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Comic Blog


Freitag, 15. Mai 2015

Das Nest 9 – Notre Dame

Filed under: Biographie — Michael um 17:07

Das Nest 9 - Notre DameMaries Schwangerschaft ist weit fortgeschritten. Im kleinen Dorf Notre-Dame-des-Lacs im kanadischen Nirgendwo herrscht freundliches Rätselraten darüber, wer vielleicht der Vater sein könnte. Dabei haben die Einwohner mit vielerlei Veränderungen zu tun, an denen die bevorstehende Ankunft eines neuen Erdenbürgers nur einen kleinen Anteil hat. Moderner Tanz hat im Dorf Einzug gehalten. Die Frauen gönnen sich neue Kleider, selbst genäht, aber modisch, wie man in Montreal sich eben fein macht, und lassen den eintönigen Alltag einmal beiseite. Aber wie werden die Männer reagieren, die bald von der wochenlangen Arbeit nach Hause kommen? Wie werden sie die Veränderungen empfinden, die sich in Notre-Dame-des-Lacs über viele Monate eingeschlichen haben?

Band Nummer 9 beendet eine wunderbare Geschichte über einen Wandel zum Besseren, zu mehr Freiheit, die von einem Toten aus der Ferne ab und an kommentiert wird, denn mit einem Toten begann alles und mit einer Geburt endet es. Die von Regis Loisel und Jean-Louis Tripp geschilderten Veränderungen gingen nicht gänzlich ohne Ängste und Nöte vonstatten, nicht ohne Zorn, nicht ohne Animositäten, Mut, Toleranz und Tatkraft wie auch Tapferkeit.

In der abschließenden Episode der Reihe Das Nest breiten Loisel und Tripp wieder die gesamte menschliche Palette einer Zeit im Wandel aus, vermeiden die Katastrophen, die ungewollten, nicht. Längst haben die Einwohner des Örtchens damit aufgehört, sich selbst oder anderen das Leben schwer zu machen. Aber Zufälle können eben auch in Katastrophen münden und dann zeigt sich, wie engmaschig die Zugehörigkeit der Dörfler inzwischen geworden ist. Zuvor kommen und gehen die Jahreszeiten, der Frühling steht vor der Tür und die Veränderungen erfassen Seele und Gemüt der Menschen. Manche alte Beziehungen erblühen gar neu und wo Vertrautheit war, entsteht plötzlich eine neue, ungewohnte Schüchternheit.

Loisel und Tripp sind Meister der kleinen Szenen, deren Inhalt den gezeigten Umfang sprengen. Regis Loisel hat sich seit langem in die Herzen der Comic-Leser geschrieben und gezeichnet und zeigte so, wozu die grafische Erzählung fähig ist, hier mit allen Facetten eines optischen Romans und einer kommentierten Illustration. Mit dieser Reihe verschwimmen die Grenzen zwischen den Medien deutlich. Die Bilder sind durchweg gelungen, nachdem sie durch die Hände der beiden Comic-Künstler gingen und kolossal von Francois Lapierre koloriert wurden. Wie sich hier alles zueinander fügt, ohne gefühlsduselig zu sein, ohne platt zu werden, ist feinste Erzählkunst, unabhängig vom Medium Comic.

Das optisch Schöne, hier noch im Gegensatz zu den vorherigen Ausgaben grafisch Schwarzweißschnappschüsse untermauert, ist die Darstellung der Gemeinschaft, die durch die starke Individualität der einzelnen Figuren an großer Tragkraft gewinnt. Die Einblicke in das dörfliche Leben beschwören ein einfacheres Lebensgefühl herauf, ein überschaubares, oft glückliches, zu dem jeder einen Teil beitragen kann und wirklich niemand außen vor bleibt. Überspitzt gesagt generieren Loisel und Tripp ein schlichtes Utopia abseits glänzender Stahlglasbauten, wie sie so gerne zur Illustration von dergleichen Entwürfen herangezogen werden.

So fühlbar wie das Szenario sind die Grafiken, die das Handwerk erkennbar halten: Bleistiftstriche, Tusche, unregelmäßigen Farbauftrag, aufgesetzte Lichter. Es sind freundlich wirkende Bilder, die niemals schockieren wollen und selbst in Katastrophen heranholen, mitnehmen und trösten. Die übrige Zeit mag man sich einfach nur darüber freuen, ganz besonders dann, wenn Marie, die Hauptfigur, um die sich alles dreht, wieder in den Mittelpunkt rückt. Die Momente, in den sie ihre Schwangerschaft einfach genießt und auch jene Augenblicke, in denen sie ihr Glück mit ihrem guten Freund Serge teilt, gehören zu den Höhepunkten der Handlung.

Wann gab es das zuletzt: Ein Comic, nach dessen Lektüre sich man gut fühlt? Das geschieht nicht häufig und schon gar nicht über die gesamte Reihenlänge von neun Folgen. DAS NEST ist ein Kunststück gelungener Erzählung und eine weitere Seite von Regis Loisel. Ein toller Abschlussband, eine sehr empfehlenswerte Serie. 🙂

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