Donnerstag, 12. Januar 2006
Berlin 2323: Die Stadt ist wieder geteilt. Eine Mauer mit lauter Transferfenstern durchzieht die gesamte Stadt. Im Gegensatz zur Vergangenheit leidet die Stadt jedoch nicht darunter, denn Berlin bedeutet Party pur. Und wo die Party-People feiern, ist es mit der Kultur, der Ordnung und der Sauberkeit nicht weit her. Kurzum, aus Berlin ist ein richtiger Sündenpfuhl geworden.
Inmitten dieser chaotischen Zustände erreichen Scilla und Indigo Berlin. Selber häufig am Rande der Legalität unterwegs kommt Scilla über ihren Freund Ratte an einen neuen Auftrag. Ihr Ziel: die Ausschaltung des Doppelgängers des regierenden Bürgermeisters, der in Wahrheit nur die Marionette eines Magiers ist. Der echte Bürgermeister hat ein verschärftes Interesse daran, seine Position wieder einnehmen zu können.
In der Organisation der Anti-Stasi nimmt Scilla ihre Rolle ein und nimmt Kontakt zum Restaurator Orlando auf. Da er Zugang zu den Räumen des regierenden Bürgermeisters hat, erhofft sie sich über ihn wichtige Informationen für die nächste Aktion der Anti-Stasi. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Scilla verliebt sich in Orlando und beendet ihre Beziehung zu Ratte.
Aber einen Killer sollte man besser nicht zum Feind haben.
Zwischenzeitlich rüstet Okinawa zum Krieg. Mago-Schützen und Schlacht-Girossen marschieren auf. Indigo erhält die Aufgabe, den Magier aufzuspüren und schließlich außer Gefecht zu setzen.
Die Uhr tickt.
Einen derart phantastischen und humorvollen SciFi-Comic gibt es nur selten.
Die Atmosphäre des neuen Sündenbabels Berlin ist hervorragend umgesetzt. Der Leser wird, ob Berliner oder nicht, die diversen Orte wieder erkennen. Ein Schild über dem Reichstag verkündet: Hier könnte Ihre Werbung stehen. Im Funkturm ist inzwischen ein Puff ansässig und trotzdem glänzt auf ihm immer noch die Rache des Papstes. Eine scheinbar ewige Love-Parade tobt in Berlin, über allem schweben Pseudorauscheengel, mit Maschinenpistole, mal mit dem obligatorischen Rosenstrauß und dem Spruch auf den Lippen, dem in dieser Zeit niemand mehr entkommen kann: Wolle Rose kaufe? Natürlich bezahlt man neuerdings wieder mit Ostmark.
Die Geschichte, die mit ihren Überraschungen und Details mit ihrer Spannung dem Humor in nichts nachsteht, ist eher für ein erwachseneres Publikum gedacht. Wenn der eigentliche regierende Bürgermeister in der Maske auftritt, die Mr. Bill Clinton erstaunlich ähnlich sieht, und dieser Bürgermeister trotzdem homosexuell ist, dann glaube ich nicht, dass diese Details bei Jugendlichen ankommen.
Andererseits dürfte die Vorstellung, dass Hertha BSC 27 Meisterschaften einfahren könnte, selbst für eingefleischte jugendliche Hertha-Fans ziemlich lustig sein.
Eine Szene fällt gehörig aus dem Rahmen. Die Eskapaden des Bürgermeister-Doppelgängers, zum vierten Male wiederbelebt, werden ziemlich drastisch gezeigt. Für mich eine Darstellung, die nicht so recht in das Gesamtbild der Geschichte passt.
Scilla, Indigo und Orlando sind gelungen sympathische Figuren in diesem Chaos. Aber es ist auch klar, dass diese Sympathie am Ende mit etwas Wehmut bezahlt werden muss. (Ein gängiges Rezept, dass vielleicht einmal hätte anders verlaufen können.)
Hund Robbie wirkt wie eine Hommage an Idefix. Ganz gleich, ob diese Idee hinter Robbies Entstehung steht, Robbie ist die knuffigste Figur in Berlin 2323.
Angepasst an den hintergründigen, teils auch gemeinen Humor, die Atmosphäre und die Spannung finden sich ein Bilderstrich und eine allgemeine Darstellung, die eine Heidenarbeit gewesen sein müssen. Im Anhang wird noch einmal kurz auf die bisherige Arbeitsweise hingewiesen. Vorzeichnungen, Tuschen, Kolorierung am Rechner. In Berlin 2323 geht es von der Skizze in den Rechner. Outlines finden sich kaum noch, die Bilder wirken letztlich wie (von Hand) gemalt. Auf diese Weise auf 90 Seiten die Qualität zu halten, die perfektes Handwerk zeigt, ist schon bewundernswert. Immer gibt es natürlich auch bei gemalten Comic-Bildern unterschiedliche Stilrichtungen. Hier findet sich in den Gesichtern ein leicht manga-eskes Aussehen. Es finden sich Szenen, die außerordentlich rasant angelegt sind und oft den Eindruck vermitteln, man habe Standbilder eines Zeichentrickfilms verwendet. Besser geht es kaum noch und alleine dieser Aspekt räumt dem vorliegenden Band einen für meine Begriffe ziemlich hohen Stellenwert bei Comics aus deutschen Landen ein.
Andere Bilder fangen sehr schöne Panoramen ein und verstärken den Zeichentrickcharakter noch.
Bisherige Geschichten um Indigo mögen ein qualitativ hochwertiger Anlauf gewesen sein, Berlin 2323 ist ein Stabhochsprung. Und um bei diesem Bild zu bleiben: Das Team Feldhoff / Schulz hat die Messlatte in Sachen Geschichte und Optik damit sehr hoch gehängt.
Ein rundum gelungenes Lesevergnügen für alle, die eine etwas ungewöhnlichere und auch humorvolle SciFi bevorzugen und einen echten Augenschmaus lesen wollen.
Dienstag, 10. Januar 2006
Es gibt Comic-Serien, da stimmt es mich richtig traurig, wenn sie ihr Ende finden. Mystic ist eine solche Serie.
Der Planet Ciress. Magie ist hier nichts, was irgendjemanden aufregen würde, denn Magie gehört zum Alltag. Zauberer, Dämonen und Geister bevölkern die Länder inmitten all der Menschen, die einigermaßen normalen Berufen nachgehen.
In dieser Welt haben die Zauberergilden einen sehr hohen Stellenwert. Genevieve soll neue Gildemeisterin werden. Es steht außer Frage, dass ein Gildemeister auf sein Ansehen achten muss. Hat, wie in diesem Fall, die Gildemeisterin eine Schwester, die als Partygirl verschrien ist, dann ergeben sich daraus zwangsläufig Familienprobleme.
Diese Probleme werden noch viel größer, wenn dieses Partygirl Giselle heißt, eine atemberaubende Frau ist und durch einen merkwürdigen Zwischenfall am Ende mehr magische Macht besitzt als ihre ältere Schwester.
Und die Probleme werden noch viel größer, als sich herausstellt, dass Giselle diese Macht überhaupt nicht will.
Die Ausgangssituation erinnert an eine Komödie und in der Tat hat Autor Ron Marz nicht mit Humor, witzigen Einlagen und Slapstick nicht gespart. Magie wird hier nicht so ernst genommen, andererseits ist es aber vom Witz einer Scheibenwelt auch wieder weit entfernt. Sagen wir, der Witz ist in Mystic eher skurril.
Inmitten dieses Szenarios stellt Ron Marz mit Giselle die wohl schönste Zauberin aller Zeiten in den Mittelpunkt der Geschichte. Dank des ersten und maßgeblichen Zeichners Brandon Peterson ist Giselle eine Sexbombe geworden. Vergiss Gandalf, kann ich da nur sagen.
Spaß beiseite, Brandon Peterson versteht sein Handwerk auf das trefflichste und für Comic-Freunde ist solch ein Augenschmaus ein Fest.
Andere Zeichner wie Kevin Sharpe, Fabrizio Fiorentino, Al Rio, Paul Ryan, Paul Pelletier und Aaron Lopresti sind gut, aber nicht so gut wie Peterson. Einzig Lopresti schafft einen ähnlich feinen Zeichenstil. Muster seiner Arbeiten finden sich unter http://www.aaronlopresti.com/. Leider ist die Homepage nicht besonders aktuell.
Tony Bedard übernahm die Serie als Autor von Ron Marz. Das Konzept des Humors wurde mit ihm noch verstärkt, wie ich finde. Giselles Erlebnisse in einer Art Uhrzeit (wie z. B. einen T-Rex mit einem vernuftbegabten Drachen verwechselt), ihre Begegnung mit einer Art Yeti, die Entwicklung der Figur des kleinen Skitter, einem mit Intelligenz und Zauberkraft gesegneten hundeähnlichen Lebewesen, erfolgt mit Bedard noch ein bißchen besser.
Alles in allem hatte die Serie keine Durchhänger, sondern variierte ihre Themen sehr schön und flechtete die Welt Ciress auf sehr feine Weise in die Geschichte ein.
Als Giselle im ersten Abschnitt ihre Erzfeindin Animora besiegt, bleibt fortan Zeit, um das außergewöhnliche Setting mit ihren Augen zu erkunden. So fremd es ihr ist, so sehr machte es mir als Leser Spaß, ihrer Erkundungsreise zu folgen.
Sehr gelungen waren die jeweiligen Kulturen der Gilden angelegt, die sich ganz besonders auch in ihren Ländern niederschlagen. Um den Leser nicht völlig vor den Kopf zu schlagen, entlieh man irdische Begebenheiten nach Ciress. Seien es die Gilden, die in enger Verbindung zu Naturgeistern oder Dschinns stehen, aber auch jene, die eine Art Kamasutra-Kultur zugrunde legt, was eine gewisse erotische Komponente in sich birgt und Giselles so aufgebautem Charakter auch Rechnung trägt.
Wer Gelegenheit hat, Bände dieser Serie zu ergattern, und Spaß an komischer wie auch spannender Fantasy hat, sollte unbedingt einen Blick wagen. (Auf den ersten Sammelband achten, der die ersten 5 Bände zusammenfasst.) 😀
Dienstag, 03. Januar 2006
Ein kleines Büro. Hier wird der Alltag zum täglichen Wahnsinn. Fantasio, ein dünner Mann, um Ruhe bemüht und doch in Hektik verfallend, mit gelben Haaren, versucht seine Arbeit zu bewältigen. Das wäre eine Leichtigkeit, gäbe es da nicht einen anderen dünnen Mann, vielleicht etwas jünger, aber in jedem Fall nicht so verantwortungsbewusst wie sein Vorgesetzter Fantasio.
Der Name dieses jungen Mannes, der immer einen grünen Rollkragenpullover, eine Jeans und ausgelatschte Schuhe trägt, lautet: Gaston.
Gaston könnte übersetzt heißen: Nervensäge, nutzloser Unhold oder der helle Wahnsinn. Ähnlich lautende Antworten sollte der Leser von Fantasio erhalten – wenn Fantasio leben würde und antworten könnte.
Was Fantasio so alles mitmacht, ist auch kaum zu ertragen. Eine Arbeit ist verrichtet: Gaston wird sie zunichte machen. Fantasio ist ausgeglichen und heiter: Gaston wird ihn zu Tode erschrecken. Ein Geschäft befindet sich endlich vor dem Abschluss: Gaston sei Dank, es wird nicht vollendet werden. Und sollte das alles noch nicht genug Chaos verursacht haben, bringt Gaston eben eine Kuh oder einen Igel ins Büro.
Nebenrollen wie Spirou und Herr Bruchmüller sorgen für zusätzliche Erheiterung oder auch Running Gags. (Im Falle von Spirou ist es eigentlich jemand, bei dem sich Fantasio endlich einmal über Gaston ausweinen kann.)
Umgesetzt hat Gaston der legendäre Zeichner André Franquin, der sich auch für die Serie Spirou und Fantasio verantwortlich zeichnet.
Die Zusammenstellung in der vorliegenden 18. Ausgabe ist fast schon ein kleines Denkmal für Franquin, dessen Ende eher tragisch und weit vom Humor dieses Mannes entfernt war. Die Episoden mögen einzeln betrachtet nicht so viel hergeben. Ihr Humor ist nett, spaßig mit ein wenig Slapstick. Doch zusammengenommen, in dieser Fülle, ergibt sich daraus ein Feuerwerk.
Eine einzelne Episode ist ein Witz, aber in dieser Sammlung ergibt sich sogar eine Art Handlung. Ob dieses Gesamtbild beabsichtigt war, lässt sich nicht sagen. Höchstwahrscheinlich hat es sich wohl eher zufällig ergeben.
Gaston, der hier in Deutschland auch in alter Zeit als Jojo unterwegs war, ist in bester frankobelgischer Cartoon-Manier gezeichnet, in jener klassischen Form, die diese Art von Humor berühmt gemacht hat.
Sehr schön zu sehen an dieser Sammlung ist auch die Veränderung, die mit Gaston vor sich geht. Lange Zeit ist die Darstellung einheitlich, später kommt es zu minimalen Veränderungen am Kopf und an den Haaren. Gegen Ende sind die Veränderungen und der viel schneller ausgeführte Zeichenstil deutlicher. In dieser Phase erhält das Büro Verstärkung und Gaston bekommt neue Zielscheiben, denen er das Leben schwer machen kann.
Franquins Einfallsreichtum bleibt während jeder Phase seines Schaffens ungeheuer gut. (Mag es durch seine gesundheitliche Angeschlagenheit auch zu Einbrüchen gekommen sein, in der Gesamtheit ist dies nicht zu erkennen. Ich glaube nicht, dass jemand Unterschiede in der Humorqualität erkennt, denn jeder fasst Spaß sowieso anders auf.)
In dieser ausgewählten Reihe der FAZ Klassiker der Comic-Literatur ist Gaston für mich ein absolutes Highlight. (Vor allem, weil hier ein Lacher auf den nächsten folgt, fast ein bißchen wie eine persönliche Sitcom. 😀 )