Der Übungskampf der beiden Freunde Golias und Konios findet aufmerksame Beobachter. Golias nutzt den Moment der Unachtsamkeit seines Freundes und beendet den Kampf. Konios, dessen Blick an der Schwester des Golias hängen bleibt, kann nur verlegen lächeln. Aerena hingegen, das Mädchen, der die Aufmerksamkeit des Konios gilt, rümpft die Nase über den interessierten jungen Mann, kann allerdings nur schwerlich darüber hinwegtäuschen, dass hinter den ablehnenden Worten auch eine gewisse Sympathie steckt. Ihr Vetter Varon beobachtet das Geschehen voller Misstrauen.
Helden werden nicht geboren. Helden beschreiten einen Leidensweg. Golias, der Königssohn, muss alles verlieren, um ins Abenteuer zu finden. Und wie stets, wenn Helden sich aufmachen, damit das Gute siegt, scheint der Kampf bereits zu Beginn verloren zu sein. Dabei sieht es zunächst gut aus. Als Wunschkind in die königliche Familie geboren, könnte Golias den traditionellen Weg bis zum Thron beschreiten. Würden nicht in der Jugendzeit die Intrigen heranreifen, die sein Leben sehr bald in ein Chaos stürzen werden. Serge Le Tendre, hierzulande bekannt von Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit, rüstet als Autor seinen Helden mit jugendlichem Ungestüm aus, Kraft, auch Intelligenz, doch die Leidenschaft übermannt den Königssohn leider im falschen Augenblick.
Es ist bezeichnend, dass dieser jungen Mann durch Verteidigung in die Ecke gedrängt wird und nicht der Angriff es ist, der ihn ins Verderben stürzt. Sein Einsatz zur Rettung seiner Schwester ist der Auslöser für den Niedergang seiner Familie. Der Held muss nicht nur ein wenig verlieren. Er muss alles verlieren. Autor Serge Le Tendre hält sich strikt an diese Vorgaben, lässt Golias nur ein paar wenige Freunde und eine letzte, sehr vage Möglichkeit, um die Lebenssituation zum Guten zu wenden.
Es sind nicht die Könige, die Alten, die das Schicksalsrad in Bewegung setzen, es sind die Jugendlichen und eine Mixtur aus Liebe, Trieben und Eifersucht, die sämtliche Figuren der Tragödie näher bringen. Aerena, die Schwester von Golias, und Varon, der Vetter, sind aneinander geschmiedet. Aerena will keine Beziehung zum dem etwas schmierigen jungen Mann. In verschiedenen Schlüsselszenen werden gerade durch diese beiden die Weichen für das weitere Drama gestellt.
Da die Geschichte nicht, wie vielleicht dem Genre-Fan aus anderen Publikationen her bekannt, mit wilden Kämpfen die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern das familiäre Geflecht immer dichter webt, kann sich Zeichner Jerome Lereculey regelrecht in die einzelnen Charaktere versenken und mit zahlreichen Emotionen spielen. Optisch dem Realismus verschrieben, auch dem Perfektionismus, gehört Jerome Lereculey zur Oberliga europäischer Comic-Künstler. Seine Arbeit ähnelt aber auch etwas denen eines Brandon Peterson oder Steve Epting (die beide in fantastischen Themen bei CrossGen arbeiteten).
Im Realismus von Jerome Lereculey blinzelt aber auch ein klein wenig der heitere Strich aus der Disney-Ecke hervor, der besonders bei Ganoven und einer ganz bestimmten Kreatur sichtbar wird. Die Strix, eine kleine giftige Echse, die auch dem Star Wars Universum entsprungen sein könnte (Stichwort: Salacious Crumb), fällt aus dem Rahmen, der ansonsten sehr naturgetreu gestalteten historischen Kulisse. Auch im Gauner Bolos, dem einzigen Menschen, der die Strix anfassen darf, ohne gebissen zu werden, finden sich eher humorvolle Ansätze in der Darstellung.
Die Kolorierung von Stambecco, sehr gedeckt und besonders in nächtlichen Szenen besonders schön anzuschauen, malt ein feines Bild eines südlichen Griechenland, paradiesisch zuerst, später immer düsterer und höllischer werdend.
Ein schönes Historienabenteuer, fesselnd erzählt und mit zwei treffend sympathischen Hauptfiguren, Golias und Konios, versehen. Der Auftakt des mehrteiligen Abenteuers liest sich flüssig, ist wunderbar anzuschauen dank des technisch versierten und sehr talentierten Zeichners Jerome Lereculey. 🙂
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