Andrax und Holernes schlafen den Schlaf der Gerechten und der Müden, denn sie haben eine lange Reise hinter sich. Als sie erwachen, hat sich ihr Umfeld verändert. Fort sind die kahlen und hohen Felsen. Ein Schwall kalten Wassers fliegt ihnen um die Ohren. Holernes kann diese Umgebung nicht einordnen, doch für Andrax steht fest: Das ist der Wilde Westen. In ihren gemeinsamen Abenteuern haben die beiden Freunde schon viel erlebt. Eine derartige Wandlung der Umgebung, über Nacht, setzt dem ganzen allerdings die Krone auf. Mehr noch: Nach und nach entpuppt sich dieses Szenario um sie herum als ein Schwindel, ein Spiel, ein tödliches noch dazu, einzig zu dem Zweck, ihnen auf besonders vergnügliche Weise den Garaus zu machen. Willkommen im Circus Maximus.
Andrax hat seine Geschichten erzählt. Nun ist es vorbei. Leider. Im abschließenden 5. Band Gnadenlose Jagd gibt der Held, den es aus unserer Gegenwart in eine ferne Zukunft verschlug, noch einmal alles. An seiner Seite wundert sich sein Freund Holernes, wie es nur dazu kommen kann, dass gerade sie immer wieder in diese Schwierigkeiten geraten.
Wie in anderen langlebigen Serien ist bei Andrax alles möglich und noch mehr. Denn es gibt keinerlei Genre-Grenzen. Science Fiction, Fantasy, die gute alte Apokalypse- oder Barbaren-Handlung, die Horror- und die Monstergeschichte, ja, wer hätte es gedacht, sogar der Western ist machbar. Jordi Bernet zeichnet auf Augenhöhe mit Grafikern wie Don Lawrence oder Sean Phillips. Er beherrscht einen hohen Detailgrad, sofern es sinnvoll und verlangt ist, aber er hat auch den schnellen Tuschestrich, der Geschwindigkeit in das Leseverhalten bringt und filmisches Vergnügen verspricht.
Wer weitere Vergleiche anstellen mag, kann das durch die Darstellung der hier vorliegenden Figuren auch mit anderen Zeichnern tun. Wer den künstlichen Menschen in einer der Geschichten sieht, könnte an Neal Adams (Batman, House Of Terror u.a.) erinnert werden, mehr noch an Arturo del Castillo, der vor langer Zeit hierzulande mit Der Sheriff auf sich aufmerksam machte. Zeitlich jedenfalls entstammen die Veröffentlichungen des Sheriffs und von Andrax aus dem gleichen Zeitrahmen. Andrax’ Reise durch die amerikanische Wild-West-Historie ist eine schöne Parallele zu den geradlinigen Sheriff-Geschichten, bietet aber, wie kann es anders sein, den besonderen Mystery-Faktor, der heutzutage wieder außerordentlich populär und modern ist.
Nach einem kleinen Vorgeplänkel mit feindlichen Barbaren in der Nähe des Hermanns-Denkmals (NRW, Teutoburger Wald) hat Andrax eine Begegnung mit Vincent van Gogh. Dieses kleine Zwischenspiel dürfte zu den ungewöhnlichsten Ereignissen der ganzen Reihe gehören (und es waren wirklich sehr, sehr ungewöhnliche Ereignisse darunter). In dieser Episode mit dem Titel Stahlkugel, von Peter Wiechmann mit Text versehen, erlebt Andrax einmal mehr, wohin falsche Gottgläubigkeit und Hysterie führen können. Ein wenig mag sich der Leser an alte postapokalyptische Szenarien wie Zardoz erinnert fühlen. Thematisch zwar vollkommen anders angesiedelt, ist die Grundstimmung ähnlich seltsam. Gemeinsam mit Andrax und Holernes erlebt der Leser einen Kult, der dem Eckigen huldigt und alles Runde verdammt. (Als Holernes einen Fußball formt, möchte man beinahe ausrufen: Das Runde muss in das Eckige.)
Totentänze wird sogleich wieder handfester nach einem Ausflug in die Wirren des menschlichen Machtdenkens. Grusel ist angesagt. Ein fliegender Geselle wirkt wie eine Hommage an eine Geschichte um Conan, das Gastspiel eines Monsters von Frankenstein ist weitaus deutlicher erkennbar. Es ist auf den ersten Blick kurios, wie der Schwenk von einem Auftakt der Handlung in eine völlig andere Richtung gelingt. Auf den zweiten Blick ist es erzählerischer Wagemut, einfach einmal (oder immer öfter) die Grenzen zu sprengen und ausgetretene Pfade zu verlassen. Das Motto lautet: Alles, nur nicht langweilig. Dazu lässt sich nur sagen: Aufgabe begriffen, Umsetzung perfekt gelungen, sehr gut.
Ein schöner und über die Maßen spannender Abschluss. Andrax zeigt einen Ausschnitt der großen Bandbreite seiner Abenteuer, unter denen für jeden SciFi- und Fantasy-Fan etwas dabei ist. Großes Pulp-Kino mit Humor, Klassiker und Vorreiter zugleich, der mit dieser fünfbändigen Ausgabe eine tolle Wiederauferstehung feiern konnte.
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