Die X-Men sind tot. Es leben die X-Men! Cyclops kann nach der großen Katastrophe und der Minimierung aller Mutanten weltweit nicht von den X-Men lassen. Jemand muss weiterhin für das Gute, für ein wenig Gerechtigkeit oder wenigstens für Sicherheit einstehen. Ein paar wenige Mutanten könnten den Traum von Charles X. Xavier neu erstehen lassen. Aber sie sind allesamt blutjung und unerfahren, obwohl ihre Kräfte es in sich haben. Blindfold besitzt zwar keine Augen, sehen kann sie dennoch. Ink kann Kräfte über die Art und Platzierung von Tätowierungen auf seinem Körper erlangen. Wolf Cub ist ein Werwolf, Rockslide ist ein unzerstörbarer Gigant, der mächtig hinlangen kann. Dust kann sich in eine tödliche Sandwolke verwandeln.
Die ersten Trainingseinheiten fallen ernüchternd aus. Gemeinsames Kämpfen ist ihnen fremd. Gegen ihre virtuellen Gegner, eine frühere Gruppe junger X-Men, haben sie durch ihre schlechte Koordination keine Chance. Cyclops hingegen treibt sie an, drängt sie. Die Zeit spielt gegen sie. Den Anschein vermittelt er jedenfalls und schickt seine Schutzbefohlenen alsbald in den Kampf. Aber etwas stimmt nicht. Blindfold kann auch in die Zukunft sehen. Was sie in ihren Visionen entdeckt, gefällt ihr nicht. Leider sieht sie immer nur Bruchstücke und schon gar nicht das, was sie auch wissen will.
Eine neue Generation macht sich startbereit. Gefangene werden keine mehr gemacht. Kein Witz, denn Cyclops macht den neuen Anwärtern klar, dass ihre Feinde keinen Moment zögern werden, sie zu töten. Deshalb sollen sie, wenn ihnen ihr Leben lieb ist, zuerst töten und zwar gnadenlos. Das sollte den neuen Mitgliedern etwas merkwürdig vorkommen. Zunächst jedoch glauben sie ihrem Lehrer, der die Aufgabe diverser anderer X-Men übernommen hat, allen voran Charles Xavier.
Marc Guggenheim inszeniert einen Neustart mit blutjungen Mutanten, die auf gewissen Weise kämpfen können, aber noch nicht wissen wissen, was es bedeutet, ein X-Men zu sein. Sie starten in einer Zeit, in der viele ihre Fähigkeiten verloren haben und eine deutliche Hoffnungslosigkeit und Weltuntergangsstimmung in der Luft liegt. Andererseits können normale Menschen aufatmen, denn die großen Schlachtfelder von Helden und Bösewichtern sind seltener geworden. Aber eben nur selten. Als Leser muss man sich fragen, wer sich an all die Aufräumarbeiten macht, die Schäden bezahlt und und und. Kaum hat Guggenheim die neuen Jungs und Nädels auf die Welt losgelassen, machen sie auch schon Kleinholz. Immerhin bleibt das in den Nachrichten nicht unerwähnt.
Die neuen X-Men lassen sich leichter überreden mitzumachen, als es in der Vergangenheit mitunter der Fall war. Guggenheim gibt den Kids eine Aufgabe. Wie falsch sie in jeglicher Hinsicht liegen, ist eine positive Überraschung (für den Leser, nicht für die Akteure). Das ist ohne Unterbrechung spannend und wartet sogar mit einem Ende auf, dass der Leser als besonderen Schluss erwarten würde, aber nicht als Überleitung zu einem zweiten Teil.
Yanick Paquette ist ein Minimalist. Zarte, schmale Striche und keiner zuviel, das scheint seine Devise zu sein. Bekannt durch seine Arbeiten an den Ultimativen X-Men ist er nun in das erste Universum zurückgekehrt. Schatten und Schraffuren werden von Paquette nur eingesetzt, wenn es notwendig ist. Das betrifft dunkle Flächen, Halbschatten, Trenner zwischen Hell und Dunkel. Darüber hinaus überlässt er den Hauptteil der Arbeit, um einen voluminöseren Effekt zu erzielen, dem Koloristen. Paquette abstrahiert auch ein wenig. Bei Charakteren wie Rockslide fällt das nicht weiter auf, je menschlicher die Figuren werden allerdings schon. Da Terry Dodson einige Cover für diese kleine Reihe zeichnete, fällt der Unterschied zwischen möglichst hohem (idealisiertem) Realismus und Abstraktion verstärkt auf. Durch die sehr dünnen Tuschestriche zu Beginn wirken auch die Zeichnungen etwas dünn, durch eine fettere Linienführung im zweiten Teil gibt sich das.
Ein gelungener geheimnisvoller Auftakt: Für Neulinge auf dem X-Men-Parkett ist dies auch ein guter Einstieg, ein Schnupperkurs, da die Geschichte keinerlei Vorkenntnisse braucht. Der Schluss ist gemein und lässt für den zweiten Teil einiges erwarten. Man darf richtig gespannt sein.