Sie quälen den Mann, der Logan heißt. Er ist ihnen unheimlich. Bevor sie ihn in den Tank gelegt haben, rasierten sie seine Haare. Komplett, nun, nur zwanzig Minuten später sind schon wieder die ersten Stoppeln auf Gesicht und Körper zu sehen. Alle Schläuche und Kontrolleinheiten sind angeschlossen. Die Operation kann beginnen. Zügig pumpt das Adamantium in Logans Körper, aber seine Regenerationsfähigkeit hält den fremden Stoff aus. Vor den Augen der Wissenschaftler übersteht dieser Mann eine Tortur, die kein menschliches Wesen überstehen sollte. Mehr noch: Logan erholt sich langsam, erwacht. Da geschieht das Unglaubliche: Stacheln entwachsen blitzartig seinen Handrücken. Ein Assistent bietet sich, Logan zu helfen. Wider besseres Wissen schickt der Operationsleiter den jungen Mann gnadenlos ins tödliche Verderben.
Aus der Sicht des Operationsleiters ist sogar diese Tragödie ein Erfolg. Logan tötet ohne mit der Wimper zu zucken. Er ist, wie der Professor bald beinahe am eigenen Leib erfahren muss, eine Bestie. In einer Kurzschlusshandlung gibt er den Befehl, Logan zu töten. Aber der Befehl wird zurückgenommen. Logan ist zu wichtig. Logan ist genau das, was er sein soll: Eine Waffe. Wenig später soll sich in einem neuen Test bewähren. Alleine tritt er einem Rudel Wölfe entgegen. Für einen normalen Menschen würde diese Situation das Todesurteil bedeuten. Aber für Logan?
Wolverine ist die Waffe X. Der Autor Barry Windsor-Smith hat die Geschichte nicht nur geschrieben, sondern zeichnete sie auch. Das ist nicht ungewöhnlich, aber auch nicht an der Tagesordnung, da beide Prozesse zeitintensiv sind. In dieser Handlung, erschienen von April bis August 1991, wirft ein Rückblick ein knallhartes Bild auf die Entstehung Wolverines. Vieles an seinem Verhalten wird durch diese Geschichte erklärt. Das Tier in Wolverine wird verständlicher, denn die Bemühungen, die ihn dazu machten (oder auch verdammten) sind nicht nur tiefgreifend, sie werden auch in aller Deutlichkeit geschildert.
Es ist ein Kammerspiel. Wie so häufig in der jüngsten Zeit geht es nicht kreuz und quer um die Welt, gibt es kein Inferno in irgendeiner Großstadt oder im Weltraum. Windsor-Smith behandelt die Entstehung Wolverines in einer abgeschirmten und entlegenen Forschungsstation im tiefen Winter. Wir sehen die Umwandlung des Mutanten Logan, seine Konditionierung und wir sind als Leser zugegen, als der Mensch in Logan das Tier in sich zurückzudrängen sucht. Denn um zu fliehen, braucht er wenigstens einen Teil seines gesunden Menschenverstands. Windsor-Smith macht aber gleichzeitig ganz deutlich, das auf dieser Seite von Logans Gehirn vieles verschüttet, wenn nicht sogar für lange Zeit verloren ist.
Der Engländer Windsor-Smith, Jahrgang 1949, machte in 70er Jahren des letzten Jahrhunderts durch eine vielbeachtete und erfolgreiche Umsetzung von Conan-Themen auf sich aufmerksam. Seit Beginn der 70er bis hinein in die 90er kann er auf Preise und Nominierungen in seinem Metier zurückblicken. 2008 wurde in die Eisner Awards Hall of Fame aufgenommen. Der grafische Stil ist hart wie seine Erzählweise. Er ist künstlerisch, das steht außer Frage, aber dort wo Zeichner heutzutage vergleichweise weiche Stile verfolgen, denen eher ein Glanz und Gloria anhaftet, rangiert Windsor-Smith eher in der Nähe von Frank Miller, sind seine Bilder doch eher militärisch prägnant. Aber die harte Ausdrucksform, das brutale wie in Stien gemeißelte Bild passt hier wie die berühmte Faust aufs Auge.
Denn Windsor-Smith versucht Logan so echt wie möglich zu machen. Das ist keine leichte Superheldengeschichte mit ein wenig Mutantendrumherum. Hier geht es um Folter, verbotene Experimente. Das wird von ihm ebenso ausdrucksstark und dunkel getuscht, wie die Vorlagen gezeichnet sind. Dass er sich jedoch auch weiterentwickelt hat, weicher in seiner Ausdrucksform geworden ist, zeigt sich in einer kurzen Sequenz im Anhang, die 2001 entstanden ist. Obwohl thematisch innerhalb der vorliegenden Handlung angesiedelt, fällt dieser Rückblick auf den Rückblick feiner aus, zerbrechlicher, sicherlich optisch auch etwas schöner, da der Tuschestrich hier viel weniger grob ausfällt.
Wolverine war nie ein Softie, doch hier ist er ein regelrechtes Tier, strotzt vor Kraft und Brutalität. Wer eine knallharte Superheldengeschichte lesen möchte, der jegliches weichgespülte Szenario abgeht und auch vor drastischen Bildern nicht zurückschreckt, sollte einen Blick auf den etwas härteren Wolverine werfen. 🙂
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