Leonardo Teresi erzählt von seinem Leben und seiner Stadt. Bricks, so rufen sie ihn, schaut aus wie ein kleiner Ire. Mit seinen neun Jahren hat er schon viel gesehen und viel gehört. Dabei steht er immer nur an einer Ecke und wartet darauf, dass er gebraucht wird. Kleine Aufträge, die einen Laufburschen benötigen, fallen immer wieder einmal für Bricks an. Dazwischen wartet er, beobachtet und nimmt den Leser mit auf eine Reise in sein New York, so, wie er es erlebt hat.
Es ist eine große Zeit der Einwanderer. Viele freuen sich auf den Neuanfang, wissen um den Wert ihrer Chance in diesem jungen Land. Doch sie können auch nicht so schnell vergessen. Es bilden sich Enklaven. Stadtteile wie Little Italy oder China Town entstehen. Die Familienväter sind einem Leben ohne Aussicht entkommen, damit ihre Kinder es einmal besser haben.
Mancher Sohn sieht sein Heil nicht im Lernen und einem ehrlichen Job. Es gibt Geld, das leichter verdient werden kann, auch aufregender. Wo Geld zu holen ist, entstehen Rivalitäten. Unter Gangstern werden solche Rivalitäten auf die harte Tour ausgefochten. Es gibt Bosse, solche, die zur Nachfolge herangezogen werden und auch solche, die nicht länger die Opferlämmer sein wollen.
David Chauvel und Erwan Le Saec erzählen die Geschichten von einem Salvatore Lucania, der später als Lucky Luciano berühmt wurde. Wir erfahren von Frank Costello und Alfonso Caponi, dessen späterer Name Al Capone um die Welt ging. Schutzgelder werden erpresst, die ersten Drogen verkauft. Der Band fragt: Wie konnten jene berühmten Gangster zu dem werden, was von ihnen als historische Figur blieb?
Bricks’ Geschichten beginnen mit einer Erpressung. Durch einen geschickten Plan soll einem Einwanderer das ersparte Geld abgeknöpft werden. Doch die Alten haben die Rechnung ohne die Jungen gemacht.
Vor der unspektakulären, sehr abgeklärten Erzählweise von David Chauvel zeichnet Erwand Le Saec sehr fein linierte Bilder, fast ein wenig an naive Kunst angelehnt – ohne durch das Wort naiv den künstlerischen Wert des Comics schmälern zu wollen. Le Saec balanciert stilistisch auf einer Grenze von Naiv zu Pieter Bruegel, detailverliebt, exakt. Er zeichnet Wölfe, junge Wölfe in Menschengestalt, die sich zu neuen Rudeln zusammenschließen.
Kleidung, Möbel, Straßenzüge, Frisuren, Fahrzeuge, Uniformen und viele andere Kleinigkeiten ergeben zusammen mit dem zerbrechlich anmutenden Aufbau der Seiten kleine Fenster in die Vergangenheit.
Die eindringlichste Geschichte im vorliegenden Band ist sicherlich So starb Herman Rosenthal. Bricks erzählt über einen Abschnitt aus dem jüdischen Verbrechertum, das neben anderen Verbrecherinitiativen, allen voran der italienischen, in der Erinnerung verblasst – obwohl ein Name wie Bugsy Siegel in der Wahrnehmung vieler untrennbar mit Las Vegas verbunden ist.
Herman Rosenthal erlebt eine Zeitenwende des Verbrechens. Bit Tim ist krank. Andere wie Polizeileutnant Charles Becker sehen ihre Chance gekommen, um sich ihre Pfründe zu sichern. Jemand wie Rosenthal, ein Protegé von Big Tim, wehrt sich gegen den Wechsel, denn es geht auch um Ehre. Für andere wie Arnold Rothstein, ebenfalls ein Protegé, geht es nur um Geld. Entweder man hat es und lebt. Oder man ist tot.
Obwohl Rosenthal zu den, wenn auch harmloseren, Verbrechern gehört, zittert man mit ihm. Wie in einer Buchdokumentation muss man mit ansehen, wie Rosenthals Leben Stück für Stück den Bach runtergeht. Wenn Herman 500 Dollar angeboten werden mit der Aufforderung, New York zu verlassen und eine Weile unterzutauchen, bis die Luft wieder rein ist, packt man sich als Leser an den Kopf, weil er diesen Vorschlag ablehnt.
David Chauvel stellt die Ereignisse sehr intensiv und nachvollziehbar dar. Dort, wo historische Lücken und Fragen existieren, schließt und beantwortet er diese nicht freimütig, sondern überlässt dem Leser auch mal das Grübeln.
Ein packender Stück Geschichte, aufgezeigt an vielen Einzelschicksalen, Durch einen gelungenen Kniff sehr mitfühlend und dramatisch erzählt. Optisch stimmig und atmosphärisch belebt der Band über die Anfänge der Cosa Nostra auf sehr originelle Weise. Jene, die an alten Gangstergeschichten interessiert sind und historische Ausflüge in dieses Genre vermissen, werden hier ein schönes Leseziel finden. 🙂
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