Die Sicherheit der Stadt ist trügerisch. Am Tage pulsiert das Leben, in der Nacht ist es fortwährend in Gefahr, denn mit dem Einbruch der Finsternis kommen die Vampire. Sie sind nicht elegant, noch besonders intelligent. Sie stehen auf der Stufe von Höhlenmenschen und brechen kurz in die Zivilisation ein, bevor sie sich wieder in die Wälder zurückziehen. Zwar gibt es nächtliche Patrouillen, die für Sicherheit sorgen sollen, doch in der riesigen Stadt ist hundertprozentige Sicherheit ein Trugschluss. Und nicht nur das. Im Zwielicht hat sich vielleicht eine weitere Rasse der Vampire herangebildet: Schlauer, menschlicher und fähig, bei Tageslicht zu agieren. Vielleicht bewegt sich dieser neue Vampir längst mitten unter den Menschen. Unerkannt, aber nicht unbekannt.
Vampire treffen auf Steampunk: Eine neue Sorte von Vampir, ersonnen von Eric Corbeyran, agiert als Bestie in Gestalt von Urzeitmenschen. Diese Vampire, im Prolog der Geschichte vorgestellt, hausen in den Wäldern, pflegen einen steinzeitlichen Lebensstil und jagen gleichzeitig die Menschen, die versuchen, in dieser neuen Welt eine Siedlung zu gründen. Bis es zu der Stadt in diesen Ausmaßen kommt, wie sie dem Leser hier vorgestellt wird, vergeht viel Zeit, während derer erst ein regelrechter Vernichtungskrieg die Vampire in die Knie zwingt.
Der Prolog wird in schaurig schönen, teils ganzseitigen Bildern abgehandelt. Hier greift bereits die Atmosphäre gnadenlos zu und packt. Sobald Lukania, die gigantische, zweifellos an Städten wie New York und Paris orientierte Stadt, regelrecht präsentiert wird, wartet man gespannt auf den Fortgang der Ereignisse. Denn der Prolog endet mit einem zu lüftenden Geheimnis, nämlich dem Fund eines Kindes, eines kleinen Jungen, der später einmal Wölfel von Ulf sein wird. In eine ehrbare Familie adoptiert, von seinem Bruder gehasst, ist Wölfel die Sorte von arrogantem Emporkömmling, die sich nur deshalb in ihrer Position halten können, da sie über ein gewisses Maß an Professionalität in ihrem Beruf verfügen.
Für Wölfel bedeutet das: Töten. Nachts geht er gemeinsam mit anderen Wachen auf die Jagd auf Vampire. Die nächtlichen Straßen, die Ausstattung erinnern an gute alte Hammer-Zeiten (jenes Filmstudios, das dank eines Christopher Lees legendär geworden ist). Dank Tihomir Celanovic, der sich tatsächlich von der Kinoatmosphäre von Leinwandklassikern inspirieren ließ, indem er Blickwinkel und Bildeinstellungen studierte, wie der Anhang deutlich zeigt. Harte, aber klare Formen, Schattenrisse, weite Einstellungen, Massenszenen, ständiges Zwielicht führt einen steten Untergang vor Augen. Die Stadt Lukania hat ihren Zenit längst erreicht.
Der Zeichenstil, der eine leichte Verwandtschaft zu einem Guy Davis nicht verleugnen kann, wird von Nikola Vitkovic mit einer konsequenten halbdunklen Beleuchtung gestützt. Dieses Licht, ausgedrückt durch kalte Farben, kündet den nahen Sonnenuntergang oder auch den Beginn des nächsten Tages an. Es wird gebrochen durch große Rauchschwaden aus den Schornsteinen der Stadt oder findet sich im viktorianischen Licht von Versammlungssälen. Goldgelb und Orange kontrastieren zur Kälte, wärmen aber nie. Wärme findet sich erst durch eine ungewöhnliche Liebe, die auch im Titelbild bereits aufgegriffen wird.
In jeder Hinsicht dicht inszeniert: Erzählung und Optik greifen perfekt ineinander, geben der Atmosphäre und den Figuren viel Raum, um sich zu entwickeln. Der Leser, der mehr weiß wie einige der handelnden Charaktere, muss feststellen, wie sich Sympathien verschieben. Die Spannung steigt bis zum Schluss stetig. Ein ungewöhnlicher, auch neuer Ansatz für eine Vampirgeschichte. Fans des Genres sollten einen Blick riskieren. 🙂
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