Verliert ein Mann sein Gedächtnis, gerät er für gewöhnlich in Schwierigkeiten. Wenn dieser Mann zu den großen Feinden der Hölle zählt, gerät er in große Schwierigkeiten. John Constantine kann sich über das Interesse an seiner Person nur wundern. Die Feindseligkeit, die ihm entgegenschlägt, passt nicht zu der friedfertigen Haltung, die er im Augenblick vertritt. Das Mädchen, das am Flussufer sitzt und angelt, hat eine höllisch aussehende Verbrennung am Arm. John zögert nicht lange. Er bringt das Mädchen ins Krankenhaus und begeht damit einen folgenschweren Fehler.
Eine falsche Namensnennung macht ihn zum Ziel eines besonderen Serienkillers. Gill weiß alles. Das ist leider keine Aufschneiderei. Er weiß in der Tat alles über jene, die ihm begegnen. War er nicht schon vorher wahnsinnig, hat ihn spätestens diese Fähigkeit verrückt gemacht. Gill kann in John nichts erkennen. Doch eine Möglichkeit muss es geben, zu ihm durchzudringen. Irgendetwas. Und Gill macht sich an die Arbeit.
Gedächtnis verloren hin oder her, Serienkiller hin oder her. Sehr bald schon sind derlei Kinkerlitzchen Johns geringstes Problem.
Stationen des Kreuzwegs nennt sich die vorliegende 6. Ausgabe der Saga um den Hellblazer mit dem Namen John Constantine. Der Verlust seines Gedächtnisses macht John zum Spielball. Ist er seither oft sehr cool, auch umsichtig aufgetreten, hat er nun zwar immer noch Herz, aber verkommt zum obdachlosen Gammler. Die Situation ist schon schlimm genug. Doch noch mehr nagt an John: Was muss er für ein Mensch gewesen sein, den niemand vermisst? Der keine Freunde hat, die ihn suchen? Der kein Zuhause hat und ein Umfeld, dem das Fehlen einer Person auffällt?
Keine Sorge, Kumpel. Alles wird gut. Diesmal bist du auf die Füße gefallen. Jinx passt auf dich auf.
Ausgerechnet ein anderer Obdachloser, den es an den Rand der Gesellschaft verschlagen hat, kann sich schließlich an John erinnern. Offensichtlich hat der Hellblazer wenigstens einmal in seinem Leben etwas Gutes getan und diesem Mann ein paar Pfund zugesteckt. Mike Carey, der Autor, gönnt John (und dem Leser) allerdings nur einen kurzen Aufschub. Wer zu John mildtätig ist, steht schon auf der Abschussliste. So ist der Titel der Geschichte irreführend. Für John ist es eher eine Geisterbahn als ein Kreuzweg. Einzig die Konsequenz ist identisch: John muss leiden.
So schickt Carey seinen Helden zuerst ein winziges Stück in die Vergangenheit (indem er ihn doch Menschen begegnen lässt, die ihn kennen) und macht ihm deutlich, wo ein paar seiner Talente liegen. Instinktiv handelt der Hellblazer in verschiedenen Situationen wie ein kaltschnäuziger Drecksack. Dafür muss er aber bis an das Äußerste getrieben werden. Der Mann, der sich mit Dämonen anlegt, ist im normalen Alltag vollkommen hilflos.
Gleich drei Zeichner haben sich des Höllenwidersachers in dieser Geschichte angenommen. Die Ergebnisse könnten kaum unterschiedlicher sein. Leonardo Manco gehört zu den Zeichnern, die eine realistisch ausschauende Handlung bevorzugen. Er ist kein Jim Lee, seine Grafiken strahlen noch keine vollendete Souveränität aus, aber er ist auf dem Wege. Seine genutzten Perspektiven sind experimentierfreudig, mitunter ungewöhnlich. Die von ihm geschaffenen Gesichtszüge sind stets um Individualität bemüht und sehr aussagekräftig. Dank ihm herrscht zwischen den beiden Kontrahenten John und Gill eine große optische Spannung.
Chris Brunner nimmt den Handlungsfaden auf und zeichnet schon abstrakter, zerhackter und impulsiver. Da brechen die getuschten Flächen aus wie ein Flickenteppich, es versinken die Gesichter in den Schatten und nur die nötigsten Linien zeichnen sich ab. Expressiv und wuchtig könnte sich dieser Zeichenstil auch nennen. Aber letztlich ist er nur eine Stufe hin zu den Bildern von Marcelo Frusin, der es schafft eine Brücke zwischen den Stilen von Mike Mignola und Sean Phillips zu schlagen. Die Grafiken von Frusin benötigen eigentlich keine Farbe, bei genauer Betrachtung ist sie sogar eher störend, wie es bei Mignolas Bildern der Fall ist. Das Grauen ist hier zwar in höchstem Maße abstrakt und reduziert, aber die Wirkung ist ungleich größer. Von Frusin würde man sich wünschen, er würde auch einen Abstecher in das Hellboy-Universum machen.
Mike Carey schickt Constantine durch die Hölle des Vergessens geradewegs hinein in wirkliche dämonische Auswüchse. Die geschichte gehört zu der Sorte von Horror, der sich wie von selbst liest. Drei verschiedene gute Zeichner sorgen mit sehr unterschiedlichen Stilen für sehr viel Atmosphäre. Wer den Hellblazer bisher nicht kannte, findet hier einen guten Einstieg. 🙂
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