Bei Freddo trifft sich alles. Wo sonst? Auch Canardo lässt sich dort blicken, allerdings ist er kein gern gesehener Gast. Als der Fremde in den kleinen Ort zurückkehrt, sieht er zuallererst einen Canardo, der bäuchlings im Dreck vor der Tür landet. Nach einigen aufbrausenden Worten macht sich Canardo auf den Weg und kehrt der Szenerie den Rücken. Fernando, der Fremde, kehrt zunächst unerkannt in der Kneipe ein. Mittels eines kleinen Tricks, den nur er vermag, gibt Fernando seine Identität preis. Für Gisela ist er bereit, sich Ärger aufzuhalsen. Leider ist Gisela längst tot.
Der aufrechte Hund ist jemand, der vom Regen in die Traufe kommt. All die Geheimnisse, die er aufdeckt, werden von Seite zu Seite furchtbarer. SOKAL, Autor und Zeichner von CANARDO lässt seine titelgebende Hauptfigur eher am Rande auftreten, wie einen Humphrey Bogart, der sich nicht aus der Deckung traut. Deutlich zentraler ist sein Auftritt in Das Zeichen des Rasputin:
Jener Rasputin, ein brutaler, trinkender, sadistischer Bandenchef hat sich mit seinen Kumpanen in den hintersten Winkel von Sibirien verkrochen. Nur eine Sache bedauert er in seinem Leben: Keine Kinder zu haben. Die Nachricht, eines seiner Kinder könne möglicherweise überlebt haben, bringt ihn immerhin dazu, einen seiner Leute auf die Suche zu schicken. Canardo findet das verlorene Kind zuvor eher zufällig und springt helfend in die Bresche, so wie immer gerne bereit ist, einer Frau zu helfen, die ihn anzieht. SOKAL entwirft seinen Helden als Zyniker mit Vergangenheit, die von Zeit zu Zeit ein Stückchen ans Licht geholt wird. Schon nach dem ersten Abenteuer in diesem Band wurde deutlich, dass Canardo kein Händchen für Frauen hat. Die zweite Geschichte zementiert diesen Umstand noch.
Wie der Titel der dritten Geschichte Ein schöner Tod außerdem deutlich macht: Sokal liebt das Düstere und er parodiert es, indem er es gehörig auf die Spitze treibt. Canardo, der typische Detektiv im Trenchcoat ist alles andere als ein guter Charakter. Da verlässt eine Kugel schnell den Lauf. Canardo hat seine Momente des Erschreckens, doch meistens lassen ihn die Ereignisse um ihn herum kalt. Es scheint bereits in diesem frühen Stadium der Reihe nichts und niemanden mehr zu geben, das oder der ihn aus der Reserve locken kann. Die eigene Feststellung, er sei ein Held quittiert er mit einem trockenen Lachen.
Sokal parodiert die Schwarze Serie Hollywoods, die Tierfiguren, allen voran die Ente Canardo sind hier keine Parodien, mehr grobschlächtige, gemeine Typen oder, optisch frei übersetzt, völlig arme Schweine. Sokal zeichnet seinen Charakteren Eigenschaften auf den Leib. Der Wahnsinn (oder bestenfalls Ansätze hiervon) blitzt aus den Augen der Figuren. Häufig entstehen Situationen, die eine derartige Angst schüren, so dass für andere Emotionen kein Platz mehr bleibt. Interessanterweise greift nur ein einziges Mal ein Mensch in die Handlung ein, eine Art Dr. Moreau, unheimlicher und furchtbarer als sein filmisches Original.
Will man den Zeichenstil dieser ersten drei Abenteuer unbedingt vergleichen, so ist Sokal hier in der Nähe von Robert Crumb (Fritz the Cat) zu suchen. Stilistisch ist bei ihm eine gewisse Anarchie zu finden. Der Tuschestrich variiert fett bis ultrafein. Auffallend ist im zweiten und dritten Abenteuer die Inszenierung, die hier wörtlich genommen werden kann. Die Figuren werden in Szene gesetzt, sehr theatralisch, bühnenartig mit Ansichten, Lichtspielen und Blickwinkeln, die schon in frühen Stummfilmen funktionierten. Atmosphäre wird hier nur über das Bild transportiert. Text ist Beiwerk. Das beste Beispiel hierfür ist die Figur des Bronx in Ein schöner Tod. Der riesige Bär spricht so gut wie kein einziges Wort. (Und sogar diese sind mehr Laute der Wut als Worte.)
Bitterböse, gemein, zynisch: Canardo tastet sich an die Figur heran, die sie heutzutage zivilisierter ist. Ein Tierleben ist hier gar nichts wert, Liebe verschwindet schneller, als sie kommt. Canardo kann nichts mehr überraschen. Mit rabiatem Einfallsreichtum schickt Sokal seinen abgehalfterten Ermittler mit dem müden Gesichtsausdruck in die Abgründe seiner eigens von ihm kreierten, mitunter schaurigen Gesellschaft. 🙂
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