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Comic Blog


Sonntag, 10. April 2016

Der marokkanische Frühling 1

Filed under: Abenteuer — Michael um 20:20

Der marokkanische Frühling 1 - Lockruf TangerZu Beginn des Ersten Weltkriegs zogen die Soldaten noch mit einem Hurra auf den Lippen in den Kampf. Bei den beiden französischen Kämpfern, Calixtus von Prampeand und Leon Matilo, ist von diesem überschäumenden Gefühl, sollte es jemals vorhanden gewesen sein, nichts mehr zu finden. In den Schützengraben herrschen Todesangst und Desillusion. Wie berechtigt diese Ängste sind, zeigt sich binnen kurzem, als ein kleiner Igel, als Frühwarnsystem eingesetzt, in sein Versteck krabbelt, weil er das Getrampel der angreifenden deutschen Infanterie viel früher erkennt als die französischen Einheiten. Das Gemetzel beginnt …

Der Krieg geht vorüber, die Männerfreundschaft bleibt, zusammengeschweißt von der grauenhaften gemeinsamen Vergangenheit. Nach so viel Tod bedeutet das Leben noch viel mehr. Aber was soll man nach diesem weltweiten Unheil anfangen? Die Welt hat nichts daraus gelernt. Die Kämpfe gehen weiter, anderswo. Warum nicht daraus Profit ziehen? Aus Calixtus, demotiviert von einem Leben in der Oberschicht, und Leon, ambitioniert, weil er seiner Misere entfliehen möchte, werden Abenteurer. Die Rifberber erheben sich gegen die spanischen Besatzer in Marokko. Es wäre doch gelacht, wenn sich dort mit Waffen kein gutes Geld verdienen ließe …

Maurin Defrance und Fabien Nury haben eine klassisch französische Abenteuergeschichte verfasst, wie sie in der guten alten Kinozeit mit Gesichtern wie Lino Ventura, Yves Montand und anderen Charakterköpfen die Leinwände bevölkerten. Nach dem Ersten Weltkrieg bäumen sich die Kolonialmächte auf, versuchen die Kontrolle zu behalten. DER MAROKKANISCHE FRÜHLING kündigt einen Umschwung an. Stolze Völker wehren sich gegen die fremden Unterdrücker. In diesem ersten Teil, Lockruf Tanger, wollen die beiden Hauptfiguren (siehe Titelbild) dieses Aufbegehren für eine eigene Lebenswende nutzen.

Man muss diese beiden Halunken direkt von Beginn an mögen. Das Leben hat ihnen übel mitgespielt. Ihre Herkunft spielt kaum eine Rolle. Sie lieben das Leben, sind mutig und einzeln oder gemeinsam gleichermaßen Unglücksraben. Außerdem kommt bei aller mörderischen Erfahrung aus dem Krieg noch eine gewisse Blauäugigkeit hinzu. Merwan, einer der beiden Zeichner, war für die Geschichte nach einem Animationsfilm-Look. Das Ergebnis sind starke Eindrücke, die bei aller Reduziertheit der Optik mit sehr differenzierten Charakteren überzeugen.

Moderne Trickfilmoptik mit Nostalgiecharakter. Einerseits finden sich grafische Techniken, wie sie auch in Waltz With Bashir benutzt wurden. Dünne Linien, deutliche schwarze Schattierungen, ein fein ausgearbeiteter Gegensatz von Leichtigkeit und Schwere. Andererseits werden Comic-Nostalgiker, solche die Freude an Geschichten wie Corto Maltese haben, ihren Lesespaß ebenfalls mit DER MAROKKANISCHE FRÜHLING finden können. Farblich wird zurückhaltend agiert. Erdige, meist eher kühle Töne, in einer kleineren Gesamtpalette nehmen den Leser mit auf Zeitreise, noch kein ganzes Jahrhundert, aber viel fehlt nicht mehr.

Das Making of von DER MAROKKANISCHE FRÜHLING bietet einen tollen Einblick in den Entstehungsprozess. Comic-Künstler Fabien Bedouel wirft Entwurfsskizzen aufs Papier, die, je nach Ausführung, einem Moebius oder einem Enki Bilal nahekommen. Stilistisch wäre das Endergebnis deutlich aufwendiger gewesen, es hätte der Geschichte aber auch eine völlig andere Note gegeben. Der letztlich durchgezogene Weg hält mehr auf Abstand. Durch die Abstraktion wird, ähnlich wie bei Corto Maltese, die Fantasie des Lesers etwas mehr bemüht.

Endlich mal wieder eine tolle Idee innerhalb des Comic-Mediums. Unverbraucht, angesiedelt in einer höchst spannenden Epoche, findet der Leser zwei klasse Hauptcharaktere, deren Lebensweg einen Hauch von Jack London umweht. Für Freunde von guten Abenteuergeschichten. Sehr schön. 🙂

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Oder bei Schreiber und Leser.

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