ursprung ist außerirdischer Natur, für den Straßenmarkt weiterentwickelt. Aber BLACK LIGHTNING ist ebenfalls nicht mehr auf dem technischen Stand der 1980er Jahre und so hat er sich ein paar neue Tricks angeeignet. Pistolenkugeln können abgewehrt werden. Kurze Sprünge durch die Luft dienen entweder einem Rückzug oder einer schnelleren Verfolgung. Das nicht mehr ganz so neue Jahrtausend hat nicht vor einem altgedienten Helden Halt gemacht.
BLACK LIGHTNINGS Gegner, TOBIAS WHALE, eine Art KINGPIN des DC-Universums, hat eine größere Wandlung durchlaufen. Aus dem ehemals weißen Giganten, viel deutlicher einem weißen Wal nachempfunden und somit eine verbrecherische Version eines MOBY DICK, wurde ein schwarzer Muskelberg, um die zwei Meter groß, mit einem starken Hang zu Meeresmystik. In seinem näheren Umfeld stehen Kreaturen als dienstbare Geister und Kämpfer zur Verfügung, sogar sehr aufopferungsbereit. TOBIAS WHALE geht über Leichen. Die seiner Schwester ist gleichfalls darunter. Einen BLACK LIGHTNING verschont er nur, weil er ihn selbst töten will. Die Handlung mündet so nicht nur in eine klassische Superhelden/Superschurkenauseinandersetzung, hier sind zudem typische Anklänge eines Westerns enthalten (nebst dem obligatorischen Showdown).
CLAYTON HENRY und YVEL GUICHET meistern die Zeichnungen des vorliegenden Bandes mit dem Untertitel FINGER AM ABZUG. Beide sind stark dem Realismus zugeneigt (wer also von der aktuellen Fernsehserie her kommt und zusätzliches Material sucht, liegt hier goldrichtig). CLAYTON HENRYS Arbeiten gefallen mir am besten, wunderbar dynamisch, filmisch, wuchtig sogar, wo sie hin und wieder von einer Doppelseite aufs Auge knallen. Die Strichausführung ist sehr akurat, von leichter Hand, weshalb Schatten der Kolorierung von PETE PANTAZIS überlassen werden. In der Zusammenarbeit mit YVEL GUICHET sind getuschte Schattenflächen deutlich auffälliger.
Ein guter Auftakt für einen Recken, der schon 1977 entstand. In dieser modernen Version ist er gut im 21. Jahrhundert angelangt. TONY ISABELLA, einer der beiden Erschaffer von einst, erzählt von einem Helden, der sich ähnlich wie in einem Western behaupten muss, aber nie einsam ist wie in HIGH NOON. TOBIAS WHALE als Gegner erfordert von BLACK LIGHTNING große Nehmerqualitäten, ein Held oft am Limit. Optisch klasse gestaltet! 🙂
BLACK LIGHTNING, FINGER AM ABZUG: Bei Amazon bestellen.
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Samstag, 22. Dezember 2018
Vater werden ist nicht schwer. Vater sein dagegen sehr. Bislang war WAYNE SHELTON davon ausgegangen, kinderlos zu sein. Aus einer dubiosen Quelle allerdings erfährt er nicht nur von einem alten Feind, der wieder aufgetaucht sein soll, sondern darüber hinaus von einem jungen Mann namens TRAN, der behauptet, WAYNE SHELTON sei sein Vater. SHELTON ist immerhin auf diesen angeblichen Sohn neugierig. Doch in SHELTONS Leben geht es alles andere als leicht zu. Das ist der Sicherheitsfachmann gewöhnt. Einen Häftling aus einem Gefängnis in Indonesien ist dennoch kein alltäglicher Job. Zumindest kann TRAN, der dort in einer Zelle in der Nähe von Jakarta hockt, erst einmal nicht weglaufen …
WAYNE SHELTON bedeutet gut gestylten Thriller im Medium Comic. Autor THIERRY CAILLETEAU lüftet ein paar Geheimnisse aus der Vergangenheit des charmanten Serienhelden. Der Mann, eine Kreuzung aus TOM CRUISE und DAVID NIVEN, weltweit tätig in Sachen Personenschutz, Spionage und anderen Sonderfällen, war als Soldat in VIETNAM und erlebte dort den ganzen Alptraum vieler junger amerikanischer Truppenangehöriger. Eine Aufklärungsmission läuft aus dem Ruder. Und WAYNE SHELTON macht die bittere Erfahrung, dass Feinde nicht nur unter den VIETCONG zu finden sind. Allein dieser Abschnitt des zweiteiligen Thrillers, der in der Vergangenheit in VIETNAM, in der Gegenwart in INDONESIEN spielt, macht das Abenteuer lesenswert. Der Brückenschlag in unsere Zeit über den angeblichen Sohn lässt den Gentleman SHELTON menschlicher, nahbarer werden.
Diese emotionale Tiefe war im Zusammenhang mit Freunden oder seiner (partiell) langjährigen Lebensgefährtin HONESTY GOODNESS spürbar. Aber zwischen Vater und Sohn fallen die Bande auf die eine oder andere Art nun einmal stärker aus. THIERRY CAILLETEAU nutzt dieses neue Gespann, um diese Form der Verbindung herauszuarbeiten, Rückblicke inklusive (damit der Leser auch erfährt, wie es zu diesen Vaterfreuden letztlich kam und wie stets ist es bei WAYNE SHELTON ein alles andere als gewöhnlicher Vorgang). Der Sohn, TRAN, geleitet von einem fernöstlichen Ehrbegriff, ist seinem Vater zwar äußerlich nicht ähnlich, sein Gemüt und sein Mut hingegen stehen der Leitfigur in Nichts nach.
CHRISTIAN DENAYER arbeitet seit den 1960ern im Comic-Geschäft. Sein Talent führte ihn schnell zu eigenen Projekten und in die Zusammenarbeit mit bekannten Autoren des Mediums. Comic-Fans für die Bereiche Thriller oder Fahrzeug-Action werden ganz bestimmt einmal auf Arbeiten von ihm gestoßen sein. Hier ist, das lässt sich guten Gewissens und voll des Lobes behaupten, alte Schule am Werk und CHRISTIAN DENAYER darf getrost mit ähnlichen Talenten wie ROGER LELOUP, PHILIPPE FRANCQ und ähnlich technisch versierten Künstlern auf eine Stufe gestellt werden. Der Strich ist klar, jede Perspektive perfekt eingefangen, jedes Fahrzeug, jede Figur, jede Kulisse vom Möbelstück bis zur Gebäudefassade. CHRISTIAN DENAYER bietet seinen Lesern eine filmreife Leistung.
Und würde es sich um einen Film handeln, würde an Schauplätzen nicht gegeizt. VIETNAM und INDONESIEN, Piraterie auf hoher See (inklusive der Kaperung eines Containerschiffes), spektakuläre Hubschrauberabstürze, indonesische und afrikanische Exotik, japanische Gangster und afrikanische Warlords, menschliches Drama und Vietnamkrieg, kurzum: das Spektrum in dieser Ausgabe ist weit gefächert und wäre als Film eine vielfach millionenschwere Investition. Und es passt: Das Indonesien-Abenteuer baut seine Charaktere optisch toll auf, präsentiert einen souverän agierenden WAYNE SHELTON, der im Smoking, im Trechcoat wie im Dschungel-Look immer gleichermaßen starke Auftritte hinlegt.
Echte Kerle paradieren auf den Seiten der Helden, wenngleich WAYNE SHELTON derjenige mit dem besten Stil ist und seine Kollegen, meist Haudegen ähnlichen Alters, etwas bequemer geworden und weniger fit sind. Als Erzfeind ist HOOKER gut herausgearbeitet, dicklich, aber nicht unsportlich, von hohem Wiedererkennungswert, ähnlich wie die Figuren CHULEPAS und MADAM YOON, die eine sehr besondere Episode verbindet. Als exemplarisches Rasseweib, ein Augenstern, auf den auch die großen Blockbuster nicht verzichten, steht HONESTY GOODNESS vorne an. Weit und breit spielt ihr niemand die Show.
Die Mechanismen eines guten Thrillers und einer tollen, international handelnden Abenteuergeschichte funktionieren hier auf jeder Seite. WAYNE SHELTON ist nicht rundum gut, seine Aktionen aber stets nachvollziehbar. Er ist kein englischer Geheimagent, dafür steht er zu oft auf der falschen Seite des Gesetzes. Ein Gentleman-Verbrecher eben und von THIERRY CAILLETEAU schön entworfen und lesenswert erzählt. Sehenswert dank CHRISTIAN DENAYER. 🙂
WAYNE SHELTON Gesamtausgabe 2: Bei Amazon bestellen.
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Mittwoch, 19. Dezember 2018
VENEDIG in den Zeiten des klassischen BAROCKS: In den Nächten pulsiert das Leben auf den Straßen zwischen den Kanälen, Theater und Tanz, heißblütige Frauen, Halunken auf der Suche nach leichter Beute. Inmitten des Trubels suchen die Abenteurer ARMAND RAYNAL DE MAUPERTUIS, ein fuchsig listiger GASCOGNER, und DON LOPE DE VILLALOBOS Y SANGRÍN, ein wölfischer Duellant und HIDALGO, ihr Glück und stehen den Hilflosen bei. Ein solcher Hilfloser begegnet ihnen in Form eines verzweifelten Vaters, dessen Sohn gegen Lösegeld entführt wurde. ARMAND und DON LOPE wären nicht die Haudegen, die sie nun einmal sind, würden sie der Angelegenheit einfach aus dem Weg gehen. Kaum angesprochen schwimmen sie auch schon in dunkler Nacht auf eine Schebecke, ein Segelschiff, im Hafen zu, um den in Not geratenen Sprößling zu befreien …
Autor ALIAN AYROLES und Illustrator JEAN-LUC MASBOU schicken den Leser auf eine farbenfrohe, märchenhafte, klassische Reise, in ein fröhliches Abenteuer, in dem sich die Helden stets aufs Neue bewähren. 1995 und 1997 entstanden die vorliegenden Geschichten in diesem Doppelband: DAS GEHEIMNIS DES JANITSCHAREN und UNTER SCHWARZER FLAGGE. Tierische Darsteller mischen sich unter Menschen in einem Mantel- und Degen-Szenario, wie es eigentlich nur aus der guten alten Hollywood-Zeit her bekannt ist, als Schauspieler wie ERROL FLYNN, DOUGLAS FAIRBANKS JR., TYRONE POWER, GENE KELLY und andere in Strumpf- und Pluderhosen über die Leinwände turnten, sprangen und fechteten. Der Erzfeind von DON LOPE und ARMAND in diesen beiden Abenteuern, ein CAPITAN MENDOZA, steht den Helden schmierig und brutal gegenüber wie einst ein BASIL RATHBONE einem ERROL FLYNN in CAPTAIN BLOOD (UNTER PIRATENFLAGGE, 1935), dem Piratenklassiker schlechthin.
Grafisch und optisch herausragend: JEAN-LUC MASBOU entfaltet ein großes Bilderbuch, in dem jede Farbnuance verwendet worden zu sein scheint. Die Farbvielfalt verwöhnt das Auge über die Maßen. Alles hier, jede einzelne Seite ist farbenprächtig, ob sie nun Tagesszenen oder nächtliche Sequenzen vorführt. Es wird gefeiert, gefochten und geraubt, in den alten Gassen, auf hoher See, auf Schiffen, die prall leuchten, während die Besatzungen einander in wilder Feindschaft gegenüber stehen. Selten war eine Seeschlacht so bunt und so schön anzuschauen! Aber mehr noch: Neben dieser Farbenpracht wird von JEAN-LUC MASBOU auch nicht an Einzelheiten gespart. So schafft es der Illustrator mitunter sogar einen Wimmelbildeffekt auf den Seiten zu platzieren.
ALAIN AYROLES (und natürlich auch sein Zeichnerkollege) kennt die Vorlagen der Piratengeschichten ebenso gut, wie es die Macher der PIRATES OF THE CARIBBEAN Reihe ein paar Jahre später taten. Wenige dürften an diesen Filmen mit JOHNNY DEPP in den letzten Jahren vorbei gekommen sein (wenn man den Besucherzahlen glauben darf). Und wer die Filme auf der Leinwand sah, hat direkt einen großen Teil des Humors der vorliegenden Comic-Abenteuer vor Augen. ALAIN AYROLES hat sich mit überdrehtem Spaß einen Namen im MEDIUM Comic gemacht. Das schamlos komische Märchen GARULFO aus seiner Feder, parallel zu dieser Serie damals erschienen, arbeitet mit ähnlicher Groteske. Spätestens wenn EUSEBIUS, ein kleines weißes Kaninchen, zur Mannschaft stößt, sollte jedem Leser aufgehen, dass hier ein sehr freundlicher Wahnsinn Methode hat.
MIT MANTEL UND DEGEN bedeutet hier pralle Erzähllust, ein grafisches Spektakel, höchst liebevoll gestaltet, mit allem, was eine Piratengeschichte benötigt (und selbstverständlich sogar mit untoten Piraten). Ein eigentlich unmögliches Trio sorgt mit bestem Willen für ein lustiges Chaos. ALAIN AYROLES und JEAN-LUC MASBOU nutzen MIT MANTEL UND DEGEN als Bühne für Abenteuer, denen keine Grenzen gesetzt sind. Toll! 🙂
MIT MANTEL UND DEGEN, Akt I & II: Bei Amazon bestellen.
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Mittwoch, 12. Dezember 2018
1865. ZELDA, GAVROCHE, COOPER, DAVY CROCKETT und weitere Weggefährten befinden sich an Bord eines Dampfschiffes in der Magellanstraße, zwischen Patagonien und Feuerland, als ihnen Bekannte auflauern, von denen sie dachten, es herrsche Frieden zwischen ihnen. Der Kampf ist kurz, die Übermacht zu groß, die Bitte um einen Waffenstillstand führt zu einem klärenden Gespräch und einer beunruhigenden Ankündigung. Derweil kämpft sich der geschlagene GENERAL SANTA ANNA mit seinen wenigen verbliebenen Leuten durch den Tiefschnee. Am Ende seiner Kräfte angelangt, wähnt er sich dem endgültigen Aus nahe …
Hätten JULES VERNE, H.G. WELLS, ARTHUR CONAN DOYLE, EDGAR ALLAN POE und H.P. LOVECRAFT, vielleicht noch CHARLES DARWIN die Idee zu einer gemeinsamen Geschichte gehabt, hätte etwas wie HAUTEVILLE HOUSE das Resultat sein können. Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt im 15. Band der Reihe mit dem Titel KAP HOORN kann getrost diese These aufgestellt werden. Angefangen hat diese Saga anders, aber wie damals zieht Autor FRED DUVAL reale Ereignisse unserer gemeinsamen Historie heran und verknüpft sie mit den fantastischen Ideen, mit denen bereits genannte Autoren spielten. Sogar ein Rückblick auf eine der maßgeblichsten wissenschaftlichen Expeditionen der Welt wird dem Leser gegönnt (nebst CHARLES DARWIN).
Im Verlauf dieser hoch komplexen Saga haben sich zahlreiche Handlungsstränge aufgebaut, diverse Figuren sind hinzugekommen; zu den beiden Hauptagenten GAVROCHE und ZELDA gesellt sich nun ebenfalls eine historische Figur wie DAVY CROCKETT, dem es in dieser fantastischen Zeitleiste gelang, das Massaker von ALAMO zu überleben. Obwohl an Jahren höchst gealtert, bleibt ihm noch eine Aufgabe, denn unbemerkt vom Großteil der Menschheit entwickelt sich eine gewaltige Auseinandersetzung. Hier sieht der Mensch allzu klein und machtlos aus. Im Rahmen dessen, was der Leser bislang in HAUTEVILLE HOUSE erleben durfte, fügt sich dieser Handlungsabschnitt mit seinem Gigantomanismus nahtlos in den Erzählstrang ein.
Feiner allerdings, mit weitaus weniger Effekten, dafür umso tiefsinniger und gefühlvoller, ist die Episode der hier agierenden Helden inmitten der Naturvölker, der SELK’NAM und der RIESEN VON PATAGONIEN, geraten. In einem Nachwort geht FRED DUVAL auf die SELK’NAM ein. 2003 hat eine chilenische Kommision den Untergang des Volkes offiziell als Genozid anerkannt, denn es gilt eben durch die äußere menschliche Einwirkung als ausgerottet bzw. ausgestorben. Basierend auf Aufzeichnungen und Fotos von MARTIN GUSINDE und ANNE CHAPMAN werden die SELK’NAM hier als eigenständige Kultur gezeigt. Ob alles so richtig ist, sei dahingestellt. Die Schilderungen sind auf alle sehr respektvoll und in einem Fantasy-Comic in dieser Form nicht sehr oft zu finden.
CHARLES DARWIN erwähnte die RIESEN VON PATAGONIEN, Menschen von einem Körperwuchs von annähernd drei Metern (so laut FRED DUVAL im Nachwort). Bewiesen werden, konnte ihre Existenz allerdings nie. Das spielt allerdings keine Rolle, weil die hier geschilderte Begegnung ohne große Effekthascherei eine mystische Atmosphäre erzeugt, bei aller Friedlichkeit, in der diese geschieht. Die ruhigen Momente, die sich mit der Kultur, der Folkore, den Gebräuchen der SELK’NAM beschäftigen, sind intensiv und werden von einem DAVY CROCKETT mit knurrigem Humor kommentiert. Gleichzeitig sind sie die Ruhe vor der Sturm. Die darauf folgende apokalyptische Szenerie ist eines H.P. LOVECRAFT würdig. Wer abseits des CTHULHU-Mythos HAUTEVILLE HOUSE noch nicht entdeckt hat, sollte das schleunigst nachholen.
FRED DUVAL weiß, wie er die Spannung über einen derart langen Zeitraum von 15 erschienen Alben hochhalten kann. Eine Saga, in der sich reale Personen und Ereignisse der Historie und Mythen und Fantastisches die Hand geben: HAUTEVILLE HOUSE gehört dank eines enormen Einfallsreichtums zu den Höhepunkten in der Fantastik, gleichzeitig entsteht durch den Auftritt titanischer Kräfte im vorliegenden Abenteuer KAP HOORN ein Höhepunkt der Serie. Stark! 🙂
HAUTEVILLE HOUSE 15, KAP HOORN: Bei Amazon bestellen.
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Sonntag, 09. Dezember 2018
SAM ist eine junge Frau, die sich nach einem traumatischen Militäreinsatz im Irak auf einen Autofriedhof am Rand einer amerikanischen Wüste zurückgezogen hat. Hier verbringt sie ihre Zeit damit, Fahrzeuge auszuschlachten und mit ihrem Freund MIKE zu sprechen, der nichts Geringeres ist als ein GORILLA. Das Leben verläuft ruhig. SAM ist dankbar dafür. Aber natürlich bleibt es nicht ruhig. LIBBY, eine alte Dame, gehört das Grundstück des Autofriedhofs. Zu ihrer Verwunderung will ein Konzern dieses scheinbar wertlose Stück Land am Rande von Nirgendwo kaufen, aber LIBBY lehnt zum Schutz von SAM immer wieder ab. Doch es stellt sich die Frage, warum jemand dieses Grundstück überhaupt haben will. Eines Tages legt ein UFO, ein außerirdisches Flugobjekt eine Bruchlandung auf dem Autofriedhof hin und die Frage ist teilweise beantwortet …
TERRY MOORE nimmt den Leser auf eine Entdeckungsreise an die Seite einer Frau, SAM, mit, die wirklich Schreckliches erlebt und nun einen Freund gefunden hat, der ihr getreu zur Seite steht. MIKE, der Gorilla, hat Geduld, gibt Ratschläge, die sie nicht grundsätzlich hören will. Er streitet mit ihr, gibt nach, tröstet, baut auf, hat einen bärbeißigen Humor, sorgt sich, kümmert sich, wo sie ihn lässt und er kann. Das ist die eine Seite der Geschichte und so manchem würde sie bereits genügen. Aber wir leben in Zeiten von intelligenter, zuweilen böser Comedy und TERRY MOORE gehört zu solchen Erzählern, die eine Geschichte so aufbauen können, dass man ihm als Leser schlicht alles abkauft. Eben auch das Auftauchen eines Raumschiffs mit außerirdischer Besatzung.
In MOTOR GIRL wird einmal mehr TERRY MOORES Humor zu einem der Antriebsfedern der Geschichte. Denn so sehr SAM innerlich leiden mag, so sind die Gespräche mit MIKE ein Ausdruck eines trockenen Humors. In dieser kaum versiegenden Quelle liegt ein Teil der Kraft dieser starken Frauenfigur. Und TERRY MOORE liebt starke Frauenfiguren, die stets im Mittelpunkt seiner Geschichten stehen. Seine erfolgreichen Veröffentlichungen wie STRANGERS IN PARADISE, RACHEL RISING oder ECHO zeugen davon und sind gleichzeitig eine Empfehlung an jene Leser, die mit MOTOR GIRL Blut geleckt haben. Und noch etwas: TERRY MOORE präsentiert gerne Figuren abseits der Stereotypen. Eine davon ist eine weitere starke Frau: LIBBY (eine Figur, die bereits in STRANGERS IN PARADISE das Licht der Comicwelt erblickte).
Wenn MIKE, der Gorilla, eine Art CHEWBACCA für SAM ist, dann ist LIBBY, die Oma, die sich jeder wünscht. Sorgend, etwas ruppig, mitten im Leben, tough in einer sehr amerikanischen Texasart (was für deutsche Belange vielleicht nicht so stimmig ist, nennen wir es hier einmal norddeutsch direkt, das Herz auf der Zunge). Optisch etwas klein geschrumpelt mit den vielen Jahren, die sie erlebt hat, Lockenkopf und einer großen Brille, hinter der sich die Augen, aber niemals ihre Stimmung verbergen kann. Charaktere wie diese machen die Geschichten von TERRY MORRE stets zu etwas Besonderem. Und sie werden umso stärker, je mehr Raum er ihnen einräumt. Den Platz, den LIBBY einnimmt, ist wie eine Umarmung dieser Tragikkomödie.
Hitze, Anspielungen, Stellungnahmen: Schauplatz des Geschehens ist ein sehr heißes Land, auf das eine glühende Sonne mitleidlos niederbrennt. Schwitzende Figuren, eine Eidechse, die immer nur zwei ihre Füße auf den glühenden Untergrund setzt, schmiltzende Eiscreme oder der Gummibelag eines Tennisplatzes, der sich in eine zähflüssige Masse auflöst, sind die Anzeichen, mit denen TERRY MOORE meist sehr lustig spielt. Kleinere, auch etwas fiese Anspielungen auf literarische Legenden wie HERGÉ oder HERMAN MELVILLE sind mehr oder minder offen untergebracht. Über militärisch überzogene Belange wird fleißig Spott ausgeschüttet, den kriegserschütterten Veteranen gilt das Mitleid und die Verteidigung des Autors und Zeichners. TERRY MOORE feiert außerdem die Freundschaft in verschiedenen Beziehungen innerhalb der Geschichte. Das gilt dem Nerv des Lesers und es trifft haargenau.
Ungewöhnlich, wie immer bei TERRY MOORE, aber ebenso herzlich, menschlich, ironisch. Grundsätzlich cool, lustig, mal laut, mal leise, voller feiner Wendungen. Wie in seinen anderen Arbeiten in schönen Schwarzweißzeichnungen abgeliefert. Ein tragisches Komödiendrama, wie es TERRY MOORE im Medium Comic in den letzten Jahren perfektioniert hat. 🙂
MOTOR GIRL: Bei Amazon bestellen.
Oder bei Schreiber und Leser.
Link: TERRY MOORE auf twitter.