Spider-Man ist der Star im Ring. Keiner der anderen Wrestler kann ihm das Wasser reichen. Der junge Peter Parker glaubt nicht, dass es noch besser werden kann. Er hat Geld und Anerkennung. Das Publikum liebt ihn. – Aber das war nicht immer so. Es gab eine Zeit, da war Peter Parker, der Junge hinter der roten Maske mit der dunklen Augenumrandung einer der größten Verlierer seiner Schule. Immer musste er als Prügelknabe herhalten. Besonders Flash Thompson machte ihm das Leben schwer. Bis die Spinne kam. Dann änderte sich alles. Beinahe jedenfalls.
Peter Parker genoss seine neuen Fähigkeiten, aber er hängte sie nicht an die große Glocke. Es genügte zuerst, Flash aus dem Weg gehen zu können. Doch dann wollte Peter mehr. Er wollte das, was alle Jungs seines Alters wollen. Ein vorzeigbares Auto, um Mädchen zu beeindrucken. Und natürlich, um sie abzuschleppen. Ein Kampf mit einem Wrestler versprach ein Preisgeld, das die Lösung seiner Probleme sein konnte. So rutschte Peter in ein Milieu hinein, von dem er vorher nicht einmal geträumt hatte. Schlimmer noch, plötzlich hatte er auf eine gewisse Art mit dem organisierten Verbrechen zu tun.
David Lapham unternimmt den Versuch einer Neuerzählung. Was wäre wenn ist seit längerem ein beliebtes Mittel, um bestehenden Szenarien oder Figuren einen neuen ungewohnten Anstrich zu verpassen. Superman – Birthright war ein derartiger Versuch, das Ultimative Universum ist ein weiterer, noch umfangreicherer Schritt in diese Richtung. Diese Spider-Man-Variante löst sich von allen Richtungen, in die inzwischen erzählt wird – und die aus Lesersicht mittlerweile sehr unübersichtlich geworden sind – und beginnt ganz einfach von vorne. David Lapham verfolgt eine ganz einfache Frage: Hätte Peter Parker Geschmack am Wrestling gefunden, was hätte aus ihm werden können?
Wirft man einen Blick auf den Auftakt der Geschichte, ist die Antwort einfach: Ein ziemlich arroganter, eingebildeter junger Schnösel, der sich von einer ältlichen Frau bequatschen lässt, weil er mehr Augen für ihr Décolleté hat, als Ohren für ihre Worte.
Das Leben ist nicht toll. Nein, kein Zuckerschlecken. Aber es wird besser. Es wird immer besser.
Die Erfolge, die Lapham seinem jungen Helden angedeihen lässt, sind ihm aus den Rückblenden her zu gönnen. Sehr schnell ist man als Leser allerdings hin und her gerissen, denn die berühmten Worte von Onkel Ben (Aus großer Kraft …) führen bei Peter zu keiner großen Verantwortung. Dennoch – oder vielleicht genau deswegen – schießt sich der Daily Bugle auf Spider-Man ein. Ein Mensch mit derartigen Fähigkeiten kann nicht einfach nur ein Wrestler sein. Die Wende kommt durch ein einschneidendes Erlebnis mit den Fantastischen Vier, genauer dem Ding alias Ben Grimm. Erst dann beginnt sehr langsam aus Peter das zu werden, was der Leser auch aus anderen Universen her kennt. Aber leicht macht es Lapham seinem deshalb noch lange nicht.
Tony Harris, den Zeichner, kennen eingefleischte Comic-Fans vielleicht von seinen Arbeiten aus der Serie Ex Machina. Dort hat er durch seinen sehr realistischen und gleichzeitig verspielten Zeichenstil beeindruckt. Zu Beginn muss Harris seinen Schützling durch zwei Welten, durch ein Doppelleben führen. An der Schule ist er der schmale Junge. Wer sich die Optik betrachtet und Film-Fan ist, wird vielleicht eine gewisse Parallele zu George McFly und Biff Tannen festellen. Peter Parker und Flash Thompson geben hier ein ähnliches Bild ab. Der Vergleich mit den 50er Jahren wird umso deutlicher, wenn eine ganz bestimmte Szene herangezogen wird. Peter und Flash liefern sich ein Straßenrennen, bei dem Peter seinen Spinnensinn als Joker benutzt.
Neben packenden Sequenzen im Ring und mit den Fantastischen Vier als Nebendarstellern darf sich Harris auch mit der Maskerade von Peter befassen. Die Verkleidung entsteht nicht durch einen Geistesblitz, sondern folgt verschiedenen Stadien (sogar mit einer merkwürdigen Augenumrandung), bis das bekannte Erscheinungsbild erreicht ist. Insgesamt ist es Harris zu verdanken, dass dieses Spiel mit einer Alternativwelt so gut gelingt. Sein Peter Parker, auch sein Spider-Man ist mit einer so schönen Anteilnahme an der Figur und einer hohen Präzision zu Papier gebracht, dass auch diese Version schlichtweg funktioniert. (Auch weil der Leser viel länger etwas von Onkel Ben hat.)
Farblich ist Schwarz nur als dunkelste Druckfarbe zu finden, wenn es auch Sinn macht. Kolorist J.D. Mettler scheut sich nicht, die getuschten Flächen und Linien seines Kollegen Jim Clark anders einzufärben, so dass eine bessere optische Anpassung an Schattierungen entsteht. Eine deutlich höhere Räumlichkeit ist das Ergebnis. Die Kolorierung allgemein schlicht zu nennen, wäre falsch. Tatsache ist aber, dass die exakte Zeichenweise von Harris mit viel weniger Schattierungsstufen auskommt. Wo es wirklich rundgeht – wie das Ding immer sagt – ist während des Auftritts Ben Grimms zu sehen. Zeichnung und Farbe lassen die Figur viel klobiger aussehen als gewöhnlich, obwohl sie tatsächlich schlanker ist als so manche andere Darstellung dieses Charakters.
Eine gelungene und sehr schön anzuschauende alternative Welt von Spider-Man. David Lapham stellt Peter Parker vor neue Herausforderungen, indem er ihm altbekannte Wendungen vorenthält. Top gezeichnet von Tony Harris. 🙂