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Comic Blog


Freitag, 14. August 2009

Sleeper 3 – Die Gretchenfrage

Filed under: Thriller — Michael um 20:23

Sleeper 3 - Die GretchenfrageHolden Carver hatte sich etwas mehr von Gretchen erwartet. Nicht die große Liebe, das beileibe nicht. Aber Respekt wäre ein Anfang gewesen. Er hat nicht damit gerechnet, dass sie ihn in dieser Form bescheißt, mit einem Typen, der sich in einen Wolf verwandeln kann. Zu seiner Überraschung ist Carver von dieser kleinen Episode betroffen. Er hat gehofft, dass sich etwas mehr, etwas besseres daraus entwickelt. Er hat sich selber getäuscht. Das beschäftigt ihn am meisten. Was er nicht ahnt: Gretchen hat ähnliche Gedanken. Ihr ist die Nähe, die sie zugelassen hat, unerträglich. Nähe bedeutet Schwäche.

Es ergeben sich neue Schwierigkeiten, die zwar nichts mit Liebe zu tun haben, dafür aber mit Hass: Holdens erster Auftraggeber John Lynch ist wieder da. Seltsamerweise ist er aus dem Koma erwacht. Zur absoluten Unzeit versucht Lynch mit seinem alten Undercover-Agenten Kontakt aufzunehmen. Längst hat Holden versucht, sich mit seiner Situation zu arrangieren. Jetzt kämpft er an zwei Fronten und es gibt niemanden, dem er noch trauen kann. Vielleicht noch nicht einmal sich selbst.

Antreten zur dritten Runde bitte: Die Kontrahenten in den einzelnen Ecken sind allesamt schon ein wenig angeschlagen, sogar Tao, das Verbrechergenie ist davon nicht ausgenommen. Er ist wahrscheinlich der intelligenteste Mensch auf dem Planeten Erde, doch seine Herkunft nagt an ihm. Als Experiment entstanden zu sein, ist nicht die beste Ausgangssituation für einen gefestigten Charakter. Er will die Welt brennen sehen. Holden Carver, die Hauptfigur von Sleeper bewegt sich mitten durch die sinnbildlichen Flammen.

Ed Brubaker (Autor) schickt seinen Helden inzwischen mit einer solchen innerlichen Verzweiflung, Resignation und stoischen Professionalität in den Ring, dass man als Leser nichts anderes denken kann als: Du arme S..! Holden Carver wird nichts geschenkt. Wer nach diversen Kinoaufenthalten dachte, dass es schon ein Jason Bourne schwer hat, dann muss leider gesagt werden, dass es ein Holden Carver schwerer hat. Brubaker hat verschiedene Handlungsstränge mittlerweile derart geschickt miteinander verwoben und treibt diese voran, so dass man als Leser (ist man einmal gefangen) sich nur schwer davon lösen kann. Wer sich hin und wieder mal über Comics mit mangelnder Komplexität beschwert, wird vielleicht sogar überfordert.

In einer Welt, in der es nicht nur die üblichen Verbrechen gibt, sondern auch noch Superhelden und Supergangster ist nicht nur alles möglich, sondern auch etwas mehr. Neben der fortschreitenden Handlung wird auch die Vergangenheit beleuchtet. Eine Figur wie Tao (skrupellos bis in die Haarwurzeln und nur auf seinen Vorteil bedacht) ist nicht nur Täter sondern auch Opfer. In die Welt gesetzt von Wissenschaftlern, stellt er plötzlich in einer Toilette einer Tankstelle fest, dass der Tumor, an den er all die Jahre glaubte, gar kein Tumor ist, vielmehr ein Überwachungssender. Wie einst Arnold Schwarzenegger in Total Recall entfernt er das gute Stück durch das Nasenloch. Brubaker entwirft hinter den Kulissen nicht den üblichen Machtkampf. Es ist ein Kampf der Egos. Fehler sollen wieder gutgemacht und die eine oder andere Rechnung beglichen werden. Mit einem Wort: Rache. An diesem Punkt ist die Geschichte weit über eine Supergangsterterrorismusbekämpfung hinaus.

Ohne einen Zeichner wie Sean Philipps wäre Sleeper zwar auch machbar gewesen, aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr denkbar. Es ist sehr gut, dass Sleeper zu den Serien gehört, die einen Stammzeichner haben, der maßgeblich dazu beiträgt dieser phantastischen Agentengeschichte ein Gesicht und eine sehr tiefreichende Atmosphäre zu verschaffen. Philipps hat nicht nur einen sehr eigenen und erkennbaren grafischen Stil entwickelt. Seine Bilder wirken einfach und trotzdem gelingen ihm sehr individuelle Charaktere. Philipps lässt sich auch nicht auf einen Strich festlegen. Da steht die ultrafeine Linie neben dem fetten Tuscheklecks und erzeugt mitunter den Gerichtszeichner-Effekt, jenes Künstlers, der im Geiste dabei war, aber es musste angesichts der Handlung auch schnell gehen und deshalb wirkt manches (bei weitem nur solche, in denen es zur Sache geht) flüchtig.

Wer ein heiter helles Agentenszenario im Stile eines Bond erwartet, wird hier vollkommen enttäuscht. Sleeper ist hier noch düsterer als sonst. Das wenige gute Tageslicht in dieser Handlung lässt sich regelrecht suchen. Nicht, dass es keine Tagesszenen geben würde, aber diese sind meist diesig, neblig oder eisig. Wenn es hell wird, sind das Mündungsfeuer, mitunter sogar von sehr großkalibrigen Waffen oder elektrische Entladungen. Hell bedeutet hier fast immer den Tod. Dank der Farben gehen Erzählatmosphäre und optische Umsetzung perfekt und harmonisch ineinander über (soweit sich letzteres Wort mit einem Thriller in Verbindung setzen lässt).

Ein Kracher: Das lässt sich spätestens mit der Lektüre dieser dritten und vorletzten Ausgabe sagen. Sleeper ist nichts für zwischendurch. Ed Brubaker wächst hier zu einer Art Robert Ludlum oder Tom Clancy heran. Brubaker schafft mit dieser Arbeit eine große Neugier auf seine weiteren Veröffentlichungen. Sean Philipps passt mit seinen Bildern genial zur Serie. (Vielleicht passt die Reihe auch besonders zu ihm.) Ein Quereinstieg ist hier schlecht möglich, deshalb ist eine Lektüre der ersten beiden Bände Pflicht. 🙂

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