Das Undenkbare ist geschehen. Die Südstaaten haben ihre Unabhängigkeit erlangt. Der Präsident der Union, Abraham Lincoln, war gezwungen, einen Friedensvertrag mit Jefferson Davais, dem Präsidenten der Konföderation, zu unterschreiben. Nicht der Einsatz einer überlegenen Waffengewalt hat den Sieg und das Ende des Krieges herbeigeführt, sondern die Pest hat die Nordstaaten in die Knie gezwungen. In Hauteville House auf der Insel Guernsey gegen Ende des Sommers im Jahre 1865 hat man jede Hoffnung auf einen letzten Umschwung verloren. Das Schicksal der Vereinigten Staaten, wie sie die Welt zu diesem Zeitpunkt kannte, ist besiegelt.
Ein hoch komplexes Szenario breitet sich vor dem Leser aus und es ist gerade diese Komplexität, die einerseits den Reiz ausmacht, andererseits eine Qualität aufweist, die sich mit jeder preisgekrönten Serie, im Fernsehen oder als Roman, messen kann. Die Elemente des Steampunk werden völlig unaufdringlich in die Handlung eingeflochten, mit großer Selbstverständlichkeit, so dass es einen Heidenspaß macht, in diese Parallelwelt-Fantasy einzutauchen. Sehr ernsthaft entfaltet sich nicht nur eine globale Weltlage, sondern auch ein Agententhriller, der es in sich hat.
Steampunk äußert sich in einer Atmosphäre, die einer von Jules Verne erdachten Geschichte zur Ehre gereichen würde. Der Agententhriller wirkt zuweilen very british, höchst durchdacht, leider agiert der Agent, der hier so professionell zu Werke geht, gegen das HAUTEVILLE HOUSE. Und nervenzerrende Seiten lang dauert es, bis die Mannschaft rund um Victor Hugo begreift, dass sie sich zur Zielscheibe haben degradieren lassen. Fred Duval quält seine Hauptfiguren, greift ein paar Nebenfiguren an, beseitigt ein paar Kleinstdarsteller und erzählt technisch versiert bis hin zu einem Finale, von dem sich nicht vorhersagen lässt, ob es für das HAUTEVILLE HOUSE gut ausgeht und wie viele Opfer auf diesem Weg letztlich gebracht werden müssen.
Ist die Handlung zum Teil auf Grund ihres Aufbaus very british zu nennen, ist das Aussehen der Figuren in gewissem Sinne sehr französisch zu nennen. Generell schmalere Gesichter, ganz gleich von welcher Statur die jeweilige Person ist, beherrschen die Optik. Die feinen Linien von Thierry Gioux bilden den Rahmen für eine grundsolide Grafik, die durch die Kolorierung von Carole Beau Plastizität gewinnt. Neben der Tiefe der Bilder entsteht gleichzeitig eine stärkere Hommage an Jules Verne, als es durch die Zeichnungen von Goux allein der Fall ist.
Allerdings sind seine technischen Entwürfe sehr gut und spielen mit den Möglichkeiten, solchen, die Sinn machen und auch solchen, die etwas mystifiziert daher kommen. Einige Bilder, auch Hintergründe bestechen durch ihre Größe, so etwa die Freiheit (ähnlich wie sie auf dem Gemälde von Eugene Delacroix zu sehen ist), aber auch der Gigantismus der Datenbank, des HAUTEVILLE HOUSE, deren Bezeichnung hier durchaus wörtlich zu verstehen ist.
Das stimmungsvollste Titelbild der bisherigen Folgen. Licht, Schatten und Komposition der einzelnen Bestandteile zueinander sind perfekt aufgebaut. Gleichzeitig beschreibt die Illustration die allzeit bedrohliche Stimmung der Handlung, an der, wie es die gekrümmten Bäume zeigen, die Natur nicht unbeteiligt ist.
Führt die düstere Stimmung der Reihe hervorragend fort, beschränkt sich örtlich hauptsächlich auf das HAUTEVILLE HOUSE und gibt die schaurige politische Lage auf dem amerikanischen Kontinent ausschnittsweise wieder. Es bleibt dabei: Thematisch ist HAUTEVILLE HOUSE eine höchst mitreißende Serie, sehr durchdacht und mit vielen Spannungsbögen versehen. Nicht nur für Freunde von Jules Verne und Steampunk. Ein früher Einstieg lohnt sich. 🙂
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