Dienstag, 29. Mai 2018
Die junge Studentin JOHANNA BOLTON erbt im Jahr 1944 ein Haus ihrer TANTE CAMILIA. Für die junge Frau ist es der Tod einer nahezu Unbekannten. Man stand sich nie nahe. So ist es das Beste, wenn das Haus gleich verkauft wird. Eine Besichtigung der Räume fördert kaum etwas zutage, was JOHANNA gerne behalten würde. Die Truhe macht einen teuren Eindruck, sein Inhalt gibt weniger her. So denkt es JOHANNA zunächst, wäre da nicht das Tagebuch einer gewissen ANGELA BROWN, datiert auf das Jahr 1777 …
Wie soll sich jemand mit einem Land identifizieren, wenn ihm nichts zugetraut wird? Wenn die Vorfahren als Sklaven ins Land kamen, sie damals wie in den 1940er Jahren noch als minderwertige Menschen betrachtet wurden? Sollte jemand, der so an den Rand gedrängt wird, überhaupt ein Interesse daran haben, für dieses Land zu kämpfen? Ein Land, das einem nicht einmal den Frontkampf zutraut? Aber was wäre, wenn jemand, um seinem Land und sich selbst den eigenen Wert zu beweisen, bereit wäre das Leben zu riskieren, nur um zu beweisen, dass man es wert ist, in dem Land der Freien, den Vereinigten Staaten von Amerika zu leben?
Dies ist eine der Grundbetrachtungen, denen Autor YVES SENTE in einer der großartigsten und mutigsten Graphic Novels seit langem nachgeht. Er beschreibt einen Lebensabschnitt zweier schwarzer Geschwister, LINCOLN und JOHANNA BOLTON, die, rein fiktional, für die schwarze Bewegung in den Vereinigten Staaten zu Schlüsselfiguren werden könnten. Ein Tagebuch einer in den Anfangstagen des Staates lebenden ANGELA BROWN lässt Hoffnungen wachsen. Möglicherweise existiert auf der allerersten amerikanischen Flagge EIN STERN AUS SCHWARZER BAUMWOLLE, unbemerkt von ANGELA BROWN angebracht unter einem der weißen Sterne. Eine Einheit der MONUMENTS MEN, Spezialisten der Alliierten, die während des 2 Weltkrieges, wertvollste und geschichtsträchtige Kunstwerke in Sicherheit finden, wird beauftragt, diese Flagge zu finden. In dieser Einheit befindet sich alsbald auch LINCOLN BOLTON …
Eine Besonderheit von YVES SENTES Erzählung ist die Verzahnung der unterschiedlichen Ereignisse. Ein Fund zigtausende Kilometer entfernt auf der andere Seite des Atlantiks wird zu dem Auslöser, der LINCOLN BOLTON und seinen beiden Freunden endlich das beschafft, was sie sich wünschen, nämlich den Einsatz an der Front. Und, angesichts dieses verheerenden Krieges vorherzusehen, werden die drei Freunde diesen Einsatz auch bedauern lernen.
YVES SENTE stellt außerdem zwei verschiedene Epochen und zwei Kriege nebeneinander, zwei verschiedene Seiten und Gründe, warum Kriege überhaupt geführt werden. Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg steht neben 2. Weltkrieg und in beiden Auseinandersetzungen stehen sich Amerikaner und Deutsche, bzw. auf der Seite der Engländer im Unabhängigkeitskrieg hessische Söldner gegenüber. Seit Jahrhunderten ist die Welt alles andere als klein, auch eine Schlussfolgerung aus dieser Geschichte.
Dank des Zeichners STEVE CUZOR erwacht dieses Historiendrama zum Leben. STEVE CUZORS Name ist verknüft mit Szenarien neuerer Geschichte, vornehmlich in den USA. Wer dergleichen mag, wird in den Mehrteilern BLACK JACK und O’BOYS hierzulande schon auf ihn gestoßen sein. Sein Zeichenstil, sehr tuschelastig eingestellt, benötigt nicht viele Farbspiele, weshald die Koloration durch MEEPHE VERSAEVEL eher Stimmungen ausdrückt. MEEPHE VERSAEVEL wählt einen Grundton, der dann zur Schattierung geringfügig variiert wird. So drückt sich dann wenigstens eine Seite aus, meist aber ganze Szenen.
STEVE CUZOR arbeitet sehr exakt, höchst realistisch und er mag es, sich teilweise an Schauspielern zu orientieren (hier DENZEL WASHINGTON, SAMMY DAVIS JR. und FOREST WHITAKER). Zusammen mit der sanften Kolorierung entsteht die Wirkung alter Fotografien, als seien die Bilder tatsächlich aus der Geschichte gerissen worden. Der Gesamteindruck ist schlicht toll.
Geschichte einmal anders. Das Schicksal von Menschen und Nationen ist von YVES SENTE in ein sehr klug erzähltes Drama verpackt (eines der klügsten seit langem, alle Daumen hoch!). Überaus schöne und technisch perfekte Illustrationen von STEVE CUZOR komplettieren diesen Band. Klare Empfehlung! 🙂
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Auf afrikanischem Boden fernab des großen Herrscherhauses, dem Konflikt mit dem römischen Imperium und dem späteren weitaus glücklicheren Exil befindet sich JUGURTHA nun in einer lebensbedrohlicheren Lage auf dem Meer. Das Land wirkt zunächst wie eine Zuflucht. Doch weit gefehlt. Denn gleich nachdem JUGURTHA und seine Begleiterin VANIA das Ufer erreichen, werden sie gefangen genommen.
Autor JEAN-LUC VERNAL nutzt den afrikanischen Kontinent für eine fühlbar andere Richtung der Abenteuer rund um JUGHURTA. Es wird geheimnisvoller, mysteriöser. Die Menschen gehen alles andere als zimperlich miteinander um. Im Umfeld von Stammesfehden, Kämpfen um die Vormachtstellung, auch in der Liebe ist alles erlaubt. Das weiße Paar fällt ziemlich inmitten der Schwarzafrikaner auf, obwohl Weiße hier nicht unbekannt sind, denn hier dreht sich der Spieß jener Tage um. Wer hier als Schiffbrüchiger an Land gespült wird, endet dort als Sklave.
Die Magie, besonders eindrucksvoll in Szene gesetzt durch einen Zauberer mit der Maske eines Zebras, ist stark in diesem Landstrich. Die Menschen glauben daran. Das macht es anderen es noch einfacher, sich ihrer als Machtinstrument zu bedienen. Wenig später wird Magie sogar zum Hilfsmittel im Kampf um JUGURTHA selbst. Hier ist alles zunächst weit weg von römischer oder zumindest antiker höfischer Lebensart. Erst gegen Ende, im letzten Abenteuer der hier vier versammelten Alben, kommen in MARSIAS GLADIATOREN wieder die Römer ins Spiel. In den Wirren römischer Geschichte ist eine Gruppe abtrünniger Legionäre, die andernorts ihr eigenes Königreich aus der Taufe heben, gar nicht einmal so unwahrscheinlich.
Es ist sehr gut zu beobachten, dass JUGURTHA ein stilistisch ganz eigener Held geworden ist. Obwohl das Szenario durchaus mit dem von CONAN und anderen Barbaren vergleichbar ist (die Antike ist das Vorzeigezeitalter (neben dem Mittelalter) für Fantasy-Epen), bleibt JUGURTHA in jeder Situation menschlich. Er kann schon einmal richtig zusammenbrechen und seiner Gefährtin VANIA den Erzählstrang überlassen. Er kann gewalttätig sein, ist aber meist sehr überlegt, emotional verletzbar und über allen Eigenschaften hat JEAN-LUC VERNAL nie vergessen, dass der Held einmal aus einem Fürstenhaus kam, Menschen anführte und einen Ehrbegriff besaß. Selbst in der auswegslosesten Situation kann JUGURTHA diese grundlegenden Eigenschaften nicht mehr abschütteln.
DAS FEUER DER ERINNERUNG, das dritte Abenteuer in der vorliegenden 3. Gesamtausgabe, stellt auch das Titelbild des Sammelbandes. Innerhalb der vier Geschichten dürfte es das Abenteuer mit der menschlichsten Thematik sein. Wie weit geht ein Mensch, um den geliebten und über die Maßen angebetenen Menschen auf seine Seite zu ziehen und Rivalen auszuschalten? Gleichzeitig kann sich JUGURTHA sich hier am schlechtesten aus der sprichwörtlichen Affäre ziehen.
Die Kunst von FRANZ, dem Zeichner dieser Serie (Nachfolger von HERMANN), funktioniert auch in Schwarzweiß (nicht missverstehen, die Serie ist in Farbe). Damit sehen seine Arbeiten aus wie aus der alten Schule stammend (was gut ist!), qualitativ Seite an Seite mit Künstler wie HAL FOSTER, CULLEN MURPHY (beide bekannt von PRINZ EISENHERZ) oder immer noch sehr aktiven Illustratoren wie COLIN WILSON. Künstler also, die mit ihrem Strich Verantwortung am Gesamtergebnis an Koloristen abgeben können, aber nicht müssen.
Hier herrscht höchste Präzision körperlicher Darstellung, von Muskelspiel, Mimik und Perspektive. Der Strich ist zart bis ruppig, je nach Szenerie. Der Bildaufbau ist filmisch bis theatralisch und unvorhersehbar. FRANZ sucht immer einen neuen Seitenaufbau, von klein gestaffelt bis monumental und detailreich.
Zwei Könner auf der Höhe ihres Schaffens. Packend erzählte Historie, sehr ernst, sehr authentisch wirkend. Ein sympathischer, aufrechter Held, mit Ecken und Kanten, Stärken und Schwächen, vollendet ausgedacht, nimmt den Leser, Erwachsene sicherlich mehr als Jugendliche auf die Reise mit. Tolle Afrika-Abenteuer! 🙂
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Donnerstag, 10. Mai 2018
Überlegene Technik wird gegen Soldaten eingesetzt. Sensoren erfassen Gesichter, separieren Menschen vom Rest des Geländes. Computergesteuerte Maschinengewehre beschießen den Boden aus der Luft großflächig. Die Überlebenschancen sind gleich Null. Doch plötzlich rast ein anderer Flugkörper durch die Luft, ein Schemen von menschlicher Kontur, ein Cape flattert auf seinem Rücken. Der fliegende Kampfroboter wird aus der Luft gefegt. Die ungewöhnliche Zerstörung der bewaffneten Drohne wird als VORFALL 41 dokumentiert.
Eine Welt verändert sich. PARIS, die romantische Weltstadt ist kaum wiederzuerkennen, als FRANK BRAFFORT, einer der Soldaten, die den VORFALL 41 überlebt haben, in die Metropole zurückkehrt. ANOMALIEN verstören die Menschen. Autor SERGE LEHMAN beschreibt eine Welt (oder den Ausschnitt einer Welt) zwischen düster, romantischer Verklärung der Vergangenheit und futuristischer Aufbruchstimmung. Wie so oft schaffen nicht alle den Sprung in die Zukunft. Einige sind bereits mit fliegenden Automobilen unterwegs, andere sehen staunend nach oben. In dieser Stimmung, in der sich PARIS nicht recht zu entscheiden weiß, wie es weitergehen soll, tauchen ANOMALIEN auf, die nicht alle gleich als FLIEGENDE HELFER zu identifizieren sind.
Das Geheimnis hinter den Geschehnissen ist kompliziert. Obwohl es durch die Erscheinung eines PHANTOMS, eines gigantischen Abbilds über dem MONTMATRE geradezu beworben wird, um Aufklärung bettelt, ist eine breite Öffentlichkeit mehr mit sich selbst und der Auslebung seiner Aggressionen beschäftigt. Die Wirkung auf den Leser ist gruselig surreal, ist aber im Vergleich zur Realität recht gut von SERGE LEHMAN durchdacht (denn wer in seinem Leben schon Zeit und Muße sich mit den großen Ereignissen zu befassen, außer sie in den Nachrichten zu verfolgen).
STEPHANE CRETY verfolgt als Zeichner eine sehr klare Linie mit sehr viel Realismus bei seinen Figuren und feinen Überzeichnungen, die eine optische Charakterisierung vereinfachen. Die Gesichter seiner Figuren gehen wohltuend leicht ins Auge. Wo er über das normale Maß hinaus punktet, ist SEIN PARIS, aus dem er eine Stadt macht, die Atmosphäre geradezu atmet. Das Titelbild fasst die Atmosphäre sehr gut zusammen. Zwischen den Scheinwerfern, die den nächtlichen Himmel der Stadt erhellen, herrscht ein reger Luftverkehr. Hinter altehrwürdigen Straßenzügen ragen ultramoderne Wolkenkratzer aus Stahl und Glas in die Höhe. Der Himmel ist wolkenverhangen, organgefarbenes Licht glänzt aus den Straßenschluchten empor.
Das Farbenspiel von GAETAN GEORGES ist eine Mischung aus klarer Tontrennung, Verläufen, leichten Texturen und bis kurz vor Schluss meist auf eine fotografische Tiefe bedacht. Erst gegen Ende übernimmt eine eher comic-ähnliche Kolorierung das Zepter. Da macht es allerdings absolut Sinn. Über die gesamte Länge des Albums entsteht eine Film-noir-Atmosphäre. Die Farben von GERORGES und die Zeichnungen von CRETY sind wunderbar aufeinander abgestimmt Eine regnerische Kulisse, grauer Himmel, Weltkriegsluftverkehr trifft auf technisches Spielzeug aus BLADERUNNER, technische Perfektion trifft Gothic.
Und in diesen Bildern schickt SERGE LEHMAN einen Mann in die Geschichte, der nicht ahnt, warum er in dieses Spiel verwickelt wird. An seiner Seite verfolgt der Leser mit gleichem Staunen, wie sich die Fäden (sehr) langsam entwirren. Ein Science-Fiction-Abenteuer, das sich genre-technisch sich nicht genau eingrenzen lässt, ausgetretene Pfade weitläufig verlässt und eine Menge ungewöhnlicher Ideen bereitstellt. Schön und spannend, wie mutig sich andernorts auf Geschichten eingelassen wird und welch tollen Ergebnisse daraus letztlich entstehen. Klasse! 🙂
DER MANN MIT DER MASKE 1, ANOMALIEN: Bei Amazon bestellen.
Freitag, 04. Mai 2018
Man nehme: Donald Duck. Jemanden, der zwar in vielerlei Hinsicht unbegabt ist, aber durch Hartnäckigkeit beeindruckt. Jemanden, der von der Polizeiarbeit keine Ahnung hat, aber hinreichend gut ausschaut, um an vorderster Öffentlichkeitsfront die Presse auf Abstand zu halten. Während die Ermittlungen um den Fall der verschwundenen Statue genau beobachtet werden, gewiefte TATORT-Ermittler sich auf die Nachforschungen stürzen, versucht sich der Vorzeigepolizist mit dem uniformierten Bürzel selbst an der Detektivarbeit und gerät gehörig ins Schlamassel.
TATORT ENTENHAUSEN lautet der Titel des 506. LUSTIGEN TASCHENBUCHS. Gemäß dieser Einleitung geben sich in der ersten Episode des Bandes einige TATORT-Kommissare die Ehre. Unlängst postete AXEL PRAHL (der Münsteraner Kommissar an der Seite von Kollege JAN-JOSEF LIEFERS) seinen Gastauftritt nebst Beweisbild auch auf Facebook (Link s.u.). ENTENHAUSEN war schon häufiger ein beliebter Schauplatz für Verbrechen. Die Beweisführung ist deshalb in dieser Schwerpunktausgabe auch leicht zu erbringen.
MICKY MAUS und GOOFY waren eh schon sehr oft (und seit vielen, vielen Jahren) detektivisch unterwegs. Mit ihrem Einsatz in der TRAUMFABRIK gehen die Anspielungen auf real exitierende Personen weiter, denn der Leser darf sogleich in der ersten Sequenz über SYLVIO SYLVESTRI und GERHARD DEPERDU, AL PICCOLO und andere Stars schmunzeln. Verschlungen hinter den Kulissen der hollywoodschen Glitzerwelt sorgt ein verschwundener Film eines Regiegroßmeisters für Furore. Aus der Erzählung und der zeichnerischen Sicht PAOLO MOTTURAS erstrahlt eine sehr düstere Filmfabrik, die an jene Ära der schwarzweißen Gruselklassiker erinnert. Entsprechend dramatisch (aber natürlich auch humorvoll) fällt das Finale der zweiteiligen Geschichte aus.
Eher von japanischer Fantastik geprägt fällt ein Abenteuer mit PHANTOMIAS aus, während die nachfolgenden Geschichten schon wieder kriminalistischer angelegt sind. Ewige Spießgesellen wie MAC MONEYSAC oder die PANZERKNACKER geben sich die Ehre. Die Zusammenarbeit von DONALD DUCK, GUSTAV GANS und DUSSEL DUCK scheint von Beginn an zum Scheitern verurteilt, haben doch schließlich die PANZERKNACKER einmal mehr ihre Finger im Spiel.
Es ist schwer einen Favoriten in diesen gut gemischten Abenteuern auszumachen. Für mich gehört in die Spitzenplätze auf jeden Fall die Geschichte IM LANDKNASTHOF. Wenn OMA DUCK und ihr langjähriger Gehilfe FRANZ GANS den PANZERKNACKERN ein ehrliches Landleben schmackhaft machen, ist das von GAJA ARRIGHINI sehr charmant erzählt (und von EMILIO URBANO mit viel Augenzwinkern gezeichnet).
Das sind mal TATORTE, die uneingeschränkt Spaß machen. Moderne Ideen mit Gastfiguren und klassischer Wiedererkennungseffekt mit gern gesehenen Schurken und Detektiven wie MICKY und GOOFY. Mehr davon in Entenhausen bitte! 🙂
LUSTIGES TASCHENBUCH 506, TATORT ENTENHAUSEN: Bei Amazon bestellen (KINDLE-Version).
Oder im Egmont Comic Shop.
Link: AXEL PRAHL auf Facebook, Meldung zum Gastauftritt in ENTENHAUSEN
Dienstag, 01. Mai 2018
1967 in Danville, Alabama, hat JOSHUA LACOUR ein großes Problem in Form des Sheriffs. Wenn der Ruf in einer kleinen Gemeinde sowieso beschädigt ist, gerät einer wie JOSH schnell auf die Liste der schwarzen Schafe. Als er eines Tages wegen Trunkenheit am Steuer eines Motorrads festgenommen wird, wil der zuständige Richter ein Exzempel statuieren. Aber JOSH sieht einen Ausweg. Statt der angedrohten sechs Monate Gefängnis, will er lieber ehrenvoll für sein Land in den Krieg nach Vietnam ziehen. So tönt er es jedenfalls und hält den Krieg für das kleinere Übel. Kaum zwei Monate später weiß er, wie sehr er sich getäuscht hat …
MISTY MISSION von MICHEL KŒNIGUER behandelt das große amerikanische Kriegstrauma und zeigt die Sinnlosigkeit des Unterfangens in und über den Dschungeln dieses von den Vereinigten Staaten von Amerika so fernen Landes. Als Autor und Zeichner in Personalunion behandelt MICHEL KŒNIGUER dieses Trauma anhand der Schicksale zweier unterschiedlicher Freunde. NICHOLAS BEAULIEU und JOSHUA LACOUR, namentlich mit französischen Wurzeln, aus dem tiefsten amerikanischen Süden stammend, treten als Soldaten in den Krieg ein. Der eine wird Kampfpilot, der andere Infanterist in der 1. Kavallerie-Division, einer Einheit, die nicht mehr zu Pferd, sondern per Hubschrauber ans Einsatzziel gebracht wird.
NICHOLAS BEAULIEU und sein Flugzeug sind zeitweiligen Luftabwehrgeschossen ausgesetzt, darüber hinaus setzen seine Angriffe auf den Boden aus relativer Sicherheit an, denn Abschüsse durch Feindeshand sind selten. Noch viel wichtiger allerdings ist die Tatsache, dass er meist nicht erfährt, was er unten mit Menschen anrichtet. Bei JOSHUA LACOUR sieht die Angelegenheit schon ganz anders aus. An seinem Beispiel gerät der Leser mit in die nächste Nähe zum Vietcong. JOSHUA LACOUR sieht seine Kameraden durch den Gegner sterben. Und er sieht sie durch seine Hand sterben. Über jemandem, der den Krieg wählte, um dem Gefängnis zu entgehen, weil er den Dienst für das Vaterland für die leichtere Alternative hielt, bricht die Hölle auf Erden herein.
Dabei beginnt es so harmlos mit einem typischen amerikanischen Kleinstadtflair der 1960er Jahre. Auf einer weißen Hochzeit haben die Weißen das Sagen und feiern, Schwarze dürfen in Alabama die Band stellen und für das leibliche Wohl sorgen. Von Bürgerrechtsbewegungen ist hier noch nichts zu spüren, Willkür indes existiert, Reich duckt Arm gänzlich farbenblind. In Vietnam erfolgt für JOSHUA LACOUR ein Kulturschock. Hier kehrt sich alles um, sein Sergeant ist sogar ein Abkömmling amerikanischer Ureinwohner, kurz ein Indianer hat das Sagen und kommandiert den kleinen Trupp, der immer wieder durch Neuankömmlinge aus der Heimat zwangsläufig aufgeforstet wird (wegen der Gefallenen, die die Heimreise antreten).
MICHEL KŒNIGUER verzichtet auf die Darstellung von Auswirkungen der allgegenwärtigen Gewalt und bricht, nähme man einen Film zum Vorbild, eine Kamerafahrt rechtzeitig ab. In den Scharmützeln, die mit aller Härte und ohne Mitleid geführt werden, in den Explosionen durch Raketenbeschuss, Gunships, Handgranaten und den Einschlägen von Kugeln aus automatischen Gewehren bedarf es kaum großer Fantasie darüber, was denjenigen geschehen mag, die sich im Zentrum der Feuersbrünste befinden. Aus dem kleinen Ganoven mit Herz, JOSHUA LACOUR, wird allmählich etwas anderes.
MICHEL KŒNIGUER erzählt eindringlich, ohne Pathos von einem Krieg, der sich ins Weltgedächtnis eingebrannt hat. Der Schwerpunkt der Handlung liegt eindeutig auf der Figur des JOSHUA LACOUR, zu dem man als Leser schnell Sympathie fassen kann, denn seine Ängste sind allzu begreiflich. Die technischen Darstellungen von MICHEL KŒNIGUER sind präzise, bei Figuren greift er auch mal auf eine schauspielerische Vorlage zurück. So hat für den Richter, der JOSHUA LACOUR vor die Wahl stellt, Knast oder Krieg, JAMES CROMWELL Pate gestanden. 🙂
MISTY MISSION 1, WIE IM HIMMEL SO AUF ERDEN: Bei Amazon bestellen.