Freunde: Die meisten Menschen brauchen sie. Nicht jeder kann sicher sein, ob die, die er seine Freunde nennt, auch tatsächlich unter diesen Begriff fallen. Schon gar nicht nachts um 3.00 Uhr. Als das Telefon von Rafael klingelt, liegt er in tiefem Schlaf an der Seite seiner Freundin im Bett. Leo, der sich am anderen Ende der Leitung meldet, hat ein Problem. Er ist mit seinem Auto irgendwo im Nirgendwo liegengeblieben. Ein Freund, der ihm helfen könnte, den Wagen wieder flott zu bekommen oder der ihn wenigstens abholt, wäre jetzt vonnöten. Rafael sträubt sich. Seine Freundin überredet ihn, sich ins Auto zu setzen und zur Hilfe zu eilen. Am Ziel angekommen ergibt sich ein vollkommen anderes Bild. Und Rafael schwankt zwischen Ärger, Frust und Freude.
Jim, Thierry Terrasson oder auch Tehy: Drei Namen, ein Autor. Er brachte dem Leser bisher so unterschiedliche Titel wie YIU oder auch Der Engel und der Drache nahe. Aber auch Sonnenfinsternis stammt von ihm. Und damit kommt der Leser schnell auf die Spur des Genres, das Jim, wie er sich hier nennt, neben Science Fiction und Fantasy noch beherrscht: das menschliche Drama mit all seinen Spielarten. Schon Sonnenfinsternis erzählte von dem Verhältnis einiger Freunde, zusammengedrängt während eines besonderen Ereignisses. Mit Die Einladung geht Jim noch einen Schritt weiter.
Die Geschichte, selbst ohne Erklärung erkennbar als Theaterstück angelegt, benötigt eigentlich nur sechs große Szenen, sechs Akte. Und sie geht nur einer Frage nach: Wer ist dein Freund? Alles andere ergibt sich daraus. Man könnte es eine kleine Geschichte nennen, doch das wäre viel zu kurz gegriffen. Wie in solchen Handlungen nicht unüblich, darf hier besonders zwischen den Zeilen gelesen werden. Zu viel über die Handlung zu verraten, hieße auch, einige schöne Kniffe vorweg zu nehmen. Gesagt sei aber: Sicherlich liefert Jim hier eine seiner menschlichsten Geschichten ab, die Tiefsinn und Lebenserfahrung beweisen. Auch seine Fähigkeit der Erzählung ist hier absolut vorbildlich.
Es sind vergleichsweise junge Leute, die diese Geschichte bereichern, die soeben im Leben angekommen sind, ihren Platz gefunden haben, teilweise wenigstens, dennoch ist die Thematik so leicht erzählt, dass sie von jeder Generation nachvollzogen werden kann. Die Komik und die Tragik funktionieren durch die Grafiken von Dominique Mermoux noch einmal so gut. Für Die Einladung, einer Geschichte, von der ich behaupten möchte, dass sie in diesen Tagen nur aus Frankreich kommen kann, hat Mermoux Schauspieler geschaffen, die ihre Rollen mit großem Können spielen. Mehr noch: Ein Spiel mit der Kamera stützt den Inhalt zwischen den Zeilen. Wenn Rafael beispielhaft in einem szenischen Abschnitt allein auf weiter Flur steht, braucht es eigentlich keine weiteren Worte mehr.
Die Strichführung von Mermoux ist einfach, zerbrechlich, aber arbeitet bei allen Charakteren individuelle Merkmale heraus. Einzelheiten unterstreichen Charaktere. Krumme, vielleicht ehemals gebrochene Nasen. Ein Ghostbusters-T-Shirt. Da die Handlung häufig nachts angesiedelt ist, mit künstlichem Licht und Dämmerung spielt, finden sich hier hauptsächlich mildere Farbkompositionen. Wenn das Licht einmal strahlt, soll es auch als Spot wirken. Fast scheint es, als habe die theatergerechte Erzählung auch bei der optischen Umsetzung wichtigen Einfluss genommen.
Eine sehr menschliche Erzählung, komisch, tragisch, sehr einfühlsam vorgetragen. Jim offenbart mit dieser Geschichte einmal mehr seine große Bandbreite, zeigt, was Comic alles kann. Mit Dominique Mermoux hat er den richtigen Zeichner für dieses echte Szenario gefunden. Wer schon Sonnenfinsternis mochte, wird von dieser Geschichte begeistert sein. 🙂
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