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Comic Blog


Sonntag, 16. Dezember 2007

Träume – Coraline

Filed under: Mystery — Michael um 0:47

Träume - CoralineEigentlich soll es nur eine neue Aufgabe als Gouvernante werden, als sich Coraline Doucet auf die Zeitungsannonce meldet. Der Anzeigentext ist bereits sehr vage. Coraline ist etwas misstrauisch. Auch der Empfang des Hausdieners Ekborn kann ihre Bedenken nicht zerstreuen. Ganz besonders dann nicht, als das Fahrzeug, mit dem er sie am Tor abholt, wenig später in wilder Schussfahrt den Hügel herunterrast.

Wo Terry Dodson zeichnet, findet meistens ein Hauch Erotik statt. Harley Quinn, Black Cat, Wonder Woman und viele andere – Dodson hat der Frauendarstellung im Comic seinen persönlichen Stempel aufgedrückt. Seine Weibsbilder sind elegant, mit sehr weiblichen Kurven ausgestattet. Schmale Gesichter begegnen dem Leser mit großen Augen und vollen Lippen. Dodson nutzt die hautengen Kostüme seiner Superheldinnen und – schurkinnen, um ihre körperlichen Vorzüge besonders in Szene zu setzen – man mag es ihm nachsehen, denn viele seiner Kollegen machen es nicht anders.

Und in einer viktorianischen Zeit mit weiten Kleidern? Dodson spielt mit der Mode, Unterkleidern, Dekolletés, Röcken, Rüschen, Halsbändern, mitunter auch Nacktheit und er geht mit einer sehr schönen Verspieltheit vor, umgeht Anstößigkeit und mischt Humor und ein bißchen Kitsch unter.
Coralines Träume wie auch ihr Leben erinnern an die Titelbilder romantischer Romane, in denen Highlander oder Piratenfürsten die holde Maid vor den Bösewichtern retten und anschließend … nun, wer weiß das schon?

Bleiben wir einen Augenblick in Coralines Gegenwart. Die Ankunft, die geheimnisvollen Anspielungen des Hausdieners wie auch das merkwürdige Gefährt, mit dem sie am Tor des Anwesens abgeholt wird, wecken Assoziationen mit einem bekannten Autoren der französischen Literatur. Und siehe da: Wenig später wird dem Leser ein Automobil mit dem Namen Verne präsentiert.
Die Hausdienerin ist eine resolute, aber sympathische Dame, die sehr wohl mit dem Hausdiener umzugehen weiß: Machen Sie kehrt und benutzen Sie den Dienstbotenzugang, oder ich ziehe Ihnen die Ohren lang, Sie alte Wildsau.
Von dem Umstand, dass Ekborn, der Hausdiener, nicht nur völlig verschmutzt, sondern soeben auch vom Spannen zurückgekehrt ist, ahnt Guérande, die Hausdienerin, nichts.
Als dritten Nebendarsteller finden wir den sehr jungen Herrn Vernère, eigentlich noch ein Kind, aber in höchstem Maße intelligent. Müßiggang langweilt ein Wunderkind wie ihn nicht nur, sondern wird von ihm auch als Zeitverschwendung abgetan. Demzufolge gestaltet sich Coralines Aufgabe, dem jungen Herrn ein wenig die Zeit zu vertreiben, äußerst schwer.

Coraline ist die Gouvernante, ein Beruf, der in Literatur und Film schon so manches Abenteuer nach sich gezogen hat.
Waren die Abenteuer dort alle in der Realität angesiedelt, driftet Coraline schnell in eine phantastische Welt ab. – Sieht man einmal davon ab, dass die richtige Welt mit ihrer romantischen Technik für den Normalsterblichen dieser Zeit wohl schon phantastisch genug ist. Coraline ist zwar beeindruckt, aber sie ist auch eine junge Frau. Ihre Umgebung ist vielleicht der Auslöser für ihre Phantasien, zumindest scheint das Ambiente des Anwesen sie ein wenig zu beflügeln.

Wenn Coralines Gedankenwelt durchbricht, fühlt man sich an einen erotischen Ausflug einer erwachsenen Alice ins Wunderland erinnert. Ein Wandschrank wird zum Tor, zur Verwandlungsebene. Ein Schritt durch eine Tür endet auf einem Segelschiff, das gerade von Piraten geentert wird. Jeder der Piraten will Coraline, aber nur der Kapitän darf sie mit in seine Kajüte nehmen. Mit seinen Zudringlichkeiten ist Coraline allerdings nicht einverstanden. Unversehrt kehrt sie aus dem Traum zurück – jedoch ohne Schlüpfer. Als sie einschlief, hatte sie noch einen an. Das gibt ihr ein wenig zu denken.
Weitere Träume folgen. Schlüpferlose Rückkehr inklusive. Während sich die Merkwürdigkeiten in der Realität mehren (z.B. mechanische Pferde), werden auch die Träume seltsamer, ausgefallener. Einem Schiffsuntergang folgen das Erwachen auf dem Strand einer einsamen Insel, Kannibalen, eine Art mechanischer King Kong und ein eingeborener Affenmensch.

Den Träumen scheint ein Plan zugrunde zu liegen. Doch welcher Plan das sein mag, lässt sich nicht sagen, denn die Reaktionen des Hauspersonals am nächsten Morgen sind zu mysteriös. Man könnte vielleicht etwas ahnen, aber die Hinweise sind insgesamt zu vage.
Daraus lässt sich auch auf die Erzählweise von Denis-Pierre Filippi schließen. Es handelt sich um eine rätselhafte Mixtur, die auf verschiedenen Ebenen funktioniert. Es ist ein Abenteuer, eine kurios romantische Landpartie, ein Tag- wie auch ein Nachttraum – aber keineswegs ein Alptraum, wie es Coraline nach ihrem ersten Aufwachen definiert.
Die Werke Vernères, vorzugsweise Maschinen, die für ihn uninteressant werden, wenn sie erst funktioniert haben, werden von mal ausgefallener. Zuerst ist es noch ein Raddampfer, eine interessante Erfindung, brauchbar. Eine Maschine, die vollautomatisch ein Baumhaus baut, ist zwar brauchbar, in der Theorie nicht undenkbar, in dieser Form jedoch vernesk. Denkt man an den Stahlelefanten von Jules Verne, muss einen die Idee eines mechanischen Pferdes von Denis-Pierre Filippi nicht weiter verwundern.
Am Ende hat ein Rädchen ins andere gegriffen, sehr unterhaltsam mit einer knuffigen Erotik, die sich nicht zu ernst nimmt, Spaß vermitteln möchte.

Das gelingt auch durch die vortreffliche Art von Dodson einen weiblichen Körper in Posen zu zeichnen, die an Akte erinnern, vielleicht mit einer Spur Voyeurismus, ohne den Erotik aber nicht auskommt. Die Farbgebung von Rebecca Rendon und Terry Dodson schafft Stimmung. Hier wird so gut mit den Schatten gespielt, wie man es nur selten sieht, weil es einen erhöhten Arbeitsaufwand bedeutet. Wenn sich Coraline in der Natur bewegt oder in einem Raum steht, der durch einen speziellen Lichteinfall ein besonderes Flair erhält, dann sieht die Schatten häufig regelrecht inszeniert, um auch ein Maximum an räumlichen Eindruck zu erzielen. In der Konsequenz ergeben sich so sehr lebendige Bilder.

Eine gelungene, frische Erzählung, leichtfüßig, kurzweilig, humorvoll, mit großem Einfallsreichtum und einer feinen Prise Erotik. Ein unverbrauchtes Szenario macht aus der Zusammenarbeit von Filippi und Dodson eine schöne Comic-Perle. 😀

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