Selbst im Untergang der Welt sind nicht alle Menschen gleich. Im Zeichen des Krieges haben sich die vermögenden Einwohner des Landes in eigene kleine Bastionen zurückgezogen, streng bewacht und gesichert für jene Zeit, wenn es wieder eine Normalität auf der Erdoberfläche vorzufinden gibt. Nachdem Seba, Rosa, Nue, angeführt vom Kriegsveteranen RINGO von Menschen gejagt wurden und sie sich gegen Wesen, halb Mensch, halb Maschine, verteidigen mussten, ist die kleine Ortschaft für die vier Flüchtlinge zunächst sehr verheißungsvoll. Die Gebäude und die Straßen sind intakt. Es könnte ein Zufluchtsort sein, würden die Wachen in irgendeiner Form kompromissbereit sein. Leider gestattet ihnen ihre Programmierung keinerlei Einigung. Eine friedliche schon gar nicht.
Ein langer Weg für die unfreiwilligen Gefährten. Und die Gefahren könnten kaum unterschiedlicher und überraschender sein. Die beiden Handlungsstränge, zusammengefasst im dritten Band zum WAISEN-Spin-off RINGO mit dem Untertitel WIE DER REGEN, halten für den Leser ein paar Überraschungen parat und enthüllen ein gutes Stück mehr, was aus der Welt geworden ist.
Neue Zeichner, neue Perfektion. Generell wird natürlich die Optik beibehalten, aber es gibt Abweichungen in der Gestaltung der Figuren und der Art und Weise, wie die Bilder den Leser in die Handlung hineinziehen. Nahezu identisch zu den Vorgängern bleiben die Hintergründe, die einen Großteil der Atmosphäre ausmachen. Gab es bei James Bond einst den ungewöhnlichen Auftritt einer Ente als Fluchtwagen, findet der Leser hier ein weiteres, für solche Zwecke eher ungeeignetes Fahrzeug vor: einen Fiat 500. Obwohl das auch nicht ganz richtig ist, denn ganz im Sinne von PIMP MY RIDE hält auch dieses Auto ein Special Feature bereit.
Davide Gianfelice, Künstler des ersten Handlungsstrangs, der noch sehr handfest und action-reich daherkommt, arbeitet realistisch, aber er gibt seinen Figuren noch eine verspielte Note mit. Da werden Striche um den Mund zuviel gesetzt, hier ein Kringel im Haar oder am Kinn. Die Augen der einzelnen Helden fallen sehr unterschiedlich aus, Nues Gesicht wirkt wie im klassischen europäischen Comic, während die anderen auch in Mangas auftreten könnten, ohne mit ihrem Design aufzufallen (Stichwort: Akira). Es ist eine Mischung, die sehr gut miteinander korrespondiert. Ein fetter Tuschestrich an den richtigen Stellen sorgt für mehr Volumen und zusätzliche Tiefe innerhalb der jeweiligen Szene. Insgesamt eine tolle Gestaltung.
Gianfelices Nachfolger, der Zeichner Alessio Avallone, besitzt einen amerikanischeren Strich, vergleichbar mit Mike Norton (REVIVAL). Der klaren Vorgabe der Serie folgend schleichen sich aber rundere Züge der Figuren ein. Überhaupt liegt im von Avallone gezeichneten zweite Handlungsstrang ein starker Fokus auf den Gesichtern und ihren Emotionen, geht es doch um innerste Wünsche, Sehnsüchte, um das Pausieren vom Krieg, eine Spur von Glück. Jeder der Helden erlebt dieses Fitzchen auf ganz eigene Weise. Ringo selbst entdeckt sogar seine künstlerische Ader wieder, ein Talent, das lange verschüttet geblieben war.
Im Spiel mit den Gefühlen der vier Reisegefährten wird die Geschichte ruhiger, gefühlvoller, bei weitem aber nicht weniger nervenaufreibend. Denn konnten die Beteiligten zuvor beweisen, wie agil sie in Kampfsituationen sind, allen voran RINGO selbst, ziehen sie in der zweiten Hälfte mit ihren Gefühlen blank. Das Stichwort Seelenstriptease trifft es auf den Punkt.
Science Fiction, die jeden etwas bereit hält: Action wie in einem Kino-Blockbuster, schön ausgearbeitete Charakterisierungen und eine ausgefeilte Weltenbeschreibung, ein tiefsinnig erzählter zweiter Teil. Hier passt alles! 🙂
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