Dyssery will nicht heiraten. Sie möchte Schauspielerin sein. Allerdings sind Frauen keine ernsthaften Schauspielerinnen. Frauenrollen werden auf der Bühne von Männern gespielt. Und die Frauen, die sich Schauspielerinnen nennen, sind für gewöhnlich auf nur eine einzige Rolle fixiert und überhaupt nicht gesellschaftsfähig. Dyssery sieht nur einen Ausweg aus dieser misslichen Lage, in der sie mit einem ungeliebten Ehemann vermählt werden soll: Den Freitod. Leider bewahrheitet sich hier für Dyssery das geflügelte Wort, das schon häufig bemüht wurde: Das Ende ist nur der Anfang.
Christophe Arleston und Audrey Alwett erzählen, nein, sie entführen den Leser in bisher unbekannte Gefilde, nämlich die Hölle, genauer noch das Schattenreich von Troy, wo alle religiösen Vorstellungen Troys Realität werden. Da dieses Universum eines ist, das mit ziemlichem Humor erzählt wird und fortwährend wächst und neue lustige Ideen präsentiert, ist es keine Frage, dass das Schattenreich auch kein Hort von Traurigkeit ist. Virginie Augustin, die schon den Mehrteiler gestaltete und dabei eine Mixtur aus Manga und Zeichntrickflair verwendete, hat hier ihre Technik etwas verändert.
Ihre sehr feinen, fast zerbrechlichen Figuren sind immer noch erkennbar, doch es eine Strichführung hinzugekommen, wie sie auch ein Guy Davis (B.U,A.P.) verwendet. Die Tuschestriche wirken exakt und intuitiv gezogen gleichermaßen. Das oft herangezogene organisch für dergleichen Stilistik trifft es auch. Augustin arbeitet gerne mit Ausdrücken und Haltungen. Nur Nuancen sind nötig, um einen Eindruck zu erzielen, der sofort erkannt und verstanden wird.
Im Schattenreich selbst kann sich Virginie Augustin so richtig austoben. Nicht nur, dass die Autoren Arleston und Alwett mit ähnlich anarchischen Humor zu Werke gehen wie Alain Ayroles (Garulfo), sie legen sich auch keine Grenzen auf. Mumien, Untote, Werwölfe, Vampire, alle Arten von Dämonen und Legenden scheinen in diesem Schattenreich lebendig zu werden. Selbst Einflüsse von Disneys Werken sind mit dem augenscheinlich winzigen Zebl zu finden, der aber entgegen einer familienfreundlichen Abendunterhaltung auch ein leicht frivoler fliegender Zwerg ist. Er und Dyssery bilden allein optisch ein sehr ungewöhnliches Duo, manchmal eine fast freundlich lästerliche Hommage an Luke und Yoda.
Zeichenstil: Ungezwungen. So ließe sich die Technik von Augustin auch bezeichnen. Da ist sicherlich alles geplant und organisiert (wie Entwurfszeichnungen belegen), dennoch entsteht der Eindruck einer Erzählung, die während des Schaffens entsteht und die erst dann ihr Ende findet, wenn sich das Ende auch gut anfühlt. Die verschiedenen Abschnitte der Handlung, Dysserys Art, sich im Tal der Schatten zurecht zu finden und der Weg ihres Witwers, vom Willen getrieben, seine Braut von den Toten zurück zu holen, wimmeln nur so von skurrilen Einfällen. Wann war der Wächter zur Unterwelt jemals ein riesenhafter Igel? Wann gab es in der Hölle Theateraufführungen? Oder wann war ein skelettiertes Wollnashorn ein Reittier?
Troy hat sich bereits mit vielen fantastischen Erzählrichtungen angefreundet. Auf Troy ist alles möglich, so verschiebt sich die Ansicht dieser Handlung (und dieser Landstriche) ins Asiatische hinein und imitiert auch die fragilen Zeichnungen jener großen Region. Der berühmte Pinselstrich findet sich hier zwar nicht, eher eine Cartoon-Version der Unterwelt wie sie Eric Liberge mit Monsieur Mardi-Gras zeigte.
Eine in sich abgeschlossene Geschichte aus dem Troy-Universum, ohne Vorkenntnisse verständlich, mit schönem Witz erzählt, hinreißend comic-artig gezeichnet und einer feinen Fantasy-Note versehen. Perfekte Comic-Unterhaltung. 🙂
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