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Comic Blog


Samstag, 05. Dezember 2009

Miss Endicott 2 – Der Aufstand

Filed under: Mystery — Michael um 16:15

Miss Endicott 2 - Der AufstandRocco ist ein kleiner gemeiner Mann. Wenn man ihn lässt. Er hat keinerlei Probleme damit, unliebsame Zeugen aus dem Weg zu schaffen und Menschen zu ermorden. Nur Kevin, den darf er nicht töten. Der Meister hat ausdrücklich befohlen, nicht Hand an den Jungen zu legen. Aber das Verbot galt nicht für Miss Endicott. Die Schlichterin ist zu einem Ärgernis geworden. Sie soll aufgehalten werden, damit der große Plan nicht gefährdet wird. Doch die kleinen Männer ringsherum, mit Rocco an der Spitze, haben die Rechnung ohne die schlagfertige junge Frau gemacht, die es locker mit einem Dutzend von ihnen aufnehmen kann. Was anfangs nach einer Rauferei aussieht, wird sehr bald schon zu einem Kampf auf Leben und Tod.

Mit dem vorliegenden 2. Band ist die Geschichte um Miss Endicott abgeschlossen. Das ist einerseits sehr schade, da einem als Leser die Figur jetzt so richtig ans Herz gewachsen ist. Andererseits muss man den Machern aber ein Lob aussprechen, da sie sich nicht zu einer mehrbändigen Reihe haben hinreißen lassen. Am Ende steht ein zweibändiges Abenteuer, das in sich geschlossen und rundum gelungen ist.

Es gibt eine Welt neben der bekannten Welt. Diese Ausgangssituation ist nicht neu. Im Augenblick lebt eine breite Palette von Neuerscheinungen von dieser Idee. (Meist beschäftigen sie sich mit Vampiren.) Jean-Christophe Derrien nimmt den Leser, nachdem er im ersten Band Die Vergessenen vorstellte, den Leser mit in den Untergrund und von dort mitten hinein in einen Aufstand. Allerdings ist es kein direkter Aufstand der Vergessenen.

In einer viktorianisch anmutenden Zeit hat die junge Miss Endicott die Aufgabe ihrer Mutter übernommen: Im Zwielicht der Stadt, unter rechtschaffenen Bürgern, Tagelöhnern, Gesindel und den Titel gebenden Vergessenen dient sie nun als Schlichterin. Miss Endicott, eine junge Frau, gebildet und durchsetzungsfreudig, hat sich direkt zwei Aufgaben vorgenommen. Die Erziehung eines kleinen Jungen erledigt sie am Tage im Dienste ihrer Herren, in der Nacht geht sie den weniger öffentlichen Tätigkeiten nach. Vor allem nicht solchen, die allerorts an die große Glocke gehängt werden, noch besonderen Rum bringen. Miss Endicott gibt sich alle Mühe und gerät zusehends in Schwierigkeiten: Genau zu dem Zeitpunkt, als der Junge entführt und als Druckmittel gegen sie eingesetzt wird.

Jean-Christophe Derrien hat die erste Ausgabe mit einer Überraschung beendet, die nun hier gelüftet werden kann (wer die erste Ausgabe gelesen hat, hat es sich ohnehin gedacht): Miss Endicotts Mutter ist wieder da. Die Beerdigung war nur ein Ablenkungsmanöver. Sofort merkt man, dass diese beiden Frauen so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht. Wo die junge Miss Endicott nur mit zwei Stricknadeln bewaffnet unter Gaunern aufräumen kann, nimmt sich die Mutter ihre Gegner mit einer großkalibrigen Waffe vor, die so bombastisch ist, dass sie mit zwei Händen gehalten werden muss.

Xavier Fourquemin, der Zeichner, hierzulande auch durch seine Arbeiten zu The Changeling bei Comic-Fans bekannt, kann es in der ersten Hälfte der Fortsetzung noch ruhig angehen lassen. Die Handlung führt einige Stränge zusammen und bereitet alles für ein ausgedehntes Finale vor. Aber dann: Dann geht es rund! Die Maschine aus dem ersten Teil findet ihren Weg an die Oberfläche und beginnt ihr Zerstörungswerk. Dieser Abschnitt läuft geschwind ab. Er hat die allseits bekannte Action, Humor, Überraschungen und Wendungen. Optisch ist es ein wenig so, als habe ein Tim Burton den Weg ins Comic-Fach gefunden. (Was angesichts seiner Vergangenheit nicht abwegig ist. Außerdem fühlt man sich als Leser bei derart großen, von einer Person gesteuerten Maschinen an ein marsianischen Riesenroboter erinnert.)

Fourquemin gehört zu den Zeichnern, die mit ihrem ganz eigenen Stil punkten können. Er liebt lange Gesichter, Rundungen und große Augen. Insgesamt arbeitet er mit zerbrechlich wirkenden Zeichnungen, kontrastiert durchbrochen von manchmal großen schwarzen Flächen wie Höhleneingängen oder schattenhaften Baumgruppen. Diese Schwere wirkt stets bedrohlich, herausragend atmosphärisch, den insgesamt bringt Fourquemin eine sehr dichte Inszenierung zu Papier, die durch die kräftige, aber niemals strahlende Farbgebung von Scarlett Smulkowski noch unterstrichen wird.

Ein toller Abschluss, ein besserer zweiter Teil eines guten ersten Bandes. Eine andere, sehr eigenständige Geschichte in einer Welt neben der Welt, mit allem Ernst erzählt, sehr individuell gestaltet, ohne sich anderen Stilen zu verpflichten. Eine tolle Comic-Überraschung. 🙂

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