Väter und Söhne. Selten war ein Verhältnis zwischen Vater und Sohn so von Zerreißproben bedroht, wie jenes des Roten Korsaren und seines Ziehsohnes Rick. Obwohl beide unterschiedliche Wege beschreiten, der eine Pirat bleiben, der andere ehrlich sein will, stehen sie in Zeiten der Gefahr zueinander, wie es enger kaum sein kann. Nach einer langen Karriere auf See hat der Rote Korsar nicht nur große Reichtümer angehäuft, seine Feinde sind ebenfalls kaum mehr zählbar. So lässt die nächste Falle nicht lange auf sich warten. Die Spanier, denen der Rote Korsar auf See ganz besonders zugesetzt hat, locken mit einem Gerücht. Angeblich befindet sich Rick in ihrer Gewalt. Der Rote Korsar lässt sich nicht lange bitten und macht sich zur Rettung seines Sohnes auf den Weg.
Das Ende des Schwarzen Falken. Das Schiff, der Schwarze Falke, ist in der Karibik beinahe ebenso bekannt wie das Aussehen des Roten Korsaren. Die Spanier, die eine eindrucksvolle Flotte aufgeboten haben, um des gefürchteten Piraten habhaft zu werden, werden von Jean-Michel Charlier zu recht sehr siegessicher gezeigt. Automatisch fragt man sich als Leser, wie die beiden Helden und ihre Freunde, wie Dreifuss und Baba, hier wieder mit heiler Haut davonkommen sollen. Erzähler Jean-Michel Charlier macht mit dieser Episode noch etwas anderes deutlich. So kann es für den Roten Korsaren auf Dauer nicht weitergehen. Denn viele Jäger sind des Hasen Tod.
Elektrisierend sind die drei in diesem Sammelband vorliegenden Abenteuer, denn der Rote Korsar und sein Sohn Rick müssen wirklich alle Register ziehen, um die Gefahren letztlich zu meistern. Aus damaliger Sicht hätte ein Leser durchaus denken können, Jean-Michel Charlier und Victor Hubinon planten das Ende dieses meisterlichen Piraten, der zwar ein Halsabschneider ist, aber auf seine Art auch konsequent daher kommt. So heißt denn die zweite Episode folgerichtig: Auf Leben und Tod.
Nach den spektakulären Ereignissen des ersten Abenteuers schlagen Charlier und Hubinon eine neue Richtung ein. Die europäischen Seemächte haben die Jagd auf den Roten Korsaren noch nicht aufgegeben. Auf seinem ureigenen Gebiet, seinem Versteck, versuchen sie ihn auszuheben, aber das Versteck hat es in sich. Wie in den großen frankobelgischen Comic-Serien üblich konzentrieren sich die Charlier und Hubinon auf die Figuren und verknüpfen das Umfeld geschickt, unaufdringlich zu einer grandiosen Kulisse, die perfekt recherchiert und wiedergegeben wird. Hierzu gehören das Uniformspektakel der englischen Truppen, Quereleien und den Piraten selbst, ein weiterer hervorragender Aufmarsch von Segelschiffen sowie ein Ereignis, das es in dieser Serie auch noch nicht zu bestaunen gab.
Piraten: ein buntes Allerlei. Und nicht nur das. Der Rote Korsar hat einen Widersacher im Schwarzen Piraten, dem es aber über den Farbtupfer gestreifter Unterwäsche hinaus eindeutig an Format fehlt. Abseits der Demütigung durch Rick, der dieses Detail mittels eines geschickten Messerschnitts zutage fördert, fallen ein paar Nebencharaktere auf, bei den sich Hubinon besondere Mühe gegeben hat. Auffallend ist der englische Commodore, eine adelig verschrobene Witzfigur mit Hang zum Alkohol, der an der Spitze seiner Truppen mehr Unheil stiftet, als wirklich taktisches Geschick an den Tag zu legen.
Der Piratenschatz lautet der Titel der dritten Episode, die auf gelungene Weise einen feinen Reigen abschließt, denn durchaus kann der Inhalt der gesamten vierten Gesamtausgabe als eine durchgehende Handlung begriffen werden. Jean-Michel Charlier flechtet neben einem harten Überlebenskampf eine Begegnung mit Indianern (Seminolen) ein, die so gut gelungen ist, dass ihr ruhig mehr Raum eingeräumt hätte werden können. Der Auftritt der Ureinwohner lässt die Atmosphäre in der dritten Episode viel exotischer, ungewöhnlicher und geheimnisvoller als zuvor werden.
Einer der besten Handlungsbögen des Roten Korsaren in der vierten Gesamtausgabe: Jean-Michel Charlier erzählt hier mit höchster technischer Perfektion ein über drei Alben reichendes Abenteuer. Vorbildlich nicht nur für Piratengeschichten. Ein grandioser Hubinon macht aus diesem großen Abenteuer ein zeitloses Vergnügen. 🙂
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