Malaskar, fernab der herkömmlichen Zivilisation, in einem Landstrich zwischen Alaska und Sibirien eingezwängt: Hierher haben sich einige Abenteurer zurückgezogen, die eine Gelegenheit suchen, um das große Glück zu machen. Ihr Ziel: Die Gründung einer Großstadt am Ende der Welt. Lange Zeit konnte diese Gegend nicht besiedelt werden. Die Natur war die stärkste Macht, doch die Technik hat den Menschen einen Vorteil verschafft. Plötzlich können sie nicht nur bleiben, sondern die Oberhoheit gewinnen. Aber Menschen brauchen Energie, eine Stadt braucht Energie, um zu wachsen. Ein Staudamm mag für derlei Zwecke genau die richtige Lösung sein. Das verlorene Tal bildet mit seinem schmalen und hohen Felszugang, dem einsamen Fluss beste Voraussetzungen, damit ein solches Projekt gelingen kann. Nur ein Problem gibt es. Das Tal ist nicht unbewohnt.
Ein Adler und ein indianischer Junge, gemeinsam gegen einen unerbittlichen Feind. Autor und Zeichner Benoit Sokal weiß immer wieder durch neue Ideen zu überraschen. Abseits der schwarzhumorigen Krimireihe Inspektor Canardo erzählt er nun eine Geschichte um einen Verzweiflungskampf, einen Untergang eines Volkes sowie die Rache eines einzelnen Jungen, der alles verloren hat.
Benoit Sokal wählt eine realistische Darstellung. Wie bereits das Titelbild andeutet, beginnt die Geschichte nicht mit dem Schicksal der Indianer, sondern mit jenem des Adlers. Abgeschieden, in einem Versteck hinter einem Wasserfall, liegt das Nest verborgen, in dem ein gnadenloser Jäger heranwächst. Eigentlich kennt dieses Tier keine Freundschaften. Adler, so edel sie auch auf den Betrachter wirken, besitzen, legt man menschliche Maßstäbe an, einen finsteren Blick. Auf seinem Titelbild zum ersten Teil des Zweiteilers schönt Sokal diesen Eindruck nicht. Der Adler ist ein Jäger, majestätisch. Ein Kämpfer, gnadenlos, ohne Rücksicht auf seinen eigenen Körper.
Sokal zeigt Kraa im Kampf gegen Tiere, Wölfe, und auch gegen Menschen. Noch bevor Kraa das erste Mal tötete, schmiss er bereits seinen Bruder aus dem Nest. Wenn Kraa kämpft, greift er den Kopf seines Gegners an, den Hals, die Augen. Sein majestätisches Auftreten wird nur durch seine Wildheit übertroffen. Die angebliche Zivilisation legt ihren Grundstein mit dem Mord an mehreren Menschen. Entsprechend schlagen Kraa und sein Freund Yuma, ein einzig übrig gebliebener Indianerjunge, zurück.
Wie sich die beiden ungleichen Wesen einander nähern, ist sehr schön von Sokal gestaltet. Er gibt mit seinen Bildern einen Einblick in die Gefühlswelt des indianischen Stammes, der Landschaft wie auch des totalen Gegensatzes, nämlich der immer mehr wuchernden Stadt und ihrer dreckigen Straßen. Sokal zeichnet mit weichen, eher blasseren als strahlenden Farben, in einer Mischung aus Aquarellfarben oder Gouache mit Spuren von Buntstift. Alles in allem hat es die Wirkung einer gekonnt zu Papier gebrachten Mischtechnik.
Sokal versteht sich auf Tiere, er mag sie anscheinend und weiß sie auch gut einzusetzen. Auffallend ist jedoch, dass seine Pferde erstaunlich kraftlos ausfallen. Betrachtet man Pferdebilder seiner Kollegen, Hermann oder Jean Giraud, werden die Unterschiede schnell deutlich. Sokals Pferde stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Dem gegenüber sind Adler und Wölfe ausdrucksstark, sogar Bergwild wirkt kräftiger. Aber das ist auch die einzige Auffälligkeit dieser 95 Seiten starken ersten Episode über Kraa, die ansonsten ungeheuer liebevoll gestaltet wurde. (Die Pferde wahrscheinlich auch, nur fallen sie halt aus dem Rahmen.)
Ein wenig mystisch, eine Freundschaft zwischen Mensch und Tier, eine Geschichte über Rache, auch über Einsamkeit. Sokal dreht die Spannungsschraube mit jeder Seite an. Die geschilderte Freundschaft zwischen dem Indianerjungen Yuma und dem Adler Kraa ist im Comic-Bereich ungewöhnlich. Ähnliche Thematiken fanden sich vor längerer Zeit im Dschungelbuch. 🙂
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