Oben auf dem Lookout-Mountain, weit über dem Tennessee-River befinden sich die Konföderierten in einer nahezu uneinnehmbaren Stellung. Nur ein Narr würde gegen sie anrennen, ein Narr, dem das Leben seiner ihm anvertrauten Soldaten egal ist. General Hooker ist solch ein Narr. Allerdings weiß er auch, was sich gehört. Da sind diese beiden, die ihm die Hiobsbotschaft brachten, dass er keine Verstärkung zu erwarten hat. Dann sollen doch diese beiden als Späher dienen. Die gehören schließlich nicht zu seiner Truppe. Wenn sie zurückkommen, gut, wenn nicht – auch gut.
Chester gefällt der Auftrag zwar nicht, aber Befehl ist natürlich Befehl, auch wenn er von einem Choleriker wie General Hooker kommt. Blutch muss nicht überredet werden wie sonst, doch begeistert ist er nicht. Außerdem, dieser Trick, den Chester so toll findet, ist doch wohl ein großer Witz! Die Konföderierten mögen dumm sein, aber nicht so dumm. Das finden auch die Wachen am anderen Ufer, die das alte Boot kieloben über den Fluss auf sich zu schwimmen sehen. Binnen kurzer Zeit haben ihre Kugeln den alten Kahn vollends zerlöchert. Doch dann …
Tja, du wolltest doch eine Heldentat vollbringen. Das ist der passende Moment dafür! Die blauen Boys sind wieder einmal mitten im Geschehen. Chester gleich vorneweg, Blutch will eigentlich nicht, aber er kann nicht anders. Stammleser der blauen Boys können sofort mit den beiden leiden, denn ihr neuester Auftrag ist wirklich ein Himmelfahrtskommando.
Raoul Cauvin hat sich einen der ganz furchtbaren Aufträge für die beiden Helden ausgedacht – als hätte es davon bisher noch genug gegeben. Ein kleiner Berg – einer dieser berüchtigten Hügel – muss gestürmt werden. Das Absurde dieses Bürgerkrieges, eine vollkommen ernste Kulisse und Hintergrundgeschichte für dieses Szenario stellt Cauvin immer wieder heraus, in Szenen, in denen man manchmal nicht genau weiß, ob man als Leser jetzt lachen oder weinen soll.
General Hooker erhält von General Grant keine weiteren Truppen. Die Figur verlangt von seinen Männern alles und noch mehr – mehr, als er selber bereit scheint, zu geben. So jedenfalls hat es den Anschein, wenn der Leser den eigenen Eindrücken glauben darf. Als wenig später bei der Schlacht im Nebel Hooker in der vordersten Reihe dabei ist, mag man es kaum glauben. Nichtsdestotrotz gerät die Schlacht, wie vorauszusehen, zum Debakel.
Der Angriff im Nebel erinnert an jene unsägliche Situation, die bereits in Der längste Tag in sehr tragische Ereignisse mündete. Hier wie dort wird ein Erkennungszeichen vereinbart, damit schneller – und überhaupt – zwischen Freund und Feind in den widrigen Sichtverhältnissen unterschieden werden kann. Hier wie dort ist das Ergebnis lebensgefährlich. Hier wie dort endet es in einem ganz bösen Witz. Hookers Verzweiflungstat stützt diese äußerst schwarzhumorige Erzählweise noch.
Demgegenüber steht diese Ruhe und gelangweilte Art von Blutch, dem das alles fürchterlich auf die Nerven geht und der die Dummheit hinter den ganzen Manövern allzu schnell durchschaut, ganz besonders dann, wenn sie dazu angetan sind, sein Leben drastisch zu verkürzen. Es ist der Kunstfertigkeit von Willy Lambil zu verdanken, dass eine karikaturhafte Erhöhung des Krieges ein wenig die Ernsthaftigkeit aus dem Hauen, Schießen und Stechen herausgenommen wird. Die Einfachheit der Darstellung von Chester und Blutch mit ihren Knollennasen steht im Gegensatz zu so manch feiner gezeichneten Gesicht. Vorgesetze sind in diesem Band ganz besonders davon betroffen.
So kann sich Lambil beim cholerischen Hooker so richtig austoben und viele, viele kleine Wutsymbole erfinden, die einem Leser sicherlich hin und wieder seltsam erscheinen. (Was könnten ein Schweinekopf und eine Kartoffel zusammen bedeuten? Oder ein Amboss und eine Steckrübe?) Viel exakter in der Darstellung fällt das Drumherum aus. Feld, Wald und Wiese, Ausrüstung, Kleidung und Tiere sind realistischer gezeichnet, so dass die Figuren ein wenig wie Puppen agieren. Auch hierdurch wird der scharfe Unterton des Humors gemildert.
Darüber hinaus sind die natürlichen Tuschestriche in diesem Band ein Fest. Das Organische einer Zeichnung geht heuer viel zu oft verloren, weshalb die klassische Technik hier – abgesehen von der Kolorierung – nur gelobt werden kann.
Wer die blauen Boys schon kennt, kommt sowieso nicht an diesem Band vorbei. Wer nicht, sollte einen Blick wagen. Ein Einstieg ist jederzeit möglich, obwohl es sich hier schon um Band 35 handelt. Die Langlebigkeit dieser Serie spricht für sich. Klamauk und bitterböser Humor wechseln sich hier in ganz tollen Cartoon-Zeichnungen ab. 🙂
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