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Comic Blog


Sonntag, 03. Dezember 2017

TORPEDO 1972

Filed under: Thriller — Michael um 18:36

TORPEDO 1972JAMES ist Journalist, auf der Suche nach der großen Story. Jetzt scheint er etwas gefunden zu haben. Nachdem er versucht hat, an seiner Freundin rumzufummeln, im dunklen Kinosaal, während einer Vorstellung von DER PATE, rückt er mit der Nachricht heraus. Für die Fummelei handelt er sich eine Ohrfeige ein, weil Sex vor der Ehe für WENDY nicht in Frage kommt. Die Geschichte allerdings interessiert sie als Fotografin. Keiner der beiden ahnt, wie gefährlich ihnen der aus ihrer Sicht uralte Hauptdarsteller der geplanten Story noch werden wird …

Hart. Härter. Drecksack. TORPEDO. So etwa könnte eine Steigerungsform in Form auf den gealterten Hitman ausfallen. LUCA TORELLI alias TORPEDO ist über 60, seine für ihn glorreichen 1930er Jahren liegen lange zurück. Aber nur die Knochen und Muskeln haben gelitten, Parkinson lässt die Hand zittern. Emotional hat sich nichts geändert. TORPEDO ist brutal, ohne Gewissen und ohne Mitleid. Andere Menschen bedeuten ihm nichts, nicht einmal der langjährige Sidekick RASCAL, den er immer noch mit Vorliebe drangsaliert (und der sich weiterhin alles gefallen lässt, das muss irgendwie Liebe sein).

Die äußeren Umstände, wie man so schön sagt, sind nicht nur körperlich andere geworden. Früher hat TORPEDO von seinen Aufträgen sehr gut, sehr bequem, sehr komfortabel leben können (vielleicht ein Grund, warum RASCAL es so lange neben TORPEDO ausgehalten hat). Im Jahr 1972 hat sich nicht nur eine leidlich neue Jugendkultur ihre Bahn geschlagen, TORPEDO ist auch verarmt, wohnt mit RASCAL in einer Bude, die mehr für die Abrissbirne taugt, und jagt auf seine Art Tauben für die nächste warme Mahlzeit im Stadtpark. Um das Maß voll zu machen, ist die alte Welt der Mafiosi dank des Kino-Blockbusters DER PATE zur Popkultur geworden. Verbrechen als New Yorker Lokalkolorit.

Dennoch: TORPEDO hat noch ein letztes Mittel, um Geld zu verdienen. Er verkauft seine Vergangenheit. Jeder Name, jedes Geschehen, jede Erinnerung, jedes Foto kostet und das nicht zu knapp. ENRIQUE SANCHEZ ABULI seine TORPEDO 1936-Variante neu belebt, ihn in eine Zeit geworfen, die der alten Gefahr durch Gangster rotzfrech gegenübertritt, sehr naiv sogar, zuweilen geradezu blind und blöd. Punktum: Perfekte Opfer für TORPEDO und der Grund, warum es noch niemand geschafft hat, den Alten um die Ecke zu bringen.

Die Wiederbelebung von TORPEDO durch E. S. ABULI funktioniert besonders gut durch die Gegensätze. Der Killer LUCA TORELLI steht für eine andere Zeit, die spätestens in den 1950er Jahren eine starke Veränderung erfuhr, als die ehrenwerte Gesellschaft sich noch etwas auf ihren Stellenwert einbildete, die familiäre Abgrenzung gegenüber anderen kriminellen Vereinigungen etwas bedeutete. In den 1970ern treiben sich bei E. S. ABULI die Nachfahren jener Familien in Spelunken herum und belächeln die alten Tage mit einem debilen Grinsen.

Als grafischer Nachfolger vom langjährigen Zeichner JORDI BERNET (der 1936-Variante) steht der ausgezeichnete Illustrator EDUARDO RISSO in den Startlöchern. EDUARDO RISSO hat reichlich Erfahrung in Thrillerszenarien gesammelt. Nachprüfen konnte die Leserschaft das hierzulande mit Veröffentlichungen wie JONNY DOUBLE oder 100 BULLETS. EDUARDO RISSO arbeitet mit einfachen, dünnen Strichen, er mag außerdem eine künstlerisch übertriebene Schattierung, wie er in der reinen Schwarzweißumsetzung des Comic-Dreiteilers VAMPIRE BOY unter Beweis gestellt hat.

Besonderes Markenzeichen von EDUARDO RISSOS Arbeit sind die Visagen. Schönheiten wie allgemein bei Superheldencomics auftauchend sind bei EDUARDO RISSO eher Nebendarsteller. RISSOS Charaktere können einem an der nächsten Straßenecke begegnen. So ist er für JORDI BERNET ein perfekter Nachfolger, denn auch BERNET verstand sich auf echt wirkende Figuren. Gerade das macht einen der Reize in dieser sehr ungeschminkten Gangster-Oper aus.

Neue Zeit, alter TORPEDO. Er hat nichts verlernt, aber auch nichts dazugelernt. TORPEDO bleibt TORPEDO, auch mit Parkinson. Eine dreckige Gangsterballade von E. S. ABULI, stilistisch exzellent von EDUARDO RISSO gestaltet. Wer den TORPEDO von 1936 mochte, wird den von 1972 ebenfalls ins dunkle Herz schließen. 🙂

TORPEDO 1972: Bei Amazon bestellen.
Oder bei Cross Cult.

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