Eine alte Fotografie führt zum Ziel. Eine Frau lehnt an einem Baum. Aus dem Schatten heraus blickt sie durch das spielerische Treiben auf der Wiese dem Fotografen geradewegs an. Ein freundlicher Tag liegt über dem Landgut im Hintergrund. An einem der vielen Fenster steht eine Gestalt, offensichtlich männlich. Ein Wappen markiert den Ort. Unwiderstehlich werden Stanislas und Bertille von diesem alten Gemäuer angezogen, magnetisch geradezu, alles hinter sich lassend. Doch dort angekommen, finden sie sich nicht nur wieder, es erwartet sie auch etwas derart Ungewöhnliches, dass es ihre kühnsten Vorstellungen übersteigt.
Ein romantisches Geheimnis. Laurent Vicomte entwirft ein mysteriöses Szenario. Ein fantastisches Geisterrätselmärchen wartet auf den Leser. Zum Mitraten. Miterkunden. Träumen. Frankreich, so scheint es, besitzt eine romantische Seele. Schlösser, insbesondere im Gebiet der weltberühmten Loire, locken den träumenden Touristen. Landstriche wie die Auvergne sind nicht nur gallischfreundlichen Comic-Fans ein Begriff. Laurent Vicomte hat sich den geschichtsträchtigen Landstrich für seine Geschichte ausgesucht, wenngleich er ganz normal im modernen Paris beginnt, mit einem Todesfall und einem unerwarteten Geschenk.
Der junge Mann, Stanislas, der dieser alten Frau begegnet, die kurz darauf in seinen Armen verstirbt, ist von diesem Ereignis derart betroffen und beeindruckt, dass er nach einem Fund einer alten Fotografie in den Taschen der Toten mit Nachforschungen beginnt. Und Stanislas wird fündig. Zusammen mit seiner Freundin Bertille mündet seine Suche auf einem verfallen Herrensitz. Als wäre die Erkundung des verlassenen Guts nicht schon geheimnisvoll genug, geschieht bald etwas außergewöhnliches.
Laurent Vicomte beschreibt eine Handlung, von der sich einmal nicht genau sagen lässt, wann die Pfade des Realismus verlassen werden und wann die Traumwelt endgültig Besitz von den beiden Hauptfiguren ergreift. Dies geschieht so einfach und so leicht, dass während des Lesens noch einmal zurückgeblättert wird, um all die verschiedenen Vorzeichen zu suchen, die allesamt vorhanden waren, sich dann aber nach einer Weile erst wie Puzzleteile zu einem Bild vereinigen. Laurent Vicomte, der den sämtlichen Entstehungsprozess des Comic-Albums übernommen hat, als Autor, Zeichner und Kolorist, setzt sein romantisches Abenteuer mit zerbrechlichen Grafiken um.
Die Anklänge zur versteckten Handlung, unter der Dramaturgie, das Spiel zwischen den Geschlechtern, amouröse Tendenzen, sind von Beginn an vorhanden. Hieraus könnte ebenso gut eine französische Komödie entstehen. Dennoch wandelt es sich zu einem verklärten Blick auf andere gesellschaftliche Normen, eine nicht immer praktische, aber wunderbar anzuschauende Mode und eine Zeit, in der noch durch die Blume gesprochen wurde. Gerade der modische Teil der Bilder und die peinlich genaue Umsetzung lassen annehmen, dass Laurent Vicomte eine nicht geringe Begeisterung für ein historisches Ambiente besitzt. Allein das Anlegen eines Kleides, eine regelrechte Verpackung, durchaus auch erotischer Natur, ist ein Kabinettstückchen für sich.
Laurent Vicomte stellt den romantischen Bildern, in denen die Zeit still steht, die Geschwindigkeit fehlt, jene Nachforschungen in jüngeren Tagen gegenüber, denn Stanislas und Bertille können nicht einfach so aus dem Leben verschwinden, ohne dass jemand nach ihnen sucht. Immerhin das haben sie der verstorbenen alten Frau voraus, für die sich niemand zu interessieren scheint. Eine aquarellartige und markerleichte Kolorierung lässt den Eindruck alter Postkartenmotive entstehen.
Ein Anhang zeigt die Entstehung des ersten Bandes des Vierteilers mit zahlreichen Skizzen unterlegt. Wie modische Einflüsse, auch bei Möbeln, Frisuren und in der Architektur das Flair dieser Geschichte prägen wird hier ganz besonders deutlich.
Romantik pur, selten in dieser Art im Comic zu finden, mit sehr schönen Bildern unterstrichen. Laurent Vicomte erzählt mit sehr viel Herz und Freude an einer vergangenen gesellschaftlichen Epoche. 🙂
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