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Comic Blog


Freitag, 06. Dezember 2013

JACK THE RIPPER

Filed under: Mystery — Michael um 18:45

JACK THE RIPPEREine Ermittlung in den Straßen von Whitechapel läuft aus der Bahn. Getarnt als Prostituierte wollte Inspektor Frederick Abberline seine Ermittlungen vorantreiben, stattdessen muss er sich wie ein unfähiger Beamter von einem Straßenpolizisten helfen lassen. Abberline, der im Viertel als Uhrmacher vor seiner kriminalistischen Laufbahn gearbeitet hat, erhält nicht viel Zeit, um die eigene Unfähigkeit gegenüber dem Watchman zu entschuldigen. Die beiden Männer stolpern im wahrsten Sinne des Wortes über eine Frauenleiche: das nächste Opfer von JACK THE RIPPER.

Frederick Abberline beschreibt es eindeutig. Whitechapel ist ein Labyrinth und mit dem unbekannten Mörder, den alle Welt nur noch Jack the Ripper nennt, hat ein Minotaurus Einzug gehalten. Das Monster in Menschengestalt begeht Taten, wie sie furchtbarer und abstoßender in dieser eher zivilisierten Epoche kaum sein können. Selbst dort, wo sich der Bodensatz der Gesellschaft trifft, auf den die Polizisten abschätzig herunterschauen, ist solch eine Brutalität ein nie dagewesenes Grauen.

Francois Debois vermischt Fakten und Fiktion miteinander und verschafft dem Leser ein dunkles Erlebnis in den Straßen des viktorianischen Englands und eines aufstrebenden Paris. Die wahrhafte Lösung des Falles kann Francois Debois natürlich nicht bieten, aber dafür eine umso unterhaltsamere und überaus spannende. Der Charakter des Frederick Abberline, in der wirklichen Historie eine zentrale Figur innerhalb der Ermittlungen rund um die Ripper-Morde, wird hier noch weitaus stärker einbezogen, als es in Wahrheit der Fall war. Denn letztlich dreht es sich immer um die Frage: Wer war Jack the Ripper? Die angebotene Antwort ist interessant, natürlich ein wenig reißerisch, aber in ihrer grundlegenden Konzeption auch nicht von der Hand zu weisen.

Die Darstellung der Geschichte ist lebhaft und folgt laut den Worten des Zeichners Jean-Charles Poupard auch den visuellen Beispielen populärer Filmumsetzungen, die sich dieser Epoche bedienen. Allen voran natürlich filmische Varianten des Ripper-Themas wie auch Geschichten über Sherlock Holmes. Poupard zeichnet beeindruckend realistisch und ordnet sich mit seiner Arbeit in die technische Klasse eines Mathieu Lauffrey (Prophet), Dimitri Armand (Angor) oder Ralph Meyer (Asgard). Getuscht wirkt der Strich härter, als er zuvor in den Skizzen erkennen lässt. Ein schöner Anhang mit Entwicklungsbildern von Poupard lässt derlei Vergleiche zu.

Jean-Charles Poupard gehört mit seiner Stilistik zu einer Gruppe von Zeichnern, die mit ihrem Strich auf den Punkt treffen. Gerade bei der harten Tuschearbeit gehen manchen Zeichnern Eindrücke einer hervorragend mit Bleistift skizzierten Grafik verloren. Poupard geschieht das nicht. Sicherlich stellt sich auch hier ein gemeißelter Eindruck ein, die Gesamtkonzeption der Vorzeichnung, die genauen Perspektiven in jeder Figur, ob organisch oder nicht, bleibt stets erhalten. Zusammen mit einer tollen Herausarbeitung atmosphärischer Details entsteht so eine tolle Comic-Arbeit gerade für Fans historischer Szenarien.

Jean-Charles Poupard empfiehlt sich als Zeichner (gerne auch im Zusammenspiel mit Guillaume Lopez als Kolorist) für historische Themen in dieser hier zusammengefassten Doppelausgabe. Die Ansichten machen von A-Z Lust auf mehr Grafiken und andere Szenarios von ihm. Autor Francois Debois kann dem Mythos um Jack the Ripper neue, eigene Seiten abgewinnen, auch mit neuen Schauplätzen und natürlich Untaten (sowie Mördern!). Insgesamt eine spannend erzählte Variante, die selbst nach Kenntnis anderer Geschichten um diesen weltbekannten Mörder sehr gut funktioniert. 🙂

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Link: jc-leblog.blogspot.de (Blog von Jean-Charles Poupard)

Donnerstag, 24. Oktober 2013

FRATERNITY 2

Filed under: Mystery — Michael um 17:39

FRATERNITY 2Nun was ist es, das dort wie gekreuzigt zwischen den Holzbalken hängt? Ist es wirklich eine dämonische Kreatur, wie die Dorfbewohner glauben? Oder ist es nur ein Tier, ein unbekanntes, das in den Wäldern haust und nur zufällig den Weg der Menschen streifte? Wie es dort hängt, wird es von allen Seiten bestaunt, scheint es in seiner Bewusstlosigkeit doch harmlos zu sein. Was soll man mit ihm machen? Die Männer des Dorfes, die Oberen sind nicht einer Meinung, wie mit diesem Wesen verfahren werden soll? Töten? Einen Pfarrer holen? Als gäbe es im Dorf nicht schon genug Probleme weltlicher Natur, die einer Lösung bedürfen.

Wenn der Hunger quält, geht die Zivilisation endgültig zum Teufel und alle Versprechungen spielen keine Rolle mehr. In der kleinen Gemeinde werden die Rationen knapp. Der Bürgerkrieg, auch zur Abschaffung der Sklaverei geführt, weckt auch im Norden wieder den genauen Blick auf die Hautfarben. Das Monster, gefangen genommen und gut verwahrt, ruft alten Aberglauben hervor, schürt die Ängste, weil es vor Augen führt, dass es noch mehr gibt, jenseits dessen, was die Menschen zu wissen glauben. Juan Diaz Canales lässt seine Charaktere einen Traum versuchen zu leben und lässt sie kläglich scheitern, aus mehr als nur einem Grund. Hierarchien, Schuldzuweisungen, Wertigkeiten, Versagen, Wut, Eifersucht, Neid und der schlichte Grund, nicht sterben zu wollen und dafür notfalls über die Leichen anderer zu gehen, kochen als Zutaten auf diesem Herd der brodelnden Gefühle hoch und reißen schließlich alles in den Abgrund, der doch so mühevoll vermieden werden sollte.

Der Eindruck eines Theaterstücks in Comic-Form verdichtet sich in der zweiten und abschließenden Episode von FRATERNITY. Allein die Beziehungen der Menschen untereinander, eine sehr stark dialoglastig ausgeführte Handlung, immer auf den Punkt gebracht, treiben nicht nur die Geschichte voran, sie zeichnen auch ein sehr dunkles Bild des menschlichen Geistes, des Gemüts und der Seele. So endet FRATERNITY zwangsläufig auch in einer kleinen Hommage, in einem Feuer, wenn auch nicht mehr verraten werden soll. Das Monster hingegen, wortlos, nur durch Taten und Augenblicke kommunizierend, ist der Beschützer, auf den am Ende Verlass ist, während der kleine Junge Emilio, ebenfalls wortlos die ganze Zeit über, nur bei ihm wahre Geborgenheit findet.

Juan Diaz Canales schreibt die Bilder, die Jose Luis Munuera in seiner leicht disneyesken und auch märchenhaften Art sehr treffend umsetzt. Der amerikanische Bürgerkrieg, so scheint es, ist hier nur vorgeschoben, die Epoche ist zu diesem Zeitpunkt austauschbar, zu fernab hat sich diese Siedlung entwickelt, zu sehr hat sie sich von allem (auch bewusst) abgeschottet. Dem Ort, so (alp)traumhaft er wirkt, schließt sich ein Labyrinth an, eher an griechische Sagen erinnernd, den Munuera als kalten, kargen Ort gestaltet, mit meterhohen steinernen Wänden und in ihm, wie auf einem Altar aufgebahrt, sind die Waffen der Siedlung versteckt, weil sie dort keinen Schaden anrichten können. Es sei denn, jemand holt sie heraus und findet den Weg.

Jose Luis Munuera trifft die düster gespenstische Atmosphäre mit einem leichten Strich, karikierend und weit in den Raum greifend. Seine Figuren sind grazil, auch puppenhaft zuweilen. Das Monster ist eine sehr ungewöhnliche Kreation, indianisch zu nennen und sehr eigen. Durch Sedyas erhalten die Bilder nicht nur dämmriges, nächtliches Ambiente, auch Tagszenen sind in die Farben alter Fotografien, bräunlich, getaucht und suggerieren die lang vergangene Zeit noch deutlicher als es die Zeichnungen selbst vermögen.

Action, wenig zwar, die in Form von Kämpfen auftaucht, beschönigt nichts. Wer hier stirbt, stirbt nicht leicht, allenfalls schnell. Das Monster beweist es, aber auch die Männer des Ortes treten gegeneinander an. Die Frauen, bis auf eine, nämlich jene, die sich um den kleinen Emilio sorgt, bleiben in der zweiten Reihe und so gut wie unsichtbar. Chaos bestimmt das Drama von Seite zu Seite mehr. Aus der allgemeinen Tragödie des Ortes wird schließlich ein sehr spezieller Untergang. Hier könnte Inspiration in Geschichten wie Das Dorf gefunden worden sein.

Im Halbdunkel erfüllt sich das Schicksal von Fraternity. Ein düsteres Märchen, vielleicht auch ein Gleichnis, unabhängig von der Zeit, in der es handelt, suchen die Menschen ihr Heil in einer Enklave und scheitern kläglich. Juan Diaz Canales beantwortet nicht das Warum, das schafft der Leser sehr gut allein, er beschreibt nur das Wie und dies mit Bravour. 🙂

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Mittwoch, 09. Oktober 2013

Das Klagelied des Meeres

Filed under: Mystery — Michael um 9:35

Das Klagelied des MeeresZachary muss den qualvollen Tod seines Vaters an Bord des Segelschiffes miterleben. Die Pest hat auch diese Menschen erreicht. Entgegen der Warnungen der Mannschaft will sich Zachary zunächst nicht vom Leichnam seines Vaters trennen. Das denkbar böse Ende folgt bald. Auch Zachary entdeckt bei sich die Anzeichen der tödlichen Krankheit. Doch er will sich nicht dem Siechtum hingeben und nimmt seinen Tod selbst in die Hand. Zachary, der in die Tiefe sinkt, entfacht die Neugier einer ungewöhnlichen Kreatur. Eine Meerjungfrau entdeckt den jungen Mann und rettet den Menschen ans Ufer. Und noch mehr als Neugier entsteht. Die Meerjungfrau fühlt sich zu ihm hingezogen. Zuerst vermag Zachary diesem Begehren noch zu widerstehen, doch langsam entwickelt er Gefühle, die er vor kurzem noch für unmöglich gehalten hätte.

Die kleine Meerjungfrau, so wie sie der Schriftsteller Hans Christian Andersen beschrieb, diente der Autorin und Illustratorin Victoria Frances als Inspiration für ihre Hommage an jenes berühmte Märchen. Aber sie geht auch einen Schritt weiter, indem sie die Traurigkeit des Originals noch mehr verdüstert und eine Alternative schafft, einerseits durchaus hoffnungsvoll, andererseits sehr tragisch. Der Tod steht der Liebe wieder gegenüber, das sehnsuchtsvolle Schmachten nach dem anderen, dem zuerst Verschmähten, dem später über die Maßen Verlangten. Victoria Frances, die mit ihren Arbeiten aus dem Bereich des Gothic Horrors seit Jahren nicht mehr wegzudenken ist, verfährt hier etwas sanfter als sonst.

Der Tod und schöne, junge Frauen haben sich schon früh getroffen und werden sich, weil magisch voneinander angezogen, immer wieder begegnen. Ob es Dracula ist, der ihnen nachjagt, oder ein Joe Black, der sich von ihnen angezogen fühlt, so mag es auch nicht ungewöhnlich sein, dass der Tod als unsichtbare Verbindung zwischen zwei Königskindern, die nicht zueinander finden dürfen, herhalten muss. Die Beschreibung, wie aus Abneigung einerseits, größte Liebe andererseits wird, die nur im Tod ihre ewige Erfüllung findet, ist klassisch beschrieben, rührt an, sollte aber nicht an dunklen Wintertagen gelesen werden. Wo ein Hans Christian Andersen Hoffnung in einer neuen Existenz verheißt, ist es bei Victoria Frances zu Ende, wenn es zu Ende ist.

Die Bilder von Victioria Frances sind in diesem Band begleitend zur Erzählung angelegt, finden sich immer auf der rechten Seite, das Blatt ausfüllend. Sie wendet zur Illustration zwei Techniken an. Einmal werden die Grafiken in ihrem hinreißenden und deshalb so erfolgreichen seidenweichen Stil ausgeführt, in einer Mischung aus Fotorealismus und träumerischer Stilistik. Zum Anderen arbeitet sie bei jeder zweiten Abbildung mit der nicht zu Ende geführten Skizze, in denen auch noch Hilfslinien zu sehen sind, die aber dennoch nichts von ihrer Faszination verlieren.

Die Konzentration der Bilder liegt auf den beiden Liebenden und weicht ihnen, bis auf wenige Ausnahmen, kaum von der Seite. Victoria Frances vermag in diese Gesichter, die reale Vorbilder haben mögen, vieles an ebenso echten Gefühlen hineinzulegen. So wird aus dem Märchen ein begreifbares Liebesdrama, mit Charakteren, die vom Leser nicht so weit weg sind wie bei einem Hans Christian Andersen.

Eine dunkel romantische Geschichte, ein Märchen für den leuchtenden Herbst, nicht für den Winter, grazil illustriert, fein erzählt. Einfach schön. 🙂

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Samstag, 05. Oktober 2013

deae – eriks deae ex machina 2

Filed under: Mystery — Michael um 10:55

deae - eriks deae ex machina 2 - Der Plan der GöttinnenTot. Tot und ein Geist. So hatte sich Chris sein weiteres Leben, Verzeihung, seine weitere Existenz nicht vorgestellt. Nun schwebt er über dem Friedhof, versucht sich verständlich zu machen, aber niemand hört und sieht ihn. Es ist zum Verzweifeln. Zuerst glaubt er, der Fehler liege bei den anderen. Langsam aber dämmert die Erkenntnis über seinen Zustand. Und dieses Wissen begeistert ihn überhaupt nicht. Denn noch viel schwerer als der geistreiche Zustand wiegt die Tatsache, dass er alleine auf dem Friedhof ist. Er ist der einzige Geist. An einem Ort, wo tausende von Toten liegen, hängt er mutterseelenallein herum und weiß nicht, was er als nächstes tun soll. Das ist es jetzt?

Erik belässt es nicht bei dieser Epoche im Jahre 1928. Dank der Schicksalsgöttinnen huscht er durch die Jahrhunderte und malt so eine fantastische, aberwitzige wie auch interessante Geschichte, die sehr abwechslungsreich ist. Denn die nächste Station führt in die expansionsreichen Tage des römischen Reiches zu weiteren geheimnisvollen Vorkommnissen. Einen kleinen Ausflug nach Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge und einen Abstecher ins vorchristliche Phönizien darf der Leser absolvieren, nachdem er sich der Handlung in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts genauer mit den drei Göttinnen auseinandergesetzt hat, die eigentlich wieder alles in Ordnung wollen und doch nur mehr Unheil anrichten. Jedenfalls aus der Sicht des vergeistigten Chris.

Klappt der Leser den 2. Band der deae ex machina Reihe auf, blicken ihm von der ersten und zweiten Seite gleich 40 Personen entgegen, die sich im Abenteuer ein Stelldichein geben. Es ist ein sehr umfangreiches Konzept, das Erik, Frank Erik Weißmüller, hier in Angriff genommen hat. Der deutsche Künstler der auch fleißig an seiner Detektivreihe Dede arbeitet, breitet sich hier deutlich vielfältiger aus und nutzt alles, was ein Fantasy-Genre zu bieten. Keine Grenzen, keine spezifischen Zeiten, hier das Netz weit gespannt und die Schicksalsgöttinnen tun das, was sie am besten können, sie weben auf Teufel komm raus.

Erik hat sich einen unverkennbaren Zeichenstil erarbeitet. Warme Grautöne und kalte Blautöne stützen die sehr eigenwillige Führung der Tuschestriche. Künstlerisch konstruiert könnten die Figuren genannt werden. Der Eindruck einer Meißelung durch eine übergenaue Konturierung weckt Vergleiche zu Statuen auf Papier. Die Figuren setzen sich in Szene, wenn sie körperlich zur Gänze präsent sind. Ebenso aber liebt Erik den Ausschnitt. Die Blicke seiner Charaktere sollen mitreden. Wenn sie schreien, schaut der Leser in ihren Rachen und das Bild wird laut. Göttlich, im wahrsten Sinne des Wortes, ist der Anblick des Schicksalstrios, das sich gerne in mehr oder minder viel Schale wirft und es weniger als mehr liebt.

Witz entsteht durch die Göttinnen, die mit den Menschen und ihren Eigenarten spielen. Aber auch ein merkwürdiges Killer-Duo sorgt für angenehme Zwischeneinlagen, wenn sie brutal sein wollen und doch irgendwie an den Umständen scheitern, die eine Nummer zu groß für sie sind. Wie groß, kann der Leser in einer beinahe poltergeistähnlichen Szene verfolgen. Nachdem ein Ausflug zu den Folterinstrumenten eines der beiden Schergen Erinnerungen an spielbergsche Fantasien und Marathonmänner hervorruft.

Eine schöne zweite Folge, die aber ähnlich wie bei einer Schnitzeljagd mit vielen Einzelteilen nur in ihrer Gesamtheit genossen werden kann. Der Quereinstieg mag hier noch schwerer fallen als bei anderen Fortsetzungsgeschichten, deshalb ist die Kenntnis von Teil 1 Pflicht. Präzise und eigenwillig illustriert, ebenso erzählt. Mehr davon. 🙂

deae, eriks deae ex machina 2, Der Plan der Göttinnen: Bei Amazon bestellen

Link: blog.eriks-deae.de (Eriks Atelier-Blog zur Entstehung des dritten Bandes der Reihe)

Freitag, 20. September 2013

SARIA 1 – Die drei Schlüssel

Filed under: Mystery — Michael um 11:22

SARIA 1 - Die drei SchlüsselDer alte Mann liegt im Sterben. Er weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird. Die wenige Zeit, die ihm noch zur Verfügung steht, will er nutzen, um seiner Tochter ein Erbe zu übergeben. Schrecklich ist es, doch darf es nicht in die falschen Hände fallen. Zu lange hat er es gehütet, um nun einen Fehler zu begehen. Saria übernimmt das Geheimnis und flieht. Bei ihrer Rückkehr, unter falschem Namen, erwirbt sie sich den Respekt des Volkes, ist sie doch dazu bereit, sich für die einfachen Menschen einzusetzen, Gräueltaten von ihnen abzuwenden und nicht selten unter Einsatz ihres eigenen Lebens. Aber Luna, wie sie sich nun nennt, geht zuweilen zu hohe Risiken ein.

Venedig, wie es niemand kennt. Eine Legende versetzt die Mächtigen der Stadt in Furcht und gleichzeitig dürsten sie nach ihr. Drei Schlüssel gibt es für die Engelspforte, doch jeder öffnet den Weg für ein anderes Ziel. Mit einem gelangt man in die Hölle. Mit einem anderen findet man die Schwelle des Paradieses. Der dritte Schlüssel führt einen ins Nichts. Doch welcher Schlüssel bewirkt was? Das ist die große Frage. Autor Jean Dufaux liebt das fantastische Element einer Erzählung. Mal gibt er dieser Liebe mehr, mal gibt er ihr weniger nach. In diesem von ihm beschriebenen Venedig kommt dem Leser, selbst wenn er nicht allzu viel über die Lagunenstadt weiß, vieles bekannt vor, denn Dufaux bedient sich an historischen Strukturen aus verschiedenen Epochen und vermischt sie mit einem grauenvollen Mythos.

In eine mittelalterliche Stimmung hinein bohrt sich eine Endzeitatmosphäre, die ein wenig an die Geschichte um Druuna erinnert, jene ordentlich sexuell aufgeheizte Science Fiction Handlung von Paolo Serpieri, dessen Zeichnungen einen hohen Wiedererkennungswert haben. Das Abgleiten in diese endzeitliche, auch gruseligen Szenarien lässt ihn auch wieder Mischwesen (einen ziemlich grausamen Engel) und einiges an Glibber und Kabeln in die Bilder einbauen. Körperlicher Verfall am lebendigen wie auch toten Objekt ist bei Serpieri ein beständiger Spielball, den er meisterlich beherrscht. Seine Strichtechnik, einen Körper, wie auch immer geartet, auf das Papier zu meißeln, als arbeite er im Stile einer Radierung, so dass ein enormer Realismus erreicht wird, ist sicherlich nicht einzigartig, findet sich aber höchst selten.

Einerseits bietet sie den Vorteil für Serpieri unbequeme Stellen zu verschleiern, andererseits nutzt er die Technik auch, um besondere Strukturen herauszuarbeiten. Das ist geschickt gemacht, wie auch wunderschön anzuschauen, denn durch seine eigene Kolorierung, leicht und lasierend aufgetragen, entsteht ein feines und fragiles Volumen, dem der Stil alter Fotografien anheftet oder auch die gute alte Theaterinszenierung. Dies wird umso deutlicher, betrachtet man die inneren und äußeren Kulissen alter venezianischer Paläste, auch gewöhnlicher Häuser, der Kanäle und auch jener Konstruktionen, die so typisch für Serpieri sind und in denen er seinen Hang nach überbordenden Details ausleben kann.

Aber es gibt auch Eindrücke, die einen wünschen lassen, Serpieri möge sich einmal des Steampunks oder eines orientalischen Themas mit all seiner grafischen Wucht annehmen. Anklänge sind hier vorhanden, leider sind sie nur Seitenlinien und zunächst nicht so relevant. Inwieweit sie mehr Bedeutung in einer Fortsetzung der Handlung erlangen, wird sich zeigen. Frauen: Serpieri kann nicht ohne sie und er hat eindeutig eine Frau zu seiner Ikone erkoren. Sie findet sich in Gesicht und Körper stets wieder. Einige Merkmale ändern sich, die Haarfarbe zum Beispiel, doch letztlich von Druuna lassen, kann er nicht.

Aber mehr noch: Im Handlanger des Bösewichts, einer merkwürdigen kirchlichen Eminenz, wird der historisch interessierte Leser eine Art Duce, einen Mussolini wiedererkennen. Sogar die Uniformierung desselben und seiner Untergebenen, mit einem Fez erinnert an jene faschistischen vergangenen Tage, die in dieser Erzählung in einem Venedig aufleben, in dem in Teilen der Handlung auch ein Storm auftauchen könnte. Mit dem Erscheinen des Molochs nimmt Jean Dufaux entsprechende Anleihen bei der nach ihrem Helden benannten klassischen SF-Abenteuerserie.

Eine düstere Geschichte, mehr Horror als Fantasy oder Science Fiction. Mythologisch gewürzt und grafisch aufwändig von, im wahrsten Sinne des Wortes, Comic-Künstler Paolo Serpieri umgesetzt. Jean Dufaux weiß die Spannung auf die Fortsetzung mit großem Geschick zu schüren. 🙂

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Montag, 09. September 2013

FRATERNITY 1

Filed under: Mystery — Michael um 17:57

FRATERNITY 1Für die kleine Kolonie New Fraternity und ihre Bewohner ist es schwierig, sich aus dem Bürgerkrieg herauszuhalten und neutral zu bleiben. Innerhalb der Gruppe schwelt der Konflikt. Ganz besonders die Ausrichtung der Kolonie, ihre Organisation und Arbeitsverteilung bereitet große Probleme. Es sollte ursprünglich ein neuer Weg gefunden werden, ohne die Welt da draußen zurecht zu kommen. Doch es will nicht gelingen. Kompromisse werden gefunden, bittere Zugeständnisse, die trotz der misslichen Lage nicht wenigen aufstoßen. Der kleine Junge Emilio ist in dieser Gruppe dieser Gruppe ein Außenseiter. Verwildert und wortlos macht er sich zwar nützlich, aber gelitten ist er auch nur bei den wenigsten. Da lernt Emilio einen Freund kennen, mit dem niemand gerechnet hat.

Der amerikanische Bundesstaat Indiana im Jahre 1863. In der abgeschiedenen Welt wollen sich nahezu alle Einwohner der Realität verweigern, sich ihr verschließen können sie dennoch nicht. Der Krieg gelangt auch bis an ihre Türen. Autor Juan Diaz Canales beschreibt in seiner Ausgangssituation keine ungewöhnliche, aber heutzutage eher seltene Enklave in den Vereinigten Staaten. Der Wille, sich abzuschotten und innerhalb des Landes der Freien etwas ganz Eigenes zu versuchen, wohnt manchem Amerikaner immer noch inne. Umso verständlicher mutet dieses Szenario immer noch an, obwohl es sich in der noch jungen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewegt. Das Faszinierende ist der Umstand, dass der Leser an der Seite des kleinen Emilio die Geschichte erlebt. Da Emilio stumm ist, seine Ansichten erst durch sein Verhalten deutlich werden, ist der Leser mehr gefordert aus den Mimiken und der Situation zu lesen. Dank eines Künstlers wie Jose Luis Munuera gelingt das hervorragend.

Emilio wird in den Wäldern gefunden, nackt, verwildert, wie ein Tier lebend. Die Jäger, die ihn aufspüren, machen sich diesen Umstand, es handele sich um kleinen Jungen kaum bewusst. Sie wollen Rache für die Hühner, die er bei ihnen gewildert hat. Immerhin beweist einer Güte und Menschlichkeit und reicht dem verlorenen Kind die Hand. Allein die Auftaktsequenz ist ein kleines Comic-Juwel in der von Munuera zeichentrickartigen Technik. Die Farben von Sedya nehmen sich sehr zurück. Als läge ein industrieller Schleier über den Bildern, so taucht diese Welt aus den Seiten auf. Es sind die Farben früher Fotografien, die hier Alter und Vergangenheit vortäuschen und durch die Reduzierung den Blick enorm konzentrieren.

Die luftigen, sehr raumgreifenden Figuren und Gesichter, die Munuera entwirft, brauchen jede Aufmerksamkeit, die sie bekommen können, liegt doch allein in der äußeren Erscheinung einer jeden vorkommenden Figur eine Geschichte verborgen. Nur wird leider nicht jede erzählt. Die gezeigte Umgebung wird so sehr lebendig. Am Beispiel der vier schwarzen Deserteure der Unionstruppen zeigen sich die von Munuera herausgearbeiteten Unterschiede sehr schön. Er zeichnet bei weitem nicht derartig cartoonartig wie ein Willy Lambil, erreicht aber hier auch nicht die Disney-Optik. Technisch ist er dazwischen angesiedelt, mit sehr vielen Alleinstellungsmerkmalen, die ihn stilistisch sofort erkennbar werden lassen.

Während vordergründig die Menschen agieren, gibt es im Hintergrund einen heimlichen Star der Geschichte, der, wie es sich für ein geheimnisvolles Wesen gehört, nur sehr verhalten eingeführt wird. Umso beeindruckender ist das Design des Wesens, dessen Schädelform deutlich von anderen Monstern abweicht. Munuera hat sich keine Fleischfresser zum Vorbild genommen. Das Wesen ist richtig merkwürdig gelungen, wie es nur selten in vergleichbaren Comics mit Monsterthematik zu finden ist.

Der erste Band von zweien, ungewöhnlich erzählt und bebildert, auf jeder Seite eigen, fesselnd, etwas märchenhaft auch, mit Mythologien spielend. Munuera etabliert sich als der Künstler für den feinen Zwischenton. Sehr schön. 🙂

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Mittwoch, 04. September 2013

Der große Tote 4

Filed under: Mystery — Michael um 20:59

DER GROSSE TOTE 4 - SombreDie Tränen der Bienen. Ein seltsamer Name, aber ein wichtiges Kleinod, eine seltene Flüssigkeit und nun ist sie verschwunden. Erwan muss sie unbedingt wiederfinden. Doch wo soll er suchen? Wo ist der Nachlass seines Mentors mit den kleinen Phiolen geblieben? Die Lösung ist bald gefunden. Gemeinsam mit Pauline macht er sich auf den Weg. Soll Gaelle für die kurze Weile auf die kleine Blanche aufpassen? Was soll schon passieren? Eigentlich verstehen sich die beiden ja ganz gut. Aber Blanche ist kein normales Kind. Und Gaelle ist … sie ist eben Gaelle. Neugierig.

Geht die Welt unter? Eine Reise entpuppt sich langsam aber sicher als der Prolog zu ungeheuren Ereignissen, die an der Existenz der menschheit zu rütteln beginnen. Die Ausmaße der Idee von Regis Loisel waren im ersten Band der Reihe Der große Tote in keiner Weise absehbar. Selbst mit dem Wissen des dritten, also vorhergehenden Bandes trifft die Handlung den Leser im vierten Band, Sombre völlig überraschend. An der Seite der beiden Frauen, Pauline und Gaelle, ist zunächst ein Streit zu beobachten. Aus einer Eifersüchtelei heraus kommt es zu einer Aussprache und im nächsten Augenblick tritt die Katastrophe ein.

Das Titelbild spielt mit dieser Katastrophe, in der es sich Gaelle nicht verkneifen kann, um ihre Ente zu trauern, nur um sich bald schon über einen anderen Klassiker, eine Vespa, zu freuen. Viel mehr Grund zu Freude gibt es allerdings nicht. Denn vor den kleinen Weltuntergang haben Loisel und Co-Autor JB Djian Rätsel platziert. Eines davon heißt Blanche und ist die kleine Tochter von Pauline. Eigentlich hätte Pauline niemals schwanger sein dürfen, immerhin gehört nach menschlichen Maßstäben auch ein Vater dazu. Alsbald ist deutlich, dass Blanche ein Kind der kleinen Welt ist, ein Mischwesen. Die Bedrohung, die von der Kleinen ausgeht, ist zurückhaltend, aber spürbar. Und was dem Leser vorenthalten wird (bisher jedenfalls), malt er sich in entsprechenden Farben aus.

Vincent Mallie verleiht den Bildern eine schöne Leichtigkeit, wie es der Comic-Fan von Bildern, die Regis Loisel selbst gestaltet hat, her kennt. Vincent Mallie arbeitet aber noch eine Spur realistischer und gibt seinen Charakteren ein hohes Maß an Lebendigkeit mit, die besonders in der Menschenwelt funktioniert. Die Wesen der anderen Welt sind schwieriger zu durchschauen. Sie sind durchaus fantasievoller zu nennen, aber ihre Mimik fällt auch durch geringere Möglichkeiten auf. Hier findet eine Orientierung an gängigen außerirdischen Physiognomien statt. Die Konzentration der vorliegenden Handlung, des 4. Bandes, liegt auf den Menschen, die hier zu einem Spielball geworden sind, ohne es so recht zu bemerken. Der feine Strich, der ihre Gefühle sehr gut beschreibt und dem begleitenden Text beinahe einen Ton gibt, wird durch eine tolle Kolorierung gestützt.

Hier ist Lapierre ein großes Lob zu machen, denn die Natürlichkeit der Farbgebung, gerade in Land und Stadt ein Tageslicht auf das Papier zu zaubern, macht besonders aus den ländlichen Abschnitten der Erzählung ein kleines Juwel. Da ist nicht zu viel und zu wenig gemacht worden, sondern es passt alles wie das berühmte I-Tüpfelchen. Die Farbflächen sind niemals glatt. Es finden sich selbst in den scheinbar hellsten Flächen noch farbliche Unruhen, so dass hier auch eine simulierte Natürlichkeit des Farbauftrags entsteht.

Jetzt wird es aber mächtig spannend. Nicht nur die Welt geht unter, es zieht auch noch ein Krieg auf. Die Abschnitte, leicht episodenhaft, packen immer mehr, da sich das Rätsel langsam entwirrt und die Spieler aus der Deckung kommen. Klasse. 🙂

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Sonntag, 25. August 2013

R.I.P.D.

Filed under: Mystery — Michael um 16:51

R.I.P.D.Warum will ein Dämon eigentlich aus der Hölle heraus? Dort git es doch alles, was er braucht. Die erforderliche Wärme sowieso. Allerdings ist das Leben eines Dämons auch ein wenig eingeschränkt. Ein Leben in der Hölle bedeutet für die niederen Chargen Arbeit am Hochofen. Das ist kein Spaß. Vor allem nicht für jene Dämonen, die einen gewissen Ehrgeiz entwickeln. Nick, der nach seinem irdischen Ableben seine neue Stelle im R.I.P.D., dem REST IN PEACE DEPARTMENT antritt, weiß von diesen Verwicklungen und Strukturen nichts. Sich in diese neue Arbeitsstelle einzugewöhnen, ist bereits schwer genug. Auch ist sein neuer Partner irgendwie nicht der geduldigste. Dann ist da noch der ehemalige Kollege, der sich an die ehemalige Ehefrau ranschmeißt … Und das soll jetzt hundert Jahre so weitergehen?

Der amerikanische Traum. Warum soll er nicht auch für Dämonen gelten? Und warum sollten Dämonen nicht auch an den Grundfesten der Hölle rütteln dürfen? Wenn nicht sie, wer dann? Die Geschichte von Peter M. Lenkow, die nach längerer Planungsphase nun im Kino angekommen ist, bedient sich popkultureller Vorbilder, vergisst aber (wer hätte das gedacht) auch transatlantische Verwandte nicht. Es ist nur eine kleine Anspielung und auch nur auf einem der in einer Galerie gesammelten Titelbilder zu sehen, dennoch ist der Anblick eines fliehenden Wesens aus dem Volk der Shinguz.

Die hier gesammelte Handlung, aus vier Einzelheften bestehend, bedient sich unverblümt eines Konzeptes, das von den Men In Black vor einigen Jahren ins Kino transportiert wurde und da eigentlich schon eine Weiterentwicklung jener kumpelartigen Grundkonstellation im Stile der Straßen von San Francisco war. Alter Cop, junger Cop. Gangsterjäger, Außerirdischenjäger, Dämonenjäger. Neu ist allerdings der Umstand, erst zum Team gehören zu können, wenn man sein irdisches Leben hinter sich gelassen hat. Da die Kinoverfilmung nun ihren Weg auf die Leinwand gefunden hat, werden die Unterschiede zur Comic-Vorlage allzu deutlich. Hollywood besitzt seine ganz eigenen Vorstellungen, wie eine Adaption abzulaufen hat. Nicht zum ersten Mal.

Dabei weist die Vorlage bereits viel Witz auf, der von Peter M. Lenkow schön vorbereitet und herausgearbeitet wurde. Die Kreaturen (ich liebe den Höllenhund und seine Vorliebe für …) machen allesamt Spaß. Einige könnten auch den Ideen der Macher von Supernatural oder Buffy entsprungen sein, vielleicht sogar den Erfindern der Gremlins. Der Umgang mit diesen Wesen, die auch mal auf ungewöhnliche Art und Weise den Hokey Pokey tanzen (wäre vielleicht auch für das Kino etwas gewöhnungsbedürftig), produziert hin und wieder einigen Matsch. Oder um es mit Peter Venkman zu sagen: Es schleimte mich voll.

Grafisch ist Zeichner Lucas Marangon der Mann für eher knuffige Figuren. Diese stehen mancher Szene gehörig entgegen, so dass aus einer Splatter-Szene eine Slapstick-Einlage wird (Stichwort Schwarzer Humor). Besonders gelungen ist eine lange Sequenz in der Hölle, die gleich mit mehreren Szenen auffällt. Zweikämpfe, besondere Wächter und ein ausgefallenes Publikum werden den Fans fiesspaßiger Szenarien gefallen. Eine leuchtende Farbgebung taucht das allgemeine Szenario wirkt peppig, aber niemals zu grell oder zu kalt.

Selbst jene Comic-Fans, die den Film gesehen haben, werden hier eine ähnliche Handlung entdecken, beileibe nicht dieselbe, nicht weniger humorig, vielleicht ein wenig schwärzer, gemeiner, auch mag die Fantasie ausschweifender und weniger Mainstream sein als im Film. Ein gutes Beispiel, wie sehr Vorlage und Verfilmung voneinander abweichen können. 🙂

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Mittwoch, 26. Juni 2013

NOAH 2 – Und von allem Gewürm

Filed under: Mystery — Michael um 9:56

NOAH 2 - Und von allem GewürmDie Flut wird kommen. Weder Noah noch die Engel haben einen Zweifel an dieser Voraussicht. Inzwischen ist die Arche, die sie alle schützen soll, Noahs Familie mit eingeschlossen, sehr weit gediehen. Die ersten Tiere kommen: Vögel. Sie kommen in Scharen, immer paarweise. Nur eine weiße Taube ist allein. Noah begrüßt jedes Vogelpaar persönlich. Jedes Tier, das auf diese Weise seine Segnung erhält, ist vor der Flut gerettet. Es folgen die Reptilien und die Säugetiere. Die Ladung der Arche wächst. Die Tiere werden beruhigt. Alle fallen in seligen Schlummer. Das Projekt, dem sich Noah durch eine Vision Gottes verpflichtet fühlt, könnte eilig zwar, doch in aller Ruhe wachsen und am Tage des Hochwassers bereit sein. Gäbe es nicht die Menschen. Jene, die nicht in Paaren auf dem Schiff weilen. Jene, die ebenfalls errettet werden wollen. Ob Gott das nun will oder nicht.

In der zweiten Folge über die biblische Passage über den vorläufigen Untergang der Welt und ihren Neubeginn widmen sich die beiden Autoren Darren Aronofsky und Ari Handel den Vorbereitungen zum Überleben der Tierwelt. Nichts von Gottes Schöpfung soll verloren gehen. Jede Art, die zu zweit vor der Arche erscheint, soll aufgenommen werden. Wie in einem oft geübten Ritual nimmt NOAH jede Art persönlich auf. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Geschichte nicht nur eine Graphic Novel ist, sondern eigentlich so etwas wie eine Comic-Umsetzung der geplanten Verfilmung mit Russell Crowe in der Hauptrolle, lassen allein diese Passagen die Köpfe der Spezialeffektemacher bestimmt bereits rauchen.

Doch es geschieht noch viel mehr als nur die Sammlung aller zu rettenden Tiere. Innerhalb der Familie Noahs gibt es natürlich auch Schwierigkeiten. Zwei sollen es von jeder Art sein. Das mag auf Noah und seine Frau auch zutreffen, doch was ist mit seinen Kindern, die nicht partnerlos auf dem kommenden Weltmeer herumfahren wollen? Was ist mit den Menschen, die auf die Arche stoßen und plötzlich geneigt sind, den Vorhersagen Noahs zu glauben und sich notfalls mit Gewalt einen Platz an Bord verschaffen wollen? Was ist mit Noahs Kindern, die auch einfach nur Kinder sind?

Für Niko Henrichon ergeben sich sehr viele unterschiedliche Passagen, die es bildhaft zu inszenieren gibt. Auffallend sind natürlich die Großen, die Massenszenen, die weitaus mehr bieten, als nur den Aufmarsch der Tiere. Visionen und Menschen, die sich gegeneinander werfen, neue Freundschaften, die Fertigstellung der Arche und andere Szenen werden von Niko Henrichon in einer skizzenhaften Technik zu Papier gebracht. Henrichon übernimmt auch die Kolorierung und verleiht den Bildern so Volumen und den unterschiedlichen Figuren auch Charakter. In den Gesichtern ist ein wenig von der Einfachheit, wie sie in Mangas zu finden ist. Aber sie ist ebenso vergleichbar mit einem Künstler vom Format eines Andrea Mutti (Break Point) oder eines Sean Phillips.

Das Land hat als Kulisse in diesem Band nicht viel zu bieten. Die Welt ist öde und leer, vom Menschen auf neudeutsch heruntergewirtschaftet, zerstört, ausgebeutet. Gott will einen Neuanfang. Deshalb sollen die Menschen sterben, bis auf einige Auserwählte. Die Menschen, kriegerisch, nomadenartig, ein wenig wie über die Maßen wilde Maori wirkend, lassen Noah nicht kampflos seine Arbeit erledigen. Entsprechend apokalyptisch werden die Bilder, nachdem sie doch eine Weile eine gewisse Hoffnung verbreitet haben. Doch mit dem prophezeiten Einsetzen des Regens, den Tränen des Schöpfers, wird die Hoffnung erstickt. Und wüsste man nicht, laut Bibel, wie die Geschichte ausgegangen ist, könnte der Leser, den Bildern folgend, auch eine Katastrophe für Noah und seine Familie kommen sehen.

Eine bekannte Geschichte, packend neu erzählt. Die Fortsetzung ist noch enger an der Hauptfigur und bietet Fantasy pur. Selbst wer mit der Bibel nichts anfangen, wird diesen Aspekt finden und möglicherweise sehr mögen, da es eine sehr erdige Fantasy ist, wie sie sich in den letzten Jahren mehr und mehr durchgesetzt hat. Sehr gut. 🙂

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Freitag, 14. Juni 2013

ZAUBER – Band 1

Filed under: Mystery — Michael um 21:01

ZAUBER - Band 1Drum prüfe, wer sich mit den falschen Leuten einlässt und die falschen Wünsche äußert. Es könnte fürchterlich daneben gehen. Für den jungen Mann, Gaspard, war diese Liebe zu Blanche alles. Und nun hat sie ihn einfach verlassen. Des Standes wegen. Gaspard kann und will diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen. Er sitzt eine Hexe auf und schließt einen wahrhaft teuflischen Pakt. Doch wie so oft, Gaspard hätte es ahnen sollen, sobald er nur einen Fuß über die Schwelle des satanischen Weibes setzte, gibt es für jene, die die Rache suchen, nichts zu gewinnen.

Blanche unterdessen wird Königin. Mit großem Pomp, einer heiligen Ernennung in hohen Kirchenhallen ergibt die die junge Frau in ihr Schicksal, das ihr alles andere als willkommen ist. Doch da begibt es sich, dass der Pakt, den Gaspard schloss, noch einem anderen zu Ohren kommt. Einem, der das Antlitz einer kleinen Schnitzerei, dem letzten Kunstwerk Gaspards, verzückt betrachtet und beschließt, dieser Frau wahrhaftig zu begegnen. Eines Tages, am Ufer eines Weihers, trifft Blanche einen nackten Mann, überaus freundlich, verführerisch, auf naive Weise lockend und sie verfällt seinem Anblick, seinem Werben. Kurz.

Ein Märchen, eine königliche Intrige, eine Teufelsgeschichte, ein Krieg: der Leser bekommt von Jean Dufaux und Jose Luis Munuera einiges geboten. Eine traumwandlerische Reise, verwunschen schön. Letzteres ist dem spanischen Zeichner Jose Luis Munuera zu verdanken. Er besitzt die Fähigkeit, sehr leichte Figuren zu kreieren, biegsam wie Gummimännchen ausschauend, gleichzeitig zerbrechlich, einen klassischen Look leicht karikierend. Dem Comic-Fan ist er bekannt durch seine Arbeiten für Spirou + Fantasio oder auch Merlin und Fraternity. Mit diesen hier gezeigten Figuren ist er im Mittelalter, natürlich auch in der Fantasy wie Daheim.

Die beiden beherrschenden Frauenfiguren, Prinzessin (die spätere Königin) und die Hexe, haben einen gleichermaßen grazilen Körperbau, doch ihre Gesichter sind völlig gegensätzlich entworfen. Blanches Antlitz ist rundlicher, mit spitzen Dreieckskinn und großen grünen Kulleraugen. Dafür ist die Hexe eher eine Malefiz, mit Anleihen bei den sehr kinnlastigen Figuren eines Don Martin und sogar den klassischen Kanten antiker Statuen. Mit leichter Hand werden hier unterschiedlichste Mimiken aufs Papier geworfen, immer treffsicher mit minimalen Veränderungen.

Seitlich der Hauptdarsteller finden sich Charakterköpfe, in denen Munuera aus seiner eigenen Designlinie ausbricht. Da finden sich Anleihen, viele eigene Kreationen, mit relativ wenigen Linien erzeugt, so dass ein weiterer Künstler zaubern kann. Denn Sedyas trägt in Sachen Kolorierung einen großen Anteil an der wirklichen Schönheit der Bilder, die mal in Richtung Gemälde, mal zum Medium Trickfilm hin ausschlagen. Das Titelbild ist sicherlich aufwendiger koloriert als die Folgeseiten, gibt aber einen Eindruck der durchgehenden Aussagekraft der Bilder, die einen zuweilen nebligen Charakter haben, sonnendurchflutet sind und mit farblichen Stimmungen perfekt spielen. Prescht häufig in einem Künstlerteam einer vor, ergänzen sich hingegen Munuera und Sedyas auf das Schönste.

Es könnte ein Grimms Märchen sein, ist aber von Jean Dufaux erdacht und fein konstruiert. Bisher erscheint es wie eine Tragödie, aus der es für alle Beteiligten (sogar für die besonders fiesen) kein Entrinnen gibt. Das birgt Überraschungen, insbesondere bei Figuren, bei denen es so nicht zu erwarten war.

Der erste von zwei Bänden ist hinreißend, für Freunde des Märchens (oder märchenhafter Fantasy) und vermag gerade durch seine feine Gestaltung auf ganzer Linie zu begeistern. Dunkle Magie, unerfüllte Liebe und finstere Intrigen, alles genau von Jean Dufaux gegeneinander abgewogen. Sehr, sehr fein! 🙂

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