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Comic Blog


Dienstag, 13. November 2012

Lulu – Die nackte Frau

Filed under: Biographie — Michael um 11:36

Lulu - Die nackte FrauLulu ist eine ganz normale Frau. Sie hat drei Kinder, einen Ehemann. Zwei Kinder sind noch kleiner, die Tochter ist bereits 16, an der Schwelle zum Erwachsensein. Der Ehemann ist vermutlich so, wie Lulu sich einen Ehemann vorgestellt hat. Wie ein Ehemann eben ist. Ungeduldig zuweilen, mit einer langweiligen Arbeitsstelle und dem Drang, ab und zu die Langeweile mit etwas Alkohol zu betäuben. Und letztlich ist Lulus Leben wie betäubt, fremdgesteuert, nicht inhaltsleer, aber nicht ganz das ihre, so scheint es. Eines Tages geht Lulu einfach. Nachdem ein Vorstellungsgespräch eher zu einer Welle leiser Vorwürfe wurde, kehrt sie nicht nach Hause zurück.

Mit vierzig Jahren, um diesen Dreh herum, findet manchmal ein Wandel statt. Es tauchen, wahrscheinlich nicht zum ersten Mal, dafür umso drängender, die Fragen nach einer Bestandsaufnahme auf. Die Jugend ist vorüber. Was kommt jetzt noch? Wie viel Zeit ist noch übrig? Was wurde verpasst? Was stellt man mit dem verbliebenen Rest an, so lange die körperliche Befindlichkeit noch mitspielt? Etienne Davodeau gehört zu jenen Autoren, nicht unbedingt nur Comic-Autoren, die sich einem solchen Thema mit dem richtigen Ton nähern können, mit Verständnis, ein wenig Güte in der Erzählung, zwischen den Zeilen lächelnd, jener bewundernswerten französischen Melancholie.

Lulu scheint vieles mit den Jahren verlernt zu haben. Die uneingeschränkte Freude, Liebe in ihrer verspielten Form, den Genuss von Ruhe eingeschlossen. Lulus Freunde stehen vor diesem Verschwinden sehr ratlos. Man verschwindet nicht einfach aus dem Alltag. Etienne Davodeau zeichnet schnörkellos, ungeschönt ganz normale Menschen, keine Modelle, beobachtend. Man kann Lulu als Leser im Verlauf bemitleiden, ihre Gefühle nachvollziehen, so, wie es sogar einem engen Freund und gar der eigenen Tochter gelingt. Tage sind es nur, die Lulu benötigt, um zu einigen Kernfragen des Lebens Antworten zu finden. Es sind durchaus ganz persönliche Fragen, zu denen jeder seine eigenen Antworten findet, aber jeder innerhalb der Geschichte begreift diesen Prozess, früher oder später. Sogar der gehörnte Ehemann.

Die Geschichte besticht durch ihre Zufallsbegegnungen. Lulu lässt sich treiben. Zunächst noch mit Geld, später ohne. Lulu verändert sich zunächst, erfährt Verständnis und muss bitter lernen, dass eine Erfahrung nicht eins zu eins übertragbar ist. Der Leser lernt Lulus Ausbruch aus zwei Sichtweisen kennen, aus ihrer eigenen und jener ihrer Verwandten und Freunde, die sich ehrliche Sorgen um sie machen. In sehr leichten Farben zeichnet und malt Etienne Davodeau Charakterköpfe, gewöhnliche Städte, vertrautes Umfeld innerhalb europäischer Maßstäbe, einzig das Meer sticht als Ruhepol, als eine Art meditativer Anziehungspunkt heraus.

Der Wendepunkt erfolgt mit einem missglückten Diebstahl. Lulu weiß sich nicht anders zu helfen. Um zu Geld zu kommen, will sie stehlen. Sie dachte, sie könnte es, da sie glaubt, diesen Punkt erreicht zu haben, doch sie ist letztlich nicht bereit dazu. Und sie gerät an Marthe, eine sehr alte Frau, knurrisch, mitfühlend und es entsteht eine kurze, intensive Freundschaft. Etienne Davodeau zeichnet einfache Gesichter, in denen viel Ausdruck liegt, einfache Gesten, die jeder versteht und die keine Worte brauchen.

Im frankophonen Raum schaffen Autoren immer aufs Neue diese Leichtigkeit in Erzählungen mit sehr menschlichen Themen, mit einem Schuss Melancholie, einer Prise feinen Humors, viel Mitmenschlichkeit. Am Ende steht das versöhnende Ende, kein Wegweiser, aber ein Aufatmen und ein Mitfreuen. Sehr schön. Für Freunde echter Comic-Themen absolut empfehlenswert. 🙂

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