Montag, 15. November 2010
Eine tote Krähe für einen Blick unter den Rock. So hatte es sich der verwahrloste Junge gedacht. Das Mädchen hatte ihm eigentlich nur etwas zu essen geben wollen. Sogar für den nächsten Tag hatte sie schon geplant. So weit kommt es nicht mehr. Der Junge erwürgt das Mädchen. Diese Untat führt auf einen langen Weg in die Piraterie, sogar in ein langes Leben, was mehr als ungewöhnlich für einen Piraten ist. Nicht wenige werden im Laufe der Zeit sterben. An Krankheiten, Messerstechereien, bei Überfällen, als Strafe. Hier werden keine Frauen gerettet. Hier werden sie ausgesetzt. Hier hat ein Blinder kein Pardon, denn er besitzt sogar den Wagemut zur Meuterei. Dann kann er auch sterben wie ein ganzer Mann. Und wie es sich herausstellt: Er kann auch töten wie einer. Aber diese Männer kennen auch Angst, die Angst vor dem elenden Verrecken. Ein schneller Messerstich ist ihnen lieber als das Siechtum einer Krankheit.
PIRATEN! Aber nicht irgendwelche Piraten: Es sind die Piraten des Seglers Morgenstern, die hier die Weltmeere unsicher machen. Echte Männer, ohne die geringste Spur altehrwürdiger Seefahrerromantik. Der Erzähler der vorliegenden Geschichte, eine Adaption eines Romans von Pierre Mac Orlan, ist niemand, der Sympathien weckt oder Vertrauen einflößt. Bereits als Junge tötet er ein Mädchen, nur um ihr unter den Rock zu schauen. Während die alten Männer, bei denen er untergekommen ist, den grausamen Akt wenigstens als etwas begreifen, das ihnen Ärger einbringt, ist dem Jungen die ganze Aufregung eher unbegreiflich.
Riff Reb’s hat sich kleine Episoden aus dem Leben dieses Taugenichtses herausgesucht, einem Leben, das an Bord der Morgenstern führt. An die Seite des Schiffsarztes Mac Graw, eines Mannes, der sich über das Schicksal von Hundewelpen grämt, während der Alltag als Pirat ihm kein schlechtes Gewissen bereitet und der seine Trauer über den Verlust der Hunde im Blut eines Mannes ertränkt. Es führt an die Seite des Kapitäns George Merry, einem Halsabschneider, wie er im Buche steht. Für einen solchen Halunken zählt nur das Überleben. Eine Beute ist eine Beute, ganz gleich ob es nur ein wenig Fang von Fischkuttern ist, Gold oder Menschen, die sich verkaufen lassen.
Riff Reb’s erzählt eine Geschichte nach, die interessant im einfachsten Falle, mitreißend im besten Falle ist. Nirgends wird der Leser eingeladen, sich auch nur mit einem einzigen der vorgestellten Charaktere zu identifizieren. Hier ist es sogar besser, nur ein stummer Beobachter zu sein. So mitleidlos wie die Piraten zu anderen sind, so mitleidlos ist diese Welt zu ihnen. Keine Gesetze, kein Schutz. Der Tod ist allerorten. Er hat sie gezeichnet und nimmt auch den in Rückblicken heranwachsenden Erzähler nicht davon aus. Die von Riff Reb’s adaptierte Geschichte wir auch von ihm gezeichnet. Die Technik und das Endergebnis setzt rundum auf Atmosphäre.
Visagen: Die Figuren sollen einen Ausdruck haben, sie sollen nicht in letzter Konsequenz realistisch ausschauen. Riff Reb’s gibt Gefühlen und Erfahrungen ein Aussehen. Da ihm durch die episodenhafte Erzählung nicht genügend Zeit bleibt, um jedes Detail eines Charakters zu erläutern, muss das Gesicht des Einzelnen, müssen Haltungen und Körper erzählen. Daraus entsteht rein optisch eine harte, auch tief verkommene Welt, in der Widrigkeiten wie die Cholera den Menschen zusetzen. In der Abartigkeiten und Verkommenheiten kaum der Rede wert sind.
In feinen Schwarzweißzeichnungen, perfekt schattiert und dadurch mit toller Tiefe versehen, zeigt Riff Reb’s diese doch eigentlich sehr exotische Welt irgendwo bei Veracruz und Porto Bello düster und dunkel, nicht hell und heiß, wie man sie sich eigentlich vorstellen sollte. Die Männer nehmen ihre dunkle Heimat mit sich, Frankreich, England, die Kriege in der alten Heimat erreichen sie auch hier draußen. Es gibt Farbe, doch je Seite gönnt Riff Reb’s sich und den Lesern nur einen Grundton, den aufhellt oder abdunkelt. Und selbst diese Farbtupfer sind kalt: Braun, Blau, Grün, Ocker, und andere, auch ein seltenes Rot wurde unterkühlt.
Wunderbar gezeichnet und trefflich erzählt. Doch gibt es hier keinen Errol Flynn oder Johnny Depp, aber es gibt eine Spur von Verstehen darüber, warum die Männer sind, wie sie sind. Aber kein Verständnis. Und keine Gerechtigkeit, außer der Tatsache, dass am Ende auf jeden der Tod wartet. Für manche am Ende eines Stricks, für andere nach langer Bitterkeit. Tiefgründig und spannend. Nichts für Romantiker. 🙂
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Freitag, 12. November 2010
Wie Freunde sich doch manchmal kennenlernen: Da beklaut einer den anderen, steht zuerst in seiner Schuld und schließlich kommen sie nicht mehr ohneeinander aus. Im Gegenteil: Werden sie doch auch noch zum jeweiligen Lebensretter des anderen. Das gibt es wahrscheinlich nur auf Dandalos. Eine planetenweite Stadt. Ohne Unterbrechung. Gasse reiht sich Gasse. Straße folgt auf Straße. Dazwischen, versteckt, existieren Mauern, Grenzen, verbergen sich verschiedene Reiche. Es ist ein Gewirr von Völkern, Menschen und allerlei anderen Wesen, mit vielen Geheimnissen unter der Oberfläche, Königen und Bettlern, Friedensstiftern und Intriganten. Und Kartographen. Nur die Meisterkartographen von Aramantes kennen sich wirklich in diesem riesigen Labyrinth aus.
Archim Decamp ist nicht nur guter Kartograph, er ist auch ein Herzensbrecher und Schwerenöter. Wer ohnehin nicht lange an einem Ort verweilt, hat damit keine Probleme. Eigentlich, denn Archim Decamp ist eben doch zu oft zu lange an einem Ort. Und nicht jede Frau, mit der er anbandelt, ist ledig. Oliver, ein Langfinger, merkt außerdem, dass ein Schäferstündchen nicht jegliche Aufmerksamkeit des Kartographen in Anspruch nimmt. Aus einem Diebstahl wird der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und der Auftakt zu gefährlichen Abenteuern.
Christophe Arleston hat sich wahrhaft auf dem Gebiet der Comics verdient gemacht. Er hat Universen geschaffen (Troy, Ythag) und Mehrteiler erzählt, immer abwechslungsreich und spannend. Wie sehr das eine auf dem anderen aufbaut, zeigt sich wieder einmal hier. Dandalos, ist ein Stadtplanet. Wer einen Vergleich zu Coruscant herstellen mag, liegt genau richtig. Zwar gibt es hier keine Wolkenkratzer, aber das Straßengeflecht, die Vielfalt, die mit diesem Gewirr und Gewimmel einhergeht, ist eine perfekte Grundlage für eine Vielzahl von Geschichten, die sich an allen Ecken und Enden ergeben können.
Paul Glaudels Zeichenstil erinnert an Moebius. Es ist ein wenig verspielter, in jedem Fall aber sehr konstruiert. Galudel überlässt nichts dem Zufallsstrich, vereinfacht aber auch. Optisch erinnert die Ausführung der Figur von Archim Decamp an die Köpfe auf den Osterinseln: Sehr langgestreckt, kantig, die Augen oft im Schatten liegend. Hart gezeichnete Konturen der Wangen und eine Kinnpartie, mit der noch nicht einmal ein Schwarzenegger karikiert wird. Andere Figuren sind deutlich weicher und runder gezeichnet. Echte Kerle sind bei Glaudel gröber und voluminöser.
Arleston und Glaudel folgen sehr schnell einem roten Faden. In den hier zusammengefassten ersten beiden Abenteuern, Der Stadtplanet und Die Glyphe des Hofnarren, agiert eine geheimnisvolle Vereinigung hinter den Kulissen, die Sapientisten. Ihre Intrigen führen sogar zu Aufständen. Lernt der Leser im ersten Teil so auch die Unterwelt von Dandalos kennen und Gefahren, die Arleston, wie so oft, gerne andernorts entlehnt oder zitiert. Arleston kennt seine Vorbilder, vermengt gerne und kreiert so etwas neues. Glaudel hat aber nicht nur Filmzitate umzusetzen. Gleich im zweiten Abenteuer geht es in ein Reich, mit Kostümen, angelehnt an die Mode in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert.
Das hat optisch stets eine gewisse Moebiussche Simplifizierung, eine verspielte Vereinfachung, der es trotzdem an nichts mangelt, da die Handlung forsch voranschreitet. Die Farbgebung folgt den eher einfachen Formen. Sie ist nicht sehr detailfreudig, dafür aber kräftig, heiter. Mehr braucht es hier nicht.
Ein Umblätterer: Man will einfach wissen, wie das Abenteuer weitergeht. Arleston war in seinen Anfangstagen bereits ein guter Erzähler, der es verstand und immer noch versteht zu erzählen. Stetig steigernd, humorvoll und mit guten Ideen. Leichte Fantasy, die Spaß macht. 🙂
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Mittwoch, 10. November 2010
Der Angriff ist ein Himmelfahrtskommando. Niemand kann das überleben. Dieser Soldat ist anders. Er lebt für den Kampf. Kyuzo ist der perfekte Krieger. Was aber geschieht, wenn ein perfekter Krieger die perfekte Waffe in seinen Händen hält? Die Grod? Die Grod ist mehr als nur eine Waffe. Ihre Protokolle lassen sie eine Einheit mit ihrem Benutzer bilden. Sie denkt mit. Sie ist der mechanisierte Tod in den Händen eines Menschen. Aber Kyuzo empfindet es scheinbar anders. Als er gefragt wird, was er von der Grod hält, liegt auf seinen Gesicht ein Ausdruck des Glücks.
Grafisch gehört die bislang vierteilige Reihe um die Geschehnisse eines russischen Reiches in einer alternativen Zeitlinie zu dem Feinsten, das es im Bereich Science Fiction geben mag. Orientiert am Manga ebenso wie an Star Wars entfaltet sich vor dem Betrachter ein Epos, dessen Handlungslinie im vierten Teil parallel einen Teil Vergangenheit und einen Teil Gegenwart erzählt. Christian Gossett, federführend bei diesem Projekt, kennt sich mit Epen aus, arbeitete er doch am genannten Science Fiction Universum mit. Zwar hat The Red Star noch nicht die Komplexität dieses Vorreiters erreicht, die Bandbreite ist allerdings seit der ersten Ausgabe enorm gewachsen.
Krieg ist das Thema. Die Vereinigten Republiken des Roten Sterns zerfleischen sich inzwischen selbst. Es ist längst kein Krieg mehr, der nur von Menschen geführt wird. Geister, die Ahnen, verstorbene Krieger und Soldaten, können beschworen und dienstbar gemacht werden. Entweder handeln sie aus freiem Willen oder sie werden versklavt. Auf der anderen Seite ist High Tech die Waffe. Riesige Schiffe, intelligente Schusswaffen, vor Muskeln strotzende Elitekämpfer mischen sich mit Beschwörern. So irrwitzig diese Verbindung auch klingen mag, ist sie beinahe so beschaffen, eine Grundlage für ein eigenes Genre zu kreieren, ähnlich wie der Steampunk es bereits geschafft hat.
Optik: Die Serie kleckert nicht, sie klotzt. Eines, manchmal zwei Bilder auf einer Seite präsentieren sich wie Zeichnungen, die einem Computerspiel zugrunde liegen oder einem Storyboard entnommen sind. Der Eindruck entsteht nicht zuletzt aus der Zuarbeit einer 3D-Schmiede und einer Abteilung für digitale Malerei. Aus der Kombination mit diesen mit der klassischen Vorzeichnung mit Bleistift entstehen Effekte, die so nicht vom Papier her, vielmehr von mittlerweile computergenerierten Filmen her bekannt sind (beispielhaft: Final Fantasy). Auch die Gestaltung der Figuren ist sehr japanisch, koreanisch, insgesamt asiatisch zu nennen. Das hat etwas puppenhaft abgewandeltes in jeder Figur, stört aber durch den tollen Aufwand an sonstiger Ausstattung keineswegs.
Der Farbauftrag wirkt milchig. Manchmal wird Bewegungsunschärfe eingesetzt. In Totalen ist zuweilen Nebel ein Mittel, um mehr Tiefe und Abstand zu erzeugen, aber auch, um ein wenig zu kaschieren. Der Auftritt der Geister in ihren weißen Konturen und durchscheinenden Gewändern ist ein toller Effekt, so nachvollziehbar er auch ist. Ähnlich verhält es sich mit der roten Frau, Pravdas erster Streiterin, die hier wie alle anderen Hauptdarsteller und wichtigen Nebenfiguren im Vorspann erst einmal vorgestellt wird.
Grafisch besonders beeindruckend: Troika, Verteidiger von Erzengel. Die Konzeption ist jene eines stählernen Sensenmannes, zusammengesetzt aus einer Unmenge von Metallteilen, eigentlich starr und dennoch geschmeidig, als handele es sich um Stoff. Körper, Gewand, Umhang, alles ist aus Metall. Es ist ein Ungetüm, das so ziemlich jeden Cyborg oder jedes Todeswesen in den Schatten stellt. Allein sein Auftreten ist exzellent in Szene gesetzt.
The Red Star ist für den Comic ein wenig das, was Cinemascope für das Kino war. Etwas übertrieben vielleicht, aber sicherlich nicht übertrieben ist der Umstand, dass die Reihe einen Comic-Meilenstein darstellt, was aufwendige Erzählung und Gestaltung angeht. Trotz der umfangreichen Einleitung ist die Vorkenntnis der ersten drei Bände zum Verständnis dieser Episode empfehlenswert. Allein deshalb, da man ansonsten etwas verpasst. 🙂
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Montag, 08. November 2010
Unter Deck ist es furchtbar. Die Hängematten hängen kreuz und quer. Das Auge kann kaum einen Weg hindurch entdecken. So beengt wie es ist, versuchen die Männer trotzdem ein wenig Ruhe zu finden. Doch der Streit gärt hier geradezu. Cäsar ist ein hochtrabender Name. Die abgerissene Gestalt, die ihn trägt, ist am Tiefpunkt des Lebens angelangt. Hunger hat aus ihr ein Klappergestell gemacht. All ihre Habseligkeiten, selbst den letzten Rest Kleidung hat sie beim Spiel verloren. Aber Cäsar hat noch einen Rest von Stolz. Er hat noch eine Spur alter Gewitzheit und Erfahrung. Und so wehrt er sich. Mit diesem Kampf entsteht die Tragödie. Aus einem Zweikampf wird ein Blutbad.
Francois Bourgeon beschreibt den harten Alltag auf einem Gefangenenschiff. Die Verachtung der Wärter gegenüber ihrer Fracht, die Unmenschlichkeit der Gefangenen untereinander. Bourgeon, Autor und Zeichner dieses Mehrteilers, stellt dem Leser ein drastisches Bild dieser Zeit vor. Dabei ist diese Szenerie nur der Auftakt. Obwohl die zweite Folge von Reisende im Wind den Titel Das Gefangenenschiff trägt, ist dieser Teil der Handlung bis zur Hälfte des Albums erzählt. Bourgeons Helden, die Reisenden um die junge Isabeau de Marnaye, müssen sich nun an Land durchschlagen und das ist ebenso schwer wie zur See. Überall wimmelt es von Halsabschneidern, Vergewaltigern, Mördern und Gaunern, die einem nicht einmal das Schwarze unter den Nägeln gönnen.
Sehr geschickt spielt Bourgeon mit Gegensätzen. Arm, reich. Jung, alt, Schön, häßlich. Geburt und Tod. Besonders letzteres wir in einer Sequenz deutlich. Eigentlich wollen die Flüchtlinge ein kleines Straßenmädchen retten, es mitnehmen in eine ungewisse, aber bestimmt bessere Zukunft. Aber das Mädchen will nicht. Es wagt sogar, ihre Retter wie auch Verfolger zu verhöhnen. Kurze Zeit darauf fällt ein Schuss. Und nicht viel später wird ein Kind geboren. Nichts kündigt diese Wendung der Geschichte an. Bourgeon ist für Geschichten gut, in denen alles geschehen kann. Zwar zeigt sich, dass er auf seine Art auch ein Romantiker ist, aber das bedeutet für seine Figuren keine Sicherheit. Bourgeon verpflichtet sich selbst der Echtheit.
Echtheit ist gleichzusetzen mit ausgiebiger Recherche und viel Feinarbeit. Die Atmosphäre ist stimmig und entschädigt in der Folge für die anfängliche Düsternis mit ausgleichender Heiterkeit. Allerdings auch nur bis zu einem gewissen Grad. Bourgeon zeichnet diese Bilder mit scheinbar leichter Hand. Ein Gesicht entsteht mit wenigen Strichen und ist doch ausdrucksstark und jeweils von hohem Wiedererkennungswert. Alte Gesichter lässt Bourgeon gerne entgleisen. Viele Menschen sind in diesem Szenario hager (aus Hunger), entsprechend faltig, hängend, zerfurcht sehen sie noch in die Welt. Schmallippig, mit wenigen oder gar keinen Zähnen mehr.
Man merkt der Geschichte an, dass sie einen Übergang darstellt, denn das große Abenteuer folgt später in Afrika. Im kommenden Abschnitt mischt Bourgeon gekonnt exotische Kulisse mit europäischen Charakteren. Alles an dieser vorliegenden zweiten Episode ist ein Abschied, mit unterschwelliger Unruhe für den Leser, da er nicht vorausahnen kann, ob und von welchem der Reisenden er sich nun tatsächlich verabschieden muss.
Vorbildlich erzählt, eine Geschichte, die sehr stark von ihrer Atmosphäre lebt. Bereits hier ist die Vorkenntnis der ersten Episode Pflicht. Bourgeon verzahnt seine Geschichten sehr stark und fordert Aufmerksamkeit. Aber wer sich auf dieses Historienabenteuer einlässt, wir belohnt. 🙂
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Freitag, 05. November 2010
Der blinde Bettler ist dem Tod geweiht. Der Hund könnte überleben, hinge er nicht an einer Leine unter Wasser, die der längst ertrunkene Bettler weiterhin fest umklammert hält. Während oben einige Passanten darauf wetten, wie lange der Hund wohl durchhalten mag, ist Storm mit einem Sprung im Wasser und befreit das Tier. Dankbarkeit erntet er dafür keine. Dafür geraten Storm, Rothaar und Nomand einmal mehr ins Zentrum ungebetenen Interesses. Was folgt, ist die Flucht und sehr, sehr viel Ärger.
Marduk, der mächtige, aber wenig geliebte Herrscher, ist immer noch auf der Suche nach der Anomalie, wie er den fremden Storm nennt. Nun setzt er Hunde bei der Suche ein. Wie so häufig treffen wir Storm zu diesem Zeitpunkt, dem Beginn eines Abenteuers, in einer unverfänglichen und in keiner Weise bedrohlichen Situation an. Martin Lodewijk, der Autor, hat erkannt, dass Helden in phantastischen Genres wie Fantasy und Science Fiction Menschen wie du und ich sein können. Neben den üblichen Alltäglichkeiten gehört auch Einkaufen manchmal zu den Notwendigkeiten. Kleidung verschleißt und Frauen brauchen sowieso von Zeit zu Zeit eine Auffrischung des Kleiderschranks.
Rothaar, Storms Begleiterin, macht da keine Ausnahme. Ein feiger Anschlag wird zum Auslöser des weiteren Geschehens. Storm rettet einem Hund das Leben und zieht damit die Aufmerksamkeit auf das Trio. Nicht nur Marduk ist an der Anomalie, jenem Menschen aus einem anderen Universum und einer anderen Zeit interessiert. Storm und seine beiden Freunde flüchten in den Schlund.
Aus heutiger Sicht mag der Schlund wie biologisches Anschauungsmaterial wirken. Längst gibt es begehbare Därme, um den Menschen die Komplexität dieses Organs zu veranschaulichen und die Wichtigkeit von Vorsorgeuntersuchungen zu unterstreichen. Dank Martin Lodewijk und des Künstlers Don Lawrence ist die Gefahr hier eine ganz andere: Storm, Rothaar und Nomad müssen befürchten, bei lebendigem Leib verdaut zu werden. Das Titelbild des vorliegenden Bandes zeigt einen Ausschnitt aus dieser spannenden Sequenz.
Reisen in einen Körper haben eine gewisse Tradition. Sehr früh verschlug es Jona in den Walfischbausch und Die phantastische Reise bediente den Bereich Science Fiction. Lodewijk benutzt diese Szene als Anheizer, denn wenig später teilt sich die Geschichte in Verfolgung, Flucht, Entführung und Rettung auf. Rothaar wird erneut zum Druckmittel. Revolutionäre wollen die Anomalie benutzen. Ein geheimnisvoller Tempel wird zum Ort für einen Showdown der besonderen Art.
Dank vieler schöner Einfälle, eines tollen Humors und feiner Anspielungen wird diese Jagd zu einem weiteren guten Comic-Erlebnis der Reihe. Einerseits empfiehlt es sich, genau hinzuschauen. Don Lawrence hat sich selbst ins Bild geschmuggelt (obwohl etwas wie ein alter Asterix ausschaut). Der anführende Revolutionär könnte Castros Bruder sein. Die Fallen im Tempel wirken wie eine Verbeugung vor den ausgeklügelten Schließmechanismen in Pyramiden (jedenfalls so, wie es im Film Im Land der Pharaonen dargestellt wurde).
Grafisch kann Don Lawrence wieder einmal überzeugen, obwohl er hier noch nicht auf dem Höhepunkt seines Könnens angelangt ist. Aber hier hat er bereits einen derart hohen Vorbildcharakter erlangt, dass er im Vergleich zu manch anderen Publikationen unerreichbar wirkt. Die vielen Kleinigkeiten, ein schön gestaltetes Segel, Hautmalereien, der Hund, der so wichtig für die Handlung wird, oder die kuriosen Diener Marduks, ergeben ein ungeheuer dichtes Bild dieses Comic-Universums, so dass neben der zu lesenden Handlung auch jedes einzelne Bild in Ruhe betrachtet werden mag.
Eine weitere Station im Pandarve-Zyklus aus dem Leben von Storm: Martin Lodewijk und Don Lawrence schicken ihren Helden in höchste Bedrängnis. Wieder einmal sehr zur Freude des Lesers, der hier hervorragende Fantasy-Space-Opera-Kost geboten bekommt. 🙂
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Mittwoch, 03. November 2010
Neulinge haben es nicht immer leicht. Pilotenanwärter erst recht nicht. Und Pilotenanwärter, die einem Ausbilder namens Laverdure unterstellt werden, sind ganz arme … Azraf, der Neue, nimmt die Schikanen seines Ausbilders mit stoischer Ruhe hin. Ab und zu gelingt ihm auch eine Retourkutsche. Laverdure, der den tyrannischen Ausbilder markiert, wird blamiert und gerät an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Als er selbst einen Tadel für seinen schlechtes Verhalten erhält, scheint das Maß voll zu sein. Tanguy versucht zu beruhigen. Ohne Erfolg. Laverdure ist eine Rakete, die kurz davor steht, in die Luft zu gehen.
Leider setzt er sich damit vollkommen in die Nesseln. Denn Azraf ist nicht einfach nur Azraf. Sein voller Name lautet Emir Azraf Hadschi Ibn Mohammed. Mit Schikanen ist nun Schluss. Künftig hat Laverdure seinen ehemaligen Flugschüler mit Hoheit anzusprechen. Allerdings ist für Tanguy und Laverdure das Abenteuer damit noch lange nicht ausgestanden. Es geht erst richtig los: Des Emirs Vater ist gestorben. Plötzlich ist er Herrscher über das Land Sarrakat, in dem die Thronjäger schon bereit stehen, um den wahren Erben zu töten.
Längst lebten die beiden Abenteurer Tanguy und Laverdure bei der Veröffentlichung der vorliegenden Abenteuer nicht nur in Comics. Eine überaus erfolgreiche Fernsehserie gab den Geschichten zusätzliche Popularität und Anschub. Der Maler Yves Thos gestaltete die Titelbilder zu den beiden Alben, die den Bürgerkrieg in Sarrakat zusammenfassen. Die Gesichter orientieren sich an den Schauspielern der Fernsehserie, die wiederum sehr gut zu Vorgaben der gezeichneten Charaktere passen. Der Erfolg im Fernsehen hatte aber zur Folge, dass eine engere Anpassung an die Schauspieler vorgenommen wurde. Jije soll die Gelegenheit genutzt haben, sich aus der Nachfolge seiner künstlerischen Vorgängers Albert Uderzo zu lösen und mehr seinem eigenen Stil zu folgen.
Jije zeichnet sehr realistisch, aber auch ruppiger als Uderzo. Die Darstellung der beiden Hauptfiguren schwankt hier in der Tat. Laverdure ist im Profil dem Schauspieler Christian Marin weitaus ähnlicher als noch eine Geschichte zuvor. Entsprechend verhält es sich mit Tanguy, gespielt von Jacques Santi. Das ist durchaus gefällig und muss keinen Vergleich mit früheren Arbeiten scheuen. Irritierend ist es nur, wenn Jije bei Gaunern in eine Karikatur hinübergleitet. Das steht dem sehr realistisch angelegten Szenario entgegen.
Und realistisch geht es weiß Gott zu: Die Luftaufnahmen, ob im Düsenjäger oder Hubschrauber, die Szenen in der Wüste, zu Pferd, mit Panzern und Straßenkreuzern. Auseinandersetzungen in bester Manier eines Kriegsszenarios oder auch Thrillers, in der glühendheißen Wüste oder auch des Nachts: Beide albenlangen Abenteuer bestechen durch eine sehr dichte und hoch spannende Atmosphäre.
Etwas kurzer, aber ebenso interessant, sind einige kürzere Episoden, die der Mick Tanguy Fan bereits vor vielen Jahren in den Zack Parade Ausgaben 1-3 bestaunen durfte. Außerdem findet sich eine Kurzgeschichte in deutscher Erstveröffentlichung. Jean-Michel Charlier erzählt in der allerersten Handlung, wie Tanguy und Laverdure sich kennenlernten. Er stellt hier seinen Humor unter Beweis sowie eine pointierte Erzählweise. Innerhalb der Kurzgeschichten darf der Leser außerdem zwischen altem Stil und neuem Stil vergleichen. Während drei Geschichten deutlich von Jije im Sinne eines Uderzo gezeichnet sind, versucht er mit Ein Pilot tappt in die Falle die Optik der Fernsehserie mit starken Schattierungen einzufangen. Das hat seinen Reiz, hätte aber, auf die gesamte Serie ausgedehnt, bestimmt nicht zu einem derartigen Erfolg geführt.
Ein tolles Doppelabenteuer, sofort verfilmbar, sehr spannend, an exotischem Schauplatz, mit einer sehr geringen Dosis Humor erzählt (weitaus geringer als gewöhnlich). Verschiedene Kurzabenteuer und Zusatzinformationen runden den 5. Band der Gesamtausgabe sehr gut ab. 🙂
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Dienstag, 02. November 2010
Blondinen, so behauptet es jedenfalls auf unterschwellige Art und Weise, sind nicht besonders intelligent, aber sie haben Spaß dabei. Da man heutzutage weiß, dass Intelligenz auf vielerlei Art messbar ist, lässt sich allerdings behaupten, dass ihre emotionale Intelligenz weitaus größer ist. Kurzum: Sie haben ein großes Herz. Es gab einmal eine Hochzeit der Blondinenwitze und so ganz vorbei ist diese Ära immer noch nicht. Gaby (Text) und Dzak gehen das Thema nicht nur mit viel Humor, sondern auch ganz ohne Häme an. Man lacht nicht nur über die Blondinen, man lacht auch mit ihnen. Denn irgendwie nehmen sie hier alles ein wenig leichter.
Ob bei alltäglichen Erlebnissen, bei Dates, im Beruf, sogar in höchster Gefahr oder mit gefärbten Haaren: Es gibt nichts, was einer Blondine nicht passieren kann. Wer die vielen Witze über unsere blonden Mitmenschinnen in den letzten Jahren verfolgt hat, wird möglicherweise einiges wiedererkennen. Aber das spielt keine Rolle, denn an dieser Stelle kommt der Zeichner Dzack mit seiner Blondinen-Interpretation ins Spiel. Lange Haare, schlank, üppige Oberweite, kilometerlange Beine, große Augen und ein Lächeln, das jede eines Lächelns zeigen kann. Dzacks Blondinen (in den meisten Fällen ist es nur ein Ur-Typus) sehen nicht nur gut aus, man kann und darf ihnen auch niemals böse sein.
Es gibt Ausnahmen: Manchmal findet sich auch eine Blondine, vor der Mann sich vorsehen muss. Dann heißt es: Klappe halten. An anderer Stelle tarnt sich eine Blondine, wird jedoch schnell erkannt. Wichtig: Gaby und Dzack reduzieren den jeweils erstaunten Widerpart nicht auf Männer. Auch Frauen, insbesondere solche mit anderen Haarfarben, können es zuweilen nicht fassen. Gerade diese Fassungslosigkeit lässt die jeweilige Pointe über die Optik ein zweites Mal zünden. Diese Fassungslosigkeit (mit einem leichten Stich in die Verzweiflung) ist von Dzack wunderbar in all ihren Facetten angelegt. Manchmal sogar ist der jeweilige Gesprächspartner auch nicht zu erschüttern (z.B. wenn es sich um eine andere Blondine handelt).
Dzack arbeitet mit eher grazilen Figuren. Der Strich ist gerne geschwungen. Immer ist etwas Bewegung in den Figuren zu erkennen. Die Kulissen zeigen die nötigen Gerätschaften, Möbel oder auch Raumaufteilungen und bilden eine Art Theaterbühne oder auch eine spartanische Kulisse, wie der Leser sie vielleicht von Sitcoms oder Soaps her kennt. Das Leben einer Blondine ist, wie kann es anders sein, bonbonbunt. Hier gibt es kein Grau, kein Schwarz, keine Düsterheit. Es ist außerdem eine Welt, in der Mutter und Tochter rein äußerlich sogar Schwestern sein könnten. Dzacks Blondinen haben vor allem eine Wirkung: Sie sind sympathisch.
Spaß: Blondinenwitze in Serie, charmant erzählt, beschwingt gezeichnet. Ob Blondinen oder nicht: Der Humor ist gelungen, mal zum Schmunzeln, mal für den großen Lacher geeignet. Sehr schön: Mehr davon. 😀
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Ben und Billy sind Zwillinge. Deshalb ahnt niemand den Schrecken, der von ihnen ausgehen wird. Wie ein Fanal hängt dieses Vorkommnis über der Gruppe und ist doch nur der Anfang von viel grausameren Ereignissen. Die Reise der Gruppe geht weiter. Das Ziel lautet nach wie vor Washington. Vielleicht existiert dort eine Zuflucht. Vielleicht kann dort erforscht werden, wie es überhaupt zu dieser Katastrophe mit ins Leben zurückkehrenden Toten kommen konnte. Viele Vielleichts, doch in diesem Stadium sind sie wie rettende Anker, die Ziele vorgeben. Wenn diese nicht mehr sind, was bleibt dann noch?
Menschen im Abgrund. Nicht am, sondern im! Denn Robert Kirkman hat den exemplarischen Teil der (amerikanischen) Menschheit so tief in den Abgrund gestoßen, sinnbildlich, dass es vorläufig daraus kein Entkommen gibt. Im Gegenteil: Immer tiefer rutschen die Charaktere, eine deutlich geschrumpfte Anzahl von Menschen in das Unheil. Taten sich bislang einige Abgründe bei Erwachsenen auf, brechen nun auch die wenigen vorhandenen Kinder vollends weg. Das hat nichts mehr mit Kindern zu tun, die in einer feindlichen Umwelt lernen müssen, sich zu verteidigen: Wahnsinn macht sich breit.
Und mehr noch: Die Untoten sind zu simplen Raubtieren verkommen. Sie sind zweifellos schrecklich, aber wenigstens sind sie berechenbar. Von den Menschen, denen die Gruppe immer noch von Zeit zu Zeit begegnet, lässt sich das nicht behaupten. So ist denn jede Begegnung erst einmal von Misstrauen geprägt und das mit Recht.
Ein Fernziel, die Erforschung des Ursprungs der Untotenepidemie ist zunächst in weite Ferne gerückt. Dachte der Leser, die einzelnen Charaktere hätten ihre Menschlichkeit eingebüsst, so kann dies erst jetzt mit Fug und Recht behauptet werden. Aus dem Tiefpunkt der handelnden Personen macht Robert Kirkman einen inhaltlichen Höhepunkt der Reihe. Waren Freaks in der Zivilisation Schreckensmeldungen aus der Welt der Revolverblätter, gehören sie nun scheinbar zur natürlichen Ordnung der Dinge. Der Mensch steigt die zivilisierte Leiter nicht herab, er rutscht mit einem Affenzahn an ihr hinunter. Das beinhaltet bei aller dramaturgischen Finesse auch einen Kern Wahrheit.
Charlie Adlard hat in dieser Ausgabe nicht viele Untote zu zeichnen. Die dem Leser bekannte Gemeinschaft steht im absoluten Mittelpunkt. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass es keinen Schrecken gibt. Ganz im Gegenteil: Robert Kirkman findet den wahren Schrecken nicht mehr im Kampf gegen Zombies. Längst ist der Mensch des Menschen Feind. Kirkman hat sich einige Szenen und Ansichten ausgedacht, um genau das zu belegen und den fortschreitenden Wahnsinn zu beweisen. So vergehen nur wenige Seiten, bis sich das Entsetzen auf den Gesichtern der Hauptcharaktere spiegelt. Viel mehr gibt es auch nicht zu sehen. Den Schrecken, die Tat selbst, ihre Folgen muss der Leser erahnen, sich vorstellen.
Auf diese Weise blickt der Leser den handelnden Personen, auch den Feinden der eingeschworenen Gemeinschaft, in die Augen, liest ihre Rechtfertigungen. Äußerer Eindruck und Worte gehen dabei auseinander, mal mehr, mal weniger weit. Da findet sich der Schock, die Trauer, der Grimm, die Entschlossenheit, die Verzweiflung und nur ganz selten Erheiterung. Zuweilen wird Spaß sogar persifliert. Schwarzer Humor ist hier so finster, wie er nur sein kann. Der Schrecken, den Robert Kirkman bis zum Schluss steigert, wird von Adlard mit Schattenumrissen verschleiert. Einzelne Bestandteile, separat gezeigt, deuten auf das Geschehen hin. Aber das genügt vollkommen.
Das Ende aller Unschuld: Robert Kirkman schickt seine Helden zum absoluten Tiefpunkt. Größerer Schrecken geht nicht. (Aber jetzt könnte er ihnen auch einmal wieder etwas Glück gönnen.) Beeindruckend düster. 🙂
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